Eigene Forschungen

Freitag, 12. Oktober 2012

DAS TODESDUELL DER TIGERKRALLE


SAN SHAO YE DE JIAN
Honkong 1977

Regie:
Chu Yuan

Darsteller:
Derek Yee,
Ling Yun,
Candice Yu,
Cheng Ping,
Ti Lung,
Lo Lieh,
Ku Feng,
David Chiang



„Wo ist dein Schwert?“ - „Ich besitze kein Schwert.“ - „Umso schneller wirst du sterben.“


Inhalt:

Ah Chi [Derek Yee] lebt als Bettler auf der Straße. Kurz vor dem Hungertod wird er von dem gutherzigen Bauern Miao Tzu [Ku Feng] unter die Fittiche genommen. Was keiner ahnt: Ah Chi ist der ‚Dritte Meister‘, der beste Schwertkämpfer des Landes. Des Kampfes überdrüssig täuschte er seinen Tod vor. Als Miao Tzus Schwester Hsiao Li [Candice Yu] bedrängt wird, muss Ah Chi seine Identität jedoch offenbaren. Bald spricht es sich herum, dass der Dritte Meister noch am Leben ist. Alte Rivalen tauchen wieder auf: Neben der durchtriebenen Mu-Yung Chiu-Ti [Cheng Ping], die noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hat, fordert ihn auch Schwertkämpfer Yen Shih-San [Ling Yun] zum Duell. Er will ihn vom Thron des größten Kampfkünstlers stoßen und diesen Platz selbst einnehmen. Als es Mu-Yung durch eine List gelingt, ihm ein Gift zu verabreichen, welches ihn innerhalb von drei Tagen töten wird, macht sich Ah Chi auf die Suche nach dem als Wunderheiler bekannten 'Meister der Gifte'. Als er ihn tatsächlich findet, ahnt er noch nicht, dass er es mit seinem Rivalen Yen Shih-San zu tun hat.

Kritik:

Die gar tüchtige Produktions-Schmiede der Gebrüder Runme und Run Run Shaw entwickelte sich ab Mitte der 60er Jahre langsam, aber sicher zur führenden Adresse für das Genre des Martial-Arts-Films. Dabei wich man – von einigen Experimenten mal abgesehen – recht selten von der bewährten Erfolgsformel ab, so dass sich – oft vor historischem Hintergrund – immer wieder dieselben Darsteller durch dieselben Kulissen kämpften, wobei auch der Grund für ihr Tun nur selten variiert wurde: Es geht um Ehre, Treue, Heldentum – und eine gehörige Portion Dresche.

DAS TODESDUELL DER TIGERKRALLE macht in dem Zusammenhang keine Ausnahme: Erneut muss ein quasi unbesiegbarer, doch eigentlich friedfertiger Held immer wieder seinen Mann stehen, um nach einem von Opfern und Entbehrungen gesäumten Weg im finalen Duell schließlich zu sich selbst zu finden. Schlecht ist das nicht, weder thematisch noch in der Ausführung, und bietet manch ansprechenden Ansatz, wobei vor allem das ambivalente Verhältnis zwischen Hauptfigur Ah Chi und seinem Kontrahenten Yen Shih-San sehr reizvoll geriet. Letzterer ist nämlich nicht etwa einfach nur der klassische böse Kontrahent, sondern erweist sich schon bald als ein geistiger Bruder Ah Chis, ist er doch der ständigen Herausforderung ebenso überdrüssig. Als 'Meister der Gifte' rettet er ihm zunächst unerkannt das Leben. Bereits bei dieser Gelegenheit lässt er anklingen, wie sehr der Name Yen Shih-San und dessen Reputation ihn ins Unglück treiben. Zu diesem Zeitpunkt missversteht Ah Chi die Aussage noch. Erst, als beide sich im Finale zum Duell gegenüberstehen, erkennt Ah Chi in ihm seinen Rivalen. Bevor der Kampf beginnt, spielt Shih-San nun mit offenen Karten und beklagt den unerlässlich drängenden Zwang zur ständigen Selbstbehauptung, die Pflicht, seinen Ruf als einer der besten Kämpfer immer wieder beweisen und verteidigen zu müssen.

„Weißt du noch, was ich zu dir sagte, als ich dein Leben rettete?“ - „Du sagtest, du verabscheust den Namen Yen Shih-San.“ - „Und auch seinen Ruhm. Wenn es ihn nicht gäbe, müsste ich jetzt nicht kämpfen.“

Ebenso wie Ah Chi ist also auch Yen Shih-San ein Gefangener seines eigenen Nimbus’. Doch während Ah Chi den Drang, sich selbst beweisen zu müssen, inzwischen bändigen kann, unterliegt Yen Shih-San ihm nach wie vor und besiegelt damit sein Schicksal.

Das Los zweier einander respektierender Männer, die dennoch auf verschiedenen Seiten stehen und ihrer Bestimmung folgen müssen, obwohl sie eigentlich Freunde sein könnten, ist ein immer wieder gern verwendetes Motiv des Kung-Fu-Films, das seinen Ursprung in den alten chinesischen Ritterlegenden findet. Vor allem John Woo rettete das Thema später aus dem Historienspektakel hinüber ins moderne Gangsterdrama. DAS TODESDUELL DER TIGERKRALLE verwässert den packenden Stoff jedoch ungeschickterweise durch allerhand Nebenfiguren und -ereignisse, die unnötig zur Verwirrung beitragen. Da wird das finale Duell dramaturgisch äußerst holprig durch das Auftauchen Chiu-Tis hinausgezögert – eine weitere Rivalin, welche für die Handlung eine nur untergeordnete Rolle spielt und sich lediglich an Ah Chi rächen möchte, da sie von ihm abgewiesen wurde. Wenn sie ihren geisteskranken Bruder [David Chiang] aus dem Käfig lässt, um ihn Ah Chi töten zu lassen, dieser jedoch stattdessen seine Schwester abmurkst, um im Anschluss wie ein Gummiball in den Wald davonzuhüpfen, schadet das der angestrebten Ernsthaftigkeit der Story ungemein.

Überhaupt sorgt die Vielzahl der Parteien, die Ah Chi aus den schwammigsten Gründen ans Leder möchten, ebenso für Konfusionen, wie deren unplausiblen Methoden, um dieses Ziel zu erreichen (nach einem komplizierteren Plan, jemandem ein Gift zu verabreichen, muss man wohl ziemlich lang Ausschau halten). Als Ausgleich für mangelnde Geradlinigkeit ist die Story immerhin gespickt mit mehreren Gastauftritten verschiedener Shaw-Brothers-Stars, die zum Teil ihre Rollen aus vergangenen Werken wieder aufnehmen: So spielt Lo Lieh abermals die Figur des Han Tang aus DIE HERRSCHAFT DES SCHWERTES und Ti Lung taucht als Fu Hung Hsueh (aus DER TODESSCHLAG DER STAHLFINGER) wieder auf.

Wie viele Shaw-Brothers-Produktionen profitiert auch DAS TODESDUELL DER TIGERKRALLE von seinem wirklichkeitsentrücktem Märchenflair – welcher freilich vor allem daraus resultiert, dass die vermeintlichen Außenaufnahmen sichtbar im Studio entstanden. Von künstlichem Licht bestrahlt und synthetischem Nebel eingehüllt, bewegen sich die Figuren, wie im Traum wandelnd, durch oftmals surreal scheinende Kulissen, dem Theater stets näher als dem Film, während sich im Hintergrund ein zwar endloser, doch lediglich gemalter Horizont erstreckt. Die auf diese Weise erschaffene spezielle Atmosphäre ist auch hier von einigem Reiz.

Für Derek Yee (der Bruder von Shaw-Brothers-Star David Chiang, der hier einen Auftritt als verrückter Käfiginsasse hat) war das die erste Rolle in einem Film der Shaws. Als Ah Chi bleibt er jedoch recht ausdruckslos und erweckt in seiner Jungenhaftigkeit eigentlich niemals wirklich den Eindruck, ein herausragender Schwertkämpfer zu sein. Später verlagerte Yee sich aufs Regieführen und inszenierte harte Großstadtepen wie ONE NITE IN MONGKOK und STADT DER GEWALT. Ling Yun macht als sein Widersacher Yen Shih-San eine weitaus bessere Figur. Besonders in der melancholischen Sequenz, in welcher er als 'Meister der Gifte' seinem Feind zunächst das Leben rettet, überzeugt er durch unnahbare Aura und traurigen Hundeblick.

Für unnötige Verwirrung sorgt die lieblose deutsche Synchronfassung, bei der die Stimmen fröhlich von einem Darsteller zum anderen wechseln. Da haben dann schon mal drei Personen dieselbe Stimme, während Lin Yung – als Yen Shih-San immerhin eine der wichtigsten Rollen spielend – sein Organ in der Mitte kurzweilig an jemand anderen verleiht und mit neuer Stimme spricht, um am Ende wieder so zu klingen wie zu Beginn. Offenbar gab man sich keine große Mühe, die Charaktere zu differenzieren, was als Folge nun auch beim Publikum zu Irritationen führt.

Trotz erneuter professioneller Präsentation ist DAS TODESDUELL DER TIGERKRALLE insgesamt zwar keine misslungene, aber doch eher zwiespältige Angelegenheit. Das recht planlose Skript kredenzt ein reichlich konfuses Kabinett relativ abstruser Albernheiten, welches den Gehalt des eigentlich ansprechenden Themas sinnlos schwächt. Die Schlusssequenz geriet aufgrund ihrer Versöhnlichkeit und gleichzeitigen Tragik zu einem der seltenen Höhepunkte und lässt erahnen, was mit einem etwas weniger überladenen Drehbuch möglich gewesen wäre. Nennenswert ist allenfalls noch der Moment, in welchem Yen Shih-San zwecks Giftentfernung im aufgeschnittenen Arm Ah Chis herumwühlt – herrlich ekliger Splattermatsch, der jedem Horrorfilm zur Ehre gereicht.

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ab 12

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