Eigene Forschungen

Mittwoch, 18. September 2013

WAR OF THE ARROWS


CHOIJONGBYEONGGI – HWAL
KOR 2011

Regie:
Kim Han-Min

Darsteller:
Park Hae-Il,
Ryoo Seung-Yong,
Kim Moo-Yeol,
Moon Chae-Won,
Lee Han-Wi,
Kim Goo-Taek,
Park Ki-Woong,
Lee Kyeong-Yeong




„Mein Bogen hat nicht die Aufgabe, zu töten.“


Inhalt:

Korea, 1623: König Injo hat durch einen Staatsstreich die Macht im Lande an sich gerissen. Der begabte Bogenschütze Choi Pyeong-Ryung kritisiert öffentlich den neuen Regenten und gilt seitdem als Landesverräter. Rücksichtslos wird der einst treue Staatsdiener von den Schergen des Königs gehetzt. Während sein jugendlicher Sohn Nam-Yi und dessen jüngere Schwester Ja-In entkommen können, wird Pyeong-Ryung vor ihren Augen getötet. Die beiden Überlebenden flüchten zu einem Freund ihres Vaters, der sich ihrer annimmt. 13 Jahre später: Ausgerechnet am Tag von Ja-Ins Hochzeit wird das Land von den Mandschuren überfallen. Die Eindringlinge verwüsten das friedliche Dorf und nehmen die Überlebenden, darunter auch Ja-In, als Geiseln. Lediglich Nam-Yi, mittlerweile wie einst sein Vater ein Meister im Bogenschießen, haben die Invasoren übersehen. Während für die Gefangenen ein verlustreicher Gewaltmarsch in Richtung der Mandschurei beginnt, erinnert sich Nam-Yi an die letzten Worte seines Vaters, er solle seine Schwester vor allen Gefahren beschützen. Ausgestattet mit Pfeil und Bogen folgt er den Entführern und beginnt einen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen eine übermächtige Armee.

Kritik:

Mit Beginn des neuen Jahrtausends erlebte der asiatische Historienfilm einen gewaltigen Aufschwung und brachte die Leinwände in regelmäßigen Abständen durch epochales Kampfgetümmel zum Erzittern. Als eine der Initialzündungen darf dabei der südkoreanische Kassenschlager MUSA gelten, dem im Jahre 2001 auch international einige Aufmerksamkeit zuteilwurde. Was folgte, war eine Welle ähnlich gearteter Kriegsepen, die mit aufwändiger Ausstattung und großzügigem Statistenaufgebot um die Gunst des Publikums buhlten. Vor allem China mauserte sich dabei zum ernsthaften Konkurrenten und ließ seine Nationalhelden eine kolossale Schlacht nach der nächsten schlagen. Die Kämpfer Koreas gerieten dabei fast in wenig ins Hintertreppchen, bis mit WAR OF THE ARROWS, 10 Jahre nach MUSA, abermals ein Überraschungserfolg beträchtliche Menschenmassen in die Lichtspielhäuser ziehen konnte.

Dabei verzichtet Kim Han-Mins pralles Actionabenteuer trotz des geschichtlichen Hintergrundes der Zweiten Mandschuren-Invasion sogar überwiegend auf die mittlerweile zum Standard gewordenen Genre-Zutaten und bietet stattdessen eine sehr geerdete Variante kriegerischer Auseinandersetzungen, die sich nicht auf tosende Massenschlachten und dröhnenden Gefechtslärm konzentriert, sondern die Schicksale einer überschaubaren Anzahl von Einzelpersonen in den Mittelpunkt rückt. Anstatt dass hier zwecks gegenseitiger Massakrierung gewaltige Heere von Statisten aufeinander zustürmen, entwickelt sich aus der feindlichen Belagerung schon bald die private Fehde zweier Männer, die sich in einer emotionalen Mischung aus Rachegelüst und Selbstbehauptungsdrang eine erbarmungslose Hetzjagd liefern, bei welcher mal die eine, mal die andere Partei die Oberhand gewinnt.

Diese Entwicklung vom Allgemeinen ins Spezielle ist es dann auch, woraus WAR OF THE ARROWS seinen hauptsächlichen Reiz bezieht: Nach eher gemächlichem Beginn inklusive obligatorischer Charaktervorstellung, kommt es mit der Invasion der Mandschuren und der Entführung einiger wichtiger Hauptfiguren zu einem ersten dramatischen Höhepunkt. Es folgen diverse Sadismen der Entführer gegenüber ihren Gefangenen, denen mehrere Menschen zum Opfer fallen. Als die selbstbewusste Ja-In von einem der Anführer zum Objekt der Begierde auserkoren wird, wird sie überraschenderweise nicht etwa zum hilflosen Opfer, sondern verdient sich aufgrund ihrer starken Persönlichkeit schnell den Respekt ihres Peinigers, welcher sie daher zunächst verschont, um ihre Willensstärke auszutesten. Obwohl es bis zu diesem Zeitpunkt noch vergleichsweise wenig Action zu bewundern gab, sorgen spannungsgeladene Interaktionen wie diese bereits für genügend Nervenkitzel, um auch ungeduldige Erlebnisjünger in Schach zu halten.

Nachdem Hauptcharakter Nam-Yi in einer halsbrecherischen Kamikaze-Aktion das Lager gestürmt und quasi im Alleingang ein verlustreiches Befreiungsinferno vom Zaun gebrochen hat, scheint die Action hingegen gar nicht mehr pausieren zu wollen und wird ständiger Begleiter einer martialischen Verfolgungsjagd, die in ihren besten Momenten Assoziationen zu Mel Gibsons beinharter Menschenhatz APOCALYPTO zulässt. Da sich sowohl die Reihen der Verfolger als auch die der Verfolgten immer weiter lichten, die Fronten sich dadurch immer weiter verhärten, wird die Sache schließlich nach und nach zu einer persönlichen Angelegenheit, die höchstens einen Überlebenden hervorbringen kann. Und je länger die Jagd dauert, je verbitterter beide Parteien gegeneinander kämpfen, desto mehr verdichtet sich die Spannung, bis sie sich schließlich in einem fiebrigen Finale entladen darf.

So bietet WAR OF THE ARROWS, nach einigem erklärenden Vorgeplänkel und psychologischen Machtspielchen, schließlich geradezu mustergültig stringentes Abenteuerkino, das seine Suspense-Schraube mit fortschreitender Laufzeit immer weiter anzuziehen vermag. Die zuvor thematisierte Gemütslage der Hauptfigur, die nicht nur an dem Verlust ihres Vaters leidet, sondern auch mit Identitätsproblemen aufgrund dessen Brandmarkung als Verräter zu kämpfen hat, spielt dabei im Übrigen plötzlich gar keine Rolle mehr, so dass der Versuch, dem Charakter Tiefe zu verleihen, zwar gut gemeint war, letztendlich jedoch zwischen Bogenkampf und Fersengeld sinnlos verpufft.

Ungewöhnlich für einen historischen Kriegsfilm diesen Kalibers geriet die durchaus differenzierte Darstellung des Feindbildes. Selbstverständlich erscheinen die Mandschuren eindeutig als Aggressoren und fallen durch diverse Grausamkeiten auf, doch verzichtete man dennoch darauf, sie bis zur Unmenschlichkeit zu dämonisieren. So sind sich Jäger und Gejagte in manchen Momenten sogar verblüffend ähnlich: Als einer der feindlichen Soldaten verzweifelt nach seinem schwer verwundeten und sich hilflos auf dem Waldboden windenden Bruder schreit und schließlich seine Deckung aufgibt, um ihn in Sicherheit zu bringen, erinnert das frappierend an eine ähnliche, frühere Szene, in welcher ein koreanischer Gefangener sein Leben riskiert, um seine Tochter retten zu können.

Während Ausstattung und Kostüme ebenfalls einen positiven Eindruck hinterlassen und weitestgehend authentisch wirken, steht WAR OF THE ARROWS mit der Glaubwürdigkeit des eigentlichen Geschehens arg auf Kriegsfuß: Brav den Regeln des typischen Eventkinos gehorchend, geschieht die Rettung des Helden immer wieder in allerletzter Sekunde durch äußeren Einfluss, bloßen Zufall oder glückliche Fügung – ein nicht gerade hochoriginelles Konzept, das man dann auch relativ schnell durchschaut hat. Die enorme Rasanz der Vorkommnisse, die kaum Zeit zum Luftholen lässt, macht dieses Manko jedoch ohne besondere Mühen wieder wett. Allein diesem Aspekt schien Regisseur Kim Han-Min allerdings nicht so recht zu trauen, weswegen er sich dazu entschied, sein Werk mit ein paar inszenatorischen Mätzchen aufzupeppen: Eine zappelige Kamera soll Authentizität vortäuschen, ein hektischer Schnitt für Tempo sorgen, und extreme Naheinstellungen in den Action-Szenen sollen die Einbindung des Publikums gewährleisten. Da die Ereignisse jedoch bereits von Haus aus sehr aufrüttelnd gerieten, wirken diese Sperenzchen nicht nur unnötig, sondern führen im schlimmsten Falle sogar zur Orientierungslosigkeit. Bereits die Eröffnungssequenz, der Kampf Choi Pyeong-Ryungs mit der Garde des Königs, die Flucht seiner beiden Kinder und der Angriff einer wilden Hundemeute, geriet auf diese Weise zur restlosen Reizüberflutung und übertreibt es maßlos mit Bewegung und Betriebsamkeit. Ein wenig mehr Ruhe bei der Inszenierung und etwas mehr Vertrauen auf die Handlung als solche wäre wünschenswert gewesen.

Dazu gesellen sich leichte Drehbuchschwächen. So wird z. B. niemals wirklich erklärt, woher Nam-Yi seine phänomenalen Schießkünste eigentlich hat. In gewisser Weise erinnert er so an einen klassischen Western-Helden, dessen Kugeln quasi von selbst zielgenau ins Schwarze treffen. Auch, dass es einer Handvoll Leuten immer wieder gelingt, eine ganze Armee zu besiegen, kratzt gehörig an der Plausibilität. Aber das muss natürlich grundsätzlich nichts Schlechtes sein. Tatsächlich geriet WAR OF THE ARROWS auf diese Weise zu einem durchaus reizvollen Hybriden aus um Authentizität bemühter historischer Darstellung und simplifiziertem Actionspektakel. Zwar ist Nam-Yi kein cooler, sprücheklopfender Superheld, sondern trotz überragender Trefferquote und Nehmerqualität ein verletzlicher und verzweifelter Mann, doch wenn er fast im Alleingang gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner zu Felde zieht und, lediglich mit Pfeil und Bogen bewaffnet, aus der Deckung des Waldes heraus nach und nach seine Feinde dezimiert, sind Assoziationen zu einer frühgeschichtlichen RAMBO-Variante so abwegig gar nicht mal.

Mag WAR OF THE ARROWS auch inhaltliche wie gestalterische Defizite haben, ist der Erfolg seinen Machern durchaus zu gönnen: Ohne nennenswerte Umwege erlebt man hier einen, trotz zweistündiger Laufzeit aufs Nötigste reduzierten Überlebenskampf vor ansprechendem historischen Hintergrund, der es glänzend versteht, seine zunächst ausladende Präsentation zu einem fast schon intimen Rachefeldzug zu verdichten, bei dem neben jeder Menge Soldaten auch die Langeweile auf der Strecke bleibt. Interessenten sollten hier weder Pfeil noch Bogen drum machen.


Laufzeit: 118 Min. / Freigabe: ab 16

Montag, 16. September 2013

DIE ZEIT DER GEIER


IL TEMPO DEGLI AVVOLTOI
Italien 1967

Regie:
Nando Cicero

Darsteller:
George Hilton,
Frank Wolff,
Eduardo Fajardo,
Pamela Tudor,
Franco Balducci,
Femi Benussi,
Maria Grazia Marescalchi,
John Bartha


Inhalt:

Der junge Kitosch [George Hilton] ist neben seiner Funktion als Viehtreiber auf dem Hof des patriarchalischen Don Jaime Mendoza [Eduardo Fajardo] auch ein ausgemachter Frauenheld, der regelmäßig mit wechselnden Gespielinnen ins Heu steigt. Als er jedoch Mendozas Frau Steffy [Pamela Tudor], die ihm Avancen macht, abweist, ist diese zutiefst in ihrer Ehre gekränkt und bezichtigt ihn der sexuellen Belästigung. Mendoza lässt Kitosch daraufhin brutal misshandeln. Mit Müh und Not kann er entkommen. Doch als er im Nachbardorf den Sheriff um Hilfe bittet, wird er eingesperrt und soll ausgeliefert werden. Dieses verhindert der 'Schwarze Tracy' [Frank Wolff], ein gesuchter Schwerverbrecher, welcher, um seiner Verhaftung zu entgehen, den Sheriff und seine Mannen mit Blei vollpumpt. Kitosch, der das Geschehen aus seiner Zelle mitverfolgt, rettet wiederum Tracy, indem er einen hinterhältigen Angreifer per Messerwurf abserviert. Zu Dank verpflichtet, befreit ihn Tracy aus seiner Zelle und rettet ihn nachfolgend auch vom Galgen, den Mendozas Leute bereits postiert hatten. Beide Männer tun sich nun zusammen, um einen Goldschatz an sich zu bringen. Doch je länger die Reise dauert, desto mehr merkt Kitosch, mit was für einem Mann er es zu tun hat ...

Kritik:

DIE ZEIT DER GEIER entstand in der Hochphase des Italo-Westerns, der sich, nach einigen holprigen Orientierungsversuchen am klassischen amerikanischen Cowboy-Epos, durch ausgeprägten Zynismus und rohe Brutalität sein eigenes, unverwechselbares Gesicht verschaffte. Drehbuchautor Fulvio Gicca Palli gab sich in diesem Falle allerdings nicht damit zufrieden, das bewährte Erfolgsrezept einfach stumpf wiederzukäuen, sondern kleidete die typischen Genrezutaten in eine verblüffend vielschichtige Selbstfindungsparabel, der es gelingt, die an bestimmte Sehgewohnheiten gekoppelte Erwartungshaltung ihres Publikums immer wieder zu unterlaufen, was zu dessen unabwendbarer Involvierung führt. So macht Nando Ciceros Werk zunächst eher den Eindruck einer leichten Komödie, wenn sich Hauptfigur Kitosch mit einem kichernden Mädchen in der Scheune vergnügt, um sich im Anschluss nach Herzenslust mit ihrem zufällig hinzugekommenen Ehemann eine zünftige Rangelei zu liefern. Nachdem ihn sein Gutsherr Mendoza für diese Verfehlung bestraft hat, verlangt Kitosch im Beisein des Gehörnten noch ein paar Hiebe mehr, die Dame sei es schließlich wert gewesen. Wird also bereits zu Beginn schon eifrig bestraft und gepeitscht, erscheint der zu Grunde liegende Tenor doch noch sehr locker, was sich auch in den Dialogen bemerkbar macht: „Du bist auf meiner Ranch, um die Kühe zu versorgen“, erklärt Mendoza, „aber nur die mit vier Beinen.“

Auch der Look geriet für das Produktionsjahr überraschend sauber und farbenfroh und hat z. B. nichts zu tun mit Sergio Corbuccis Vorjahreserfolg DJANGO, welcher in seiner Dreckigkeit und Brutalität das Gesicht des Italo-Westerns der Folgejahre quasi grundlegend definierte. Schleppte sich Django bereits in der ersten Szene durch einen Berg von Schmutz und Schlamm, so tollt Kitosch hingegen, von fröhlicher Pfeifmusik begleitet, bei seinem ersten Auftritt ausgelassen im Heu. Doch das vermeintliche Idyll verwandelt sich schleichend in einen Ort der Gewalt, als Kitosch der Belästigung Steffy Mendozas beschuldigt wird: Plötzlich sind die Schläge schmerzhaft, die Tritte qualvoll und es werden keine Scherze über zweibeinige Kühe mehr gemacht. Langsam, aber sicher steigert sich die Situation für Kitosch schließlich gar zu einer Bedrohung für sein Leben, entpuppt sich der anfänglich noch humorvoll und anständig scheinende Mendoza doch als grausamer Machtmensch, der Kitosch wegen einer unbewiesenen Nichtigkeit ohne zu zögern hinrichten lassen würde. Bereits zu diesem Zeitpunkt aufgrund des veränderten Grundtons etwas irritiert, weiß der Zuschauer auch nach Kitoschs erfolgreicher Flucht noch nicht so recht, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Lange Zeit lässt einen DIE ZEIT DER GEIER im Ungewissen, um einem immer dann, wenn man die weiteren Ereignisse endlich zu ahnen glaubt, doch wieder eine lange Nase zu drehen und sich in eine andere Richtung zu entwickeln. Gerade dieser Verzicht auf geradlinige Bahnen und das neckische Spiel mit der Nichteinhaltung festgefahrener Erzählmuster sind die Ursache dafür, dass das rein inhaltlich nicht sonderlich spektakuläre Werk anhaltendes Interesse erwecken kann.

Als Kitosch schließlich auf den gesuchten Verbrecher 'Schwarzer Tracy' trifft (der gar nicht schwarz ist, sondern nur einen solchen Mantel trägt), und sich beide Männer gegenseitig das Leben retten, scheint es wie der Beginn einer großen Freundschaft. Doch der Eindruck täuscht abermals: Tatsächlich wirkt Tracy zunächst wie ein von seiner Umwelt missverstandener, zu Unrecht vom Gesetz verfolgter Mann, unter dessen rauer Schale ein sensibles Herz schlägt, betrauert er doch aufrichtig den Tod seiner Mutter und nimmt mehrere Gefahren auf sich, um sie auf ihrem eigenen Grund und Boden bestatten zu können. Auch die Rachegefühle, die er gegen seine ehemalige Geliebte und ihren Freund hegt, sind nachvollziehbarer Natur, hatten sie ihn schließlich betrogen und verraten. Im weiteren Verlauf jedoch entlarvt sich Tracy als gewissenloser Mistkerl, der völlig unschuldige Menschen ohne eine Miene zu verziehen über die Klinge springen lässt. Die Gleichgültigkeit, mit der das passiert, wirkt ungemein schockierend, und die anfänglichen Sympathien verschwinden unter einem Berg aus Leichen.

Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist eine Szene, welche bereits kurz nach der Begegnung der beiden Männer stattfindet: „Es wird kühl heute Nacht“, sagt Tracy zu Kitosch und deckt ihn mit seinem Mantel zu. Kitosch ist geradezu gerührt angesichts der vermeintlichen Fürsorge des gesuchten Mörders. Doch nachdem ihr Schlaflager mitten in der Nacht überfallen wurde, begreift er den wahren Hintergrund der Tat: Tracy wusste von seinen Verfolgern und kleidete Kitosch lediglich in seinen Mantel, um sie so zu täuschen und hinterrücks erschießen zu können. So humorvoll diese Szene auch umgesetzt wurde, beschreibt sie dennoch bereits den Verlauf der weiteren Ereignisse: Tracy ist kein liebenswerter Gauner mit dem Herz am rechten Fleck, sondern ein ausschließlich auf seinen eigenen Vorteil bedachter, gefühlskalter Verbrecher, dem andere Menschenleben nichts bedeuten.

Dass Kitosch dem sich mehr und mehr als kaltherziger Sadist entpuppenden Tracy für eine erstaunlich lange Zeit sein nahezu bedingungsloses Vertrauen schenkt, lässt sich dabei nicht allein durch dessen Dankbarkeit erklären und wirkt angesichts der Gewalttaten Tracys auch nicht immer ganz nachvollziehbar. Allerdings gelingt es dem Drehbuch recht elegant, die größten Fallstricke zu umgehen und einige durchaus glaubwürdige Bedingungen für diesen Umstand zu schaffen: So leidet Tracy an Epilepsie, was dem brutalen Killer, wenn er während seiner Anfälle hilflos wie ein kleines Kind zappelnd auf dem Boden liegt, immer wieder auch menschliche, bemitleidenswerte Züge verleiht. Zudem erscheint – typisch für den Italo-Western – auch die ehrenwerte Gesellschaft kaum einen Deut besser als die steckbrieflich gesuchten Schwerverbrecher: Der gutbürgerliche Mendoza darf sich, aufgrund seines Reichtums, quasi seine eigenen Gesetze erschaffen, und der Sheriff und seine Mannen denken bei der Festnahme Tracys händereibend nur an den Schotter, den ihnen diese einbringen wird. Es ist eine raue Welt, in der Kitosch lebt, in der tatsächliche Nächstenliebe eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Tracy erscheint ihm da lediglich als die geballte, gewalttätige Antwort auf die alltäglichen Unmenschlichkeiten und als längst überfälliger Befreiungsschlag.

Aus dieser ungewöhnlichen Gemeinschaft, einerseits auf purem Zweck, andererseits jedoch auch auf einer sinnwidrigen Sympathie beruhend, erwächst ein enormes Konfliktpotential, aus welchem DIE ZEIT DER GEIER seine explosive Spannung schöpft, zusammen mit dem Reifeprozess, welchem der Hauptcharakter hier unterliegt: Ist Kitosch anfangs noch ein sorgloser Schlendrian, der Prügel und Folter zwar wegsteckt, jedoch, wenn überhaupt, dann nur halbherzig auf die Idee kommt, sich auch mal zur Wehr zu setzen, erscheint er nach seiner Rückkehr als überaus selbstbewusster Mann, der zwar von Tracy gelernt hat, sich nichts mehr gefallen zu lassen, allerdings gleichzeitig auch seinen aggressiven Charakter angenommen hat. Zwar wirkt diese Entwicklung von George Hilton nicht immer ganz glaubwürdig gespielt, nimmt man ihm doch den arglosen Luftikus viel eher ab als den harten Sauhund, doch verstehen es Skript und Regie hervorragend, seine emotionale Reise greifbar zu machen.

George Hilton [→ DER SCHWANZ DES SKORPIONS] heißt eigentlich Jorge Hill und kam aus Uruguay nach Italien, um dort quasi im Rekordtempo zu einem der der beliebtesten Westerndarsteller aufzusteigen. Zwar kamen seine Filme (die in Deutschland häufig mit einem DJANGO-Titel verziert wurden) nur selten über ein solides Mittelmaß hinaus, doch tat das seiner Beliebtheit keinen Abbruch. Mag Hilton bei manchen emotionalen Momenten DIE ZEIT DER GEIERs auch ein wenig überfordert wirken, besitzt er doch das nötige Charisma, um die Sympathien schnell auf seiner Seite zu haben. Ihm zur Seite steht Frank Wolff [→ EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN], der als 'Schwarzer Tracy' eine erneute Glanzleistung abliefert und einen durch und durch undurchsichtigen Charakter verkörpert, für den man abwechselnd sowohl Anteilnahme als auch Abscheu empfindet – eine Paraderolle für den in den USA geborenen Schauspieler, dem, vor allen in Western, häufig der Part des Antagonisten zufiel, wobei es ihm meistens gelang, seine Figuren nicht in einem tumben Klischee erstarren zu lassen, sondern ihnen eine psychologische Vielschichtigkeit zu verleihen. Doch auch in positiven Rollen konnte Wolff überzeugen. Am 12. Dezember 1971 nahm er sich das Leben. Er wurde nur 43 Jahre alt.

DIE ZEIT DER GEIER ist weniger klassisches Abenteuerkino, als eine zwar nicht immer glaubhafte, doch sorgfältig entwickelte Charakterstudie, die von dem höchst doppelbödigen Verhältnis seiner Figuren zueinander lebt. Und obwohl das staubige Spektakel für Actionfreunde auch ausreichend Pulverdampf und Munitionsverbrauch bietet, resultiert das Großmaß an Spannung doch aus seiner faszinierenden Ereigniskette: Eine zunächst harmlos scheinende Eifersüchtelei und die Lüge einer gekränkten Frau setzen einen unaufhaltsamen Prozess in Gang, führt zur einer von Blut und Blei gesäumten Selbstfindungsreise eines jungen Mannes, und resultiert schließlich in einem exzessiven Gemetzel, welches das Leben unzähliger Menschen ändern wird oder enden lässt. Ein paar Eigenartigkeiten muss man schon hinnehmen (So erweist sich Kitosch, als Tracy ihm das Schießen beibringen möchte, als geübter Scharfschütze - woher er diese Fähigkeit hat und warum er sie zuvor niemals angewendet hat, bleibt bis zum Schluss ungeklärt), doch hat man es hier dennoch mit einem von Anfang bis Ende mitreißenden Revolvermärchen zu tun, das aufgrund seiner erfrischenden Brechung dogmatischer Genre-Regeln und seiner ambivalenten Charakterzeichnung zu einem packenden Erlebnis wird und dessen herzzerreißendes Ende noch lang im Gedächtnis verbleibt. DIE ZEIT DER GEIER ist eine gute Zeit.

Laufzeit: 94 Min. / FSK: ab 16

Dienstag, 10. September 2013

FLUCHTWEG ST. PAULI - GROSSALARM FÜR DIE DAVIDSWACHE


FLUCHTWEG ST. PAULI – GROSSALARM FÜR DIE DAVIDSWACHE
BRD 1971

Regie:
Wolfgang Staudte

Darsteller:
Horst Frank,
Heinz Reincke,
Klaus Schwarzkopf,
Christiane Krüger,
Siegurd Fitzek,
Heidy Bohlen,
Ulrich Beiger



„Er macht rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch!“ 


Inhalt:

Der brutale Bankräuber Willi Jensen [Horst Frank] bricht aus dem Gefängnis aus. Doch als er die vor seiner Inhaftierung versteckte Beute an sich nehmen möchte, wird er fassungsloser Zeuge, wie das Haus, welches dieser als vermeintlich sicheres Lager diente, gerade eingerissen wird. Das Geld ist futsch. Doch nicht nur das: Als er seinen Bruder, den rechtschaffenden Taxifahrer Heinz [Heinz Reincke], aufsucht, stellt er fest, dass seine Frau Vera [Christiane Krüger] inzwischen dessen Geliebte ist. Bebend vor Zorn plant er seinen nächsten Coup: einen Einbruch in die Villa des Millionärs Berndorf [Ulrich Beiger]. Doch nachdem Willi wie geplant eingestiegen ist, wird er von Liliane [Heidy Bohlen], der Frau des Beraubten, überrascht. Willi wird zum Mörder. Mit Vera als Geisel versucht er nun, sich ins Ausland abzusetzen. Doch nicht nur sein Bruder, auch Kommissar Knudsen von der Hamburger Polizei [Klaus Schwarzkopf] ist ihm bereits dicht auf den Fersen.

Kritik: 

FLUCHTWEG ST. PAULI läuft noch nicht einmal zwei Minuten, da ist bereits der erste blanke Busen im Bild. Es ist also eindeutig ein guter Film.

Dennoch sollte man sich davor hüten, aufgrund dieses sehr enthüllenden Auftakts falsche Erwartungen an die folgenden 80 Minuten zu hegen: Trotz gelegentlich aufblitzender nackter Tatsachen und des marktschreierisch im Titel drapierten Wörtchens „St. Pauli“, handelt es sich bei Wolfgang Staudtes routiniert in Szene gesetztem Genre-Werk nämlich nicht etwa um ein die Triebe spekulativ ausschlachtendes Schmuddelstück, sondern um einen mit jeder Menge Lokalkolorit ausgestatteten und von schmissigem Easy Listening Sound begleiteten Polizei- und Gangsterkrimi, der das Rotlichtmilieu lediglich als attraktive Kulisse nutzt für seine fast schon biblisch anmutende Geschichte zweier Brüder, die dermaßen übertrieben gegensätzlich gezeichnet wurden, dass sich glatt die hanseatischen Balken biegen:

Auf der einen Seite steht Willi Jensen [Horst Frank], der auf seiner Jagd nach Reichtum selbst vor Entführung und Mord nicht zurückschreckt und sich, wenn es denn sein muss, noch nicht einmal scheut, seinem angetrauten Eheweib eine saftige Ohrfeige zu verpassen – ganz eindeutig ein böser Kerl. Auf der anderen Seite hingegen steht sein Bruder Heinz [Heinz Reincke], der als durch und durch anständiger Taxifahrer nicht mal auch nur im Ansatz auf die Idee käme, sich an seiner volltrunkenen Kundin, die sich gerade in seinem Dienstfahrzeug entblättert hat, in irgendeiner Art und Weise unzüchtig zu vergreifen, und sogar, neben besagter Dame, auch ihren prall gefüllten Geldbeutel brav mit auf der Wache abgibt. Und als wäre das nicht bereits genug der guten Taten, spart er sich von seinem schmalen Gehalt auch noch ein erkleckliches Sümmchen zusammen, um seinem gefallenen Bruder nach dessen Knastaufenthalt ein neues Leben ermöglichen zu können.

Das vorzeitige Aufeinandertreffen beider Parteien führt dennoch zu allerlei gewalttätigen Auseinandersetzungen, die der für den Fall zuständige Kommissar Knudsen [Klaus Schwarzkopf], welcher in der Regel eher durch Zufall als durch gekonnte Ermittlungsarbeit an den Orten des Geschehens zugegen ist, mehr oder weniger gleichgültig zur Kenntnis nimmt. Als Jensen seine Frau Vera [Christiane Krüger] zur Geisel nimmt, zieht Knudsen nur schulterzuckend von Dannen, nicht ohne zuvor seinen jungen Kollegen zu rüffeln, der doch tatsächlich auf die alberne Idee kam, eine Fahndung nach Jensen einzuleiten. Und auch der Rest der Polizei glänzt hier nicht gerade mit Engagement und Cleverness, sondern wartet bevorzugt einfach ab, bis sich die Unterwelt gegenseitig ans Messer liefert. Damit stemmt sich FLUCHTWEG ST. PAULI, ob nun gewollt oder ungewollt, gegen das vor allem im Ausland propagandierte Bild des stahlharten Superpolizisten und präsentiert stattdessen ein eher kumpelhaftes Verhältnis zwischen Beamten und Bürger, welche hier quasi auf Augenhöhe miteinander agieren.

Die Vorzüge ihres Schauplatzes Hamburg immer wieder gekonnt ins Bild rückend, tauscht die zwar realitätsferne, doch hochunterhaltsame Räuberpistole dabei Glaubwürdigkeit und ausgeklügelte Spannungsdramaturgie gegen eine Extraportion nordisches Flair ein. Als Jensens Flucht vor dem Gesetz ihn, von wabernden Klangteppichen begleitet, auf und über die Dächer der Stadt führt, fängt die Kamera nicht nur ihn, sondern auch das monströs anmutende Hafengebiet im Hintergrund ein. Die geschäftige Metropole wird zum permanenten Nebendarsteller, zur siedenden Kulisse für Niedertracht und Missetat. Wenig überraschend dabei, fast schon obligatorisch, dass auch die Gutbetuchten nicht wirklich mehr Moral am Leibe haben, als der gemeine grobschlächtige Unterweltvasall: Als Millionär Berndorf, mit abstoßend unterschwelliger Verschlagenheit verkörpert von Ulrich Beiger [→ DER FROSCH MIT DER MASKE], die Leiche seiner Frau entdeckt, ruft er, nach pflichtbewusster Verständigung der Polizei, unverzüglich und mit sichtlich zufriedener Miene seine Geliebte an, um ihr die frohe Botschaft mit süffisanter Freude zu verkünden, während man die Verblichene im Hintergrund auf dem teuren Teppich liegen sieht.

Der Mord an der Gattin Berndorfs ist dann auch eine der gelungensten Szenen FLUCHTWEG ST. PAULIs: Aus heiterem Himmel beginnt das noch ahnungslose alkoholgeschwängerte Opfer zu grandios psychedelischem Schrammelrock eine merkwürdig-ungelenke Tanznummer zu zelebrieren, bevor es von Jensen hinterrücks erdrosselt wird. Während sich die Frau im Todeskampf windet und die Musik dazu unerbittlich weiterschrammelt, gilt Jensens Blick im selben Moment einzig und allein den auf dem Tisch platzierten Juwelen – ein fabelhaft zynischer Augenblick, der an die italienischen Gialli der 70er Jahre erinnert, welche den Tötungsakt als stilvolle Kunstform zu inszenieren wussten.

Willi Jensen wird vom damaligen Publikumsliebling Horst Frank [→ DJANGO – DIE TOTENGRÄBER WARTEN SCHON] in bewährt ruppiger Art als phänomenal garstiger Schmierlappen zum Leben erweckt, dem auf fast schon krankhafte Weise Geld und Gold über alles gehen. Werte, die nicht materieller Natur sind, scheinen ihm hingegen vollkommen gleichgültig zu sein. Der ebenso rabiate wie feige Ganove ist geradezu eine Bilderbuchrolle für den bärbeißigen Frank, der erneut einige große darstellerischen Momente für sich verbuchen kann. Seine Mimik, als ihm klar wird, dass die versteckte Beute für immer verloren sein wird, ist unschlagbar. „Dann war das ja alles umsonst, Mensch!“, jammert er mit brüchiger Stimme, den Tränen nah, doch verzweifelt um Fassung ringend. Mit Heinz Reincke [→ WENN ES NACHT WIRD AUF DER REEPERBAHN] castete man als Sympathieträger ebenfalls eine waschechte Type, die einem klassischen Hollywood-Helden unähnlicher nicht sein könnte. Weder attraktiv noch sonderlich gewitzt erscheint Reincke stattdessen wie der dufte Kumpel von nebenan. Vorurteile hegt er gegen nichts und niemanden, und mit den Prostituierten der Roten Meile plaudert er nicht minder kameradschaftlich und respektvoll als mit den Autoritätspersonen vom hiesigen Polizeirevier. Als ihm seine missliche Situation über den Kopf zu wachsen scheint und er sich aufgrund dessen hemmungslos in einer Bar besäuft, möchte man ihn glatt selbst in den Arm nehmen und ihm zum Trost einen Kaffee zu spendieren.

Aufgrund seiner geerdeten Figuren voller Kanten und Konturen gelingt FLUCHTWEG ST. PAULI dann auch die emotionale Involvierung seines Publikums. Die Charaktere wirken hier nicht etwa wie realitätsferne Gestalten aus wildfremden Sphären, mit denen eine Identifikation quasi unmöglich erscheint, sondern wie authentische Personen, von denen man sich vorstellen könnte, dass sie tatsächlich existieren, was FLUCHTWEG ST. PAULI, zusammen mit seinem glaubwürdig gezeichneten Schauplatz, an manchen Stellen sogar einen dokumentarischen Touch verleiht. Die Handlung hingegen ist nicht selten ernüchternd unplausibel, und das von Zufällen und gnadenlos konstruierten Verhaltensweisen beherrschte Skript besticht auch nicht gerade durch ausgemachte Pfiffigkeit.

Dennoch ist FLUCHTWEG ST. PAULI ein lohnendes Abenteuer für all jene, die schon längst vergessen haben, dass das deutsche Kino mehr zu bieten hat als Liebeskarussells und Vergangenheitsbewältigung. Reeperbahn und Elbchaussee bilden die Kulisse für ein wunderbar leichtes, erstaunlich unbiederes Ganovenstück, das weder belehren noch moralisieren, sondern lediglich 80 Minuten anspruchslose Zerstreuung bieten möchte. Die mit etwas Erotik und einer Prise Action (im Finale liefern sich Auto und Motorrad eine fetzig gefilmte Verfolgungsjagd) versetzte Mischung aus Groschenroman, Bruderdrama und Gangsterkrimi funktioniert prächtig und der jazzig-beschwingte Soundtrack lädt zum rhythmischen Mitschnippen ein. Einen „Hintertreppen-Krimi“ nannte das konservative 'Lexikon des internationalen Films' Staudtes Werk in gewohnt abschätziger Art und Weise und übersah dabei völlig, dass auch auf Hintertreppen ganz tolle Dinge passieren können. Moppen nach nicht mal zwei Minuten – was soll da noch schiefgehen?

Laufzeit: 83 Min. / Freigabe: ab 16

Mittwoch, 4. September 2013

NOBLE HOUSE


NOBLE HOUSE
USA 1988

Regie:
Gary Nelson

Darsteller:
Pierce Brosnan,
Deborah Raffin,
John-Rhys-Davies,
Burt Kwouk,
Nancy Kwan,
Damien Thomas,
Tia Carrere,
Denholm Elliott



Inhalt:

Hongkong, Ende der 1980er Jahre: Seit 150 Jahren ist der Handelskonzern Struans & Co., das Noble House, im Geschäft und hat sich in dieser Zeit zum größten und mächtigsten Vertreter unter den East Asia Trading Companies entwickelt. Drei Jahre zuvor hat Ian Struan Dunross (Pierce Brosnan) die Leitung des Konzerns übernommen. Er ist der Tai Pan, der oberste Führer unter den Bossen Hongkongs. Doch nun steht das Noble House vor dem Ruin. Aus den USA sind Linc Bartlett, (Ben Masters), Chef des Par-Con-Konzerns, und seine Geschäftspartnerin Casey Tcholok (Deborah Raffin) angereist, um Handelsbeziehungen nach Hongkong aufzubauen. Bartlett ist es dabei gleichgültig, mit wem er Verträge abschließt, solange dabei ein möglichst großer Gewinn für ihn herausspringt. So trifft er nicht nur mündliche Vereinbarungen mit Struans, sondern knüpft gleichzeitig auch Verbindungen zum schärfsten Konkurrenten des Noble House, dem Konzern des skrupellosen Quillan Gornt (John Rhys-Davies). Gornt verbindet eine Erbfeindschaft mit Struans, und sein einziges Ziel ist es, das Noble House zu vernichten und selbst Tai Pan zu werden. Um dies zu erreichen, startet er gemeinsam mit Bartlett einen Raid auf Struans. Durch großangelegte Leerverkäufe seiner Struans-Aktien treibt er den Börsenkurs des Noble House gnadenlos in den Keller. Als stecke Dunross nicht schon in genügend Schwierigkeiten, wird auch noch John Chen (Steven Vincent Leigh), Sohn des Kompradors des Noble House, entführt. Wie sich herausstellt, hat John in der Vergangenheit heimlich für Par-Con gearbeitet und dabei auch diverse Geschäftsgeheimnisse an Linc Bartlett weitergegeben. Des Weiteren hat John seinem Vater Philip (Burt Kwouk) auch noch die Hälfte einer alten chinesischen Münze gestohlen. Wer immer dem Tai Pan eine solche Halbmünze vorlegt, kann dafür einen wie auch immer gearteten Gefallen einfordern, den der Tai Pan ohne wenn und aber erfüllen muss. In den falschen Händen kann diese Münze das endgültige Aus des Noble House bedeuten...
  
Kritik:

Eines DER TV-Events des Jahres 1980 war die Miniserie SHOGUN mit Richard Chamberlain nach dem gleichnamigen Roman von James Clavell. Der aufwändig produzierte Sechsteiler um einen englischen Navigator, der im 17. Jahrhundert Schiffbruch im feudalen Japan erleidet und schließlich zum Samurai und Vertrauten des Shoguns aufsteigt, war ein echter Straßenfeger und sorgte für Rekord-Einschaltquoten und klingelnde Kassen.
Treibende Kraft hinter dem Projekt war der Produzent und Drehbuchautor Eric Bercovici. Als sich die De Laurentiis Entertainment Group des italienischen Filmmoguls Dino De Laurentiis 1988 anschickte, auch den 1981 erschienenen Clavell-Roman NOBLE HOUSE, eine Fortsetzung seines Bestsellers TAI PAN (1986 ebenfalls von De Laurentiis mit dem Australier Bryan Brown in der Titelrolle fürs Kino adaptiert), als TV-Miniserie für die NBC zu realisieren, machte man Nägel mit Köpfen und holte Bercovici ebenfalls wieder ins Boot.

Nachdem Clavell das Drehbuch für SHOGUN noch selbst verfasst hatte, beschränkte er sich dieses Mal auf die Position des ausführenden Produzenten, während Bercovici die Mammutaufgabe zufiel, den fast 1000 Seiten starken Roman in ein Skript umzuwandeln, welches den Stoff auf vier neunzigminütige Filme aufteilte. Bei SHOGUN waren es noch sechs Teile mit zusammen rund neun Stunden Nettolaufzeit (12 Stunden inklusive Werbeunterbrechungen) gewesen. Dort hatte man also runde drei Stunden mehr Zeit gehabt, um die epische Geschichte um Navigator Blackthorne und Fürst Toranaga in nahezu allen Einzelheiten nachzuerzählen. So wich die Filmversion von SHOGUN im Grunde lediglich durch einige geringfügige Kürzungen von der Buchvorlage ab. Für die sechs Stunden Nettolaufzeit (acht Stunden inklusive Werbeunterbrechungen), die nun für NOBLE HOUSE zur Verfügung standen, bedurfte es wesentlich weitreichenderer Kürzungen und auch einiger sonstiger Veränderungen, um die Ereignisse des Buches an die dramaturgischen Vorgaben einer TV-Miniserie anzupassen.
So verlegt der Film unter anderem die Handlung zunächst aus dem Jahr 1963 in die Gegenwart (und kurioserweise vom Monat August in den November). Dabei ist nicht ganz klar, ob der Film in seinem Entstehungsjahr 1988 angesiedelt ist oder aber geringfügig in der Zukunft. Es wird erwähnt, dass Dirk Struans, der Konzerngründer und erste Tai Pan, den von jedem seiner Nachfolger zu leistenden Schwur 1841 verfasst hat. Struans feiert im Film sein 150-jähriges Bestehen. Ob jedoch die Firmengründung und die Niederschrift des Schwurs durch Dirk Struans im selben Jahr stattgefunden haben oder der erste Tai Pan das Dokument erst später erstellt hat, als er Vorkehrungen für seine Nachfolge traf, bleibt offen. Leider habe ich bisher den Roman TAI PAN auch noch nicht gelesen und kann somit nicht sagen, wie es sich dort darstellt.
Die für den Film notwendigen Handlungskürzungen trafen vor allem jenen Erzählstrang des Romans, in dem es um einen in Hongkong stationierten Spionagering der Sowjets und Dunross' Verwicklung in eben diesen geht. Der Roman geht hier weit in die Tiefe. Dunross ist nach dem Tod eines ihm bekannten Mitarbeiters des britischen Geheimdienstes in den Besitz mehrerer Geheimberichte gelangt, auf die es sowohl der britische als auch der sowjetische Geheimdienst abgesehen haben. Teil der komplizierten Verwicklungen ist auch ein unter dem Decknamen "Arthur" operierender Verräter aus den eigenen Reihen, den es zu enttarnen gilt. Übriggeblieben ist von diesem rund ein Drittel des Buches beanspruchenden Subplot nur mehr der Teil, in dem Ian Dunross, als er die Bank of China um finanzielle Unterstützung gegen die feindliche Übernahme durch Gornt und Par-Con bittet, als Gegenleistung beim Governeur (John Houseman) die Freilassung des als chinesischem Spion enttarnten Polizisten Brian Kwok (Lim Kay Tong) erwirken soll.
Um den Erwartungen des Publikums gerecht zu werden, wollte man natürlich auch nicht auf eine klassische Liebesgeschichte verzichten. Im Buch ist Ian Dunross glücklicher Ehemann und Vater, was ihn als Objekt der Begierde für andere Frauen außen vor lässt. Die Beziehung zwischen Linc Bartlett und Casey Tcholok hingegen ist ungemein komplizierter. Linc und Casey sind hier nicht nur Geschäftspartner, sondern auch ineinander verliebt. Sie haben jedoch eine Abmachung miteinander geschlossen, dass sie sieben Jahre warten wollen, bevor sie heiraten. So lange, wie es für Casey voraussichtlich dauert, sich ihr "Startgeld", den Grundstock für ein eigenes Vermögen und somit finanzielle Unabhängigkeit, zu erwerben. Die Abmachung schließt auch sexuelle Abstinenz mit ein. Die beiden beschränken ihre Beziehung also aus reinem Pragmatismus auf das Par-Con-Geschäft. Als Quillan Gornt seine ehemalige Geliebte, die schöne Eurasierin Orlanda Ramos (Julia Nickson), auf Bartlett ansetzt, um diesen zu verführen, sich Linc und Orlanda aber dann wirklich Hals über Kopf ineinander verlieben, ist es neben ihrem Misstrauen gegenüber Gornt nicht zuletzt Eifersucht, die Casey dazu bringt, hinter Lincs Rücken einen Deal mit Ian Dunross zu tätigen.
Um das ganze Geflecht zu entwirren und eben eine klassische Liebesgeschichte zu konstruieren, bedient sich Bercovici in seinem Drehbuch eines ebenso simplen wie effektiven Kniffs: Er macht aus Ian einen kinderlosen Witwer und beschränkt die Beziehung zwischen Linc und Casey tatsächlich auf die rein geschäftliche, höchstens freundschaftliche Ebene. Linc verlangt zunächst von Casey, sich nicht zu einer Affäre mit Ian oder sonst einem Mann in Hongkong hinreissen zu lassen, damit sie einen klaren Kopf für die geplante Übernahme des Noble House behält. Als sich Linc dann aber wie schon im Roman in Orlanda verliebt, ist es nicht mehr die Eifersucht, sondern lediglich der Verdacht, Linc werde von Orlanda benutzt, der sie die Initiative in Richtung Struans ergreifen lässt. Und dass Ian Dunross nun Witwer ist, öffnet natürlich Tür und Tor für eben jene Affäre, die Linc zunächst unterbinden wollte.
Des Weiteren erleichterte die Entscheidung, Dunross zum Witwer zu machen, den Film auch gleich um diverse Familienangelegenheiten (insbesondere eine frisch verliebte Tochter), um die sich Dunross im Roman kümmern muss.
Von den unzähligen Nebenfiguren wurden ebenfalls diverse Charaktere entweder gänzlich gestrichen, treten nur noch als "Gastauftritte" in Erscheinung (z. B. der Gouverneur) oder es wurden mehrere Figuren zu einer einzigen zusammengefasst. So hat man z. B. den Schriftsteller Marlowe (im Grunde ein Alter Ego von James Clavell), der im Buch als Lieferant von Hintergrundinformationen zu diversen anderen Figuren fungiert, mit dem Zeitungsverleger Christian Toxe (Leon Lissek) verschmolzen.
Abgesehen von eben diesen Änderungen hält sich der Film aber doch weitgehend an die Vorlage und schafft es zu jeder Zeit, den Kern und die Stimmung des Buchen punktgenau zu treffen. Bercovici ist es tatsächlich gelungen, aus dem verschachtelten Handlungsgeflecht der Vorlage eine stringente, auf das Wesentliche konzentrierte Geschichte zu extrahieren, die über alle vier Teile hinweg einen gelungenen Spannungsbogen entwickelt. Vor allem schafft es der Film, die notwendigen Teile der Hintergrundgeschichte über den ersten Tai Pan und die Entstehung und Geschichte des Noble House gut und verständlich in die Dialogszenen einfließen zu lassen. Diese Informationen sind nämlich selbst bei Lektüre des Buches eine sehr komplexe und zum Teil verwirrende Angelegenheit (zumindest dann, wenn man das Buch TAI PAN nicht kennt).
Die Geschichte des Buches basiert laut Internet Movie Data Base übrigens auf wahren Begebenheiten, die sich in den 1960er Jahren in einem Zeitraum von sieben Jahren (im Buch verdichtet auf sieben Tagen) um den 1832 gegründeten (und noch heute existenten) Handelskonzern Jardine Matheson zugetragen haben sollen.

Gedreht wurde NOBLE HOUSE weitgehend vor Ort in Hongkong. Nur einige Innenaufnahmen fanden in Studiosets in den USA statt. Die ausschweifende Nutzung der exotischen Szenerie Hongkong verleiht der Produktion nicht nur eine sehr authentische Atmosphäre, sondern auch eine nicht zu unterschätzende Grandesse. Ebenso, wie schon SHOGUN acht Jahre zuvor durch die Dreharbeiten in Japan einen wahren Augenschmaus für das TV-Publikum darstellte, sieht auch NOBLE HOUSE zu jeder Minute sehr edel und hochwertig produziert aus, was dem Unterhaltungswert extrem zugute kommt.

Für die Besetzung der trotz der Kürzungen immer noch sehr zahlreichen Charaktere konnten durchweg hochkarätige und namhafte Darsteller verpflichtet werden, wobei man auf einige Mimen zurückgriff, die auch schon SHOGUN mit ihrem Talent veredelt hatten.
Die Hauptrolle des Ian Dunross ging an den Iren Pierce Brosnan, der damals bereits durch seine Hauptrolle in der TV-Serie REMINGTON STEELE zu Weltruhm gelangt war und ab 1995 als insgesamt fünfter Darsteller in die Rolle des legendären britischen Geheimagenten James Bond schlüpfen sollte. Brosnan verkörpert Ian Dunross präzise wie ein Uhrwerk mit exakt der richtigen Mischung aus oberflächlicher Rücksichtslosigkeit, die er als Geschäftsmann an den Tag legen muss, unterschwellig brodelnder Sorge um die Zukunft des Struans-Konzerns, weltmännischer Gelassenheit, verführerischer Männlichkeit und spitzbübischem Charme.
Ihm zur Seite steht die Amerikanerin Deborah Raffin als Casey Tcholok. Neben zahlreichen TV-Rollen vor der Kamera war Raffin auch als Produzentin und Regisseurin tätig. Im Kino war sie unter anderem 1985 in DEATH WISH 3 an der Seite von Charles Bronson und 1991 in SCANNERS II zu sehen. Leider erlag sie am 21. November 2012 im Alter von gerade einmal 59 Jahren einer Leukämieerkrankung. Raffin kann in ihrer Rolle durch eine gesunde Balance aus Clevernis, Selbstbewusstsein und Verletzlichkeit überzeugen und besitzt dank ihrer leicht kantigen Gesichtszüge auch rein äußerlich die notwendigen Attribute, um mehr als nur hübsches Love-Interest zu sein.
Für die Rolle des Linc Bartlett konnte Ben Masters gewonnen werden. Der charismatische Blondschopf erlangte später weitreichende Bekanntheit als Julian Crane in der langlebigen Seifenoper PASSIONS und gibt den amerikanischen Self-made-Man ebenso geradlinig erfolgsorientiert wie jovial angeberisch mit einer Spur trockenem Humor. Dunross und Bartlett sind im Buch wie im Film Kontrahenten auf Augenhöhe, und dieses Level hält auch Masters ohne Schwierigkeiten.
Als Quillan Gornt gibt es für Clavell-Fans ein Wiedersehen mit SHOGUN-Veteran John Rhys-Davies. War sein Vasco Rodrigues im SHOGUN noch ein zwar mit allen Wassern gewaschener, aber im Grunde herzensguter und vor allem loyaler Mann, so spielt der schwergewichtige Brite, der zuvor schon mit Indiana Jones die verschollene Bundeslade und mit Allan Quatermain den Schatz der Könige hatte suchen dürfen, bevor er sich Jahre später als resoluter Zwerg Gimli durch Mittelerde in Richtung Schicksalsberg aufmachte, seinen Quillan Gornt hier als Ekelpaket, dem man gleichzeitig die Pest an den Hals und eine Versöhnung mit Ian Dunross und Struans wünscht. John Rhys-Davies' Karriere ist so umfangreich wie qualitativ schwankend, aber selbst in den größten Mist bringt sein Gesicht immer noch zumindest einen Hauch Klasse. Der Mann hat sein Handwerk einfach drauf.
Ebenfalls bereits bei SHOGUN dabei waren der in Ägypten geborene Damien Thomas und der Australier Leon Lissek, die in NOBLE HOUSE erneut in kleinen aber feinen Gastrollen glänzen dürfen. Thomas hatte in SHOGUN die ambivalente Rolle des Jesuiten Father Alvito verkörpert und spielt hier Struans Geschäftspartner Lando Mata, während Lissek 1980 als Jesuitenpater Sebastio eine eher unsympatische Figur verkörperte und hier den Zeitunsverleger Christian Toxe gibt. Lissek und Brosnan waren übrigens beim NOBLE HOUSE-Dreh bereits alte Bekannte, denn Lissek hatte 1984 einen Gastauftritt in REMINGTON STEELE.
Erstmals, aber nicht letztmals vor der Kamera stand Brosnan mit der wunderschönen, in Singapur geborenen Julia Nickson. Nickson, deren bekannteste Rolle wohl immer noch die der Vietnamesin Co in RAMBO II sein dürfte, spielte in der 1989 entstandenen dreiteiligen TV-Miniserie AROUND THE WORLD IN 80 DAYS, einer ziemlich freien Adaption der Jules-Vernschen Vorlage mit Pierce Brosnan in der Hauptrolle des Phileas Fogg, die Prinzessin Aouda. In NOBLE HOUSE spielt Nickson Linc Bartletts Geliebte Orlanda Ramos. Nicksons Darstellung wirkt zuweilen ein wenig hölzern, was aber durchaus zu Orlandas zerbrechlichem Charakter passt.
Auch der Rest der Besetzung, ob nun Burt Kwouk, den die Meisten sicherlich als Inspektor Clouseaus treuen Diener Cato aus den PINK PANTHER-Filmen mit Peter Sellers kennen, als Komprador Philip Chen, Gordon Jackson als pflichtbewusster Superintendant Armstrong, Lim Kay Tong als enttarnter Spion Brian Kwok oder die blutjunge Tia Carrere als schnippische Geliebte Venus Poon des von Khigh Dhiegh überzeugend hinterhältig verkörperten Piraten Four Finger Wu: Sie alle sind eine Bereicherung für den Cast und tragen als Ensemble einen Großteil zum Gelingen der Serie bei. Sie alle zu nennen oder gar zu besprechen, würde zu weit führen.
Lediglich ein einziger Wehrmutstropfen fällt bei der Besetzung auf: Obwohl Hongkong bekanntlich eine der emsigsten Filmindustrien dieses Planeten beherrbergt, taucht in der gesamten Serie kein einziger bekannter Hongkonger Schauspieler auf. Hatte man in SHOGUN die Rollen der Japaner noch durchgehend auch mit bekannten japanischen Darstellergrößen wie Mifune Toshiro besetzt, so sucht man hier bekannte Gesichter des chinesischen Films vergebens. Man "importierte" stattdessen sämtliche asiatischen Darsteller aus den USA. Dies mag aber auch der Tatsache geschuldet sein, dass man sich im Gegensatz zu SHOGUN, wo die Japaner auch auschließlich japanisch sprachen und man sich des dramaturgischen Mittels der Übersetzung durch Dolmetscher bediente, bei NOBLE HOUSE dazu entschied, alle Figuren durchgehend Englisch sprechen zu lassen und die Sprachbariere gänzlich zu ignorieren.

Regisseur Gary Nelson war 1988 bereits ein alter Hase im Regiestuhl. Seit 1962 hat er hunderte von Serienepisoden und diverse Fernsehfilme inszeniert, unter anderem 1977 die von Kritik und Publikum hochgelobte Miniserie WASHINGTON: BEHIND CLOSED DOORS, einer fiktiven Aufarbeitung der Nixon-Ära. 1986 durfte er für Cannon Film dann den zweiten und letzten Teil der Quatermain-Reihe ALLAN QUATERMAIN AND THE LOST CITY OF GOLD verzapfen. Diese Trashgranate könnte man durchaus als Leiche im Keller bezeichnen, aber immerhin schenkte er damit der Filmgeschichte Henry Silva als durchgeknallten Hohepriester im Woodstock-Gedächtnis-Look. Auch eine Leistung. Bei NOBLE HOUSE liefert Nelson eine ordentliche Arbeit ab. Zwar fällt die Inszenierung zu keiner Zeit durch besondere Raffinesse, dafür aber durchgehend durch Sorgfalt auf. Nelsons Regie verliert sich nie in der pittoresken Stadtkulisse Hongkongs, sondern nutzt sie geschickt zur Etablierung der Schauplätze, an denen sich das Geschehen abspielt. Die Dialogszenen hat Nelson dabei immer gut im Griff, aber auch die wenigen Actionszenen (unter anderem ein Brand auf einem Restaurantschiff und ein zusammenstürzendes Hochhaus) sind packend in Szene gesetzt. Lediglich ab und zu wirkt das Geschehen, wohl auch bedingt durch die Beschränkungen des Mediums Fernsehen, ein klein wenig behäbig, aber das ist zu verschmerzen.

NOBLE HOUSE ist TV-Unterhaltung der klassischen Art, aus einer Zeit, in der die ganze Familie abends noch gemeinsam vor der Flimmerkiste hockte und gebannt dem großen Fernsehereignis entgegenfieberte. Drehbuchautor und Produzent Eric Bercovici und Regisseur Gary Nelson ist eine saubere und hochwertige Adaption des Romans von James Clavell gelungen, die Kenner wie Nichtkenner der Vorlage gleichermaßen zufriedenstellen dürfte. Hochkarätig besetzt, solide inszeniert und mit einer Priese Exotik durch den (damals für das westliche Publikum abseits der Eastern- und Actionsaficionados noch recht ungewohnten) Drehort Hongkong bekommt man sechs Stunden spannende, (melo-)dramatische und romantische Unterhaltung, die zwar stellenweise ein klein wenig behäbig wirkt, aber garantiert nie langweilt. Eine tolle Miniserie zum immer wieder Ansehen.

Nachdem NOBLE HOUSE lange Zeit nur als qualitativ recht minderwertige australische DVD zu haben war, gibt es seit einigen Jahren dank Lionsgate Entertainment sowohl in den USA als auch bei uns in Deutschland bildqualitativ sehr gute DVD-Ausgaben. Die deutsche DVD erschien bei Kinowelt / StudioCanal. Lionsgate hat hierfür das originale 35mm-Filmmaterial neu abtatsten lassen. Hierbei entschied man sich allerdings statt für einen Transfer im Original-Bildformat von 1,33:1 dafür, eine anamorphe Widescreenfassung im Format 1,66:1 zu erstellen. Hierfür wurde das Vollbild-Format oben und unten leicht abgemattet, wodurch Bildinformationen verloren gehen. Außer im Vorspann, wo der obere Rand der Münzen, in denen die Köpfe der Hauptdarsteller zu sehen sind, abgeschnitten werden, fällt dies jedoch zu keiner Zeit negativ auf.
Präsentiert werden die vier Teile jeweils als Doppel-DVD mit zwei Teilen auf einer Scheibe. Die US-DVD bietet englischen Ton in DD-2.0-Mono sowie englische Untertitel und Closed Captions für Hörgeschädigte. Extras sind keine vorhanden. Zudem sind die Discs im Regionalcode 1 codiert. Verpackt ist das Ganze in einem Keep-Case mit O-Ring aus Pappe. Die deutsche Kinowelt-Scheibe bietet neben der deutschen Synchronspur ebenfalls den englischen Ton (beide ebenfalls in DD-2.0-Mono) sowie deutsche Untertitel. Als Extras sind lediglich eine Bildergalerie und Werbetrailer zu weiteren Kinowelt-Titeln enthalten. Wie bei Kinowelt üblich, wird ein Wendecover für FSK-Flatschen-Allergiker geboten.

Laufzeit: 355 Min. / Freigabe: ab 12

Dienstag, 3. September 2013

LONE WOLF - THE SAMURAI AVENGER



SAMURAI AVENGER – THE BLIND WOLF
USA 2009

Regie:
Kurando Mitsutake

Darsteller:
Kurando Mitsutake,
Domiziano Arcangeli,
Jeffrey James Lippold,
Megan Hallin,
Kyle O. Ingleman,
Loren Lutcher,
Mariko Denda,
Aki Hiro



„Traue niemals einem Lügner.“


Inhalt:

‚Blind Wolf‘ nennt sich der blinde Samurai [Kurando Mitsutake], der scheinbar ziellos durch die Gegend zieht. Keiner ahnt etwas von seiner grauenhaften Vergangenheit: Einst führte er ein beschauliches Leben mit Frau und Kind. Doch als er auf den psychopathischen Gewaltverbrecher Nathan Flesher [Domiziano Arcangeli] traf, fand dieses ein jähes Ende: Flesher vergewaltigte und tötete seine Frau und zwang ihn anschließend, sich selbst zu blenden, um wenigstens seiner Tochter noch das Leben zu retten. Unter höllischen Schmerzen stach sich der Mann die Augen aus. Doch der sadistische Gesetzlose tötete das Mädchen dennoch und jagte ihm anschließend drei Kugeln in den Leib. Aber der Mann überlebte. Nach einer langen Zeit der Genesung lässt er sich von einem Mönch zum Kämpfer ausbilden. Sein Ziel ist die Rache, sein Mittel das Schwert. Doch Flesher hat bereits Lunte gerochen und denkt gar nicht darin, sich kampflos umbringen zu lassen. So heuert er eine skurrille Killertruppe an, um Blind Wolf den Garaus zu machen.

Kritik:

Keine Frage: Kurando Mitsutake hat seine Hausaufgaben gemacht! Der von dem filmverliebten Japaner als Autor, Produzent und Regisseur in Personalunion gestemmte Grindhouse-Hybrid LONE WOLF (der im Original, wie seine Titelfigur, eigentlich BLIND WOLF heißt) ist eine feurige Ehrerbietung an die spekulativen Klassiker des Bahnhofskinos der 60er und 70er Jahre. Vom japanischen Samuraifilm über den italienischen Spaghetti-Western bis hin zum chinesischen Kung-Fu-Epos verwurstet sein quietschfideler Genre-Bastard auf spielerische Art und Weise die verschiedensten Einflüsse zu einem handwerklich sauberen Independent-Spektakel, das in weiten Teilen, obwohl ohne große Studiogelder realisiert, sowohl technisch als auch optisch überzeugen kann.

Dafür griff Mitsutake auf ein spätestens seit Robert Rodriguez’ PLANET TERROR und Quentin Tarantinos DEATH PROOF etabliertes Stilmittel zurück und trimmte das Bild mittels Farbfilter absichtlich auf alt und verschmutzt, um es im Anschluss mit scheinbaren (in Wahrheit natürlich gewollten) Schnittstellen, Tonsprüngen und Brandlöchern zu überziehen. Dieses sorgt beim Betrachter nicht nur für wohlige Nostalgiegefühle, sondern dient zugleich auch der gekonnten Kaschierung des schmalen Budgets. Dermaßen zielgerichtet zauberte man dann auch so manch nette Idee aus dem Hut: Bereits zu Beginn weist eine vorgeschaltete Texttafel darauf hin, dass es sich bei der vorliegenden Kopie um eine angeblich rekonstruierte Fassung handele, in welche ehemals geschnittene Gewaltszenen nachträglich wieder eingefügt wurden. Tatsächlich verschlechtert sich dann im weiteren Verlauf bei allzu rabiaten Momenten, von einleitenden Tonaussetzern begleitet, auffallend die Bildqualität. Selbstverständlich ist das lediglich ein Jux und steht beispielhaft für das permanente Augenzwinkern, mit welchem die Geschichte hier an den Mann gebracht wird. 
Eher unvergnüglich gestaltet sich hingegen die Tatsache, dass es hauptsächlich gerade diese Szenen waren, die aus der deutschen Fassung schließlich aus Gründen des Jugendschutzes herausgeschnitten wurden. Mal abgesehen von der Tatsache, dass eine dermaßen überspitzte Comic-Gewalt wahrlich niemanden sozialethisch desorientiert hätte, ist es charakterisierend, dass die Satire an dieser Stelle von der Realität eingeholt wurde. Eine unangetastete deutsche Sprachfassung ist lediglich im Ausland verfügbar.

Da sich LONE WOLF grundsätzlich der gleichen Vorlagen bediente wie bereits KILL BILL, liegt ein Vergleich beider Werke zunächst nahe. Nun ist Kurando Mitsutake allerdings kein Quentin Tarantino, welcher sich zwar ebenfalls ausgiebigst an früheren Vorlagen bediente, dem es als brillanter Geschichtenerzähler jedoch auch immer wieder gelang, aus den geräuberten Elementen etwas ganz Eigenes zu erschaffen. LONE WOLF hingegen krankt an einem denkbar schwachen Drehbuch, dem letztendlich nicht viel mehr einfiel, als seine Titelfigur so lang in der Gegend herumwandern zu lassen, bis sie auf ihren nächsten Gegner trifft – ein Konzept, welches nicht gerade durch übermäßige Raffinesse besticht und recht schnell zu Abnutzungserscheinungen führt. Auch die Macher schienen das bemerkt zu haben, weshalb sie die inhaltlich simple Nummernrevue mit einer Vielzahl an bizarren Gestalten bevölkerten. So stellt sich dem 'Samurai Avenger' nicht nur eine barbusige Hypnosefrau in den Weg, sondern er muss sich auch gegen ein zotteliges Johannes-Heesters-Double erwehren, das mitsamt Krückstock zum Angriff übergeht, sich mit einer Hochschwangeren duellieren, die noch während des Kampfes ihr Kind zur Welt bringt, um schließlich auf einen Haufen garstiger Hexen zu treffen, bevor auch noch eine Horde Zombies ums Eck getaumelt kommt.

Ein deftiges Süppchen rührte Mitsutake hier also zusammen, mit allem drin, was in irgendeiner Weise Freude bereiten könnte. Das Blut fließt dabei in Strömen und sprudelt mit Überdruck aus dem menschlichen Körper, Augäpfel werden zerdrückt, abgetrennte Gliedmaßen stapeln sich in der Landschaft und herausquellende Gedärme werden zurückgeschaufelt in den offenen Leib. Die überwiegend handgefertigten, teilweise auch mit Computeranimation aufgemotzten Effekte sind dabei allerdings auf Anhieb als irreale Faschingsattraktion erkennbar, während die cartoonesken Übertreibungen ihr Übriges tun, um den Grausamkeiten ihren Schrecken zu nehmen.

Eher schwach gerieten die darstellerischen Leistungen: Mitsutake hat es sich nicht nehmen lassen, neben seiner Funktion als Autor, Produzent und Regisseur auch noch die Hauptrolle zu spielen und wirkt vor allem in Momenten, in welchen er Wut, Verzweiflung oder Trauer rüberbringen möchte, leicht überfordert. Und auch seine spätere Coolness erscheint eher aufgesetzt als überzeugend. Da er sich einen Großteil der Zeit jedoch ohnehin unter seinem riesigen Hut versteckt, fällt das nicht allzu sehr ins Gewicht. Domiziano Arcangeli als sein Kontrahent Nathan Flesher wirkt wie Christian Ullmen auf Speed und legt einen völlig übertriebenen Charakter aufs Parkett. Das geht zwar mit dem exzessiven Stil LONE WOLFs durchaus konform, doch hätte man dem Avenger eher einen würdigeren Gegner gewünscht als einen albernen Hampelmann.

Den Eindruck, lediglich ein besserer Amateurfilm zu sein, kann LONE WOLF zudem trotz allem niemals vollkommen abstreifen, fehlt es doch hier und dort schon mal ein wenig an Professionalität. So wirken die zahlreichen Schwertkampfduelle bisweilen etwas unbeholfen inszeniert, und der auf cool getrimmte Moment des Zurückschiebens des Schwertes in die Scheide wird arg überstrapaziert. Auch die Dialoge hätten insgesamt gern etwas pfiffiger sein dürfen. Dennoch geriet Mitsutakes Werk für eingefleischte Exploitation-Freunde zu einer durchaus brauchbaren Zerstreuung. Kann der japanische Regisseur seinem Kollegen Tarantino künstlerisch auch nicht das Wasser reichen, die Liebe zu den Vorlagen spürt man bei ihm ebenso. So können sich Genre-Kenner hier ihre Zeit bestens mit dem Erkennen von Zitaten vertreiben. Das beginnt bereits bei der Hauptfigur, welche eine ziemlich unverhohlene Mixtur aus dem blinden Samurai 'Zatoichi', welcher es zwischen 1962 und 2003 auf satte 27 Kinoeinsätze brachte, und 'Itto Ogami' aus der kaum minder bekannten OKAMI-Reihe darstellt, auf welche der umgestaltete deutsche Titel noch deutlicher Bezug nimmt als der originale (immerhin ist OKAMI auch als LONE WOLF & CUB bekannt). Dean Harada spendierte dem blutigen Geschehen dann noch einen vom Italo-Western inspirierten Soundtrack, der sich, dank E-Gitarre & Co., als leicht modernisierte Form klassischer Melodien präsentiert und geschmeidig ins Ohr geht. Die deutsche Synchronisation hingegen geriet eher durchschnittlich, lässt besonders in den Nebenrollen die nötige Leidenschaft vermissen, während die tiefe Stimme Tilo Schmitz’ in der Hauptrolle etwas zu klischeehaft besetzt wurde. 

‚Sushi-Western‘ nannte Mitsutake seine wilde Mixtur aus Akira Kurosawa, Sergio Leone und Chang Cheh, was eine doch sehr treffende Beschreibung darstellt. Aufgelockert mit ein paar augenzwinkernden Lektionen über den Bushidō, den Ehrenkodex der Samurai, sowie der Demonstration verschiedener Schwertkampf- und Harakiritechniken, dazu angereichert mit etwas nackter Haut und einigen Motiven des Horrorfilms, bietet LONE WOLF einen liebenswert-spaßigen Blutverlust im Wüstensand. Von Genialität zwar weit entfernt, doch mit dem Herzen am rechten Fleck, lohnt sich die Reise des blinden Samurais somit für jeden, der gern im Grind haust.


Laufzeit: 92 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 2. September 2013

WESTERN JACK


UN UOMO, UN CAVALLO, UNA PISTOLA
Italien, BRD 1967

Regie:
Luigi Vanzi

Darsteller:
Tony Anthony,
Daniele Vargas,
Ettore Manni,
Marina Berti,
Marco Guglielmi,
Dan Vadis,
Jill Banner,
Raf Baldassarre



„Wir werden in Moon Village heute Nacht ein bisschen Hölle spielen.“


Inhalt:

'En Plein' [Dan Vadis] ist einer der skrupellosesten Verbrecher Mexikos, der auf seiner Jagd nach Reichtum andere Menschen ohne zu zögern über die Klinge springen lässt. Sein neuester Coup soll der Raub einer mit Gold beladenen Postkutsche werden. Der Postinspektor dient ihm bei diesem Vorhaben als Informant. Doch kaum hat dieser seine Schuldigkeit getan, bekommt er auch schon eine Kugel verpasst. 'En Plein' und seiner Bande gelingt die Übernahme der Kutsche danach quasi im Handumdrehen, freilich jedoch nicht ohne weitere Verluste unschuldiger Menschenleben. Doch die Halunken können ihren Erfolg nicht allzu lang genießen: Ein fremder Revolverheld [Tony Anthony] findet des Postinspektors Leiche und setzt sich mit dessen Papieren ausgestattet auf die blutige Spur der Schurkenbande. Diese haben es demzufolge plötzlich nicht nur mit Verrat in den eigenen Reihen zu tun, sondern auch mit dem schweigsamen Fremden, welcher ebenfalls ein Stück vom Kuchen abbekommen möchte.

Kritik:

Nachdem Tony Anthony in EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN als namenloser Revolverheld eine Bande skrupelloser Banditen um ihr Leben und ihr geraubtes Gold erleichtert hatte, verging gerade mal ein einziges Jahr, bis der schweigsame Pistolero ein weiteres Mal über die Leinwand reiten durfte. Im Gegensatz zum staubtrockenen Vorgänger wandelte man dieses Mal hingegen auf deutlich ironischeren Pfaden und tauschte die triste Kargheit des Originals gegen ein vergnügtes Augenzwinkern. Bereits die Anfangssequenz geriet erfrischend verschroben: Da reitet der ‚Fremde‘ mit adrettem rosafarbenem Sonnenschirmchen ins Bild, legt sich dann entspannt ins Gras und beginnt leicht grobmotorisch und mit kümmerlichem Ergebnis, sich eine Kippe zu drehen, während sein Gaul in der Zwischenzeit für ihn auf die Jagd geht.

Bereits diese Eröffnung bietet schon mehr Witz als Teil 1 während seiner gesamten Laufzeit und karikiert auf neckische Art und Weise das Image vom ‚harten Mann‘, das sich zu dieser Zeit bereits fest im Genre etabliert hatte. Und humorvoll geht es auch weiter, wenn der Fremde auf zwei Banditen trifft, die ihn aufgrund seiner schrulligen Art natürlich grob unterschätzen. Mit vorgehaltener Waffe zwingen sie ihn, ein Grab für den von ihnen getöteten Post-Inspektor zu schaufeln. Nach verrichteter Arbeit soll der Fremde nun auch ein zweites Grab für sich selbst ausheben. Nach kurzem Zögern beginnt er mit verhaltenem Schmunzeln mit dessen Vermessung. „Scheint etwas zu groß“, bemerkt einer der Banditen. „Ich denke, es passt“, antwortet der Fremde mit abschätzendem Blick auf den etwas korpulenteren Körperumfang seines Gegenübers. Solche, mit hintergründigem schwarzen Humor gespickte Szenen bietet WESTERN JACK reichlich, so dass des Fremden zweiter Ritt dann auch deutlich mehr Laune bereitet als seine zwar sehr gelungene, doch noch etwas spröde Erstvorstellung. Auf gewisse Art und Weise steht WESTERN JACK damit abermals in der Tradition von Sergio Leones DOLLAR-Trilogie, war doch auch dort der zweite Teil wesentlich ironischer konzipiert als sein spartanischer Vorgänger. Inhaltlich hingegen löste man sich dieses Mal vom einstigen Vorbild und ging stattdessen eigene Wege. Im Ergebnis ist das Ganze freilich dennoch nicht mehr, als eine erneute Variation der üblichen Genre-Versatzstücke und im Prinzip lediglich eine rustikale Aufbrezelung der Ereignisse des ersten Teils. Es geht mal wieder um Habgier, Verrat und die Verkommenheit der menschlichen Natur.

Der Fremde ist dabei (zumindest in der deutschen Fassung) so wortkarg gar nicht mehr und kommentiert die Ereignisse immer mal wieder mit locker-flockigem Spruchgut. Tony Anthony, im Erstling durch das enge Korsett des Clint Eastwood-Imitats noch ziemlich eingeschränkt, agiert dazu auffallend souveräner und gibt sich als argloser Herumtreiber, der mit seiner leicht schrägen Art seine Gegner immer wieder zu täuschen versteht, so dass sie sich seiner Gefährlichkeit erst dann bewusst werden, wenn es bereits zu spät für sie ist. Drolligerweise erinnert Tony Anthony hier nun auch weniger an Clint Eastwood, sondern in vielen Momenten sowohl von der Optik als auch vom Gebaren her an Paul Hogan im gut 20 Jahre später entstandenen CROCODILE DUNDEE. Auf böser Seite erlebt man dieses Mal Dan Vadis [→ BRONCO BILLY] als eiskalten Anführer einer wahrlich widerlichen Schurkenbrut. Dabei fasste man die kluge Entscheidung, sein 'En Plain' nicht einfach zu einem simplen Abziehbild von Frank Wolffs Rolle aus dem Vorgänger verkommen zu lassen, sondern ließ ihn etwas intelligenter wirken, beherrschter und nachdenklicher. In Sachen Bosheit jedoch macht man ihm ebenfalls kaum etwas vor: Als ihm eine hübsche Indianerin vor die Augen läuft, gerade friedlich die Wäsche aufhängend, beginnt er mit gezieltem Schuss, die Träger ihres Kleides zu entfernen. Als ihr Vater erzürnt herbeieilt („20 Banditen gegen ein Mädchen! Welch Haufen tapferer Männer!“), wird er von dem Unhold, nach einem aufgezwungenen ungleichen Duell, ohne mit der Wimper zu zucken über den Jordan geschickt.

Mag der Humorpegel also auch grundsätzlich gestiegen sein, geht es bisweilen dennoch erneut ziemlich hart zur Sache. Auch der Fremde muss abermals ordentlich einstecken, wenn einer der Fieslinge immer wieder versucht, ihn mit der Postkutsche zu überfahren, während er sich, geschlagen und geschunden bereits am Boden liegend, immer wieder mühsam zur Seite rollen muss, um nicht unter die Räder zu geraten. Der Versuch, sich seiner Fesseln dabei mithilfe einer Glasscherbe zu entledigen, führt dann zu einem unerfreulich blutigen Ergebnis an den Handflächen. Doch insgesamt ist der Fremde seinen Widersachern natürlich wieder glasklar überlegen und teilt ebenfalls tüchtig aus. Unterstützung erhält er dabei von einem älteren Wanderprediger [Marco Guglielmi (→ WARUM MUSSTE STAATSANWALT TRAINI STERBEN?)], welcher immer wieder seinen Weg kreuzt – eine zunächst nur schwierig einzuschätzende Figur und fast ein wenig surreal wirkend, wenn sie immer wieder wie aus dem Nichts auftaucht, um mitten in diesem ungastlichen Szenario aus Blut und Blei die Botschaft der Bibel zu verkünden. Nach mehreren leicht philosophisch angehauchten Wortwechseln, stattet er den Fremden schließlich mit einer mächtigen, vierläufigen Schrotflinte aus, welche in der heiligen Schrift bestimmt keine Erwähnung findet. Dermaßen ausgerüstet putzt der Namenlose die bösen Jungs nun reihenweise von der Platte, was für Freunde pulvergeschwängerter Italo-Western-Kost ein wahres Festmahl bedeutet.

Apropos Festmahl: Im Finale kommt es zu einer der im wahrsten Sinne des Wortes köstlichsten Szenen, als einer der Banditen [Mario Novelli (→ DJANGO, DER RÄCHER)] auf der Suche nach einem geeigneten Versteck durch ein Haus schleicht und dabei einen reich gedeckten Tisch vorfindet. Dermaßen angefixt, beginnt der gar hungrige Geselle erst einmal, nach Herzenslust zu schlemmen und scheint ob dieser Gratisverköstigung alles um sich herum vergessen zu haben. Zur Besinnung kommt er erst dann wieder, als sich der Fremde mit geladener Waffe zu ihm an den Tisch setzt. Anstatt seinen erschrockenen Kontrahenten jedoch auf Anhieb über den Haufen zu schießen, bedient er sich selbst erst einmal und liefert sich ein kleines Fressduell mit seinem nun wild kichernden Widerpart. Dass dieser im Anschluss trotzdem nie wieder Hunger zu leiden braucht, sollte keine Überraschung sein. Kauzige Szenen wie diese sind es, die WESTERN JACK aus der Masse herausstechen lassen. Dass die Handlung dabei nicht sonderlich originell und in ihrer Entwicklung arg absehbar ist, tut dem Vergnügen keinen Abbruch. Luigi Vanzi [→ DER SCHRECKEN VON KUNG FU] inszenierte gekonnt und mit Sinn für Timing und dreckige Atmosphäre. Die musikalische Untermalung dazu stammt dieses Mal von Stelvio Cipriani [→ DAS SYNDIKAT], dessen Melodien etwas epischer und abwechslungsreicher, gleichzeitig aber auch weniger einprägsam gerieten als die des Vorgängers.

Der deutsche Titel ist natürlich ein Produkt geradezu sträflicher Einfallslosigkeit, zumal die Hauptfigur auch hier namenlos bleibt (drolligerweise wird einmal eine Nebenfigur mit ‚Jack‘ angeredet, doch es ist nicht zu vermuten, dass diese der ominöse 'Western Jack' sein soll). Bezüge zum Vorgänger wurden vom deutschen Verleih (absichtlich?) vermieden, zumindest lässt der Titel keine Verwandtschaft mehr erkennen und die Titelfigur bekam auch eine neue Synchronstimme verpasst. Wirklich schlimm ist das freilich nicht, Luigi Vanzis zweiter Streich funktioniert auch losgelöst vom Erstling prächtig. Denn ob nun mit oder ohne Vorwissen: WESTERN JACK ist ein astreiner Beitrag zum Genre des Spaghetti-Westerns, der sich auf seinem unverdrossenen Weg zum bleihaltigen Finale weder sinnlose Schnörkel, noch unnötige Verzierungen erlaubt. UN UOMO, UN CAVALLO, UNA PISTOLA heißt das Ganze aufs Notwendigste reduziert dann auch im Original – ein Mann, ein Pferd, eine Pistole. Den Sonnenschirm hat man vergessen.


Laufzeit: 91 Min. / Freigabe: ab 16