Eigene Forschungen

Sonntag, 28. Juni 2015

FUGITIVE GIRLS


FUGITIVE GIRLS
USA 1974

Regie:
Stephen C. Apostolof

Darsteller:
Margie Lanier,
Jabie Abercrombe,
Rene Bond,
Tallie Cochrane,
Donna Young,
Forman Shane,
Nicolle Riddell,
Ed Wood



„No Prison Bars could hold them.“


Inhalt:

FUGITIVE GIRLS beginnt, wie eigentlich nichts auf der Welt jemals beginnen sollte: mit einem nackten, haarigen Männerarsch, emsig pumpend im flauschigen Beat sanfter Porno-Musik. Zu jedem Arsch gehört ein Gesicht, und das ist in diesem Falle das von Joe Pepe, der gerade eifrigst dabei ist, sein holdes Fräulein zu beackern. Nach vorschriftsgemäß vollzogener Beackerungsmaßnahme fällt ihm plötzlich auf, dass gar kein Schnaps mehr im Hause ist. Das ziemt sich nicht, und daher schlägt er dem Weibchen vor, zwecks Alkoholbeschaffung zu seinem Lieblingsdealer zu fahren – dort sei der Suff schön billig und anschreiben lassen könne man auch noch. Mit solch vielversprechenden Aussichten im Gepäck geht es in die Nacht hinaus bis zu besagtem Laden. Frauchen bleibt im Wagen, Joe betritt das Geschäft. Nun erfährt man auch, warum es dort für ihn so preiswert ist: Der werte Herr mit dem haarigen Arsch bevorzugt die Zahlung per gezogener Bleispritze. Das gefällt dem Inhaber aber nicht, weswegen er versucht, Alarm zu schlagen. Es kracht ein Schuss, der Ladenbesitzer geht zu Boden. Joe flüchtet ins Auto, wo immer noch seine bessere Hälfte auf ihn wartet, der es allmählich dämmert, dass ihr Herzblatt womöglich doch gar nicht der liebe Onkel ist, für den sie ihn immer gehalten hat. Als sie schreckensstarr nicht mehr im Stande ist, aufs Gaspedal zu treten, fliegt sie kurzerhand aus der Karre und Joe gibt Bleifuß.

Pech für die Gute: In Ermangelung des richtigen Täters wird der Einfachheit halber kurzerhand sie verhaftet und auch direkt zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt. Zwei Uniformierte geleiten Dee (so heißt die Frau, wie man jetzt erfährt) [Margie Lanier] in ihr neues Heim. Was einem hier als Frauenknast verkauft werden soll, erweckt allerdings eher den Anschein einer abgelegenen Jugendherberge: weder Mauern, noch Zäune, noch Wachen, dafür aber viel Auslauf, unberührte Natur und frische Waldluft – so manch einer würde dafür bezahlen, hier wohnen zu dürfen. Dee hingegen darf nun auf Staatskosten hier residieren und lernt erstmal ihre neuen Mitbewohner kennen: Kat [Tallie Chochrane], Sheila [Donna Young], Toni [Rene Bond] und Paula [Jabie Abercrombe]. Kaum hat man sich vorgestellt, ertönt auch schon die Hupe. Toni macht klar, was das bedeutet: Duschen ist angesagt (war ja klar, feucht-fröhliche Wasserspritzereien gehören schließlich in jeden anständigen Frauenknast-Streifen)! Seltsamerweise wird das nasse Vergnügen hier zwar angekündigt, danach dann aber gar nicht gezeigt. Das verwundert vor allem, da FUGITIVE GIRLS ansonsten eigentlich kein Kind von Traurigkeit ist.

„Männer, Männer, Männer“, sinniert Toni später am Abend, „was für ein Höllenloch ist doch dieser Ort ohne Männer?“ Dann erklärt sie der Neuen erstmal, welche Dinge wirklich wichtig sind im Leben einer Frau (nämlich Männer und Moneten) und berichtet von einer erquicklichen Summe Bargeld, die draußen auf sie wartet, versteckt an einem geheimen Ort. Natürlich glauben ihr die anderen kein Wort, und Paula beleidigt die Männerfreundin sogar als „White Trash“, was dieser natürlich gar nicht passt: „Halt dein Maul, du schwarze Schlampe!“ Dummerweise verplappert sich die so Titulierte daraufhin und verkündet etwas von einem geplanten Ausbruch. Kat ist stinksauer, denn eigentlich sollte die Neue davon ja gar nichts wissen. Dees Beteuerung, sie habe überhaupt nichts gehört, wird seltsamerweise keinen Glauben geschenkt. Daher setzt man nun ganz auf Einschüchterung: „Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen ausplauderst, dann schneid ich dir die Titten ab.“ Warum die Ladys überhaupt flüchten wollen, bleibt indes nach wie vor die große Frage, denn irgendetwas auszustehen haben sie hier tatsächlich nicht. Während sie dieses Gespräch führen, sitzen sie locker und entspannt im sonnendurchfluteten Gemeinschaftsraum, auf dem Tisch liegen bunte Comichefte, und Dee spielt nebenbei Karten mit sich selbst. Draußen ist feinstes Wetter, die Tür steht sperrangelweit offen und lädt zum Toben auf dem Rasen ein. Eine Wache oder ähnlich geartetes Personal ist weit und breit nicht zu sehen. Nun wird das Ganze zwar eingangs als „Minimum Security Prison“ bezeichnet, aber die Hütte ist definitiv keine Tiefst-Sicherheit mehr, die ist schon Null-Sicherheit.

Bevor im großen Stil geflüchtet wird, wird aber erst mal gevögelt: Dee liegt im Bett und weint sich in den Schlaf. Kat lässt sich nicht lang bitten und kommt trösten. Erst will Dee nicht, aber wie das halt immer so ist: Nach ein bisschen Gekuschel und Geschlabber findet sie das doch alles gar nicht so schlecht und kuschelt und schlabbert eifrig zurück. Nachdem nun auch das erledigt ist, wird es endlich Zeit für den großen Ausbruch - und da Dee sich inzwischen bei Kat unentbehrlich gemacht hat, darf sie nun auch netterweise mitkommen. Die spektakuläre Aktion läuft übrigens folgendermaßen ab: Die Tür öffnen, hinausspazieren, geduckt an der Hauswand entlangschleichen, unter einem einen Meter über dem Boden schwebenden Maschendrahtzaun hindurchkriechen, fertig! Zwar schwingt der Set-Praktikant am Bildrand auch noch die Taschenlampe, um einen Suchscheinwerfer vorzugaukeln, aber merklich spannender wird die Sache dadurch trotzdem nicht. Selbst die Mädels sind ganz entspannt, krabbeln gemütlich unter dem Zaun durch und machen dabei noch ein paar kleine Scherze. Kaum wieder in Freiheit, gibt die Bande allerdings Fersengeld – der Alarm ist losgegangen. Ein paar Dorfsheriffs (die aussehen wie die letzten Hinterwäldler) schwärmen aus mit Suchhund und Gewehr, finden aber nichts, denn die Flüchtigen haben sich listigerweise hinter einem Strauch versteckt (dazu ertönt ein Soundtrack, der fatal an die Titelmusik der alten BATMAN-Serie erinnert).

Nach so viel Aufregung wird es erstmal Zeit für einen Augenblick der Ruhe: Kat beichtet Dee, weswegen überhaupt alle eingesessen haben. Es ist das Übliche: Mord, Diebstahl, Schmuggel, Eierabschneiden (ersteres ist übrigens merkwürdig, hieß es doch am Anfang, dass Mord ein zu krasses Vergehen wäre für ein Gefängnis mit solch geringer Sicherheitsstufe - aber egal). Nachdem das nun geklärt ist, streift man weiter durch die Gegend und trifft plötzlich aus heiterem Himmel auf einen Haufen völlig durchgeknallter Hippies, die sich mitten im Wald ein Lager aus alten Bettlaken gebastelt haben und nun nach Herzenlust feiern, schwofen und sich die Seele aus dem Leibe grölen als gäbe es kein Morgen mehr. Die Damen tanzen oben ohne, und die Herren hauen dazu energisch in die Klampfe. Über den Überraschungsbesuch ist man anscheinend hocherfreut, und so hockt man bald schon am Lagerfeuer und reicht die Pulle rum, während hinterm Busch fleißigst kopuliert wird. Der nächste Morgen bringt dann das böse Erwachen: „Diesen Mist nennt ihr Kaffee?“ fragt Kat. „Natürlich nicht“, antwortet die Zeckenbraut, „das ist Bio-Tee.“ Jetzt ahnen die fünf Knastjulen erst, mit was für nem Pack sie es hier eigentlich zu tun haben und zerreißen sich so lang die Mäuler, bis den sonst so friedlebenden Hippie-Chefs Bat [Gary Schneider] und Presser [Douglas Frey] der Bio-Kragen platzt: „Nennt uns noch einmal 'Freaks', und ihr endet mit gebrochenen Knochen und offenem Schädel!“ Plötzlich gar nicht mehr so freundlich, zwingt Bat die Gäste nun, sich zu entkleiden, um an einer kleinen Massenbelustigung teilzunehmen. Doch Kat weiß das im letzten Augenblick durch einen gezielten Tritt in Bats Juwelen zu verhindern. Sein Kumpel Presser ist entsetzt: „Um Himmels Willen... Ne Lesbe!“

Auf diese Weise der unerwünschtes Misshandlung entkommen, setzen die Flüchtigen ihren Weg fort. Weil es mittlerweile so heiß geworden ist, ziehen sie erstmal ihre T-Shirts aus, begleitet von einem Gespräch, was sie mit ihrer zurückeroberten Freiheit denn überhaupt anzufangen gedenken. Die Ziele sind vielfältig: Auswandern, sich flachlegen lassen, solche Dinge halt. Danach legt man sich erstmal wieder schlafen. Nach 50 Minuten Spieldauer ist es natürlich auch allerhöchste Zeit, mal wieder ein paar neue Figuren einzuführen. So wird man nun erst einmal Zeuge, wie der alte Automechaniker 'Pops' einen Anruf vom Sheriff erhält. Dieser erzählt ihm nun, was das Publikum schon weiß, nämlich, dass fünf Ausbrecherinnen durch die Gegend streifen und Pops umgehend bescheidstoßen solle, falls sie ihm über den Weg laufen. Dieser reagiert souverän: „Ich kann Ihnen versichern, Sheriff, wenn ich fünf heiße Bräute sehe, die mir einen Besuch abstatten wollen, dann werde ich Sie ganz bestimmt zu Hilfe rufen.“ Schäbig lachend legt er auf, doch die Freude vergeht ihm wieder, als plötzlich ein paar Biker auftauchen, um ihn zu bedrängen (indem sie laut johlend immer wieder über seinen Hof fahren). Währenddessen besorgen sich die 'Fugitive Girls' erst einmal einen fahrbaren Untersatz – auf die klassische Methode: Sheila stellt sich auf die Straße, Daumen raus, Auto stoppt, Fahrer freut sich auf ne gute Partie, wird dann aber von Sheila und dem Rest der Bagage zusammengetreten. Nun könnte man natürlich einfach einsteigen und losfahren, aber Paula fällt plötzlich etwas viel Besseres ein: „Ich hatte schon lange keinen Mann mehr – vor allem keinen weißen.“ Das erweicht sogar Kats raues Herz: „Gut, nimm ihn dir! Aber beeil dich!“ Der arme Mann, dem inzwischen die Lust gründlich vergangen ist, wird nun von Paula von der Straße beordert und nach allen Regeln der Kunst durchgeritten und macht dazu Geräusche, als säße er auf dem Donnerbalken.

Kaum motorisiert, verreckt den Mädels die Karre nach ein paar Kilometern auch schon wieder. Wohin? Natürlich zu Pops Werkstatt. Dieser erkennt natürlich sofort, mit wem er es zu tun hat, und will sein Versprechen wahr machen: Kaum ist der Wagen wieder in Schuss, greift er zum Telefon, um den Sheriff zu verständigen. Jeder vernünftige Mensch hätte damit natürlich gewartet, bis die Ausbrecher wieder verschwunden sind, aber Pops hält es für klug, das sofort zu erledigen. Keine gute Idee: Kat merkt sofort, wie der Hase läuft, und verpasst dem alten Mann ne anständige Abreibung. Die Mädels sprinten zum Wagen und geben hurtig Kette (dazu läuft wieder die BATMAN-Musik), werden dabei aber beobachtet von der bösen Motorrad-Gang, die schon bereits Pops belästigt hatte. Spontan entscheiden die Rabauken, dass es mal Zeit wird, ein paar Hühner zu vernaschen, und versuchen einen ganz ähnlichen Trick wie ihre vermeintlichen Opfer zuvor: Einer legt sich auf die Straße, der Rest wartet, bis die Ladys aussteigen, und dann wird zum Angriff übergegangen. Klappt auch zum Teil ganz gut, aber die Herren haben nicht mit der Robustheit der Ausbrecherinnen gerechnet und werden stattdessen von den Mädels vertrimmt. Diese springen lachend wieder in den Wagen, reißen ein paar Sprüche („Männer werden es niemals lernen“), und die Fahrt geht weiter.

Langes Autofahren macht müde, und weil man inzwischen keine Lust mehr hat, ständig unter freiem Himmel zu nächtigen, dringt man kurzerhand ins nächstbeste Haus ein. Drinnen sitzen ein Mann im Rollstuhl und eine Frau im Sessel und schlummern. Mit der Ruhe ist es vorbei, als letztere ob der ungebetenen Gäste aus dem Schlafe schreckt und ihren Ehemann ebenfalls wachrüttelt. Dieser erkennt sofort, dass die Besucher aus dem Gefängnis ausgebrochen sind, nennt sie „Schlampen“ und kassiert dafür einen Schlag mit dem Gewehrkolben. Im Anschluss wird erst einmal seine Gemahlin genötigt, erst zum Kaffeekochen, dann sexuell, denn die kessen Ausbrecherinnen packt mal wieder die Lust (dass das Opfer bei der Vergewaltigung aussieht, als würde es sich totlachen, ist vermutlich nicht beabsichtigt). Ihr Angetrauter will helfen und eilt mit dem Rolli herbei, wird jedoch von Kat kurzerhand umgeworfen und zünftig zusammengestiefelt. Doch dann kommt es zu einer überraschenden Wende ...

Kritik:

FUGITIVE GIRLS ist ein Paradebeispiel für das, was man seit 2007 - Tarantino und Rodriguez sei's gedankt – auch in Deutschland 'Grindhouse' nennt: ein räudiger Beitrag fürs Bahnhofskino-Programm der 70er Jahre, spottbillig in der Produktion, reich an Sex & Crime und ohne jede Scheu davor, an niedere Instinkte zu appellieren. Die damaligen Sensationen sind natürlich längst überholt, die Unmoral jedoch kriecht immer noch freudenspendend aus jeder Szene: Die Titelhelden vergewaltigen Frauen und Männer zu lustiger Fahrstuhlmusik, malträtieren wehrlose Krüppel, schlagen Rentner, Rocker und Müslifresser zusammen und beleidigen so ziemlich alles und jeden. Dazu gibt es Autojagden in gemütlichem Schritttempo, Gewehrschüsse ohne Rückschlag und Mündungsfeuer und eine illustre Parade der heftigsten Stilsünden der 70er.

Auftritt Bat und Presser:

(Gary Schneider, Douglas Frey)

Mal abgesehen von solchen Modeentgleisungen kann das Gebotene freilich keinen mehr erschrecken, dafür ist die Inszenierung dann doch ein wenig zu läppisch und das Geschehen nicht ernsthaft genug präsentiert. Die Geschichte ist gewiss arg episodenhaft, wird aber immerhin durch die Flucht als erzählerische Klammer brauchbar zusammengehalten. Zudem gerieten die Ereignisse durch die verschiedenen Stationen ziemlich abwechslungsreich. Die anfangs als Hauptperson eingeführte Dee wird im weiteren Verlauf zwar etwas außer Acht gelassen, hat dann am Ende jedoch wieder entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Handlung. Die Chance auf eine zumindest etwas tiefsinnigere Charakterentwicklung hat man hingegen, trotz durchaus vorhandener Möglichkeiten, ungenutzt verstreichen lassen. Die Darsteller geben ihr Bestes. Das ist nicht viel, aber oftmals reicht es. Die Mehrzahl der FUGITIVE GIRLS kommt aus der Pornoecke, da darf man nicht zu viele Facetten erwarten. Speziell Tallie Chochrane als spröde Anführerin Kat macht ihre Sache gut. Wer genau hinsieht, entdeckt in einer Nebenrolle eine waschechte Filmlegende: Der kauzige Automechaniker 'Pops' wird von niemand Geringerem gespielt als vom damals 50jährigen Ed Wood, der für seine schrägen Science-Fiction-Grusler [PLAN 9 AUS DEM WELTALL] und Transvestiten-Dramen [GLEN ODER GLENDA] als einer der schlechtesten Regisseure der Welt gilt (was freilich nicht der Wahrheit entspricht).

FUGITIVE GIRLS kommt etwas schwer in Gang, aber spätestens nach der Begegnung mit den Bio-Tee-Schlürfern wird die Veranstaltung doch schwer unterhaltsam und bereitet auf behaglich-unmoralische Art und Weise ziemlich viel Freude. Der rüde Sprachduktus wirkt stellenweise etwas erzwungen, die Dialoge gefallen in ihrer Mischung aus bösem Zynismus und sanfter Ironie trotzdem. In Kombination mit schäbigem Charme, schmissigem Sound und einer wunderbar bissigen Schlussszene ergibt das einen großartig siffigen Shit für alle Fans von Schmutz und Schund. Alle anderen werden vermutlich die Flucht ergreifen.

Laufzeit: 96 Min. / Freigabe: in Deutschland nicht erschienen

Montag, 22. Juni 2015

DAS GEHEIMNIS DER VIER KRONJUWELEN


EL TESORO DE LAS CUATRO CORONAS
Spanien, USA 1982

Regie:
Ferdinando Baldi

Darsteller:
Tony Anthony,
Lewis Gordon,
Jerry Lazarus,
Kate Levan,
Ana Obregón,
Gene Quintano,
Francisco Rabal,
Emiliano Redondo



„Das faszinierende, einzigartige Abenteuer in Wonder-Vision 3D“

So verkündete einst das Plakat, und das lässt natürlich aufhorchen. Dieses berühmte 'Wonder-Vision 3D' ist ja bekanntlich eine echte Hausnummer. Doch als DAS GEHEIMNIS DER VIER KRONJUWELEN beginnt, wähnt man sich zunächst im falschen Film. Erwartete man eigentlich die Sparflammen-Variante von INDIANA JONES, sieht stattdessen plötzlich alles aus wie STAR WARS, als sich noch vor dem eigentlichen Vorspann eine etwas unsauber hochgezogene Rollschrift durchs Bild quält. Was sie in ihrem rührend holprigen Englisch verkündet, macht jedoch einiges an Hoffnung: 

„Es gibt Dinge im Universum, die der Mensch niemals verstehen wird, Mächte, die er niemals beherrschen wird, und Kräfte, die er niemals kontrollieren wird. Die vier Kronen gehören dazu. Nun hat die Suche begonnen. Ein Glücksritter wagt den ersten Schritt. Er sucht den Schlüssel, der die Macht der vier Kronen befreien und eine Welt entfesseln wird, in der Gut und Böse aufeinandertreffen.“

Hört, hört! Wirklichen Sinn ergibt das zwar nicht, aber neugierig macht es trotzdem. Besagter Glücksritter tritt dann auch umgehend in Erscheinung: J. T. Stryker - ein Abenteurer, wie er im Drehbuche steht. Noch während der Vorspann läuft, dringt er in eine alte Festung ein, turnt durch unterirdische Höhlen, wird von flatternden Pappmasché-Sauriern attackiert, erwehrt sich allerhand anderen exotischen Getiers (wie z. B. Geier, Schlangen oder sogar Hunde!), weicht Giftpfeilen und Feuerbällen aus und findet am Ende schließlich ein waschechtes Skelett aus dem Biologieraum um die Ecke nebst irgendeinem wertvollen Klimmbimm. Zu guter Letzt erwachen plötzlich die ganzen alten Rüstungen um ihn herum zum Leben und final explodiert dann alles. Ein ganz normaler Tag im Leben eines Schatzjägers also. Doch kaum wieder zurück, beginnt erst das eigentliche Abenteuer:

Inhalt:

Tausendsassa J. T. Stryker [Tony Anthony] bekommt von seinem Freund, Professor Montgomery [Francisco Villena], einen neuen Auftrag: Er soll die magischen vier Kronjuwelen finden, die der größenwahnsinnige Sektenführer Jonas [Emiliano Redondo] an sich gerissen hat. Ihrem Besitzer verleihen die Steine magische Kräfte, mit deren Hilfe man die ganze Welt ins Unheil stürzen könnte. Stryker weigert sich zunächst, aber gute Argumente verfehlen ihre Wirkung nie. Da solch eine Reise allein aber natürlich nur wenig Spaß macht, beschließt der alternde Abenteurer, seine damaligen Gefährten wieder zu reaktivieren: den mittlerweile als Clown arbeitenden Sokrates [Francisco Rabal] und den zwischenzeitlich dem Alkohol verfallenen Rick [Jerry Lazarus]. Ihnen schließt sich spontan noch die Trapezkünstlerin Liz [Ana Obregon] an. Gemeinsam dringen sie in das geheimnisvolle Gemäuer ein, in dem sich Jonas mit seinen Jüngern verschanzt hat, um dort den ganzen Tag lang merkwürdige Rituale abzuhalten. Doch den Schatz an sich zu bringen, erweist sich schließlich als schwieriger als erwartet.

Kritik:

Nichts Neues also an der Abenteuer-Front und schon gar nichts Originelles, aber dennoch eine vernünftige Basis, um darauf ein brauchbares INDIANA JONES-Imitat zusammenzuzimmern. Doch der bunte Budenzauber erweist sich als ziemlicher Blender, der den anfänglichen Versprechungen im weiteren Verlauf nicht gerecht werden kann. Nach der im Verhältnis viel zu langen Exposition, in welcher das Team zusammengetrommelt wird, geht es quasi auf direktem Wege in die feindliche Festung (in die man ohne jede Schwierigkeit einfach hineinspaziert), um den Schatz (von dem auch niemals so richtig klar wird, worin denn nun eigentlich dessen magischen Kräfte bestehen) an sich zu bringen. Ab hier entpuppt sich DAS GEHEIMNIS DER VIER KRONJUWELEN statt als Abenteuerfilm viel mehr als klassisches 'Caper-Movie', als Einbruchsfilm in RIFIFI-Manier - nur, dass das zu enternde Juweliergeschäft hier gegen eine mittelalterliche Burg eintauscht wurde. Auch so etwas kann natürlich sehr spannend sein, doch wird daraus ebenfalls herzlich wenig gemacht: ein bisschen Gehangel hier, ein bisschen Geschaukel dort, dazu ein bisschen Geschwitze und Gestöhne, aber stets ohne das nötige Gespür dafür, damit auch Nervenkitzel zu erzeugen.

Das liegt natürlich auch daran, dass einen das Schicksal der Protagonisten ohnehin kaum tangiert und es einem somit schlichtweg egal ist, ob hier einer den Löffel reichen muss oder nicht. Eine ausführliche Psycho-Studie erwartet natürlich niemand, aber ein wenig mehr als simple Zweckmäßigkeit hätte man den auftretenden Parteien schon zugestehen können. So erfährt man von einem der Teilnehmer, Rick, eigentlich nur, dass er Alkoholiker ist, womit die Charakterzeichnung dann auch schon beendet wäre. Wie, warum und weshalb spielt keine Rolle. Das einzige Individuum, das zumindest im Ansatz interessant geriet, ist die tragische Figur des alternden Schaustellers Sokrates, für welchen es so oder so das letzte große Abenteuer wird, da er nicht mehr lange Zeit zu leben hat. So kommt es, dass ausgerechnet ein Moment, der ohne jeden Trickeffekt oder Actioneinschub daherkommt, zum Höhepunkt des Ganzen wird: Der melancholische Abschied des traurigen Clowns von seinem Kollegen wirkt unerwartet ergreifend und lässt erahnen, wie viel Potential hier im Grunde eigentlich verschwendet wurde.

Tatsächlich ging es den Produzenten ja aber auch gar nicht darum, wirklich packenden Stoff abzuliefern. DAS GEHEIMNIS DER VIER KRONJUWELEN ist allzu offensichtlich nur entstanden, um noch ein wenig vom damals bereits zum zweiten Male grassierenden 3D-Boom zu profitieren. Das hatte für das selbe Team im Vorjahr mit ALLES FLIEGT DIR UM DIE OHREN bereits gut funktioniert und sollte sich nun, in Kombination mit der gezielten Anspitzung abenteuerlustiger INDIANA JONES-Fans, ein zweites Mal rentieren. So kommt es dann auch, dass alle zwei Minuten irgendjemand irgendetwas angestrengt in Richtung Kamera hält, was in seiner Penetranz auf Dauer ziemlich an den Nerven sägt. Dabei ist die Grundidee im Prinzip tatsächlich gut dazu geeignet, möglichst viele 3D-Effekte unterzubringen: Pfeile, die in Richtung des Betrachters schießen, Schlangen, die sich zischend und züngelnd auf das Publikum zubewegen, und an Seilen hängende Protagonisten, die dem Zuschauer entgegenbaumeln. Und weil das noch nicht reichte, brachte man zusätzlich noch eine Artistentruppe in der Handlung unter, die minutenlang tollkühne Kunststückchen am Trapez vorführen darf. Doch ist es hier eindeutig ein wenig zu viel des Guten: Viele der Szenen wirken lachhaft bemüht, werden endlos ausgewalzt und bleiben teilweise (wie ein mittiges magisches Rambazamba inklusive in Zeitlupe fliegender Schlüssel und zuckender Blitze) auch ohne jede Erklärung.

Der Amerikaner Tony Anthony, dessen Gesicht zuvor durch eine Handvoll Italo-Western bekannt wurde, war in die Produktion von DAS GEHEIMNIS DER VIER KRONJUWELEN maßgeblich involviert, so dass es gewiss kein Zufall ist, dass seine Figur immer wieder prätentiös in den Mittelpunkt gerückt wird. Als schweigsamer Revolverheld machte Anthony allerdings eine wesentlich bessere Figur als als abgehalfterter Aushilfs-'Indiana Jones'. Als lässiger Abenteurer fehlt es ihm an Attraktivität und Glaubwürdigkeit, und seine ständigen Versuche, cool aus der Wäsche zu gucken, sind nicht mal halb so effektiv wie noch in seinen Paraderollen als BLINDMAN oder WESTERN JACK. Immerhin wird sein schwaches Schauspiel in der deutschen Fassung ein wenig durch die souveräne Synchronisation von Michael „Chevy Chase“ Brennicke kaschiert. Die restlichen Darsteller agieren solide, Francisco Rabal [→ DER LANGE TAG DER RACHE] als todkranker Sokrates sticht positiv heraus, Emiliano Redondo [→  PHANTASTISCHE REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE] amüsiert als Bösewicht mit dämlichen Dialogen aus dem Sektenführer-Handbuch.

Für den Soundtrack indes konnte man sich ein echtes Schwergewicht angeln: Ennio Morricone, Komponist solch legendärer Melodien wie die von ZWEI GLORREICHE HALUNKEN oder SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD, leistete hier seinen Beitrag, schien dieses Mal allerdings ebenso uninspiriert zu Werke gegangen zu sein wie der Rest der Crew: Das Ergebnis zählt zu seinen schwächsten Arbeiten während dieser Phase und lässt die für ihn typische Charakteristik völlig vermissen. Auch die Regie führte Vielfilmer Ferdinando Baldi ohne auffallende Leidenschaft, was zu seinem Ruf als wenig visionärem Routinier passt. Baldi war eher der solide Handwerker, dessen Arbeiten stets von der Qualität des Skriptes abhängig waren. Als solcher inszenierte er alles, was irgendwie Erfolg versprach, seien es Western [→ DJANGO – DER RÄCHER], Komödien [→ VIER FÄUSTE SCHLAGEN WIEDER ZU], Gialli [→ NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD] oder Schmuddelkrimis [→ HORROR-SEX IM NACHTEXPRESS], stets mit gütemäßig schwankendem Ergebnis. Produziert wurde die Sause übrigens von der Firma Cannon, die in den 80ern Recken wie Michael Dudikoff, Chuck Norris und Charles Bronson in den Kampf um die Publikumsgunst schickte und damit eine ganze Wagenladung an Billig-Action fabrizierte, die nicht nur höchst erfolgreich war, sondern im Nachhinein auch den begehrten Kult-Stempel aufgedrückt bekam.

Das wird dem GEHEIMNIS DER VIER KRONJUWELEN nun freilich niemals passieren. Freunde kostengünstiger Blockbuster-Epigonen dürfen dennoch mal einen zaghaften Blick riskieren, denn die zweite Anthony-Baldi-Kollaboration bietet launiges Jahrmarkt-Flair mit leichtem Horroreinschlag, drolligen Geisterbahn-Effekten und einer arg wunderlichen Geräuschkulisse, bei der es im Hintergrund meist seltsam pfeift und schnarrt und bimmelt. Garniert wird der holprige Hokuspokus dann von einem (natürlich) von JÄGER DES VERLORENEN SCHATZES abgekupferten Finale mit reichlich Blitz und Bumm und dummer Maske, dafür ohne Sinn und ohne Verstand. Wer keine Furcht verspürt vor den Niederungen preiswert produzierter Schleuderware, der rücke sich die 3D-Brille zurecht und löse sich einen Fahrschein am Einlass. Wer hingegen nur die wirklich gute Abenteuer-Unterhaltung aus dem Hause Cannon sucht, der sollte sich lieber an QUATERMAIN halten.

Laufzeit: 95 Min. / Freigabe: ab 16

Sonntag, 21. Juni 2015

FÜNF BLUTIGE STRICKE


JOKO, INVOCA DIO.. E MUORI
Italien, BRD 1968

Regie:
Antonio Margheriti

Darsteller:
Richard Harrison,
Claudio Camaso,
Spela Rozin,
Guido Lollobrigida,
Werner Pochath,
Paolo Gozlino,
Alberto Dell'Acqua,
Luciano Pigozzi



Inhalt:

Rocco [Richard Harrison] schiebt Hass! Fünf Männer haben seinen Kumpanen Ricky [Alberto Dell'Acqua] auseinandergenommen – nicht verbal, sondern auf gute, alte Wildwest-Manier: fünf Stricke, auf der einen Seite befestigt an jeweils einem Pferd und auf der anderen an jeweils einem von Rickys Körperteilen, und dann kräftig ziehen. Grund für die Übeltat: Die Schurken waren spitz auf die Beute eines Raubes, den Rocco, Ricky und ein paar weitere Spießgesellen vollzogen hatten. Klar, dass Rocco nun auf Rache sinnt. So behält er für jeden der Mörder ein blutiges Strick-Stück am Mann. Leider weiß er aber noch nicht, wer an dem Verbrechen beteiligt war. Ein instinktiver Verdacht metaphysischen Charakters führt ihn zunächst zum feigen Domingo [Luciano Pigozzi], wo er gleich in zweifacher Hinsicht einen Volltreffer landet: Erst entpuppt sich der geldgierige Halunke tatsächlich als einer der Killer, dann fängt er sich von Rocco die verdiente Kugel ein – nicht ohne kurz vor seinem Ableben zumindest noch die Namen von dreien der vier weiteren Täter auszuspucken. Nun hat Rocco erst mal eine Menge zu tun und stattet ein paar sehr netten Herren einen Besuch ab.

Kritik:

FÜNF BLUTIGE STRICKE beginnt gleich mit einem Paukenschlag und lässt Alberto Dell'Acqua in den Seilen hängen – buchstäblich, denn der Gute ist drauf und dran, wichtige Gliedmaße zu verlieren und schreit dementsprechend wie am Spieß. Seine Scharfrichter lachen dreckig, reißen erst menschenverachtende Sprüche und dann den armen Mann in Fetzen. Das gewiss hässliche Resultat bleibt dem Betrachter zwar erspart, doch die gefühlsferne Grausamkeit dieses Auftakts verfehlt ihre Wirkung trotzdem nicht und stellt die Weichen für den nachfolgend dominierenden Zynismus, der freilich typisch ist für den Italo-Western dieser Zeit. Ebenso rasant, wie es begonnen hat, geht es im Anschluss auch weiter. Jede Gewalttat erfordert einen Rächer, so will es das Gesetz. Zumindest das der einschlägigen Genre-Regeln. In diesem Falle ist das der einsame Revolverheld Rocco. Dieser vergeudet auch nicht eine Sekunde und geht unverzüglich ans Werk. Es dauert nicht lang, da fliegt bereits die erste Kugel. Dass sie ins Schwarze trifft, bedarf keiner Erläuterung. Die strikte Geradlinigkeit der Ereignisse und deren kompromisslose Umsetzung versöhnen dabei mit Vorhersehbarkeit und offensichtlichem Mangel an Innovation.

Leugnen ist natürlich völlig zwecklos: VENGEANCE, wie sich der Trip auf den Punkt gebracht im englischen Sprachraum nennt, ist zyklische Dutzendware, die damals den Markt in Massen heimsuchte. Die Leinwände konnten sich kaum retten vor schießprügelschwingenden Vigilanten, die auf der Suche nach Gerechtigkeit dem fiesen Möpp mal so richtig einheizen. Trotz seiner Armut an Überraschungsmomenten liegt FÜNF BLUTIGE STRICKE dabei deutlich über dem Durchschnitt und liefert eine formal überzeugend in Szene gesetzte Atmosphäre aus Sand, Staub und Pulverdampf, garniert mit schroffer Härte und gesundem Sarkasmus. Rocco gibt alles und plättet seine Gegner wahlweise per Schlag, Schuss oder Sporenhieb (was für eine der originellsten Szenen sorgt; man sieht die Tötung aus Sicht der Stiefel!). Dabei scheint Rocco um seinen gemeuchelten Kumpanen nicht einmal wirklich zu trauern. Selbst, als er in einem Moment des Erinnerns von ihrem gemeinsamen Coup und den daraus resultierenden folgenschweren Fehlschlägen berichtet, bleibt er ohne sichtbare Anteilnahme. Vielmehr scheint es ihm bei der ganzen Sache ums Prinzip zu gehen: Bringst du meinen Kollegen ums Eck, dann puste ich auch dir die Lampe aus.

Die emotionale Kälte der Hauptfigur passt allerdings ungemein zu dem entmenschlichten Szenario, das hier kreiert wurde, und unterstreicht noch einmal dessen spartanischen Minimalismus: Hier werden weder Tränen verschwendet, noch Worte. Was zählt, ist die Tat. Dazu passt dann auch, dass das Drehbuch nicht mal im Ansatz erklärt, woher Rocco eigentlich weiß, wo sich die abzuarbeitenden Halunken eigentlich gerade aufhalten. Ein Rocco recherchiert nicht, ein Rocco macht einfach, Umwege werden nicht in Kauf genommen. Nicht mal das kurze Nebenkapitel, in welchem er sich kurzerhand selbst zum Sheriff eines kleinen Wüstenkaffs ernennt, um dieses vom Terror einer Banditenbande zu säubern, kann daran etwas ändern, denn auch dieser Job ist für ihn nur Mittel zum Zweck: Der Anführer der Schurkentruppe ist der schmierige Laredo [Lucio de Santis] – Nummer 3 auf Roccos Liste. Und auch der einzige Handlungspunkt, den man zumindest als so etwas Ähnliches wie eine überraschende Wende bezeichnen könnte, wird im Nullkommanix abgefrühstückt: Die bis dahin noch unbekannte Identität des fünften Mörders fällt dem Helden quasi aus dem Nichts heraus in den Schoß, so dass pflichtbewusst und zielorientiert wie immer das große Finale eingeläutet werden darf.

Dabei geriet das Charakterbild des rachsüchtigen Revolverhelden zwischen all seinen Faust- und Bleiduellen sogar im Ansatz ambivalent. Denn auch Rocco ist kein integrer Saubermann, der, wenn er nicht gerade feige Mörder ins Gras beißen lässt, eine blütenreine Weste spazierenträgt. Als Beteiligter an dem verhängnisvollen Raubzug, der die unglückseligen Ereignisse erst ins Rollen brachte, war er ebenso scharf auf den schnöden Mammon wie der Rest der Belegschaft und hatte keine Skrupel, dafür das Gesetz zu übertreten. Erst, als er zur Selbstjustiz übergeht, verliert er an der Beute das Interesse – eine moralische Verfehlung ersetzt die andere. Ein ausgefeiltes Psychogramm ist das freilich nicht, aber das verlangt ja auch niemand. Dass Rocco allerdings gleichzeitig auch noch eine halbe Rothaut sein soll, ist schon ein ziemlicher Lacher, sieht Richard Harrison doch ungefähr so indianisch aus wie John Wayne. Immerhin beschert dieser Umstand FÜNF BLUTIGE STRICKE eines seiner besten Zitate: „Er hat recht, ich bin ein Halbblut. Als die Cheyenne plötzlich was gegen Weiße hatten, gaben sie mir einen Tritt in den Arsch. Anschließend spuckten mir die Weißen ins Gesicht. Aber die meisten von ihnen sind jetzt tot.“

Mimisch mag Richard Harrison etwas eingeschränkt sein, für eine so wenig komplexe Rolle wie diese jedoch geht seine Leistung vollkommen in Ordnung - zumal sein etwas knabenhaftes Äußeres mit Drei-Tage-Bart, modischer Weste und schwarzer Dunstkiepe tüchtig aufgemotzt wurde und sicher nicht nur zufällig an Franco Neros Erscheinung in DJANGO erinnert. Dessen Karriere blieb Harrison freilich verwehrt, so dass er gut 20 Jahre später, deutlich weniger knabenhaft, dafür mit 80er-Jahre-Porno-Schnauzer, Dauergast in asiatischen Trash-Produktionen wurde und sich unter der Regie Godfrey Hos regelmäßig in eine ziemlich alberne Ninja-Kluft warf. Ihm zur Seite steht eine illustre Schar gerngesehener Italo-Gesichter: Alberto Dell'Acqua [→ EIN HOSIANNA FÜR ZWEI HALUNKEN] darf sich in der Eröffnungsszene laut schreiend zerlegen lassen, Luciano Pigozzi [→ DIE JÄGER DER GOLDENEN GÖTTIN] fängt sich als wimmernder Feigling die erste Kugel ein und der Deutsche Werner Pochat [→ HORROR-SEX IM NACHTEXPRESS] gibt abermals ein bemerkenswert widerliches Arschgesicht, dessen Foltermethoden der Hauptfigur fast zum Verhängnis werden. Besonderes Augenmerk verdient Claudio Camaso [→ 10.000 BLUTIGE DOLLAR], der als ausgeflippter Hippie-Cowboy Mendoza den anfänglichen Beutezug ausbaldowert hat und von Rocco einige Male als Genie betitelt wird. Mit seinen schrillen Klamotten (inklusive Handschuhen und Spazierstock) und seiner extravaganten Art mit leicht perverser Ader wirkt er wie von einem anderen Stern und eine frühe Blaupause für Stanley Kubricks drei Jahre später entstandenen Kult-Schurken Alex aus dem Meisterwerk UHRWERK ORANGE.

Regie bei dem Schauspiel führte der fleißige Antonio Margheriti, der damals kein kassenträchtiges Genre ausließ und auch hier wieder in gewohnter Kompetenz die Zügel führte. Bereits ein Jahr zuvor ließ er VIER HALLELUJA FÜR DYNAMIT-JOE erklingen, was jedoch alles andere als ein Wohlklang war. FÜNF BLUTIGE STRICKE ist eine deutliche Steigerung zu der lauen Komödie, wurde von ihm zwei Jahre später allerdings nochmals getoppt durch den ähnlich konzipierten SATAN DER RACHE, für dessen gotische Horror-Attitüde Margheriti hier schon mal geübt hat: Der Showdown geschieht in einem unterirdischen Schwefelhöhlensystem, was für einen stimmungsvoll-gruseligen Einschlag sorgt. Von Inhalt, Stil und Aufbau her erinnert das Werk zudem stark an den im selben Jahr entstandenen DJANGO – UNBARMHERZIG WIE DIE SONNE, wozu neben der nahezu identischen Idee und Struktur auch der vergleichbar schräge Endgegner beiträgt.

Aber so austauschbar der Stoff seinerzeit auch gewesen sein mag: Die straff durchgezogene Rache-Mär funktioniert, eine gewisse Affinität zum Genre immer vorausgesetzt, fabelhaft, besitzt ordentlich Tempo und nutzt das offenbar limitierte Budget bestmöglich aus. Dabei heißt Rocco im Original eigentlich Joko, aber das klang dem deutschen Verleih wohl nicht kernig genug. Zudem war der Name 'Rocco' durch ähnliche Produktionen wie ROCCO – DER MANN MIT DEN ZWEI GESICHTERN oder ROCCO – DER EINZELGÄNGER VON ALAMO bereits im Italo-Western-Universum etabliert. Aber ob nun Joko, Rocco oder Django (so nannte man Harrisons Figur pfiffigerweise in der französischen Fassung) ist im Grunde auch völlig egal: Namen sind Schall und Rauch. Und eben davon bietet FÜNF BLUTIGE STRICKE jede Menge. Antonio Margheriti präsentiert erneut kompromisslose Unterhaltung auf grundsolidem B-Niveau und macht dafür ordentlich die Hölle heiß. 95 blutige Minuten.

Laufzeit: 95 Min. / Freigabe: ab 18

Freitag, 19. Juni 2015

SLOW WEST


SLOW WEST
GB, Neuseeland 2015

Regie:
John Maclean

Darsteller:
Michael Fassbender,
Kodi Smit-McPhee,
Rory McCann,
Ben Mendelsohn,
Brooke Williams,
Jeffrey Thomas,
Caren Pistorius,
Stuart Martin



Inhalt:
 

Colorado, Ende des 19. Jahrhunderts: Das 16-jährige Greenhorn Jay Cavendish [Kodi Smit-McPhee] ist auf der Suche nach seiner großen Liebe Rose Ross [Caren Pistorius]. Dabei begegnet er dem raubeinigen Haudegen Silas Selleck [Michael Fassbender], der den naiven Jungen unter seine Fittiche nimmt und gegen eine großzügige Bezahlung zustimmt, ihn sicher durch das Land zu geleiten. Was Jay jedoch nicht ahnt: Silas tut das nicht uneigennützig. Auf Roses Kopf ist eine Belohnung ausgesetzt, die sich das Schlitzohr nur allzu gern unter den Nagel reißen würde. Doch damit ist er nicht allein: Dem Zweiergespann folgt der brutale Payne [Ben Mendelsohn] und seine Bande von Kopfgeldjägern, die ebenfalls ihr Stück vom Kuchen abhaben möchten.

Kritik: 

„Es war einmal …“ 

Mit diesen Worten beginnt John Macleans cineastische Heldenreise SLOW WEST – ein mythisch aufgeladener Einstieg, der bereits erahnen lässt, dass die folgenden 90 Minuten trotz ihrer eindeutigen Western-Deklarierung eher weniger den typischen Genre-Regeln einer gewöhnlichen Pferdeoper gehorchen werden. Und in der Tat schildert das Langzeit-Debüt des in Schottland zur Welt gekommenen Regisseurs seine Ereignisse in einem leicht märchenhaft angehauchten Duktus, der die durchaus stattfindenden bekannten Elemente des klassischen Wildwest-Abenteuers in ein erfrischend unkonventionelles Licht taucht. Besagte Einleitung wird gesprochen von Michael Fassbender, der hier neben seiner darstellerischen Funktion als leicht zwielichtiger Draufgänger Silas Selleck auch als erzählerische Instanz für das Publikum fungiert und mit dezentem Schwermut und verträumter Nuance von seiner Bekanntschaft mit dem noch jugendlichen Jay Cavendish berichtet und von der Reise, welche beide im Anschluss unternehmen und die sie für immer verändern wird.

Bereits der Titel deutet an, dass Freunde schneller Schnitte und hastiger Narration dabei nicht unbedingt auf ihre Kosten kommen werden. Mag der von Maclean erschaffene Westen bisweilen auch mal ein wenig wild sein, in erster Linie herrscht in ihm, ungeachtet aller inneren und äußeren Konflikte, eine entspannt-meditative Langsamkeit. Trotz gelegentlicher Schusswechsel verzichtete man auf ausufernde Actionfeste und rückte stattdessen den zwar etwas vorhersehbaren, aber dennoch fein ersponnenen Entwicklungsprozess der Charaktere in den Fokus, insbesondere den der eigentlichen Hauptfigur Cavendish. Der käsegesichtige, aus privilegiertem Hause stammende Jüngling passt in den rauen Westen zunächst wie Frischluft in die Mottenkiste, und sein ungelenkes Hantieren mit dem Schießeisen erntet, sofern überhaupt beachtet, höchstens hämisches Gelächter. Der Gegensatz zum harten Hund Selleck könnte größer kaum sein, und doch sind die beiden aufeinander angewiesen. Die Idee, aus dem anfänglichen Abhängigkeitsverhältnis zunächst eine zarte Freundschaft, später dann gegenseitigen Respekt entstehen zu lassen, ist weder neu noch originell, wirkt hier jedoch, als hätte sie nie zuvor existiert.

'Ho! To the West' – Auf in den Westen! So lautet der Titel des Buches, das Cavendish zu Beginn am Mann trägt und das später symbolischerweise Opfer einer heftigen Naturgewalt wird. Der kindliche Einfaltspinsel, der arg- und bedingungslos seiner großen Liebe in ein gefährliches Land folgt, kennt das ungeschliffene Leben zunächst nur aus Ratgebern und glaubt, damit im Fall der Fälle ausreichend gewappnet zu sein. Doch die Realität holt ihn im Laufe der Zeit gleich in mehrerer Hinsicht ein, denn so wenig ihm seine Lektüre in der Anwendung tatsächlich nützt, so sehr ist auch der Traum, dem er hinterherjagt, lediglich ein schönes Trugbild, eine Nachwirkung verblassender Erinnerung. Eine anfängliche Rückblende zeigt Cavendish und seine Auserwählte bei der noch sorglosen Balz, beim harmlos-neckischen Kinderspiel der Marke 'Peng! Peng! Du bist tot!' - ein romantischer Augenblick zwar, doch allzu offenkundig gleichzeitig auch böser Vorbote für kommende Geschehnisse. Denn seine Reise konfrontiert den Jungen mit zuvor ungeahnter Grausamkeit (die trotz sichtbaren Blutflusses nicht graphisch explizit, sondern emotional ans Publikum gebracht wird), was sein Weltbild erschüttern lässt und ihn eine Zeitlang mit seinem Begleiter entzweit.

Sein anschließender Alleingang ist (wie auch der Rest von SLOW WEST) geprägt von subtiler Komik und einem Hauch des Surrealen, der vor allem durch teils ungewöhnliche Bilder und absurd anmutende Momente gestützt wird. So fängt Macleans Kameramann Robbie Ryan [→ FISH TANK] manche Szenen aus geradezu grotesk verwinkelter Perspektive ein, während das Skript dazu ein paar ziemlich skurrile Situationen kreiert. Cavendishs Begegnung mit einem Intellektuellen und ihre hintergründige Abhandlung, ausgetragen auf zwei Stühlen sitzend, mutterseelenallein auf weiter Flur, weckt gar Erinnerungen an die schrägen Szenarien eines Terry Gilliam oder Alejandro Jodorowsky. Glücklicherweise übertreibt es Maclean nicht mit solchen Motiven, das hätte seiner Geschichte, die im Kern doch sehr weltlich und erdgebunden daherkommt, am Ende womöglich geschadet. Stattdessen präsentiert er immer wieder auch prächtige Landschaften, welche, in ausladendem Breitbild serviert, in ihrer Erhabenheit die Verwurzelung der Vorkommnisse in der Wirklichkeit betonen und gleichzeitig die eigentliche Kleinheit des menschlichen Daseins anschaulich demonstrieren.

Weniger klein, dafür aber von angenehm uneitler Zurückhaltung, sind die Leistungen der überaus passend besetzten Darsteller. Für Kodi Smit-McPhee [→ THE ROAD] war es die erste große Rolle, und er meisterte sie mit Bravour. Sein Jay Cavendish wirkt ungemein authentisch, nicht nur wegen seines tatsächlich noch jugendlichen Alters, sondern vor allem aufgrund der trotz diesen Umstands bereits vorhandenen Souveränität seines Schauspiels. An seiner Seite bildet Michael Fassbender [→ PROMETHEUS] einen gelungenen Gegenpart, der als sattelfester Vagabund Silas Selleck mit seiner Abgebrühtheit und zweifelhafter Moralvorstellung noch am ehesten dem bekannten Western-Helden entspricht (zumindest dem Anti-Helden italienischer oder späterer amerikanischer Herkunft). Ben Mendelsohn [→ LOST RIVER] gibt dazu als Kopfgeldjäger Payne abermals den schrägen Vogel vom Dienst und erschafft eine undurchsichtige Gestalt zwischen drohender Gefahr und harmloser Belustigung. Und in der Rolle von Cavendishs Wunschobjekt Rose Ross (so muss man erstmal heißen!) sieht man die Neuseeländerin Caren Pistorius, die zuvor nicht weiter auffiel, hier jedoch die Bandbreite von zart bis hart zufriedenstellend abdeckt. 

SLOW WEST zelebriert auf langer Strecke die Kunst der Entschleunigung und verlangt daher von seinem Publikum ein Mindestmaß an Geduld. Diese macht sich allerdings bezahlt, entwickelt das Werk doch gerade durch sein gedrosseltes Tempo eine gewaltige Wucht, bis sich am Ende alles in verblüffender Leichtigkeit zusammenfügt. Dabei kann man Macleans beachtlichen Leinwand-Erstling auch als Allegorie auf die Formung Amerikas begreifen: Der Schotte Jay Cavendish steht sinnbildlich für die arglosen Europäer, die in den Westen kamen, um dort buchstäblich ihr Glück zu suchen; Silas Selleck ist Ire, ebenfalls ein Zugereister, doch bereits firm genug mit Sitten und Gebräuchen, um sich keiner Träumerei mehr hinzugeben; und Kopfgeldjäger Payne ist letztendlich tatsächlich waschechter Amerikaner, doch die durchtriebenste Person von allen, stets auf eigenen Vorteil bedacht und ohne jede verbliebene Illusion. Naive Unschuld trifft auf bodenständige Lebenserfahrung, der Glaube an das Gute auf bittere Wahrheit. Zwei Welten prallen aufeinander, was schließlich in einem mit zynischem Spott garnierten Showdown gipfelt, in einem Kugelhagel, dessen elegische Eleganz der Inszenierung an das Finale von Johnny Tos EXILED erinnert (der ja letztendlich auch nichts anderes als ein verkappter Western war). Alle Wünsche und Hoffnungen werden von der Realität eingeholt und die Teenager-Träume werden begraben unter einem Berg aus Blei und Blut. Das Märchen ist vorbei. 

Laufzeit: 84 Min. / Freigabe: ab 12

Donnerstag, 11. Juni 2015

JURASSIC WORLD


JURASSIC WORLD
USA 2015

Regie:
Colin Treverrow

Darsteller:
Chris Pratt,
Bryce Dallas Howard,
Ty Simpkins,
Vincent D'Onofrio,
Judy Greer,
BD Wong,
Omar Sy,
Irrfan Khan



Inhalt:

Vor vielen Jahren träumte Multimillionär Joe Hammond von einem einzigartigen Themen-Park – dem 'Jurassic Park' -, der das Publikum mit genetisch nachgezüchteten Dinosauriern begeistern sollte. Doch das Projekt schlug fehl: Bei Überprüfung der Anlage gelang es den Riesenechsen, sich aus ihren Gefängnissen zu befreien und ein Massaker anzurichten. 22 Jahre später ist Hammonds Vision dennoch längst Wirklichkeit geworden: 'Jurassic World' ist ein monumentales Luxus-Resort für die ganze Familie. Da dem Publikum jedoch simple Dinosaurier mittlerweile nicht mehr ausreichen, erschafft man inzwischen auch gefährliche Gen-Manipulationen. Einer von ihnen gelingt eines Tages die Flucht. Parkleiterin Claire [Bryce Dallas Howard] ist alles daran gelegen, eine Panik zu vermeiden und holt den Militärexperten Owen [Chris Pratt] ins Rettungsteam. Doch da gibt es auch noch den skrupellosen Vic Hoskins [Vincent D'Onofrio], der in den Züchtungen in erster Linie effektive Kriegswaffen sieht und seine eigenen Pläne hat.

Kritik:

„Gibt es in Ihrem Dinosaurier-Park auch irgendwann mal einen Dinosaurier zu sehen?“, fragte Jeff Goldblum einst sarkastisch in Richtung Kamera, um akute Reptilien-Knappheit zu bekunden. Dieses Problem hat Chris Pratt in JURASSIC WORLD nun freilich nicht mehr. 

JURASSIC PARK war 1993 eine Sensation. Nie zuvor sah man solch realistisch wirkende CGI-Kreationen auf der Leinwand. In Verbindung mit dem wohl niemals aussterbenden Dinosaurier-Hype, cleverem Marketing-Kalkül und Steven Spielbergs gekonnter Spannungs-Dramaturgie entstand so ein überwältigender Kassenerfolg, der sich völlig zurecht als Meilenstein in der Geschichte der visuellen Effekte rühmen darf. Dabei lag die eigentliche Attraktion des Monster-Märchens sogar in dem Umstand begründet, dass es de facto nur verhältnismäßig wenig Riesenechsen-Auftritte zu sehen gab und das Puls-Barometer daher in erster Linie durch freudige Erwartungshaltung nach oben getrieben wurde. Die Tatsache, dass die Computer-Trickserei trotz allem immer noch in den Kinderschuhen steckte und man somit gar nicht in der Lage war, ausufernde Pixel-Gewitter auf das Publikum loszulassen, gereichte JURASSIC PARK in dramaturgischer Hinsicht somit also nur zum Vorteil. Das verdeutlichte bereits die vier Jahre später ebenfalls von Regisseur Spielberg auf den Weg gebrachte Fortsetzung, die nun in tricktechnischer Versiertheit ganze Horden mörderischer Bestien aus dem Rechner zauberte, dabei jedoch hauptsächlich Trübsal fabrizierte. 

JURASSIC WORLD, nach der 2001 entstandenen Restideen-Verwertung JURASSIC PARK 3 der vierte Teil der Saga, macht aus der Not eine Tugend und verarbeitet das Dilemma des Fortschritts bereits im Dialog: In den 90ern war der Anblick eines lebenden Dinosauriers noch eine Sensation, so erklärt Bryce Dallas Howard als Parkleiterin Claire zu Beginn, mittlerweile allerdings sei es schlichtweg nichts Besonderes mehr. Amüsante Selbstreferenzen wie diese sind es, die das Drehbuch teilweise überraschend vielschichtig machen, hagelt es doch zudem auch augenzwinkernde Kritik am gemeinen Höher-, Weiter-, Schneller-Publikum, das immer spektakulärere Attraktionen braucht, um befriedigt nach Hause gehen zu können – ein ebenso schöner wie gelungener Seitenhieb auf Hollywood, seine Anhänger und die eigene Zwangslage, unbedingt etwas Neues und Größeres erschaffen zu müssen. Dem Anliegen wird dann auch fleißig Rechnung getragen. So dient der ‚Weiße Hai‘, einst in einer weiteren legendären Spielberg-Produktion noch als ultimative Bedrohung Angst und Schrecken verbreitend, hier gerade mal noch als leckeres Appetithäppchen für den noch viel gewaltigeren Mosasaurus.

Fans des Originals dürfen sich an mehreren Anspielungen und Verweisen erfreuen, tauchen doch etliche Utensilien und Motive wieder auf, sei es in Form von Fahrzeugen, Sichtgeräten oder T-Shirt-Logos. Wo sich JURASSIC PARK allerdings noch einen wissenschaftlichen Anstrich verpasste und auf den gruseligen Schauder der möglichen Machbarkeit setzte, versuchte man hier nicht mal im Ansatz, so etwas Ähnliches wie Plausibilität zu erzeugen: Das Zauberwort ‚Gen-Manipulation‘ dient hier als profane Dauer-Erklärung für jede noch so abstruse Eigenschaft der selbstgezüchteten Wunder-Dinos, die sich zur Not auch in einen chamäleonartigen Tarnmodus versetzen können (es aber seltsamerweise nicht tun, wenn es wirklich mal sinnvoll wäre). So clever das Skript auf der Meta-Ebene konstruiert wurde, so einfallslos ist es dann auch im Abarbeiten seiner einzelnen Stationen: Die Helden geraten in Bedrängnis, entkommen in letzter Sekunde, verschnaufen kurz und sondern Weisheiten ab, bevor das Spiel von Neuem beginnt. Das war zwar im Original kaum anders, doch bot dieses auch Figuren, denen man dabei folgen wollte. Obwohl Chris Pratt durchaus als Sympathieträger taugt und Bryce Dallas Howard in manchen Momenten ganz entzückend ist, solch schillernden Charakteren wie Ian „Jeff Goldblum“ Malcolm oder Alan „Sam Neill“ Grant werden sie in keinem Augenblick gerecht.

Dass die obligatorischen Kinder im diesem Falle mal keine besserwisserischen Nervensägen sind, darf hingegen schon fast als ein Novum innerhalb der Reihe bezeichnet werden. Abgesehen davon, dass sie sich aus eigenem Antrieb sinnlos in Gefahr begeben und somit selbst Schuld daran sind, dass sie die meiste Zeit mutterseelenallein als potentieller Dino-Happen die Beine in die Hand nehmen müssen, sind die beiden Jungs doch sehr angenehme Zeitgenossen, denen man das Gelingen ihrer Flucht auch tatsächlich wünscht. Dass man ihren Handlungsstrang dazu nutze, einmal mehr in typisch amerikanischer Haudrauf-Manier die Bedeutung von Familie und Zusammenhalt zu idealisieren, ist hingegen weitaus weniger erbaulich und treibt zudem arg seltsame Blüten. So bricht einer der Brüder aus heiterem Himmel in Tränen aus, da die Eltern mit Scheidungsplänen kokettieren. Dieser Moment wirkt schon allein deshalb so absurd, weil man als Zuschauer davon zu diesem Zeitpunkt das allererste Mal hört und es einem zudem auch völlig gleichgültig ist, hatte besagtes Elternpaar bis dahin doch gerade mal ein paar Minuten Leinwand-Präsenz. Da der derselbe Bengel sich nur kurz zuvor noch quietschvergnügt gab (und es auch im Anschluss wieder tut) und sich das Thema am Ende quasi sang- und klanglos wieder in Rauch auflöst, wirkt es fast, als habe man eilig noch ein paar Szenen nachgedreht, um zusätzlich eine pädagogische Botschaft mit auf den Weg geben zu können.

Dem Kinde nicht unähnlich unterliegt allerdings auch ganz JURASSIC WORLD so einigen Stimmungsschwankungen; das vorherrschende Klima wechselt oftmals etwas planlos zwischen heiter, heftig und bedrohlich. Im einen Augenblick befindet man sich noch in panischer Sorge um die vermissten Schützlinge, im nächsten trauert man bar jeder Konsequenz um ein paar dahinsiechende Brachiosaurier. Zudem bereitete es merklich Schwierigkeiten, die gegenständliche Katastrophe, die immerhin vielen Menschen das Leben kostet, so darzustellen, dass sie immer noch als Familien-Unterhaltung zu gebrauchen ist. Die Attacken der riesigen Reptilien treffen daher überwiegend negativ gezeichnete Figuren oder bleiben ohne sichtbare Folgen, entweder, weil verschämt weggeblendet oder die Situation der Komik geopfert wird. Auch inhaltlich vermisst man ein wenig eine klare Linie; viele Ideen werden angerissen, aber ungenügend zu Ende geführt. Wenn man den Kreaturen mit schwerem Geschütz und Artillerie zu Leibe rückt, dann verspricht das eine großartige Action-Sequenz, ein paar Minuten später jedoch ist bereits alles schon wieder ohne bleibende Eindrücke vorbei. Zu allem Überfluss wirkt auch der Plan des Oberschurken Hoskins [Vincent D'Onofrio] nicht wirklich zufriedenstellend ausgearbeitet und will nicht mal im Rahmen dieser realitätsfernen Fantasiewelt einen rechten Sinn ergeben.

Der im Titel etwas prahlerisch behaupteten Expansion von ‚Park‘ auf ‚Welt‘ wird JURASSIC WORLD letztendlich weder in lokaler, noch in qualitativer Hinsicht gerecht. Dass an der banalen Story sage und schreibe gleich vier Autoren herumdoktorten, ist im Prinzip ein schlagender Beweis dafür, dass sich seit 1993 zwar die Technik weiterentwickelt hat, die Fantasie der Drehbuch-Schreiber hingegen weniger. Gleichwohl handelt es sich dennoch um eine passable Weiterführung des Themas, was vor allem daran liegt, dass es dem Team um Regisseur Colin Treverrow trotz ihres hanebüchenen Inhalts gelungen ist, Geist und Gestalt des Originals bestmöglich zu imitieren. Wenn John Williams Ohrwurm-Fanfare erklingt und die Kamera über das ausschweifende Gelände fliegt, hat man das Gefühl, zwischen Teil 1 und 4 sei quasi gar keine Zeit vergangen – obwohl man an vertrauten Gesichtern lediglich BD Wong als Dr. Wu hinüberretten konnte. Überraschungen erlebt man dabei freilich eher selten – wenn auch nicht jede Sympathiefigur das Spektakel tatsächlich überlebt. Dafür serviert das Finale dann noch mal eine versöhnliche Portion Dino-Action, um Defizite aus der Mitte vergessen zu machen. JURASSIC WORLD ist gewiss kein Meilenstein mehr, aber blitzsauber produziertes Unterhaltungs-Kino, das seine beiden misslungenen Vorgänger mit Leichtigkeit in die Tasche steckt. 

Laufzeit: 124 Min. / Freigabe: ab 12

Montag, 8. Juni 2015

AGENT 3S3 KENNT KEIN ERBARMEN


AGENTE 3S3: PASSAPORTO PER L'INFERNO
Italien 1965

Regie:
Sergio Sollima

Darsteller:
George Ardisson,
Barbara Simon,
Georges Rivière,
Seyna Seyn,
Franco Andrei,
Liliane Fernani,
José Marco,
Fernando Sancho



Inhalt:

Agent Walter Ross [George Ardisson], Codename 3S3, erhält einen neuen Auftrag von der amerikanischen Regierung: Er soll sich das Vertrauen einer in Österreich lebenden jungen Dame namens Jasmine von Witheim [Barbara Simon] erschleichen. Grund: Ihr Vater, vom Geheimdienst stets nur „Mr. A“ genannt, leitet eine gefährliche Verbrecherorganisation, ist aber seit geraumer Zeit verschwunden. Da das Zielobjekt sehr hübsch ist, kann sich Ross natürlich schlechtere Aufträge vorstellen, zumal es explizit heißt: „Es steht dir frei, sie zu verwöhnen, auszuführen und zu beschenken – wenn es sein muss, heirate sie.“ Tatsächlich fällt es ihm auch nicht weiter schwer, an sie heranzukommen. Allerdings weiß auch Jasmine, die von den Untaten ihres Vaters nichts ahnt, ebenfalls nicht, wo sich die Zielperson aufhält. Der Organisation ist das plötzliche Auftauchen 3S3s indes nicht entgangen und schickt umgehend ihre Killer los.

Kritik:

Hätte es James Bond nicht gegeben, so manch kantengesichtiger Schauspieler wäre in den 60er Jahren arbeitslos gewesen. Da Sean Connery 1962 aber hocherfolgreich das Rätsel um DR. NO lösen konnte, schossen die Leinwand-Agenten plötzlich wie Pilze aus dem Boden, um die westliche Zivilisation das ein ums andere Mal vor dem sicheren Untergang zu bewahren. Vor allem in Italien hatte man wenig Scheu davor, auf den kassenträchtigen Spionage-Zug aufzuspringen, weswegen viele der Weltenretter trotz ihres vermeintlich englischen Namens inkognito im Auftrag des Stiefellandes unterwegs waren. Giorgio Ardisson war einer davon. Und um ihn als amerikanischen Staatsbürger durchgehen zu lassen, verschleierte man seine Herkunft – wie es damals eben üblich war – durch den anglisierten Decknamen George. Das ist zwar nicht besonders originell, aber das gilt ja auch für die gesamte Produktion, die ohne nennenswerte inhaltliche Innovation die bewährten Erfolgsformeln abarbeitet und sich dabei gar nicht großartig Mühe gibt, als etwas anders zu erscheinen als das simple Plagiat eines übergroßen Vorbilds.

Ardisson ist dann auch eindeutig nicht aufgrund darstellerischer Überzeugungskraft an die Hauptrolle gekommen, sondern hauptsächlich aufgrund seines Äußeren, das rein optisch dem Rollenklischee der 60er Jahre voll und ganz entsprach. Selbst, wenn man nicht wüsste, dass man es bei seinem Walter Ross mit einem Geheimagenten zu tun hat, allein sein Aussehen verriete ihn auf Anhieb. Tatsächlich ist er hier auch eigentlich gar nicht wirklich geheim unterwegs, denn sein Feind weiß im Nu um seine Person und beginnt unmittelbar nach dessen erstem Auftauchen mit den üblichen komplizierten Vernichtungsmaßnahmen. Wenig überraschend: Sie schlagen allesamt fehl – was einigen Schergen der Gegenseite den Kopf kostet. Die Bezirzungsversuche seitens 3S3 (denn natürlich führt seine Mission über die Vertrauensgewinnung einer jungen Dame) sind hingegen umgehend von nötigem Erfolg gekrönt – mehr als eine steif choreographierte Kneipenschlägerei (natürlich stilecht vollzogen in Anzug und Krawatte) braucht es nicht, um nachhaltigen Eindruck bei der holden Weiblichkeit zu schinden.

Es sind diese liebgewonnen Stereotypen, die AGENT 3S3 (tolles Kürzel übrigens, kann sich garantiert niemand merken) ein solch heimeliges Gefühl verleihen, und tatsächlich läuft alles in genau den rustikalen Bahnen, die man auch erwartet. Selbstverständlich geht es dabei trotz angeblicher Großgefahr mal wieder urgemütlich zu: Es wird geschäkert, geliebt und gescherzt, als befände man sich statt auf Freiheitsmission im Sommerurlaub, während die Schlägereien mit den brutalen Schergen der Gegenseite an arglose Sandkastenbalgereien erinnern. Ohnehin erscheint der Kontrahent nur wenig bedrohlich, was auch damit zusammenhängt, dass man sich irgendwie nicht wirklich auf einen Hauptgegner einigen konnte, und daher ein wirklicher Bezug fehlt (zumal auch Art und Motivation der Schandtaten nicht so klar ersichtlich sind – der Feind muss hier in erster Linie vor allem deshalb vernichtet werden, weil er eben der Feind ist). So ist das Geschehen dann auch alles andere als aufregend, und selbst die einzige Szene, die man im Ansatz als Actionszene bezeichnen könnte, – ein motorisierter Mordanschlag auf den Titelhelden – verführt niemanden zum Nägelknabbern.

Ardisson ist kein großartiger Schauspieler, macht seine Sache als B-Bond aber gut und dem tiefergelegten Niveau-Pegel angemessen. Der in Turin geborene Mime begann seine Karriere in kostengünstigen Sandalen-Schinken und dürfte für die Rolle als Frauenschwarm und Ganovenschreck dankbar gewesen sein. Die große Karriere blieb ihm anschließend dennoch verwehrt; das deutsche Publikum durfte ihn später immerhin noch als Western-Ikone 'Django' in DJANGO – DEN COLT AN DER KEHLE erleben (auch, wenn der dort verkörperte Revolverheld im Original gar nicht Django hieß). Als schutzbedürftiges Mägdelein sieht man an seiner Seite Barbara Simon, die nur selten auf der Leinwand zu Gast war, dabei unter anderem in DJANGO UND DIE BANDE DER GEHENKTEN neben einem „echten“ Django, dargestellt von Terence Hill. Simon muss hier eigentlich nur hübsch aussehen, was ihr auch im ansprechenden Maße gelingt – freilich ohne dabei vollends zu begeistern. Auch auf Schurken-Seite gibt es keine Glanzleistungen zu vermelden, zumal die konturlos gezeichneten bösen Buben ohnehin fast nur reines Kanonenfutter sind. In den Nebenrollen fallen mit Fernando Sancho [→ EINE PISTOLE FÜR RINGO] und Sal Borghese [→ EIN TURBO RÄUMT DEN HIGHWAY AUF] immerhin noch zwei bekannte Gesichter des Italo-Kinos auf.

Mal abgesehen von dem schmissigen Titelsong (der – auch keine sonderlich große Überraschung – vor nett gemachtem James-Bond-Gedächtnis-Vorspann abgespielt wird), ist die musikalische Begleitung eher verunglückt und erinnert überwiegend an jahrmärktliche Leierkasten-Beschallung. Atmosphärisch gelungen geriet hingegen die Anfangsszene, in welcher eine Frau in panischer Angst durch die Nacht flüchtet – eine stimmige Eröffnung, die an einen klassischen Horrorfilm-Moment erinnert und schließlich zwar absehbar, aber schön makaber aufgelöst wird. Das Versprechen, das diese Sequenz gibt, kann das nachfolgende Abenteuer freilich nicht einhalten – dazu fehlt es einfach zu sehr an Spannung, Dramatik und Kreativität. Das ist eigentlich erst dann erstaunlich, wenn man sich ansieht, wer hier das Regie-Zepter in der Hand hielt: Sergio Sollima wurde nachfolgend zu einem von den Kritikern sehr geschätzten Mann und inszenierte nur kurze Zeit später die Western-Meisterwerke DER GEHETZTE DER SIERRA MADRE, VON ANGESICHT ZU ANGESICHT und LAUF UM DEIN LEBEN sowie den exzellenten Noir-Thriller BRUTALE STADT. Von der Großartigkeit dieser Bravourstücke ist hier noch rein gar nichts zu spüren; die Agenten-Soße rinnt zwar geschmeidig, bleibt jedoch eine eindeutige Billig-Produktion ohne besondere Ambition.

Der deutsche Titel ist natürlich viel zu reißerisch, ist 3S3 doch nicht mal im Ansatz die kalte Killermaschine, die einem hier angekündigt wird. Doch auch der Originaltitel übertreibt nicht minder: Walter Ross löst hier keineswegs eine Eintrittskarte zur Hölle, sondern vielmehr zu gediegener Sonntagsnachmittags-Unterhaltung für Freunde nostalgischer Leinwand-Erlebnisse. Und für die lohnt sich die Reise trotz fehlender Aufregungen dennoch. Und da sich Agent 3S3 im Anschluss immerhin noch auf eine weitere Mission begeben durfte (für das deutsche Publikum sogar noch auf noch eine mehr, weil man ein anderes Ardisson-Vehikel kurzerhand zum Walter-Ross-Auftritt umfunktionierte – was mit Django geht, geht mit 3S3 schon lange), zahlte sich die Nummer wohl auch hinreichend aus. Es sei gegönnt. 3S3 mag zwar nur ein laues Lüftchen sein, an manch heißem Sommertag jedoch ist ein laues Lüftchen genau das, was man gerade braucht.

Laufzeit: 94 Min. / Freigabe: ab 16

Dienstag, 2. Juni 2015

TOKYO TRIBE


TOKYO TRIBE
Japan 2014

Regie:
Shion Sono

Darsteller:
Ryôhei Suzuki,
Young Dais,
Shôta Sometani,
Shunsuke Daitô,
Denden,
Riki Takeuchi,
Shôko Nakagawa,
Yôsuke Kubozuka



„Tokyo Tribe. Never ever die.“


Inhalt:

Tokio, nahe Zukunft: Die Stadt wird von verschiedenen Clans beherrscht. Manche davon sind eher friedlicher Natur, andere hingegen gewalttätig und kriegerisch. Zu den schlimmsten der letzten Sorte zählen die brutalen 'Bukuro Wu-Ronz', deren dekadenter Boss Buppa [Riki Takeuchi] die einzelnen Stämme immer wieder gegeneinander aufhetzt, um sich seine Macht zu sichern. Eines Tages gerät dessen Schützling Mera [Ryohei Suzuki] in eine Auseinandersetzung mit Tera [Ryûta Satô], der bei allen Stämmen sehr beliebt ist, und tötet ihn versehentlich. Die Tat löst ein erdbebenartiges Echo aus: Die restlichen Gangs der Stadt vergessen ihre Streitigkeiten und rotten sich zusammen, um Bubbas Imperium zu vernichten. Dieser wiederum schickt die Waru, eine Armee von Freiwilligen, in den Kampf. Und mittendrin in dem Tumult befindet sich die junge Sunmi [Nana Seino], die gern ihre Unschuld verlieren würde, da ihr jungfräuliches Blut von einem Hohepriester zugunsten der Götter vergossen werden soll.

Kritik:

Der japanische Regisseur Shion Sono machte die breite Masse das erste Mal im Jahre 2001 auf sich aufmerksam, als er seinem SUICIDE CIRCLE eine der wohl schockierendsten Eröffnungsszenen überhaupt verpasste und so beim Publikum für einen nachhallenden Knalleffekt sorgten konnte. Dem hintergründigen Schulmädchen-Massaker folgten dann unter anderem der rauschartige Alptraum-Trip STRANGE CIRCUS [2005] und das ausladende, vierstündige Liebes-Epos LOVE EXPOSURE [2008], welche seinen Ruf als bizarren Ausnahme-Künstler erfolgreich zementierten. Mit dieser Reputation im Rücken inszenierte er 2014 schließlich TOKYO TRIBE, die Verfilmung einer besonders in ihrem Heimatland sehr beliebten Manga-Vorlage, und entfesselte dabei einen exorbitanten Bildersturm, der vor ausgeflippter Extravaganz und schriller Attitüde fast überkocht und einen zwei Stunden lang in eine wilde Welt des Wahnsinns entführt. Denn die feindlichen Stämme, die hier gegeneinander in den Krieg ziehen, führen ihren Konflikt in erster Linie nicht mit Waffen aus, sondern mit Worten. Sie rappen.

TOKYO TRIBE treibt die Idee eines parallelen Hip-Hop-Kosmos' dabei auf die Spitze: Fast der gesamte Text wurde ins Versmaß übertragen, die Darbietung desselben mit wummerndem Dauer-Bass unterlegt. Das Ergebnis präsentiert sich als apokalyptisch angehauchte Abart der WEST SIDE STORY, als gigantische Rap-Oper, bei der ständig alles in Bewegung und im Rhythmus ist und keine Kugel und kein Schwert jemals auf die Idee käme, außerhalb des Takts ins Ziel zu treffen. Und auch der Zuschauer ist bereits nach wenigen Minuten voll und ganz im Flow und wippt den Fuß zum Beat des Bandenkriegs. Bereits die Eröffnungsszene, eine ausschweifende Plansequenz durch das Ghetto Shibuyas (inklusive rappender Oma am Plattenteller), welche die ersten Clans und Charaktere vorstellt (ein Job, der später von einem Bandenchef per Messer auf nacktem Frauenleib fortgesetzt wird), saugt einen hinein in dieses fremde Universum aus Gesang und Gewalt, das nie zur Ruhe kommt und stets im Schwung bleibt. Und mittendrin zelebriert Sono ausgiebig die eigene Skurrilität und erschafft einen ins Rotlicht getauchten Orkan aus Kunst und Kampf.

Der Überschuss an Eindrücken und Ereignissen ist zu Beginn enorm, und es dauert ein wenig, bis man sich zurechtfindet und alles korrekt einordnen kann. Dann aber kann man sich kaum sattsehen und -hören an der Fülle verrückter Figuren und fideler Flausen: Menschen als Möbelstücke, Muskelmänner im Stringtanga, Jungfrauen auf der Suche nach Sex, um nicht den Göttern geopfert zu werden, und altehrwürdige Hohepriester mit langem Zauselbart, die sich per Videokonferenz zuschalten und lauthals „Muthafuckaz“ rufen. Dazu kommen riesige Ventilatoren mit rotierenden Rasierklingen und computeranimierte Panzer, die Tokios Straßen zu Klump ballern. Und über allem thront Riki Takeuchi als wie besessen grimassierender Kannibale, der sich einen ganzen Hühnerstall an Haremsdamen hält und sich wie ein kleines Kind darüber freut, wenn er mit der Gatling Gun ein infernales Gemetzel anrichten darf. Die Comic-Vorlage ist bei all dem unübersehbar und gilt zudem als ausreichende Legitimation für die eigene Exzentrik. Denn natürlich bestünde eigentlich gar kein Grund, für eine im Prinzip sehr simple Geschichte so ausufernd auf die Kacke zu hauen. Aber man sieht doch gern dabei zu, zumal hier Witz und Ironie aus jeder Pore tropfen. Alberne, in der Szene dennoch weitverbreitete Vorstellungen von maximal möglichem Männlichkeitsbeweis (auf die Länge kommt es an!) werden hier ebenso aufs Korn genommen, wie vorgebliche Kultur-Experten, die populäre Zitate für die Originale halten: Als eine der Protagonistinnen die Szenerie kurz verlässt, um danach im gelben Trainingsanzug wiederzukommen, meint ihr Gegner selbstsicher: „'Kill Bill', richtig?“ „Nein“, antwortet die Dame abschätzig, „ich bin Bruce.“

Aufgrund des Umstands, dass auf eine klare Identifikationsfigur verzichtet wurde, muss sich TOKYO TRIBE freilich den Vorwurf einer gewissen Spannungslosigkeit gefallen lassen. Es gibt quasi keinen herausstechenden Charakter, dem man seine Sympathien entgegenbringen könnte, keine Person, mit der man in irgendeiner Weise mitfiebern möchte. Auch die Frage, worin eigentlich der große entscheidende Unterschied zwischen den rivalisierenden Gangs besteht und warum die sich so inbrünstig bekriegen, muss unbeantwortet bleiben. Hier geht es nicht um Individualitäten, nicht um ein umfassendes Verständnis, hier geht es um die reine Attraktion. Die Darsteller dafür suchte sich Shion Sono unter anderem auch in der japanischen Rapper-Szene und über ein YouTube-Casting, was für ein authentisches „Straßen-Gefühl“ sorgt. Lediglich Riki Takeuchi war zu dem Zeitpunkt bereits ein etablierter Name, stand er doch beispielsweise auch auf der Besetzungsliste von BATTLE ROYALE 2 oder der DEAD OR ALIVE-Trilogie.

Shion Sonos von grellbunter Endzeitstimmung (die teilweise auch Assoziationen zu Klassikern wie DIE KLAPPERSCHLANGE oder fast mehr noch zu dessen Epigonen wie THE RIFFS zulässt) durchzogenes „Yakusical“ gebärdet sich wie eine pubertierende Mischung aus Baz Luhrmanns ROMEO UND JULIA, Anne Fletchers STEP UP und Takashi Miikes CROWS ZERO. Die dazu abgefeuerte Action ist zwar blutig, aufgrund der vorherrschenden Ausgeflipptheit aber nicht im Mindesten ernstzunehmen. Kung Fu, Schwertkampf und Schusswechsel ergänzen die auf den Straßen ausgetragenen Schlägereien per Faust und Fuß und machen TOKYO TRIBE zu einer wahrlich orgiastischen Unterhaltungs-Bombe, die auch für Leute zu empfehlen ist, die ansonsten nichts mit Hip Hop am Hood … ääh … Hut haben.

Laufzeit: 120 Min. / Freigabe: ab 16

Montag, 1. Juni 2015

DIE MAFIA MORDET NUR IM SOMMER


LA MAFIA UCCIDE SOLO D'ESTATE
Italien 2013

Regie:
Pierfrancesco Diliberto

Darsteller:
Pierfrancesco Diliberto,
Cristiana Capotondi,
Alex Bisconti,
Ginevra Antona,
Claudio Gioè,
Barbara Tabita,
Rosario Lisma,
Enzo Salomone



Inhalt:

In den 70er Jahren in Palermo geboren und aufgewachsen, ist der junge Arturo quasi von Beginn an umgeben von den Verbrechen der Mafia. Sich von seinen Eltern unverstanden fühlend, ernennt er stattdessen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti zu seinem Idol. Als er sich in seine Schulkameradin Flora verliebt, versucht er mit allen möglichen Mitteln, sie zu beeindrucken – aber stets kommen ihm entweder ein arroganter Nebenbuhler in die Quere oder schicksalhafte Ereignisse, die auf das Konto der Mafia gehen. Der Drang nach besserem Verständnis für die Beziehungen zwischen der Verbrecherorganisation und der Politik seines Landes wird für ihn zu einer Art kleiner Obsession, weswegen er – angestachelt von einem bei ihm in der Nachbarschaft wohnenden Journalisten - zu Block und Stift greift und sich auf kindlich-forsche Art erfolgreich zu namhaften Politikern und Gesetzeshütern durchfragt.

Kritik:

Palermo, die Hauptstadt Siziliens, galt schon immer als Hochburg der Mafia und war damit im Laufe ihrer Geschichte wiederholt Schauplatz brutaler Anschläge und blutiger Exekutionen. In den 80er Jahren tobte zwischen mehreren verfeindeten Clans ein rücksichtsloser Bandenkrieg, der einer Menge Menschen den Tod brachte und die Anzahl noch lebender Mafiosi erheblich schrumpfen ließ. Einer der größten Nutznießer dieser Ereignisse war Totò Riina, der sich im Anschluss die Kontrolle über die Organisation sichern konnte und in dessen Auftrag nun auch vermehrt Staatsdiener aus den Bereichen Justiz, Politik und Polizei ermordet wurden. Als Reaktion darauf wurden die Anstrengungen zur Verbrechensbekämpfung drastisch erhöht, was mehrere offizielle Mafia-Jäger hervorbrachte – die natürlich allesamt auf der Abschussliste standen und deshalb oftmals nicht an Alterschwäche starben. Terror- und Gewaltakte gehörten somit (speziell in den 70er und 80er Jahren) für die Bürger Palermos quasi zum Alltag. Im Jahre 2013 kam der in Italien sehr bekannte und politisch engagierte Satiriker Pierfrancesco Diliberto auf die nicht gerade naheliegende Idee, dieses Thema zum Gegenstand einer ironischen Kino-Komödie zu machen.

Dazu bediente er sich allerdings keines klamauklastigen Holzhammer-Humors, sondern schilderte die Ereignisse stattdessen behutsam und nostalgisch verklärt aus der naiven Sicht eines arglosen Jungen. Arturo, so dessen Name, berichtet als Erwachsener aus dem Off, auf welche Weise das Wirken der Mafia bereits in seinen Jugendjahren immensen Einfluss auf sein Leben und sogar seine Zeugung hatte: Während seine Eltern ihren ehelichen Pflichten nachkommen, richten ein paar Mobster in der Nachbarschaft ein lautstarkes Massaker an. In einer an den Vorspann KUCK MAL, WER DA SPRICHTs erinnernden Animationssequenz wird gezeigt, wie sich fast alle Spermien ob des plötzlich gestiegenen Lärmpegels erschrocken zurückziehen. Nur die, aus der später einmal Arturo entstehen soll, bekommt von alledem nichts mit und gelangt so unbeirrt an und in ihr Ziel. Dermaßen vorbelastet ist es kein Wunder, dass Arturos erstes Wort später nicht 'Mama' oder 'Papa' lautet, sondern 'Mafia'.

Die Idee, das große Trauma Italiens mit unbedarften Kinderaugen zu betrachten, mag zunächst ungewöhnlich erscheinen, ist letztendlich jedoch konsequent: Arturo stellt die Art von Fragen, die Erwachsenen oftmals unbequem sind, die sie in Verlegenheit bringen und denen sie deshalb lieber ausweichen. Die Relevanz der ständig stattfindenden Morde wird unter den Teppich gekehrt, der Einfluss der Mafia kleingeredet, die Existenz der großen Bosse sogar geleugnet. Der Titel passt dazu wie die Faust aufs Auge und ist die Antwort von Arturos Vater auf die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit wäre, selbst Opfer eines Anschlags zu werden. Sehr gering sei sie, denn: „Die Mafia mordet nur im Sommer.“ Eine weitere Erklärung für die sich so zahlreich stapelnden Leichen – nämlich die, der Tod treffe nur diejenigen, die sich in jemanden verliebt hätten – leitet über zum zweiten Schwerpunkt der Geschichte, denn Diliberto hüllte das ernste Thema von Mord und Totschlag in den publikumswirksamen Mantel eines Liebesdreiecks, erzählt vor dem Hintergrund einer MY GIRLigen Fabel über das Erwachsenwerden.

Dass diese letztendlich jedoch nur wenig berührt, liegt in erster Linie daran, dass Arturos Angebetete Flora (gewiss versehentlich) reichlich unsympathisch gezeichnet wurde und es daher nicht nachvollziehbar erscheint, warum dessen Herz dermaßen für sie entflammt, dass er selbst Jahrzehnte später immer noch von ihr besessen ist. Denn tatsächlich wird, wenn nach gut 50 Minuten Laufzeit ein Zeitsprung erfolgt und Arturos Geschichte im Erwachsenenalter fortgesetzt wird, das Thema wieder aufgegriffen und in einer nur geringfügig überzeugenden Romantikkomödie zu Ende geführt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schwindet das Publikumsinteresse vollends, zumal nun auch auf das erfrischend natürliche Spiel der Kinderdarsteller verzichtet werden muss und es Schwierigkeiten bereitet, in den älteren Figuren die jüngeren vom Beginn wiederzuerkennen. Zudem scheint Diliberto hier sein eigentliches Thema aus den Augen verloren zu haben und versteift sich in teils alberne Belanglosigkeiten, die der noch vielversprechenden ersten Hälfte seiner Arbeit nicht mehr gerecht werden.

Thematisch ist DIE MAFIA MORDET NUR IM SOMMER stark auf italienische Befindlichkeiten zugeschnitten. So erscheint nicht nur Arturos Manie für den damaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti für das deutsche Publikum ein wenig befremdlich (sein Kostümfest-Auftritt als eben jener ist als Gag zudem misslungen und wirkt eher peinlich berührend), auch die Namen der historischen Persönlichkeiten, denen er im Laufe der Handlung über den Weg läuft, dürften hierzulande überwiegend unbekannt sein. Diliberto verbindet Fakten und Fiktion und vermengt in bewährter FORREST GUMP-Manier dokumentarisches Bildmaterial mit nachgestelltem (in welches er Arturo zum Teil auch integrierte), um den Ereignissen einen realen Anstrich zu geben. Völlig konträr dazu inszenierte er dann jedoch auch wieder Szenen, die eher in eine gewöhnliche Gangsterklamotte passen würden und Mafiaboss Totò Riina als dümmliche Witzfigur präsentieren, die nicht mal mit einer simplen Fernbedienung zurande kommt. Auch die schwarzhumorigen Gespräche der Mafiosi, die nebenbei mal völlig selbstverständlich beschließen, den Vater einer jungen Dame abzumurksen, da deren Eltern dann nicht mehr in Scheidung leben würden und die Frau damit wieder frei wäre für die Ehe, dienen natürlich dazu, die Organisation und ihre Mitglieder lächerlich zu machen, passen aber in ihrer lockeren Art nicht zum ansonsten vorherrschenden Grundton – geschweige denn, zu den authentisch wirkenden Bildern verstümmelter Mafia-Opfer.

Dilibertos eindeutig autobiographisch gefärbtes Debüt ist somit letzten Endes zwar gut gemeint, aber nicht wirklich gut geworden (was es allerdings nicht davon abhielt, 2014 den European Film Award für die beste Komödie abzustauben). 'Coming of Age'-Geschichte, politisches Statement, Gangster- und Liebeskomödie - DIE MAFIA MORDET NUR IM SOMMER möchte alles zugleich sein, bringt seine Zutaten jedoch nicht zufriedenstellend unter einen Hut. Dem Werk mangelt es entschieden an Witz und Spannung, so dass es letztendlich trotz spürbaren Engagements ernüchternd belanglos bleibt – auch wenn einen der unerwartet bewegende Schluss, eine wahrlich aufrichtige Ehrerbietung an alle im Kampf gegen die Mafia Getöteten, dann doch wieder ein wenig versöhnlich stimmen kann.

Laufzeit: 85 Min. / Freigabe: ab 12