Italien 1977
Regie:
Ferdinando Baldi
Darsteller:
Sofia Dionisio,
Massimo Foschi,
Dana Ghia,
Arthur Kennedy,
Caroline Laurence,
Loretta Persichetti,
John Richardson,
Rita Silva
Inhalt:
Ein junges Pärchen vergnügt sich beim Liebesspiel am Strand. Die Sonne scheint, das Meer rauscht, der Sand knirscht – und dann knallt die Flinte. Der Mann wird von einer Kugel getroffen, die aus dem Gewehr eines hinzugekommenen Beobachters kam. Der unerwünschte Gast hat noch drei weitere Herren dabei, ebenfalls mit Waffe im Anschlag. Der Angeschossene versucht zu fliehen, sich über die Felsen zu retten – doch es nützt ihm nichts: Die Kugeln der Angreifer treffen sicher ins Ziel. Die Schützen greifen sich ihr lebloses Opfer, heben eine Grube aus, verscharren es im Sand … 20 Jahre später: Das reiche Familienoberhaupt Ubaldo [Arthur Kennedy] macht mit seinen beiden Söhnen, seiner Tochter und deren Liebschaften Sommerurlaub in seinem Ferienhaus auf einer malerischen Insel. Seine bessere Hälfte, die auffallend jüngere Giulia [Caroline Laurence], sowie die etwas wirr scheinende Tante Elisabetta [Dana Ghia] hat er dabei ebenfalls im Schlepptau. Doch an Erholung ist nicht zu denken: Unter der sorglos scheinenden Oberfläche sind die Familienmitglieder bis aufs Blut miteinander verfeindet. Als plötzlich ein Unbekannter beginnt, die Gruppe zu dezimieren, ist somit quasi jeder verdächtig. Bald liegen die Nerven blank, und es wird klar, dass die Morde mit dem Verbrechen von damals zu tun haben.
Kritik:
Der Giallo war bis in die 70er Jahre eines der erfolgreichsten Genres des italienischen Kinos. Die blutige, stilistisch eigenwillige Variation bekannter Kriminalmotive (als deren unmittelbarer Vorreiter gut und gern die aus Deutschland stammende Edgar-Wallace-Reihe gesehen werden darf) kombinierte – mal mehr, mal weniger elegant – Schmuddel und Kunst zu oft hintersinnigen, von rüder Gewaltdarstellung geprägten Mordgeschichten, bei denen in der Realität verankerte Logik zugunsten in den Vordergrund gerückter Spannungs- und Stimmungsmomente lediglich die zweite Geige spielte. 1977 war die Blütezeit des Genres zwar schon vorbei, was Regisseur Fernando Baldi [→ HORROR-SEX IM NACHTEXPRESS] jedoch nicht davon abhielt, mit NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD noch einen inhaltlich und thematisch mustergültigen Nachschlag zu servieren. Dabei verschwendete man an den Plot allerdings nicht allzu viele Ressourcen, verrührte ein klassisches Agatha-Christie-Szenario mit bewährter Softporno-Attitüde und schüttete im Anschluss einen extra großen Kübel wirklich extrem künstlich wirkendes Kunstblut über alles. Originell ist das nicht. Funktionieren tut das trotzdem.
Das liegt in erster Linie daran, dass das gewählte Konzept zwar simpel, aber seit Urzeiten enorm effektiv ist: Die nach und nach erfolgende Dezimierung einer überschaubaren Anzahl an Personen in einem von der Außenwelt abgeschotteten Kosmos, von denen einer zwangsläufig der Mörder sein muss (das klassische Zehn kleine Negerlein-Prinzip also) lädt zum Mitraten ein (Wer ist das nächste Opfer? Wer ist der Täter? Was ist dessen Motiv?) und bietet etliche Möglichkeiten, spannungsgeladene Situationen und überraschende Wendungen unterzubringen. Der hier genutzte Schauplatz einer entlegenen Insel bringt zudem eine Extraportion malerisches Flair in die Mörderhatz und bietet einen attraktiven Kontrast zum mitunter hässlichen Geschehen. Dabei hielt man sich in der grafischen Darstellung der Tötungsakte in diesem Falle vergleichsweise sogar eher bedeckt (zumal sie bei Stattfinden auch auf Anhieb als recht billig umgesetzte Maskentricks entlarvt werden); die eigentliche Hässlichkeit geht von den Charakteren aus, die als ein Haufen triebgesteuerter und missgünstiger Individuen porträtiert werden, denen der eigene Vorteil über alles geht.
Das patriarchische Oberhaupt hält sich eine um Jahrzehnte jüngere Gattin, die es – so die einhellige Meinung des ganzen Rests – nur auf die nicht unerheblichen Reichtümer des Mannes abgesehen hat, die Söhne sind durch die Bank Versager, die des Erbes nicht würdig wären und deshalb nicht ohne Grund um ihren Anteil nach dem Tode des Herren bangen, deren heißblütigen Ehefrauen ist ein Mann in der Regel nicht genug, weshalb mitunter auch schon mal der eigene Schwager als Sexualpartner herhalten muss – vor aller Leute Augen, versteht sich. Eine illustre Gesellschaft präsentiert sich hier also – mit Betonung auf Lust. Denn wer das Pech hat, trotzdem leer auszugehen, besorgt es sich kurzerhand selbst. Und zwischen all dem feucht-fröhlichen Sündenpfuhl faselt die etwas sonderliche Tante Elisabetta etwas von einem Fluch und einem gewissen „Charlie“, der wiederkommen werde, um grausame Rache zu nehmen. Das Dumme daran ist vor allem: Sie behält Recht damit.
Die Darstellung reicher Leute als dekadenter, vom Leben gelangweilter Abschaum ist natürlich ebenfalls ein Klischee und viele der hier gezeichneten Figuren kommen einem aus ähnlichen Genre-Beiträgen doch arg vertraut vor. Das ändert jedoch nichts daran, dass die daraus entstehenden Konflikte so einigen Unterhaltungswert besitzen – zumindest, nachdem NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD seinen anfänglichen Softsex-Pfad verlassen hat. Denn gut das erste Drittel geht tatsächlich in erster Linie dafür drauf, die weibliche Belegschaft wahlweise knapp, durchsichtig oder gar nicht bekleidet abzulichten, um die heiteren Partnertauschepisoden durchzuexerzieren. Trotz der bisweilen lüsternen Kamera geschieht das zugegebenermaßen nicht vollkommen selbstzweckhaft, unterstreicht es doch die grassierende Unmoral der Protagonisten und verdeutlicht anschaulich, wie wenig Mann und Weib sich hier um die Gefühle des Anderen scheren. Dennoch wünscht man sich alsbald die erste Leiche herbei, um der auf Dauer ermüdenden Dauerkopulation ein Ende zu bereiten.
Als es dann so weit ist, entwickelt sich NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD auch hurtig zu einem angenehmen Schauerstück, das trotz der manchmal etwas seltsamen Verhaltensweisen seiner Figuren (so wird das von verzweifelten Hilferufen begleitete Ertrinken einer jungen Frau endlos vom Ufer aus kommentiert, bevor mal jemand auf die Idee kommt, zur Rettung zu eilen) für fiebrige Spannung und dichte Atmosphäre sorgen kann. Die Inszenierung besticht dabei zwar nicht unbedingt durch Raffinesse und geriet eher routiniert; dennoch gelingen hin und wieder ein paar ungewöhnliche Kameraeinstellungen oder gelungene Symboliken (wie die beiden Geschicklichkeitsspiele, die immer wieder ins Bild gerückt werden, sobald neues Unheil dräut). Ein Höhepunkt ist zweifelsfrei die Eröffnungssequenz, die bereits die Marschrichtung der folgenden 90 Minuten skizziert: Das Liebesspiel zweier Menschen findet sein abruptes Ende, als aus heiterem Himmel eine grausame Hinrichtung vollzogen wird. Ohne Erklärung, ohne Gesicht, ohne Dialog, lediglich untermalt vom Rauschen des Meeres, wird aus einem Moment wilder Romantik ein blutiger Alptraum.
Diese in eisiger emotionaler Kälte ausgeführte Tat, die zunächst ohne jeden inhaltlichen Zusammenhang und erläuternden Kommentar für sich steht, ist ein schaurig-schöner Einsteig in das Szenario und recht schnell wird klar, dass die aktuellen Ereignisse mit diesem Verbrechen zu tun haben müssen, die agierenden Personen auf irgendeine Weise darin verwickelt sind und man Zeuge eines perfide ausgeführten Racheakts wird. Die Zusammenhänge – so ehrlich muss man sein – sind nicht ausnehmend schwierig zu herzustellen, auch die letztendliche Enttarnung des Täters sollte selbst für weniger geschulte Kriminalisten keine sonderlich große Überraschung sein. Dennoch versteht es die Handlung durch diverse Ablenkungs- und Wendemanöver bis zum Finale bei der Stange zu halten und lässt lange Zeit die Frage im Raum stehen, ob die blutige Vergeltung hier säkularer Natur ist oder womöglich aus dem Jenseits erfolgt.
NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD erhielt zwar einen deutschen Titel, eine ebensolche Sprachfassung (und ein damit verbundener Kinoeinsatz) blieb Baldis Spät-Giallo jedoch verwehrt. Das ist erstaunlich, bietet das professionell in Szene gesetzte, sündig angehauchte Mörderspiel doch alle notwendigen Zutaten, um das sensationslüsterne Publikum der 70er Jahre in die Lichtspielhäuser zu locken: Blut, Sex und Rätselraten, nicht zu knifflig, nicht zu aufregend, aber durchaus von latenter Klugheit. Nicht italienischsprachigen Interessenten bleibt daher nur die untertitelte Originalfassung, die dank des Labels Camera Obscura im Jahre 2014 den Weg nach Deutschland fand – eine Einladung, die Giallo-Freunde ohne Reue annehmen dürfen.
Laufzeit: 87 Min. / Freigabe: ungeprüft
Laufzeit: 87 Min. / Freigabe: ungeprüft