USA 1971
Regie:
Ronald Víctor García
Darsteller:
Sean Kenney,
Ann Perry,
Jack King,
Uschi Digard,
Neal Bishop,
Debbie Osborne,
T. E. Brown,
Kathy Hilton
„Sonderfilm“ prangte in großen Lettern auf dem deutschen Kinoplakat zu SEXUALRAUSCH. Man kann also nicht behaupten, man sei nicht gewarnt gewesen. Allerdings wäre das, was da 1971 die Leinwand heimsuchte, mit „sonderlich“ noch recht wohlwollend umschrieben. THE TOY BOX, wie sich das obskure Treiben im Original nennt, ist tatsächlich nicht mehr und nicht weniger als die verfilmte Merkwürdigkeit.
Initiator der Veranstaltung war Produzent Harry H. Novak [→ DER SCHLÄCHTER], der sich die spätestens ab Mitte der 1970er-Jahre greifende Liberalisierung in Sachen Sex- und Gewaltdarstellung zunutze machte, um mit billig fabrizierten Exponaten sensationslüsternes Publikum anzulocken. Die Gründe für das Zeigen nackter Tatsachen waren dabei, wie so oft im beackerten Genre, natürlich überwiegend fadenscheinig und generell von der Mühe begleitet, das Gezeigte auf abendfüllende Länge zu zerren, obwohl man eigentlich gar nichts zu erzählen hatte. Prinzipiell schien dafür keine Idee zu absurd, solang man mit ihr irgendwie Nuditäten an den Mann bringen konnte. THE TOY BOX ist eines der Resultate dieser Philosophie und wirbelt als solches die Synapsen des Betrachters tüchtig durcheinander. Bereits beim Vorspann wähnt man sich buchstäblich im falschen Film, wenn zu den Einblendungen der Stabangaben eine Spielzeugeisenbahn um ein paar Puppen herumfährt, um schließlich von einer auf den Gleisen liegenden Babyflasche gestoppt zu werden. Dabei ist die Szene in Anbetracht des Originaltitels ja sogar noch nachvollziehbar. Kaum 70 Minuten später jedoch liegt jeder Hauch von Nachvollziehbarkeit in Schutt und Asche.
Inhalt:
Wenn ‚Onkel‘ [Jack King] zur Sause lädt, dann zögert der gemeine Swinger nicht lang: Von fern und nah strömen verdorbene Männlein wie Weiblein in ‚Onkels‘ altes Haus, um bei der bunten Massensexorgie mal wieder so richtig die Sau freizulassen (die Losung lautet übrigens: ‚Glücklicher Onkel‘). Dort stehen dann allerlei fidele Dinge auf dem Tages- bzw. Nachtplan, sei es hemmungsloses Herumtanzen, massiver Matratzensport oder ruchlose Rollenspiele. Alle halbe Stunde jedoch muss ein Pärchen die Treppe hinauf: Dort wartet bereits ‚Onkel‘ auf sie, ein fetter alter Sack, bequem in seinem Ohrensessel sitzend, dem die Auserwählten dann eine zünftige Privatshow liefern dürfen. Sollte das Gezeigte sein Wohlwollen ernten, darf danach in die Spielzeugkiste gelangt werden, welche eine schöne Belohnung für die Kopulierer bereithält. Doch Ralph [Sean Kenney] und Donna [Ann Perry], zwei Stammgäste der gepflegten Feierlichkeit, kommt dieses Mal so einiges nicht geheuer vor, zumal es hieß, ‚Onkel‘ sei bereits verstorben.
Donna (bei ‚Onkels‘ Anblick im Sessel):
„Warum liegt er denn nicht in einem Sarg?“
Ralph:
„‚Onkel‘ in einem Sarg? Der ist doch kein Spießer!“
Und tatsächlich entdecken sie Entsetzliches: ‚Onkel‘ hat fürwahr bereits den lüsternen Löffel gereicht. Allerdings hat sich ein Außerirdischer dessen Körpers bemächtigt und steuert diesen nun fremd. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Der extraterrestrische Eindringling sammelt Erdbewohner, um sie auf seinem Planeten zu verkaufen – denn dort dienen diese als beliebte Droge.
Kritik:
‚Droge‘ scheint überhaupt das richtige Stichwort zu sein, denn was Autor und Regisseur Ronald Víctor García hier zusammengerührt hat, scheint vorwiegend im Delirium entstanden zu sein. Abgetrennte Köpfe teleportieren sich durch die Gegend, geheimnisvolle Lichter blinken und sprechen dabei, dichte Nebel wabern durchs Bild … „Erzähl uns endlich, was das alles hier soll!“, ruft die weibliche Hauptrolle in einem Moment aus, und man möchte aufspringen und ihr Beifall klatschen.
Ist die Sache im Original schon meschugge genug, arrangierte die deutsche Fassung alles noch mal ein bisschen neu. Das geht ja schon bei der Vermarktung los: SEXUALRAUSCH. Herrje, geht’s noch etwas formeller? Klingt, als habe man einen streng puritanisch erzogenen Akademiker mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen, sich den Titel eines Schmuddelfilmchens auszudenken. Aber natürlich ist das noch längst nicht der einzige Bregenverbieger. Aus unerfindlichen Gründen sah man sich beim deutschen Verleih nämlich dazu genötigt, das sündige Treiben mit einem erklärenden Off-Kommentar zu versehen. Gut, nun ist eine Erklärung des Ganzen eigentlich auch dringend notwendig. Aber anstatt ein paar erhellende Antworten zu liefern, wird einem zusätzlich ein moralinsaurer Vortrag über die Zuchtlosigkeit des Menschen um die Ohren gehauen, und zwar mit solch einer Inbrunst, dass man sich ob der Verkommenheit der eigenen Spezies direkt vor den nächsten (Spielzeug-)Zug werfen möchte.
Bereits der Anfangskommentar ist dermaßen tiefschürfend, dass er einfach komplett zitiert werden muss:
„Wenn man die materiellen Werte über die menschlichen stellt, wenn man den eigenen Körper in zahllosen Ausschweifungen zerstört hat und der Sexualtrieb abgestumpft ist, wenn von allen früheren Bedürfnissen nur noch eine unersättliche Machtgier übriggeblieben ist und der Hass auf die Jugend mit ihren zahllosen Möglichkeiten, dann gebraucht man die Macht, die man in den Händen hält, nicht zum Wohl der Mitmenschen, sondern zu ihrem Verderben. Und der Hass wird immer größer je mehr man spürt, dass man zum Zuschauen verurteilt ist, dass man die eigene Leere, Verlorenheit und Sinnlosigkeit des Daseins nur noch dadurch erträglich gestalten kann, dass man als Voyeur am Verderben der anderen Menschen teilnimmt, die man in materielle Abhängigkeit gebracht hat.
Es ist einfach in der heutigen Zeit, wo die menschlichen Werte veräußerlicht sind, wo der einzige Maßstab das Geld und alles käuflich ist, Menschen dazu zu bringen, ihre Würde zu verschachern, um sich zum Spielzeug eines perversen Voyeurs zu machen, der sein erbärmliches kleines Ich zu scheinbarer Größe aufbläht, wenn er andere Menschen wie Marionetten ohne eigenen Willen agieren lässt, ihr Intimstes bloßlegt, sie quält und lächerlich macht. Gegen Bezahlung werden sie zu Exhibitionisten, die ihren eigenen Körper und dessen Funktionen zur Schau stellen.
Wenn ein zum Voyeurtum verurteilter Psychopath über ausreichende Mittel verfügt, sich unerreichbar durch Unbefugte, versteckt vor den Augen des Gesetzes weiß, wenn er seine geheimen Wünsche ausleben kann, ohne die Ächtung der Gesellschaft fürchten zu müssen, dann beginnen die sexuellen Fantasien unkontrolliert zu wuchern und sich von einer Perversion in die andere hineinzusteigern in ein bizarres Inferno der seelischen Abgründe, wo Traum, Wachzustand, Vorstellung und Realität verschmelzen zur grotesken Wirklichkeit des sexuellen Wahnsinns, der nur ein erbärmlicher Ersatz ist für den echten menschlichen Kontakt.“
Potzblitz! Da hat jemand seine Hausaufgaben gemacht!
Nochmal zum Mitschreiben: Man hat es hier mit einer siffigen Koitusparade zu tun über ein Alien, das Menschen sammelt, und zu diesem Zweck in den Körper eines toten Lustgreises fährt, um die begehrten Kohlenstoffeinheiten, die auf seinem Planeten als Droge gehandelt werden, vor seinen toten Augen miteinander kopulieren zu lassen. Und aus diesem Mosaik der Merkwürdigkeiten, dem es primär darum geht, Fortpflanzungsorgane ins rechte Licht zu rücken, hat man in Deutschland versucht, ein teils philosophisches, teils dokumentarisch angehauchtes Moralstück zu machen, das einem ständig vorjammert, der Mensch sei nur noch ein Voyeur. Das ist so widersprüchlich, das sprengt einem fast die Hirnschale weg. Der erzkonservative Konsens, der von der Norm abweichendes Sexualverhalten als krank und gesetzeswidrig bezeichnet, sei dabei noch nicht einmal erwähnt. Und so wird immer wieder bierernst und bedeutungsschwanger der Untergang des Abendlandes prophezeit, weil alle Welt nur an Geld und Genitalien denkt. Da ist dann schon mal von ‚sexueller Erniedrigung‘ die Rede, obwohl das Bildmaterial das eigentlich gar nicht hergibt. Eingesprochen wurde das tiefschürfende Geraune übrigens von Christian ‚Robert De Niro‘ Brückner, und zwar teils schön über die eigentlichen Dialoge hinweg.
Dazu passend wurden in die Synchronisation immer wieder Dialoge eingefügt, um die Geldgier aller Beteiligten zu verdeutlichen und damit zu suggerieren, die Protagonisten ließen sich aus reinem Gewinnstreben in sexuelle Abhängigkeiten treiben. Es wäre interessant zu wissen, ob nach dieser Standpauke ein paar Besucher aus dem Sessel gesprungen sind und den Heimweg angetreten haben, um von da an ein geläutertes, tugendhaftes Dasein zu führen. Im Finale veränderte man dann auch noch ein wenig den (ohne kaum vorhandenen) Sinn und kehrte das Science-Fiction-Element nahezu vollends unter den Teppich, um stattdessen eine weitere Predigt über menschliche Verworfenheit einzuflechten (Die männliche Hauptrolle kommentiert das sehr treffend mit: „Wen wollen Sie denn mit dem Blödsinn hinterm Ofen hervorlocken?“). Kaum der Rede wert, dass diese Änderung das Geschehen noch unverständlicher macht, da die scheinbar übernatürlichen Kräfte des Porno-Opis so gar nicht erklärt werden und die Bedeutung der Schlussszene ebenfalls nebulös bleibt.
SEXUALRAUSCH ist somit am Ende nach konventionellen Maßstäben kaum zu bewerten – ein echter „Sonderfilm“ eben. Immerhin kann man feststellen, dass die enorme Verrücktheit dieses beinahe psychedelischen Trips einen ebenso ungewöhnlichen wie bizarren Zeitvertreib gewährleistet. Somit ist THE TOY BOX zwar eine verdammt billige, aber immerhin keine wirklich lahme Kiste geworden – und hat ja vielleicht sogar ein paar Seelen vor der Verderbtheit gerettet. Denn, wie heißt es doch so schön am Ende?:
„Die totale Destruktion der Persönlichkeit ist nun nicht mehr aufzuhalten. Das ‚Ich‘ zerfällt, und das Dasein des zur Marionette herabgewürdigten Individuums endet in hoffnungsloser Leere.“
Amen!
Laufzeit: 74 Min. / Freigabe: ab 18