Eigene Forschungen

Dienstag, 23. Juli 2024

SADISTEROTICA


EL CASO DE LAS DOS BELLEZAS
Spanien, BRD 1967

Regie:
Jess Franco

Darsteller:
Janine Reynaud,
Rosanna Yanni,
Adrian Hoven,
Chris Howland,
Michel Lemoine,
Marcelo Arroita-Jáuregui,
Manolo Otero,
Jess Franco



Inhalt:

Diana [Janine Reynaud] und Regina [Rosanna Yanni], zwei als nicht gerade als hässlich zu bezeichende Frauen, bilden unter dem Namen „Rote Lippen“ ein ziemlich unkonventionelles Detektivduo. Eines Tages bekommen sie von dem Anwalt Radek [Adrian Hoven] den Auftrag, eine verschwundene Tänzerin zu suchen. Radek glaubt, sie auf einem aktuellen Gemälde des geheimnisvollen Künstlers Claus Tiller erkannt zu haben. Diana gibt sich als Dame von Welt aus, besucht eine der Ausstellungen Tillers, bezirzt den Ausstellungsleiter und lädt ihn zu sich nach Hause ein, um ihm nutzbringende Informationen zu entlocken. Doch noch bevor letzteres passiert, wird er von Unbekannt mittels eines Blasrohrs ins Jenseits befördert. In einer Bar schafft es Regina schließlich doch, den scheuen Künstler Tiller kennenzulernen. Und dieser sieht in ihr das perfekte Modell für sein nächstes Werk.

Kritik:

Jess Franco schlägt wieder zu und entführt sein Publikum in seine spezielle Filmwelt, in der eigene Gesetze gelten.

Der am 12. Mai 1930 in Madrid geborene Regisseur pflegte zeit seines Lebens einen sehr eigenwilligen, oft als provokativ und kontrovers aufgefassten Stil und erkundete gern Themen wie Sexualität, Gewalt und Tabus. Da er sich dabei häufig surrealer Elemente und experimenteller Techniken bediente (nicht selten bei minimalistischem Budget), manchmal mehrere Werke pro Jahr vom Stapel ließ und bei seiner Inszenierung Schwerpunkte auf Dinge setzte, die der Masse meist unverständlich erschienen, gilt er bei vielen Kritikern als talentloser Stümper, während andere gerade diese aufrührerische Andersartigkeit zu schätzen wissen.

Beim vorliegenden SADISTEROTICA hat man es im Grunde mit der Jess-Franco-Version des Klassikers AUGEN DER ANGST zu tun. Allerdings sollte man sich weder davon noch von dem martialischen deutschen Titel in die Irre führen lassen. Denn obwohl der Verleih sich redlich Mühe gab, das Werk als sadismusgetränkte Ausbeutungsorgie zu verkaufen, handelt es sich doch um ein erstaunlich seichtes Krimi-Abenteuer mit einer Extra-Portion entspannten Urlaubsflairs. Das weibliche Detektiv-Duo bildet dabei eine willkommene Abwechslung zu den überwiegend männlichen Kollegen, die zum Produktionszeitpunkt auf der Leinwand Ermittlungsarbeiten leisteten und dabei – dem Zeitgeist entsprechend - meist arg machohaft agierten. Dass Diana und Regina in erster Linie ihre optischen Reize einsetzen, um erfolgreich zu sein, trägt fraglos auch chauvinistische Züge, aber da hier alles so sagenhaft sorglos und unbekümmert daherkommt, tut das niemandem weh.

Dabei scherten sich alle Beteiligten keinen Deut um solch langweilige Dinge wie Logik, Sinn oder Nachvollziehbarkeit. Gesetze von Zeit und Raum scheinen nicht mehr existent, werden wild durcheinander gewürfelt und neu geordnet, das Regelwerk plausibler Narration dient lediglich als Anregung, nicht als erdrückende Doktrin. Stattdessen herrscht eine zwanglose und stilvolle Lässigkeit, die die Zeit auf hochangenehme Weise vertreibt. Zu Beginn spricht eine der Damen sogar einmal kurz in Richtung Kameramann, er möge bitte doch etwas näher heranfahren, da man ansonsten ja ihre Brüste sähe. Schon hier wird klar, dass alles, was folgt, eher spielerisch zu verstehen ist und keinerlei Anspruch auf Realitätskompatibilität erhebt. Spannung im klassischen Sinne existiert daher auch nicht, sogar Momente, aus denen man prinzipiell etwas Derartiges hätte herausholen können, wirken locker-flockig aus der Hüfte geschossen. Generell ist der Fall der verschwundenen Tänzerin auch wenig aufregend, da selbst dem unbedarften Zuschauer eigentlich von Beginn an klar ist, wie alles zusammenhängt und wer dahintersteckt.

Ein paar Nebelkerzen werden dennoch gezündet, wenn weitere Verdächtige eingeführt werden. Wie der junge Charmeur Vittorio (gespielt von Manolo Otero), der arg unmotiviert die Detektei der Damen betritt, um von ihnen auf Anhieb flachgelegt zu werden. Freilich lediglich, indem sie ihn statt einer ordentlichen Begrüßung auf den Boden schmettern – könnte ja schließlich der Mörder sein, und ohnehin kann man ja nie vorsichtig genug sein. Offenbar gefiel dem Herren diese Behandlung aber außerordentlich, verbringt er doch die meiste folgende Zeit damit, den Ladys auf Schritt und Tritt nachzusteigen, was diese allerdings prinzipiell nicht unangenehm zu finden scheinen. Am Ende enttarnt sich der Schurke dann ziemlich unspektakulär einfach selbst, was aber nur völlig Merkbefreite überrascht. Denn dass einer der Beteiligten sich eine zweite Persönlichkeit zulegt hat, ließ sich durch die spärliche Maskerade kaum verdecken. Dass man besagter Person zudem eine der markantesten Synchronstimmen des Universums in den Mund legte, war freilich auch nicht sonderlich hilfreich dabei, das Publikum zu täuschen. Und dass auch das Motiv der Untat lediglich Mittel zum Zweck ist und sich ebenfalls allgemeiner Schlüssigkeit verweigert, ist dementsprechend natürlich kaum die Fußnote wert.

Fast ein wenig aufdiktiert wirken bei all der launigen Wohlfühlattitüde die wenigen spekulativen Elemente. So hält sich der Unhold zwecks Entführung junger, argloser Frauen ein behaartes Untier namens Morpho, das wohl Werwolf-Assoziationen wecken soll, in Wahrheit aber aussieht, als sei jemand an dem Versuch gescheitert, sich zum Schulball als Wolverine zu verkleiden. Ein paar zahn- und harmlose Striptease-Nummern in loungiger Club-Atmosphäre gibt es ebenfalls noch zu vermelden, aber die bringen nun auch keine Hose zum Platzen. Trotz dieses leichten Dralles zur Unmoral ist SADISTEROTICA am Ende beinahe familienfreundlich, ist er doch viel näher an der Komödie als an allem anderen. Wie sonst soll man sich die Besetzung Chris Howlands als Inspektor erklären, der sich zwecks Tarnung auch schon mal als „Bond! James Bond!“ vorstellt. Und auch die Synchronisation nahm die Sache nicht ganz so ernst und gibt sich – wie für diese Zeit üblich – betont lässig. Als der Nachtwächter eines Museums (gespielt von Jess Franco persönlich) gefragt wird, ob der weibliche Eindringling auch ordentlich Holz vor der Hütte hatte, erwidert dieser lapidar: „Wissen Sie, ich hab schon lauter gelacht!“ Und als der schleimige Schönling Vittorio in einer eigentlich völlig überflüssigen Szene in einem Restaurant auftaucht, um ein schräges Liedchen zu trällern, nuschelt einer der Gäste am Bildrand völlig zu Recht: „Der sieht von mir keinen Peso!“

Das irrationale Handeln der Figuren findet indes seinen Höhepunkt, als die schönen Detektivinnen aus heiterem Himmel beschließen, Urlaub in Ankara zu machen. Kaum liegen die Grazien am Strand (eine davon in einem selten abenteuerlichen Badeanzug), kommen auch schon die ersten Bekannten vorbei: Als Erstes kommt Vittorio, um die beiden wieder mal ordentlich zu hofieren. Und es dauert ungelogen keine drei Minuten, da sind alle wichtigen Personen wieder da: der Maler Claus Tiller, der Inspektor, und auch Morphorine schaut bald wieder unheilvoll zum Fenster rein. Die Welt ist ein Dorf - erst recht im Werk Jess Francos, für dessen Zugang das hier die perfekte Einstiegsveranstaltung ist. SADISTEROTICA ist eine fröhliche filmische Wundertüte für alle, die eine nostalgische Abkehr von gängigen Sehgewohnheiten wünschen, ein von geschmeidiger Easy-Listening-Musik getränkter Griff in die Kuriositätenkiste, ein vor Charme strotzendes Krimi-Vergnügen ohne jeden Anspruch (außer an den der guten Unterhaltung), das man besten direkt mit Cocktail serviert. Prost!

Laufzeit: 79 Min. / Freigabe: ab 18

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen