Eigene Forschungen

Freitag, 5. Juli 2024

DAS BLUT DER ROTEN PYTHON


TIAN LONG BA BU
Hongkong 1977

Regie:
Pao Hsueh-Li

Darsteller:
Danny Lee,
Tanny Tien,
Lin Chen-Chi
Shih Chung-Tien,
Chiang Tao,
Keung Hon,
Wai Wang,
Norman Tsui



DAS BLUT DER ROTEN PYTHON spielt im (fantastischen) China des 11. Jahrhunderts und startet mit zartem Geschmuse zwischen Mann und Frau. Harmoniebedürftige sollten diesen Moment gleich doppelt genießen, denn bei allem, was danach kommt, haben Romantik und Zärtlichkeit Feierabend. Bereits wenige Minuten nach dieser trauten Eröffnung liegt jede Eintracht in Trümmern: Als die Dame ihrem Herzensherren eröffnet, sich in anderen Umständen zu befinden, druckst dieser doch arg herum und fragt, was denn ihr Ehemann dazu sagt. „Mein Mann ist seit drei Monaten mit den Fürsten in den Südprovinzen“, erklärt sie. Doch kaum ist der Satz verklungen, haut’s mit Schmackes die Tür aus den Angeln und der Gehörnte steht höchstpersönlich in der Kemenate. Südprovinzen Pustekuchen! Recht ungehalten ob des erfolgten Verrats zückt der ungebetene Gast sein Schwert, um seinen Nebenbuhler noch an Ort und Stelle zu perforieren. Dieser rettet sich durch einen beherzten Sprung durchs Fenster, woraufhin der Kampf im Garten ausgetragen wird. Und dann passiert natürlich genau das, was in solchen Momenten immer passiert: Der Angegriffene hält inne, konzentriert sich und schießt aus seinem Zeigefinger einen Laserstrahl hervor, der dem Kontrahenten behende die Kniescheiben zu Brei brutzelt.

Moment mal, was???

Ja, es passiert tatsächlich. Man kann DAS BLUT DER ROTEN PYTHON sicherlich viel vorwerfen. Vorhersehbarkeit gehört nicht dazu. „Kannst du dich nur durch Zauber wehren?“, fragt das am Boden liegende Opfer. „Das ist kein Zauber“, klärt ihn der gegnerische Gattinbestäuber arg besserwisserisch auf. „So kämpft der Clan der Tuan seit uralter Zeit, das solltest du wissen.“ Ach so … Wenn besagter Clan das schon immer so gemacht hat, dann sind Feuerstöße aus Fingerkuppen natürlich völlig normal und unzauberhaft. Auch dem Ehemann erscheint diese Argumentation offenbar etwas suspekt, versucht er doch, sich mit einem Satz über die Mauer in Sicherheit zu bringen. Aber sein Widersacher hat Blut geleckt und strahlt dem Flüchtigen auf bewährte Art und Weise kurzerhand beide Beine ab. Und als wäre das noch nicht genug der Aufregung, taucht plötzlich eine weitere Frau auf, die sich ohne jede falsche Scham als des Strahlemanns Verlobte vorstellt, der seine Geliebte daraufhin ganz zwanglos in die Wüste schickt, die den beiden infolgedessen ewige Rache schwört. Und es fing doch alles so kuschelig an …

Tatsächlich sind an dieser Stelle noch nichtmal die ersten fünf Minuten um. Was manch anderem Werk bereits vollends an Gagaismus gereicht hätte, genügt hier gerade einmal der Exposition. Freunde nonkonformistischen Kino-Vergnügens können allerdings ganz beruhigt sein, denn auch nach dem Vorspann wird es nicht auffallend konventioneller. So legt der Herr mit den weggeballerten Beinen sich später beispielsweise zwei mit Krähenfüßen versehene Metallstelzen zu, die er teleskopartig ein- und ausfahren kann. Einen echten Namen gönnte man dem armen Kerl übrigens nicht (was an Otto Waalkes’ beinlosen Hund erinnert, der ebenfalls keinen Namen hat, weil er ja sowieso nicht kommt, wenn man ihn ruft). Gelistet wird der später als Hauptschurke agierende Charakter in zweckdienlicher Weise lediglich als Gelb-Roben-Mann. Der Strahlenverschießer hingegen entpuppt sich als Kaiserbruder und Thron-Anwärter Tuan Zhengchun. Sein geschwängertes Betthupferl nennt sich Qin Hongmian, während seine Verlobte auf den Namen Shu Baifeng hört. Das einleitende Ereignis hat nicht nur Folgen im Sinne der Niederkunft, sondern wird noch zwei Jahrzehnte später die Schicksale vieler Menschen bestimmen:

Inhalt:

Quin Hongmion [Gam Lau], von Prinz Tuan Zhengchun [Si Wai] erst geschwängert, dann verstoßen, lebt nur noch für die Rache. Nachdem sie ihre Tochter zur Welt gebracht hat, bildet sie das Mädchen 20 Jahre lang zur Kämpferin aus. Mit Erfolg! Als junge Erwachsene ist Mu Wanqing [Tanny Tien] quasi unbesiegbar und verbreitet Angst und Schrecken, selbst bei gestandenen Kriegern. Nun soll sie losziehen, um Hongmions damalige Nebenbuhlerin Shu Baifeng [Hung Ling-Ling] einen Kopf kürzer zu machen.

Inzwischen hat auch Prinz Tuan einen Sohn im Mannesalter: Tuan Yu [Danny Lee]. Da dieser jedoch lieber in schöngeistigem Schriftgut schmökert statt maskulinen Kampf- und Gewaltexzessen zu frönen, gilt er als Taugenichts. Eines Tages geht Yu auf Wanderschaft und trifft auf die kesse Zhong Ling-erh [Lin Chen-Chi], die eine Handvoll magischer Schlangen im Schlepptau hat. Diese kennt die Lösung für sein Problem: Wenn Yu die sagenumwobene Rote Python findet und es schafft, ihr das Blut abzuzapfen, wird er auf mystische Weise unbesiegbar werden.

Währenddessen schmiedet auch Hongmions damaliger Ehemann, der Gelb-Roben-Mann [Shih Chung-Tien], Rachepläne, da er beim Kampf mit dem Prinzen einst beide Beine verlor. Zusammen mit seinem Vertrauten, dem monsterartigen Killer Yue Canglong [Chiang Tao], will er Yu als den Sprössling seines Erzfeindes entleiben (logisches Argument: „Er hat mir meine Beine geraubt, dafür werde ich ihm seinen Sohn nehmen.“). Als er erfährt, dass Yu und Wanqing sich zufällig über den Weg laufen, ohne zu wissen, Bruder und Schwester zu sein, reift in ihm ein teuflischer Plan.

Kritik:

Es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten angesichts der Vielzahl an Personen, die hier aus unterschiedlichsten Motiven heraus versuchen, sich gegenseitig ans Messer zu liefern. Trotz einer nicht unbedingt ausufernden Länge von 75 Minuten ist DAS BLUT DER ROTEN PYTHON bis unters Dach voll mit Verschwörungen, Privatfehden und Selbstfindungsprozessen, so dass man durchaus merkt, dass hier ein 2000-seitiger Wälzer als Grundlage diente, nämlich Demi-Gods and Semi-Devils von Louis Cha aus dem Jahre 1963. Das Werk gilt als durchaus anspruchsvoll und komplex, wird in dieser filmischen Adaption (später folgten noch weitere) aber tüchtig durch den Kokolores-Fleischwolf gedreht und mit einer gehörigen Portion Irrsinn abgeschmeckt.

Der Gelb-Roben-Mann ist mit seinen ausfahrbaren Metallprothesen schon ein echter Knaller, aber sein Assistent, ein notgeiles Hummermonster mit Scherenhänden, Vampirzähnen und stählerner Stirn, ist auch nicht von schlechten Eltern. Mu Wanqing besitzt derweil als Waffe einen riesigen Hundeknochen, der Dolche verschießen kann. Diese sehen zwar beim Abfeuern aus wie der Anzeigepfeil von Microsoft, besitzen aber nen Bumms, dass selbst die Dicke Bertha neidisch wird. Ling-erh hingegen schleudert Schlangen zur Verteidigung, die in fliegender Eile in des Kontrahentens Körper kriechen, um unter dessen Haut offenbar rauschende Feten zu feiern. Und falls das nicht reicht, trägt sie in einer Schatulle noch eine glühende Kröte mit sich spazieren, die einen bereits bei bloßer Berührung zu den Ahnen schickt („Nur, wenn man ihr Geheimnis kennt, kann das Gift einem nicht schaden.“), allerdings Superkräfte verleiht, wenn man sie am Stück verschlingt. Sehr richtig: Anfassen ist tödlich, aber runterschlucken (was ja ohne Anfassen schon mal schwierig ist) macht munter, lässt einen in Windeseile Wände erklimmen, Felsbrocken zerschmettern und ohne jede Not Todesstrahlen aus allen möglichen Körperöffnungen verschießen.

Die Riesenschlange, die Yu erlegen muss und die der deutschen Fassung ihren Namen gibt, ist ein ebenso klobiges wie unbewegliches Gummigeschöpf, was den Wagemut des Protagonisten der Lächerlichkeit preisgibt. Darsteller Danny Lee [IN DEN KLAUEN DER CIAhat nämlich mehr Mühe damit, das Vieh irgendwie lebendig wirken zu lassen, als mit allem anderen. Der eigentliche Höhepunkt der Kategorie Kämpferischer Konflikt mit künstlicher Kreatur jedoch geschieht deutlich später, wenn man sich seiner Haut gegen einen Kung-Fu-Gorilla erwehren muss, der den Helden auszusaugen gedenkt, um dessen magische Kräfte zu absorbieren: Dass die zänkische Zottelzibbe nur ein Mensch im kümmerlichen Karnevals-Kostüm ist, nimmt kaum Wunder. Aber die vehemente Weigerung desselben, sich auch nur ein Mü anders zu bewegen als ein stinknormaler Homo Sapiens, ist schon beachtlich.

Freilich war es nie die Intention der Schöpfer, hier irgendeine Form von Wirklichkeit abzubilden. So kommt DAS BLUT DER ROTEN PYTHON oftmals wie ein etwas aufwändiger gestaltetes Bühnenstück des Wegs, dessen Kulissen und Kostüme deutlich als solche auszumachen sind. Anschauungsobjekte dafür wären die „Unterwelt“, in welcher der Antagonist aus unerfindlichen Gründen haust und die eindeutig in Theaterdekoration arrangiert wurde, oder die regelrecht provierend unecht aussehenden Reißzähne seines Schergen, die man mit Leichtigkeit glaubwürdiger hinbekommen hätte, hätte man es denn tatsächlich gewollt. Und dennoch wirkt das alles in letzter Konsequenz gar nicht billig, sondern als plausibler Bestandteil eines durchaus aufwändigen Gesamtkonzepts. Klingt wie ein Widerspruch? Dann passt es gleich doppelt gut zum Werk! Denn zwischen all dem aberwitzigen Tempo und blühenden Blödsinn bleiben tatsächlich auch noch ein paar Minuten Zeit für innere Einkehr, welche die im Prinzip tragische Tragweite der Ereignisse fühlbar machen: Wenn Prinz Zhengchun, ursprünglich schurkisch veranlagt, nach 20 Jahren erstmals seine Tochter trifft und er in einem stillen gemeinsamen Moment begreift, was für weitreichende Folgen seine bisherigen Fehltritte und Charakterlosigkeiten hatten, dann bedarf es keiner großen Worte für die Erkenntnis, dass sich hier ein Mensch gewandelt hat.

So ist DAS BLUT DER ROTEN PYTHON, zwischen Gummigetier, Zeichentrickblitzen und knallbunten Rauchbomben, eigentlich ein großes generationenübergreifendes Drama mit allem, was dazugehört: verbotene Liebschaften, uneheliche Kinder, unwissentliche Geschwisterliebe, ausufernde Familienfehden, Racheschwüre über den Tod hinaus. Ohne Scheu vor Jux und Dollerei, in wildwüchsiger Farbenpracht (sogar Leichen zerfließen hier ohne jeden Grund zu kunterbuntem Eiskrembrei) und mit einer ungemein liebenswerten Hauptfigur gesegnet (Danny Lee spielt den pazifistischen Helden wider Willen überaus sympathisch), wurde hier eine Unterhaltungsgranate geschaffen, welcher der Wahnwitz aus allen verfügbaren Poren tropft. Hier steht man gerne Schlange!

Laufzeit: 76 Min. / Freigabe: ab 16

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