Eigene Forschungen

Montag, 6. Januar 2020

DER MANN MIT DER TIGERPRANKE


CHOU LIAN HUAN
Hongkong 1972

Regie:
Chang Cheh,
Pao Hsueh-Li

Darsteller:
Chen Kuan-Tai,
Ching Li,
Wang Chung,
Chu Mu,
Tien Ching,
Yang Chih-Ching,
Bolo Yeung



Inhalt:

Shanghai 1942: Die Stadt steckt im Würgegriff des Verbrechens. Drogenhandel, Glücksspiel und Prostitution beherrschen die Straßen. Der kleine Gauner Qiu Lian-Huan (Chen Kuan-Tai) sieht sich eigentlich zu Höherem berufen, ist aber lediglich Anführer einer kleinen Gangsterbande. Eines Tages nimmt er Yu Xiao-Kai [Tien Ching] beim Kartenspiel aus. Yu ist der Sohn von Yu Zhen-Ting [Yang Chih Ching], dem größten Gangster Shanghais. Als Qiu seinem Kontrahenten auch noch die Braut ausspannt, schickt dessen einflussreicher Vater seine Schlägerbanden los. Aber Qiu erweist sich als zäh und nahezu unbesiegbar. Währenddessen tobt auch innerhalb von Yus Bande ein Machtkampf: Der verschlagene Chang Gen-bao [Chu Mu], rechte Hand des Anführers, giert selbst nach der Spitze und spinnt unbemerkt Intrigen. Als am Ende alle Figuren aufeinandertreffen, färben sich die Straßen Shanghais rot ...

Kritik:

Im Februar 1972 tobte DER PIRAT VON SHANTUNG über die Leinwand. Das blutige Gangsterepos ließ Feingeister zwar um Hilfe schreien, das Publikum jedoch bedankte sich mit klingender Münze für das vermutlich von der Axt-Industrie gesponsorte Schlachtfest. Grund genug für das produzierende Studio der Shaw Brothers, dem Erfolg eilig eine Fortsetzung hinterherzuschieben - sehr eilig sogar, denn DER MANN MIT DER TIGERPRANKE, wie das Ergebnis in deutschen Breitengraden heißt, erreichte Hongkongs Kinosäle sogar noch im selben Jahr wie der erste Streich. Nach dem Motto Never change a winning team nahm nicht nur erneut Großmeister Chang Cheh auf dem Regiestuhl Platz, Chen Kuan-Tai [→ DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER] verlustierte sich auch abermals in der Hauptrolle. Diese nennt sich hier Qiu Lian-Huan und ist damit nicht identisch mit seiner Figur aus DER PIRAT VON SHANTUNG. Generell wird der Begriff „Fortsetzung“ hier, wie im asiatischen Kino nicht unüblich, sehr weit gedehnt, denn auch inhaltlich bestehen mit dem vermeintlichen ersten Teil im Prinzip keine Berührungspunkte. Dessen Ereignisse werden zu Beginn kurz skizziert, man wird Zeuge, wie die Leichen, die des Vorgängers Finale hinterließ, fortgeschafft werden, dann springt die Handlung 20 Jahre in die (damalige) Zukunft, und es beginnt eine neue Geschichte, die zwar im gleichen Milieu spielt, aber eben doch eine völlig andere ist. DER MANN MIT DER TIGERPRANKE können somit auch mühelos all jene goutieren, an denen das Original vorbeigegangen ist.

Denen entgeht dann auch, dass MAN OF IRON (englischer Titel) sich dem Vorgänger eindeutig geschlagen geben muss. Dieser punktete nämlich neben seiner grandiosen Action vor allem durch das nötige Maß an Charaktertiefe, das dem Handeln der Figuren einen nachvollziehbaren Sinn gab und aus dem Gemetzel eben mehr machte als eine reine Gewaltpräsentation. Von den Protagonisten in DER MANN MIT DER TIGERPRANKE hingegen erfährt man so gut wie gar nichts, sie bleiben Reißbrettentwürfe, die in der Regel mit einer einzigen Eigenschaft ausgestattet sind (ehrgeizig, böse, treu, hinterhältig, Frau,...) und ansonsten brav dem simpel konstruierten Skript gehorchen. Das gilt auch für Hauptrolle Qiu Lian-Huan, dessen Beweggründe vollkommen im Hintergrund bleiben. Warum er unbedingt zum großen Boss aufsteigen möchte, obwohl er mit seinem Leben als kleiner Straßengauner ja augenscheinlich sehr zufrieden ist und gut über die Runden kommt, erfährt ebenso wenig eine Erklärung, wie das Rätsel, warum er ausgerechnet die langweilige Shen Ju Fang (verkörpert von Ching Li [→ ZEHN GELBE FÄUSTE FÜR DIE RACHE]) zum Objekt der Begierde auserkoren hat – so sehr sogar, dass er damit einen blutigen Konflikt provoziert. Die angebliche gegenseitige Attraktion beider Parteien ist nämlich nicht spürbar und bleibt eine kühne Drehbuchbehauptung, um die Action in Gang zu bringen. Vielleicht liegt es ja daran, dass Sheng so ziemlich das einzige weibliche Wesen in diesem Kosmos zu sein scheint. DER MANN MIT DER TIGERPRANKE spielt nämlich offenbar unter einer Art riesiger Kuppel, in einer hermetisch abgeriegelten Welt, in der nur die Protagonisten existieren und sonst nichts und niemand. Zu keiner Zeit findet eine Einmischung von außen statt, niemals begegnet man neuen Personen auf den immer gleichen Plätzen, und blutige Straßenschlachten bleiben auch stets unbehelligt von Polizei oder jedweder sonstiger Intervention. Dass das Viertel in bester Sesamstraßen-Tradition sichtbar im Studio entstand nebst künstlich erschaffenem Horizont und Himmelszelt, unterstreicht diesen Eindruck noch.

Mag DER MANN MIT DER TIGERPRANKE auch nicht mal in die Nähe des übergroßen Vorbilds kommen, ein Vergnügen bleibt er dennoch. Das liegt auch an Hauptdarsteller Chen Kuan-Tai, der abermals ein tolles Bild abgibt. Stets geschniegelt und gebügelt, mit dauerakkurater Mustermatte auf dem hocherhobenen Haupt, stolziert er durch die Gegend wie ne offene Hose und ist sich jederzeit voll und ganz bewusst, dass ihm niemand so einfach die Wurst vom Brot ziehen kann. Sein Qiu Lian-Huan ist dabei kein strahlender Held, er ist ein Ganove mit Hang zur Gewalt, oft zu selbstsicher und eingebildet, und seine Auserkorene begrüßt er zunächst mit einer zünftigen Maulschelle, damit die Dame direkt weiß, wer hier der Babo ist. Aber die Gegenseite ist eben noch mal ein ganzes Stück verworfener als er, was ihn ohne jede Frage zur Sympathiefigur erhebt. So klatscht man ihm innerlich ohne Reue Beifall, wenn er die miesen Schläger seines Kontrahenten nach allen Regeln der Kunst windelweich drischt und sich dabei auch mal eines Fahrrads als Waffe bedient. Wenn er seinem Nebenbuhler, dem feigen Yu Xiao-Kai (verkörpert von Tien Ching [ DIE TIGERIN VON HONGKONG]), die Fahrradkette um den Hals legt, um ihn dann wie nen Hund an der Leine bei seinem Vater abzuliefern, dann hat er die Lacher eindeutig auf seiner Seite.

Die Action hat dabei deutlich weniger (erkennbaren) Choreographiecharakter als z. B. die meisten Schwertkampffilme der Shaw Brothers, in denen die Konfrontationen häufig einem tänzerischen Akt ähneln. Hier hingegen gleichen sie eher dem dreckigen Straßenkampf, wirken schroffer, direkter und damit auch schmerzhafter. Mit der überbordenden Brutalität des Vorgängers kann das trotzdem nicht mithalten. Zwar werden auch in diesem Falle feindliche Körper anständig malträtiert und manchmal suppt es stattlich rot, aber die fiesesten Gräuel finden außerhalb des Bildes statt – gegen das Massaker, das DER PIRAT VON SHANTUNG angerichtet hat, ist das quasi ein Kindergeburtstag. Da die physischen Auseinandersetzungen jedoch sehr zahlreich sind, werden Freunde inszenierter Klassenkeile dennoch auf erkleckliche Weise bedient und das Beschwerdeformular darf den Papierkorb jungfräulich passieren. Aber nicht nur die Action ist prima, auch der Look des Ganzen gefällt enorm. Wie man hier versucht hat, visuell die 40er Jahre zu imitieren, obwohl man sich doch ganz eindeutig in den 70ern befindet, gereicht zur Freude und ist – nicht zuletzt auch aufgrund der artifiziellen Märchendorf-Kulissen – ein wahrer Augenschmaus.

Die Story indes ist weniger prachtvoll ausgearbeitet und selbst für dieses Genre von ausnehmender Plattheit. Im Prinzip geht es um nicht mehr als um ein ständiges gegenseitiges Angreifen und Angegriffenwerden, was stets mit dem vorhersagbaren Ergebnis endet. Selbst die retardierenden Elemente um einen Machtkampf innerhalb des Gangsterapparates inklusive Intrigenspinnerei und Täuschungsmanöver können nicht viel ausrichten, da sie an den eigentlichen Verhältnissen (Gut gegen Böse) letzten Endes nichts ändern. Macht aber nichts, denn der notwendige Unterhaltungswert ist gegeben. Lobend erwähnt werden muss diesbezüglich auch die deutsche Synchronisation, die zwar den Schalk im Nacken hat, dabei jedoch nicht den Fehler begeht, das Ganze in eine banale Blödelnummer zu verwandeln. Aber wenn Qiu auf dem Motorrad direkt durch die Wand in des Feindes Festung brettert und dies anschließend mit einem lapidaren „Man findet die Tür so schwer“ kommentiert, dann ist das der guten Laune überaus zuträglich.

Das bekannte Fortsetzungsprinzip (von allem noch ein bisschen mehr) greift in diesem Falle wie erwähnt nicht – hier ist alles eine ganze Nummer kleiner und nischenhafter als noch bei DER PIRAT VON SHANTUNG, mit dem dieser hurtig entstandene Nachklapp eigentlich auch gar nicht verglichen werden sollte. Das fällt auch nicht schwer, da fast sämtliche Querverbindungen ausbleiben und das Werk, bis auf die ersten referenziellen Momente, völlig eigenständig bleibt. Spaß hat man hier dennoch. Inhaltlich tumb, optisch todschick, handwerklich tadellos – DER MANN MIT DER TIGERPRANKE ist ein astreiner Zweite-Reihe-Reißer und tötet Langeweile im Hand- und Armumdrehen. Nicht mehr. Aber auch wirklich nicht weniger.

Laufzeit: 99 Min. / Freigabe: ab 18

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