Eigene Forschungen

Samstag, 20. April 2024

CITY UNDER SIEGE


CHUN SING GAI BEI
Hongkong 2010

Regie:
Benny Chan

Darsteller:
Aaron Kwok,
Shu Qi,
Collin Chou,
Wu Jing,
Zhang Jingchu,
Yuen Wah,
Ben Wong,
Tie Nan



Inhalt:

Sunny Li [Aaron Kwok] ist Zirkusakrobat. Nicht gerade ein Traumjob, zumal er auch nur die zweite Geige spielt und vom Rest der Truppe überwiegend Verachtung und Spott kassiert. Sein Leben wird allerdings spektakulär auf den Kopf gestellt, als er eines Tages seine Kollegen dabei überrascht, wie sie in einer Höhle einen Schatz aus Zeiten des Zweiten Weltkrieges bergen. Wider Erwarten befindet sich in dem gefundenen Behältnis aber kein Gold oder Ähnliches, sondern ein geheimnisvolles Gas, von welchem Sunny eine volle Ladung abbekommt. Seitdem ist nichts mehr, wie es war, denn Sunny entdeckt an sich neue metaphysische Fähigkeiten. Doch auch seine Kompagnons verändern sich, wenn auch auf andere Art und Weise: Ihre Körper mutieren, sie entwickeln übermenschliche Kräfte und eine enorme Aggressionswut. Schon bald werden sie für ihre Mitmenschen zur kolossalen Bedrohung. Um die Welt zu retten, muss Sunny nun beweisen, was wirklich in ihm steckt.

Kritik:

Die finanziellen Höhenflüge von Hollywoods Heldenkollektiven konnte auch Hongkongs Filmindustrie irgendwann nicht mehr ignorieren. Um auf den gewinnträchtigen Zug aufzuspringen, engagierte man darum schließlich Regisseur Benny Chan, der seine Erfahrungen mit actionaffinen Stoffen hatte und mit lärmenden Spektakeln wie NEW POLICE STORY (2004) oder INVISIBLE TARGET (2007) auch internationale Aufmerksamkeit erregen konnte. Das Vertrauen in seine Expertise war dabei so groß, dass man ihm mit den Funktionen Produzent, Co-Autor und Co-Editor auch gleich noch weitere Zügel in die Hand gab. Die X-MEN waren es, die offensichtlich Pate standen für die abstruse Erzählung mutierter Schausteller, die eine großangelegte Schlacht um das Schicksal der Menschheit schlagen. Dabei bewies man keinerlei Scheu, die Pulp-Parameter bis aufs Maximum auszupegeln, scheint die Herleitung der Prämisse (ein Zirkus-Clown muss die Welt vor den Eroberungs- und Zerstörungsplänen seiner größenwahnsinnigen Kollegen retten) einem naiven Comic-Strip der 1950er Jahre entsprungen: Ein biochemisches Experiment verbrecherischer Japaner während des Zweiten Weltkrieges ist verantwortlich für die Misere, hegten die skrupellosen Nazi-Kollaborateure doch den Plan, mittels Eingriff in die menschliche Genetik unbezwingbare Super-Soldaten zu kreieren. In Folge des eigens dafür zusammengerührten Gas-Gemisches entstanden grauenerregende, kaum zu zügelnde Monster-Mensch-Hybriden, die gewiss Land und Leute ausradiert hätten, wäre nicht just in diesem Augenblick ein Bombenhagel niedergegangen, welcher die Kreaturen samt der unheilvollen Substanz direkt am Ort des Geschehens, einer unterirdischen Höhle nämlich, verschüttet hätte.

Dass eben jenes alptraumhafte Wundermittel im Hongkong der Gegenwart durch die Neugierde und Unachtsamkeit einer Zirkus-Truppe wieder freigesetzt wird, wollte allein das schwach erdachte Drehbuch, denn eine nachvollziehbare Motivation haben die unfreiwilligen Unheilstifter überhaupt nicht. Aber da die Handlung ja irgendwie in Gang kommen muss, kriechen nun ein paar erwachsene Männer und Frauen, die garantiert Besseres zu tun hätten, wie abenteuerlustige Kleinkinder durch Erdreich und Gestein, um einen vermeintlichen Kriegsschatz zu finden. Warum die unfreiwillige Chemie-Keule den Großteil der Gruppe zu Schurken werden lässt, den Haupt-Protagonisten aber nicht, wird auch nicht recht erklärt, aber das könnte man sich gedanklich immerhin noch selbst hinbiegen, indem man annimmt, dass die Droge einfach den eigentlichen inneren Charakter entfesselt und potenziert. Warum sich der Held aber vor der finalen Entfaltung seiner Superkräfte kurzzeitig zum fetten Schwamm umformt, hinterlässt dann wieder reichlich Fragezeichen.

Besagter Held wird von Aaron Kwok [→ MONK COMES DOWN THE MOUNTAIN] verkörpert, der keine Hemmungen hat, sich dafür auch mal anständig zum Affen zu machen. Zu Beginn noch der Clownerie verschrieben (was natürlich auch der Rolle geschuldet ist), entwickelt er sich im Laufe der Ereignisse mehr und mehr zum integren Weltenretter - wobei es aufgrund der anfänglichen Kaspereien durchaus schwerfällt, ihn später als große Nummer ernstzunehmen. Als Chef-Kontrahent schält sich alsbald sein früherer Mobber Zhang Dachu heraus, gespielt von Collin Shou [→ SPECIAL ID], der in seinem klobigen Ganzkörperkostüm beim Drehen gewiss keine einfache Zeit hatte. Dazu gesellt sich Shu Qi [→ EXTREME CRISIS], die als Nachrichtensprecherin den Helden unter ihre Fittiche nimmt – nicht ganz uneigennützig, versucht sie doch mit dessen medialer Ausschlachtung, ihre stagnierende Karriere wieder in Schwung zu bringen. Und zu guter Letzt agieren noch Zhang Jungchu [→ BEAST STALKER] und Wu Jing [→ WOLF WARRIOR] als von der Polizei eingesetzte Mutantenjäger, die dem Helden erst argwöhnisch gegenüberstehen, sich schließlich aber mit ihm verbünden und anständig mitprügeln.

Denn natürlich läuft alles auf eine deftige, mit viel Drahtseilgezurre und Computereffekten unterfütterte Zerstörungsorgie hinaus, bei der meterweit durch die Luft geflogen und allerhand Mobiliar zerstört wird. Diese Augenblicke gehören dann auch zum Besten, was CITY UNDER SIEGE zu bieten hat, denn hier war Benny Chan ganz in seinem explosiven Element. Stagnieren tut die Sache indes immer dann, wenn man mehr sein wollte als simpler Krawall und emotionale Zwischentöne anklingen ließ. So liegen die beiden miteinander verbandelten Polizei-Protagonisten im Clinch betreffend der geplanten gemeinsamen Zukunft, der Bösewicht hegt urplötzlich Gefühle für die Fernsehfrau, welche sich wiederum aus völlig unerfindlichen Gründen in den Helden verguckt, der seinerseits - wie eingeschobene Erinnerungsbruchstücke verdeutlichen – an einer komplizierten Beziehung zu seinem Vater zu knabbern hat. All das funktioniert nicht die Bohne, da man es nicht mit echten Charakteren zu tun hat, sondern mit Abziehbildern, und führt zu zahlreichen Momenten der Lähmung und Lächerlichkeit. Seinen Höhepunkt findet das im Finale, als Shu Qis Figur zwischen Destruktion und Feuerfunken dem Schurken klarzumachen versucht, was das Wesen wahrer Liebe ist.

Abseits seiner Action ist CITY UNDER SIEGE somit eine reichlich misslungene Veranstaltung, da sie ihre Defizite im Bereich der Narration nicht aufwiegen kann. Dazu kommt, dass die eingesetzten Monstermasken und -kostüme für das Produktionsjahr recht altbacken daherkommen und sich mit dem deutlich moderneren Pixel-Popanz visuell nicht vertragen. Collin Shous schwerfällig anmutendes Eidechsen-Outfit (oder was immer das für ein Vieh sein soll) scheint wie direkt aus dem Fundus des 90er-Jahre-TURTLES-Artefakts gezogen. Vor allem aber wirkt das Werk seltsam unsympathisch, da allzu offensichtlich ist, dass man im Sinne der Finanzmaximierung lediglich ein paar in Übersee funktionierende Formeln kopieren wollte. Statt Eigenständigkeit regiert simples Nachgeäffe; eine Verknüpfung der Vorbilder mit eigenen Tugenden bleibt ebenfalls aus (Grimassenschneiden zählt nicht). Benny Chans nachfolgende Arbeit SHAOLIN (2011) begab sich dann glücklicherweise wieder auf vertrautes Terrain.

Laufzeit: 110 Min. / Freigabe: ab 16

Samstag, 13. April 2024

SHAOLIN BASKETBALL HERO


GONG FU GUAN LAN
China, Taiwan 2008

Regie:
Kevin Chu Yen-Ping

Darsteller:
Jay Chou,
Eric Tsang,
Charlene Choi,
Chen Bolin,
Baron Chen,
Ng Man-Tat,
Eddy Ko,
Kenneth Tsang



Inhalt:

Das Schicksal meinte es bisher nicht besonders gut mit Fang Shi-jie [Jay Chou]: Als Säugling im Park ausgesetzt, wurde er erst von einem Landstreicher gefunden, dann der Obhut eines ansässigen Kung-Fu-Klosters übergeben, wo er zu einem jungen Mann heranwuchs, zwar sportgestählt, aber ohne Orientierung und Lebensziel. Als er sich eines Nachts mit Schurken herumprügelt, wird er von seinem Meister verstoßen und ist gezwungen, ohne Geld und Obdach im Park zu übernachten. Dort trifft er auf den alternden Überlebenskünstler Li Zhen [Eric Tsang], der Fangs Treffsicherheit beim Werfen bemerkt und ihm die Mitgliedschaft im Basketball-Team der Universität verschaffen kann. Tatsächlich erweist Fang sich als Naturtalent und wird quasi unbesiegbar, als er seine natürliche Gabe mit seinem Wissen um Kung-Fu-Taktiken kombiniert. Als es Li gelingt, ihn als „Basketball-Waisenkind“ zu vermarkten, wird Fang urplötzlich zum umjubelten Star.

Kritik:

Dem chinesischen Regisseur und Schauspieler Stephen Chow gelang im Jahre 2001 mit SHAOLIN SOCCER ein Überraschungserfolg. Die Erschaffung einer neuen Sportart, einer (natürlich realitätsfernen) Mixtur aus Kung Fu und Fußball (in der deutschen Fassung folgerichtig Kung-Fußball genannt), ließ, in Verbindung mit viel Klamauk und Typenkomik, kräftig die Kassen klingeln. Seitdem wurde das zugrunde liegende Konzept mehrere Male kopiert und auch SHAOLIN BASKETBALL HERO bildet da keine Ausnahme. Zwar gab man zwischenzeitlich auch mal zu Protokoll, die eigentliche Inspiration sei der bereits 1990 erschienene Manga SLAM DUNK gewesen, aber selbst, wenn das der Wahrheit entspräche, spielte es keine große Rolle, existieren zur vermeintlichen Vorlage doch kaum Parallelen. Stattdessen orientierte man sich merklich an der Erfolgsformel des 7 Jahre zuvor entstandenen Publikumslieblings: Als Aufmerksamkeitserreger und Alleinstellungsmerkmal dient abermals die Kombination einer bekannten Sportart mit Kung-Fu-Elementen, während man auf inhaltlicher Ebene der klassischen Ein Außenseiter sucht seinen Platz im Leben-Regel gehorcht, die spätestens seit ROCKY (1976) das Körperertüchtigungs-Kino bestimmt.

Überbordende Originalität ist somit schonmal nicht die Komponente, mit der Autor und Regisseur Kevin Chu [→ ISLAND OF FIRE] hier auf Stimmenfang geht. Aber das muss ja nichts Schlechtes sein, zumal im Grunde jede Geschichte schon irgendwann einmal erzählt wurde. Die Prämisse des Waisenknaben auf dem Wege der Selbstfindung funktioniert zudem immer wieder gut, während die hier präsentierte Kung-Fu-Ausbildung wohlige Erinnerungen an frühere Shaw-Brothers-Glanzlichter wie DER TEMPEL DER SHAOLIN (1976) weckt. Anders als dort trägt die Lehre der Kampfkunst hier jedoch nicht zur inneren Ausgeglichenheit und Charakterfestigung bei (kein Wunder, sonst wäre SHAOLIN BASKETBALL HERO bereits nach dem Vorspann vorbei), sondern bildet die Basis für den weiteren Prozess des Protagonisten Fang (Jay Chou [→ CITY UNDER SIEGE]), welcher nach zwangsauferlegtem Ausschluss aus dem Bildungs- und Bindungstempel mittellos und ohne die geringste Zukunftsvision auf der Straße landet. Folgerichtig vom Drehbuch konstruiert, trifft er dort auf den sympathischen Herumtreiber Li, der sich in einer ähnlich trostlosen Situation befindet. Doch wo Fang desillusioniert und antriebslos ist, ist Li - unnachahmlich herzeinnehmend verkörpert vom schauspielerischen Schwergewicht Eric Tsang [→ INFERNAL AFFAIRS] - ein Quell des Optimismus' und sieht das Leben als ein Hort an Möglichkeiten. Natürlich erkennt er auf Anhieb, dass in Fang verborgenes Talent schlummert, und auch die Chance, darauf eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Die Bekanntschaft der beiden Männer gipfelt schließlich im gewinnendsten Moment des Films, in dem Li seinen jungen Schützling zum Essen einlädt. Da Li sich aber selbst kaum die Butter auf dem Brot leisten kann, platziert er einen Tisch im Hinterhof eines Nobel-Restaurants, wo ihm seine Tochter, die in besagtem Fresstempel als Bedienung arbeitet, all die Dinge serviert, die das dekadente Besuchertum verschmäht. Li und Fang jedoch bedeuten diese (vermeintlichen) Reste eine Menge und sie genießen ihr Mahl. Ein sehr schöner, sehr intimer Moment, der Herz für die von der Gesellschaft Ignorierten zeigt und den Blick auf den Wert der kleinen Dinge lenkt.

Leider verkannte Chu in seiner Funktion als Autor, dass eben diese fabelhaft funktionierenden Chemie zwischen Fang und seinem späteren Mentor Li die große Stärke seines Werkes ist. Stattdessen wird der Fokus im Nachfolgenden auf überwiegend nutzlose Nebenschauplätze verlagert. Vor allem Fangs flugs herbeizitierte Zuneigung zur zwar zuckersüßen, aber völlig profillosen Standard-Frauenrolle Lily trägt keinen Deut zu irgendetwas bei, weder zur Charakterbildung, noch zum Fortlauf der Ereignisse. Lily ist allzu offensichtlich nur deswegen im Skript, weil es ohne Liebes-Gelüste wohl einfach nicht gehen darf - und weil ihre Darstellerin Charlene Choi [→ NEW POLICE STORY] in ihrer Heimat dank ihrer Gesangs-Karriere wohl immer noch populär genug war, um noch ein, zwei Eintrittskarten mehr verkaufen zu können. Dass die Dame dabei künstlerisch kriminell unterfordert wurde (sie muss wirklich nichts weiter tun, als ein paar Mal durchs Bild zu laufen und dabei niedlich auszusehen), hat sie vermutlich nicht weiter gestört. So simpel sichert sich schließlich nicht jeder seine Miete.

Aber auch derlei Romantik-Anwandlungen werden nur halbherzig behandelt – wie eigentlich alles nur kurz angerissen, dann aber kaum vertieft wird. Das gilt paradoxerweise auch für das eigentliche Herzstück der Erzählung: den sportlichen Wettkampf. Dieser wird ja unter anderem auch deshalb so gern zum Gegenstand cineastischer Unterhaltung gemacht, weil er eben eine gewisse Grundspannung und -dramatik verspricht. Hier ist davon allerdings rein gar nichts zu spüren. Gegen wen eigentlich gerade gespielt wird und warum, wie die Taktik des Teams lautet und was vom Ausgang des Spiels abhängt, all das wird gar nicht oder nur unzureichend thematisiert, weswegen jedwedes Potential verpufft. Wobei Spannung schon allein aufgrund des mangelnden Realitätsbezugs nicht aufkommen mag. Da dürfen schon mal während des Turniers aus heiterem Himmel ein paar neue Spieler zum Team hinzustoßen, ohne dass das irgendwie ein Problem wäre. Dass Fang und seine Leute dann nicht einmal fair spielen, indem sie beispielsweise Betäubungspfeile auf ihre Gegner abfeuern, verführt auch nicht gerade zum Daumendrücken.

Letztendlich reiht SHAOLIN BASKETBALL HERO mehrere erfolgversprechende Versatzstücke aneinander und vergisst dabei überwiegend, sie miteinander in Relation zu setzen. So wirkt es befremdlich, wenn gegen Ende plötzlich vehement an Zusammenhalt appelliert wird, obwohl ein Fehlen von Mannschaftsgeist bis dahin gar nicht hinreichend herausgearbeitet und somit auch kein Konflikt installiert wurde. Die Figur des Fang wirkt zudem insgesamt eher langweilig, da sie keine sichtbare Entwicklung durchmacht. Der Bursche ist einfach ein Naturtalent in Sachen Basketball, kann von Beginn an quasi alles und muss sich weder äußeren noch inneren Herausforderungen stellen. Fangs einzige Seelenpein, nämlich die ungewisse Antwort auf die Frage, wer seine Eltern sind und warum sie ihn ausgesetzt hatten, löst sich am Ende einfach in Luft auf, ohne dass er irgendetwas dafür hätte tun müssen. Effektives Geschichtenerzählen geht anders. Einzelnen gelungenen Momenten steht somit eine dramaturgische Planlosigkeit gegenüber, die KUNG FU DUNK (internationaler Titel) insgesamt verzichtbar macht. Lediglich Fans von Eric Tsang können hier wieder ihre Erinnerung daran auffrischen, warum sie Fans von Eric Tsang sind.

Laufzeit: 95 Min. / Freigabe: ab 12

Freitag, 5. April 2024

GODZILLA X KONG - THE NEW EMPIRE


GODZILLA X KONG - THE NEW EMPIRE
USA 2024

Regie:
Adam Wingard

Darsteller:
Rebecca Hall,
Brian Tyree Henry,
Kaylee Hottle,
Alex Ferns,
Rachel House,
Ron Smyck,
Chantelle Jamieson,
Greg Hatton



Eigentlich begann alles recht seriös: Mit GODZILLA kam anno 2014 die amerikanische Neuauflage einer japanischen Leinwand-Legende in die Lichtspielhäuser und war erfolgreich genug, um das sogenannte Monsterverse zu begründen, ein Universum, das verschiedene Riesenmonster, teils bereits erdacht und renommiert, teils völlig neu erfunden, unter einer Kino-Kuppel vereinte. Zehn Jahre, vier Filme und eine Fernsehserie später ist es mit der einstigen Ernsthaftigkeit Essig: GODZILLA X KONG ist inhaltlich dermaßen drüber (beziehungsweise eigentlich ja drunter), dass ein dickes Fell allein schon nicht mehr ausreicht: Da muss schon ein ganzer Riesenaffenpelz her, um die amtliche Unfug-Überdosis angemessen abperlen lassen zu können. Interessanterweise jedoch steht die Kokolores-Offensive der Kaijū-Saga ganz gut zu Gesicht - sofern man gewillt ist, sich auf das buchstäblich tiefergelegte Story-Niveau einzulassen:

Inhalt:

Menschen und „Titanen“ leben mittlerweile in einer gebrechlichen Co-Existenz zusammen – über- und unterirdisch. Eines Tages taucht „Godzilla“ überraschend in Frankreich auf und säuft ein Atomkraftwerk leer. Die von Nuklearenergie lebende Bestie scheint Kräfte für einen großen Kampf zu sammeln. Gleichzeitig laufen bei Monarch, der Institution zur weltweiten Überwachung von Monsteraktivitäten, die Drähte heiß: Ein Signal dringt aus dem Inneren der Erde – offenbar ein Hilferuf. Der Techniker Mikael [Alex Ferns] sowie ein paar teils bereits aus dem Vorgänger bekannte Figuren, die Wissenschaftlerin Ilene Andrews [Rebecca Hall], ihre Adoptivtochter Jia [Kaylee Hottle], der Tierarzt Trapper [Dan Stevens] sowie der Verschwörungsideologe Hayes [Brian Tyree Henry], begeben sich mittels eines speziellen Fluggerätes unter die Erdoberfläche. Dort vegetiert auch der gigantische gorillaartige „Kong“, der ziemlich zeitgleich eine überraschende Entdeckung macht: In einem verborgenen Winkel der Hohlerde lebt eine Spezies aggressiver Affen. Und sie scheint nichts Gutes im Schilde zu führen.

Kritik:

GODZILLA X KONG verlagert die Ereignisse dieses Mal überwiegend in besagte „Hohlerde“, jene bereits innerhalb der Reihe etablierte Jules-Verne-artige Welt unter der Welt, was prinzipiell sinnvoll ist: Hier konnten die Autoren nach Belieben über die Stränge schlagen, ohne ihren Irrsinn großartig erklären zu müssen. Und tatsächlich erinnert das nicht selten an den naiven Kintopp früherer Tage, als man sich mit Schmu wie DER SECHSTE KONTINENT (1976) noch traute, dem Publikum eine Ungeheuerlichkeit nach der nächsten aufzutischen. So lauern auch hier hinter jedem Stein und Strauch neue Monstrositäten, was oftmals selbst diejenigen überrascht, die in dieser Umgebung leben: Flugechsen, Seeschlangen, fleischfressende Bäume, vergessene Völker, aggressive Affenstämme, alles gibt sich gegenseitig die Klinke in die Hand. Das ist teilweise schon recht unterhaltsam, wirkt aber niemals wirklich echt. Während das Team um James Cameron z. B. für AVATAR eine Welt erschuf, bei der alles penibel durchdacht erscheint (so wie – wenn man im Sujet bleiben möchte – Peter Jackson & Co. das auch bei KING KONG [2005] taten), warf man bei GODZILLA X KONG einfach alles, was einem irgendwie gerade brauchbar vorkam, in den großen Titanen-Topf und rührte anschließend ein paar Panoramen dazu, die zwar imposant anzusehen sind, aber ebenfalls kein stimmiges Ganzes ergeben wollen, weswegen die Hohlerde an so ziemlich jeder Ecke ein wenig anders aussieht.

Trotz gleichberechtigter Names-Nennung im Titel liegt der Fokus der Erzählung dabei dem Schauplatz entsprechend auf dem Riesenaffen Kong, der vielleicht auch deshalb menschlicher agieren darf als jemals zuvor. Wenn er sich eine Wasserfall-Dusche gönnt oder nach anstrengendem Zweikampf eine Mahlzeit einverleibt, hat er kaum noch etwas Animalisches an sich und wirkt fast wie ein gewöhnlicher Straßen-Typ mit Bauarbeiter-Charme. Es liegt an einem selbst, ob man sich davon irritieren lassen möchte oder nicht. Dass Kong es im weiteren Verlaufe mit einem Stamm kriegerischer Affen zu tun bekommt, erinnert gewiss nicht zufällig an die erfolgreiche PLANET DER AFFEN-Reihe der Konkurrenz. Auf jeden Fall nutzte man das Thema, um ein paar horrorartige Momente unterzubringen, könnte sich der Anführer der blutdürstigen Horde, der Scar-King, ohne Mühe auch als Antagonist für HELLRAISER bewerben.

Mit Godzilla hingegen wussten die Macher dieses Mal nicht allzu viel anzufangen. Dessen Auftritte wirken recht ziellos - was auch damit zusammenhängt, dass man sich offenbar immer noch nicht entschieden hat, auf welcher Seite der nukleare Gigant denn nun eigentlich stehen soll: Einerseits hilft er zwar nach wie vor den Menschen, indem er andere Ungeheuer bekämpft, andererseits haut er auch gewissenlos befahrene Autobahnbrücken entzwei, was garantiert mehreren Unglücklichen gehörig den Tag versaut. Dass man im einen Moment nochmals betont, es mit einem Schutzpatron zu tun haben, während man ihm im anderen dann aber doch eine Fliegerstaffel auf den Hals hetzt, hilft ebenfalls nicht dabei, Widersprüche aufzulösen. Und dann darf sich Godzilla auch wieder einen kleinen Kampf mit Kong liefern, was auch nicht so richtig schlüssig ist, da beide eigentlich auf gleicher Seite stehen. Hier sparte man offenbar absichtlich mit hauseigener Logik, um dem Fan das bieten zu können, was er (vermeintlich) am meisten begehrt.

Und natürlich sind Freunde sich kloppender Kolosse hier prinzipiell schon an der richtigen Adresse. Zur Auswahl stehen unter anderem noch ein neu erschaffenes Monster, das ein wenig wirkt, wie die etwas zurückgebliebene Schwester von Gamera, der Riesenschildkröte, und ein altbekanntes aus dem klassischen Godzilla-Universum, das zwar toll designt und animiert ist, hier aber wirklich rein gar nichts zu tun hat und nur dabei ist, damit es eben dabei ist. Im Finale gingen den Machern dann ganz schön die Gäule durch, wenn Godzilla und Kong aus dem Boden brechen und losstolpern wie zwei Superhelden, die den letzten Bus in Richtung Erdrettung noch erreichen müssen. Dass ausgerechnet der bewegungstechnisch eher als behäbig bekannte Godzilla nun plötzlich sprinten kann, als habe er eine Atomrakete im Allerwertesten, stiftet dabei fast noch mehr Verwirrung, als das allzu menschliche Gebaren Kongs. Spielt allerdings ohnehin bald keine Rolle mehr, denn wenn schließlich auch noch die Schwerkraft aufgehoben wird (ja, das geht!) und sich die Riesen folglich einander im Schwebezustand verwemsen, ist eh egal, wer wann wie schnell laufen kann.

Bei aller grundsätzlichen Verbundenheit zur infantilen Übertreibung muss man konzedieren, dass der schrille Showdown der Sache insgesamt eher schadet als nützt. Ein bisschen mehr Bodenständigkeit (gern auch im buchstäblichen Sinne) wäre dem Gesamteindruck gewiss zuträglich gewesen. Es ist nicht unironisch, dass ausgerechnet der Westen, der sich für die Naivitäten des asiatischen Monsterkinos jahrzehntelang überwiegend im Spott erging, nun den diesbezüglich mit Abstand albernsten Aufwurf produzierte, während die Tōhō-Studios nur vier Monate zuvor mit GODZILLA – MINUS ONE einen neuen japanischen Beitrag vorlegten, der mit seiner Rückbesinnung auf die düsteren Wurzeln des destruktiven Wesens selbst seriöse Kritiker zu Kreuze kriechen ließ. Der Kontrast zum vorliegenden Spektakel könnte somit größer kaum sein – wobei es mit seinem Hang zum hemmungslosen Nonsens nicht grundlegend unsympathisch geriet. Man kann ihm gewiss viel vorwerfen, Langeweile gehört nicht dazu. GODZILLA X KONG (Was wohl das „x“ im Titel bedeuten soll? Dass man die Logik zu Grabe getragen hat?) ist daher mit tiefergelegtem Anspruch durchaus einen Blick wert. Aber den Affenpelz nicht vergessen! Denn das hier ist so blöd, das brüllt schon!

Laufzeit: 115 Min. / Freigabe: ab 12

Montag, 1. April 2024

CREATION OF THE GODS - KINGDOM OF STORMS


FENG SHEN DI BU - ZHAO GE FENG YUN
China 2023

Regie:
Wuershan

Darsteller:
Yu Shi,
Kris Phillips,
Huang Bo,
Chen Muchi,
Li Xuejian,
Narana Erdyneeva,
Yang Le,
Xia Yu



Inhalt:

China, Shang-Dynastie, zur Zeit der Zauberer und Dämonen: Der König entsendet Yin Shou [Kris Phillips], um ein Heer Aufständischer niederzuschlagen. Siegreich kehrt Shou zurück. Aber die anschließenden Feierlichkeiten werden zum Desaster: In einem unerklärlichen Fall geistiger Umnachtung tötet Kronprinz Qi [Gao Shuguang] seinen eigenen Vater, woraufhin das Land aus heiterem Himmel ohne König dasteht. Im Rahmen des Thronfolge-Gesetzes wird daraufhin Yin Shou zum Herrscher ernannt. Doch dessen Sohn Jiao [Chen Muchi] entdeckt Schreckliches: Die sirenenhafte Su Daji [Narana Erdyneeva], eine Art „Mitbringsel“ aus Feindeshand und nun Gespielin seines Vaters, ist von einem Fuchsdämon besessen und scheint des Königs Verstand sukzessive zu vergiften. Der Versuch Jiaos, auf die Gefahr aufmerksam zu machen, wird als Verrat interpretiert, woraufhin er alsbald die Flucht antreten muss.

Währenddessen beschließen die Unsterblichen von Kunlun, den Menschen die magische „Schriftrolle der Investitur“ anzuvertrauen, welche die Macht besitzt, die weltliche Ordnung wiederherzustellen. Der kauzige Jiang Ziya [Huang Bo] opfert 40 Jahre seiner Unsterblichkeit, um das Artefakt Yin Shou zu überreichen. Doch als er dessen wahren Charakter erkennt, flieht er mitsamt der Schriftrolle wieder aus dem Palast. Nun hat Ziya nicht nur die Häscher des Königs an den Fersen, sondern auch den bösartigen Alchemisten Shen Gongbao [Xia Yu], der ebenfalls auf das Utensil aufmerksam wurde und nun alles daransetzt, dieses mächtige Werkzeug an sich zu reißen.

Kritik:

Eine Inhaltsangabe zu KINGDOM OF STORMS muss, möchte man nicht den Rahmen sprengen, unvollständig bleiben. Denn was hier an Gestalten und Geschichten aufgefahren wird, ist regelrecht maßlos und geht in Richtung der staffelreichen TV-Saga GAME OF THRONES. Allerdings war INVESTITURE OF THE GODS, die Buch-Vorlage der überbordenden Leinwand-Phantasmagorie, deutlich früher da: Bereits im 16. Jahrhundert erdachte Schriftsteller Xu Zhonglin diese alternative Historie Chinas, eine von Fantasy und Folklore geprägte Version der politischen Ereignisse nach dem Aufstieg des letzten Königs der Shang-Dynastie, eine Welt, in der Menschen, Götter und Dämonen aufeinandertreffen in einem großen Ränkespiel um Macht, Intrige und Verrat. Um das Werk angemessen adaptieren zu können, hielt man sich gar nicht erst mit halben Sachen auf: Umgerechnet 400 Millionen US-Dollar nahm man (zumindest offiziellen Angaben nach) in die Hand, um selbstbewusst und siegessicher gleich drei überlange Großereignisse am Stück zu produzieren und unter dem Haupttitel CREATION OF THE GODS zu firmieren. Rund 15.000 Vorsprechen hielt man angeblich ab, um die Besetzung zusammenzustellen, woraufhin sich die Sieger erst einmal sechs Monate in ein Trainingslager begeben durften, um eine Ausbildung in Sachen Schauspiel, Kämpfen, Reiten und Schießen zu erhalten, damit Körper und Muskeln im Anschluss denen damaliger Krieger entsprachen. Ganz schön viel Aufwand, um eine Epoche zu rekonstruieren, die es in dieser Form ja niemals gab!

Ob diese Maßnahmen übertrieben waren oder nicht, ist gewiss diskussionswürdig, geschadet haben sie dem Werk jedenfalls nicht: Dem Team um Regisseur Wuershan [→ MOJIN] gelang es, eine Welt zu entwerfen, die sich, trotz durchschnittlicher digitaler Effekte, auf Anhieb echt und glaubwürdig anfühlt, obwohl hier wirklich am laufenden Meter lauter fürs Publikum wundersame Dinge passieren. Die bedingungslose Akzeptanz der Anwesenheit von Magie und Übernatürlichem muss freilich Prämisse sein, um kein Stirnrunzel-Trauma zu erleiden. Bereits zu Beginn, der noch am ehesten einem klassischen historischen Schlachtengemälde gleicht, kündigt sich schon der erste Hokuspokus an. Allerdings ist man an dieser Stelle noch viel zu beschäftigt damit, sich zurechtzufinden, wird man doch unversehens hineingeworfen ins gewalttätige Gewühl und eh man überhaupt begriffen hat, wer gegen wen und warum, haben auch schon mehrere Leute dekorativ ins Gras gebissen. Die Vielzahl an Figuren, die einem auch im weiteren Verlaufe um die Ohren fliegt, mag vielleicht zunächst abschrecken, irritiert aber nur kurzzeitig. Denn obwohl KINGDOM OF STORMS jede Menge an Personal auffährt, das einem stets per viel zu kurzer Texteinblendung vorgestellt wird, gelang es der vierköpfigen Autorenschaft, die Ereignisse schlussendlich doch in erstaunlich übersichtlichen Bahnen ablaufen zu lassen. Und das will schon was heißen bei dem amtlichen Aufgebot an Akteuren, die alle ihren eigenen Hintergrund und seelischen Zwiespalt mitbringen. Gut eine Stunde dauert es, bis allein die Exposition geschafft und die konstitutive Konfliktsituation installiert ist. Aber auch dann bleiben ja noch 90 Minuten, die bestmöglich genutzt werden.

Inhaltlich ist das kaum neu (wie denn auch, bei einer Vorlage, die aus der Zeit der Ming-Dynastie stammt?) und auch nur leidlich originell, aber doch erstaunlich frisch und schwungvoll erzählt. Die Figuren gehorchen zwar gängigen Rollen-Klischees, aber man interessiert sich für sie und ihre Schicksale, da die moralischen Dilemmata, denen sie ausgesetzt werden, ebenso nachvollziehbar wie fortwährend aktuell sind - wobei eine kleine, aber durchaus bedeutsame Fußnote nicht unter den Tisch fallen sollte: Während in China produzierte Kampfgelage in ihrer Botschaft oft einer menschenverachtenden Ideologie folgen, die den Wert des Individuums geringer schätzt als das Erreichen eines (vorgeblich) hehren Ziels, dreht KINGDOM OF STORMS diese Perspektive nämlich auf links und plädiert für die Würde des Einzelnen unter dem Joch misanthropischer Regeln und Regentschaft. So erkennt z. B. der „Teilzeit-Unsterbliche“ Jiang Ziya die Verworfenheit des Königs, als dieser ohne zu zögern einen Bediensteten opfert, um seine Interessen durchzusetzen. Ohnehin sterben hier ganze Wagenladungen unschuldiger Menschen teils aus reiner Willkür und verbohrter Weltanschauung, was der bonbonbunten Optik eine nihilistische Note hinzufügt.

Trotz diverser dramatischer und düsterer Elemente ist der Auftakt zur CREATION OF THE GODS-Reihe jedoch in erster Linie ein spaßiges Spektakel, das durchaus humorvoll ist, ohne dabei der Albernheit anheimzufallen. Das liegt auch an besagtem Jiang Ziya, einem von Huang Bo herrlich kauzig verkörperten „Gott-Opi“, der stets zwei „Arbeitskollegen“ im Gefolge hat, darunter auch ein temperamentvoller Halbwüchsiger, der bei Bedarf zwecks raketenartiger Fortbewegung Feuerringe unter den Füßen aktivieren kann und lange rote Bänder als Lasso einsetzt. Da das Trio nicht auf Anhieb als „allmächtig“ erkannt werden will, fragt der Junge in jeder brenzligen Situation immer erst artig, ob er jetzt seine Kräfte einsetzen darf, was an den Comic-Helden Obelix erinnert, der auch immer erst brav um Erlaubnis bittet, seinen Gegner aus den Schuhen hauen zu dürfen.

Dass CREATION OF THE GODS so oft mit DER HERR DER RINGE in Verbindung gebracht wird, hat nicht nur den Grund, dass manche Kritiker offensichtlich den Zwang haben, ständig Vergleiche ziehen zu müssen, sondern liegt auch daran, dass die Macher das in diesem Falle gewissermaßen selbst forcieren: So gab Wuershan zu Protokoll, die legendären Verfilmungen Peter Jacksons haben ihn ermutigt, selbst ein Projekt dieser Größenordnung anzugehen. Zudem engagierte man Barrie M. Osbourne, den Produzenten der bahnbrechenden Trilogie, als Berater. Aufs Glatteis führen lassen sollte man sich dadurch allerdings nicht; beide Werke sind inhaltlich wie stilistisch sehr verschieden. Eine viel naheliegendere Assoziation wäre die mit diversen Klassikern der Shaw Brothers, an deren Optik sich die Macher unter anderem in Sachen Kostüm und Kulisse offenbar orientiert haben. Fantasy-Freunde kommen bei dieser Eröffnungsveranstaltung dennoch voll und ganz auf ihre Kosten und bekommen aus wilde Mixtur aus Machtgerangel, Magiegewusel und Monsterquatsch, bei der die Zeit trotz Überlänge wie im Flug vergeht. Beziehungsweise im Sturm.

Laufzeit: 148 Min. / Freigabe: ab 16

Montag, 18. Dezember 2023

SILENT NIGHT - STUMME RACHE


SILENT NIGHT
USA 2023

Regie:
John Woo

Darsteller:
Joel Kinnaman,
Kid Cudi,
Catalina Sandino Moreno,
Harold Torres,
Vinny O’Brien,
Yoko Hamamura,
Valeria Santaella,
Angeles Woo



„...“


Inhalt:

Brian Godlock [Joel Kinnaman] hat so ziemlich alles, was man zum Glücklichsein braucht: Frau, Kind und einen extrem hässlichen Weihnachtspulli. Doch ausgerechnet am Fest der Liebe wird diese Idylle zerstört: Als sich direkt vor seiner Haustür zwei Straßen-Gangs bekriegen, bekommt sein Sohn einen Querschläger ab und stirbt noch an Ort und Stelle. Rasend vor Zorn und Trauer jagt Brian den Gangstern in einer Spontanreaktion hinterher – und bekommt selbst eine Kugel ab. Er überlebt. Aber sein Sprachzentrum ist zerstört. Und sein Leben natürlich auch. Spätestens, als auch seine Frau ihn verlässt, reift in ihm ein neuer Daseinszweck: die Vernichtung der Straßen-Gangs. Und des Mörders seines Sohnes.

Kritik:

In der Film-Branche reicht es in seltenen Fällen bereits aus, ein außergewöhnliches Konzept vorlegen zu können, um Produktionsgelder bewilligt zu bekommen. Beispiele: Ein Jugenddrama in Echtzeit und einer einzigen Einstellung ohne Schnitt. Ein Ballerfilm komplett aus subjektiver Sicht. Ein Actionfilm, der ausschließlich in einem Hotelzimmer spielt. Bei SILENT NIGHT dürfte es ähnlich abgelaufen sein. Die Idee: Ein Rachefilm, der vollkommen auf Dialoge verzichtet und seine Geschichte ausschließlich anhand seiner Bilder erzählt. Damit die Sprachlosigkeit des Protagonisten auch plausibel erscheint, bekommt dieser bereits nach wenigen Minuten eine Kugel in den Kehlkopf geballert und wird vom Täter als vermeintlich verblichen zurückgelassen. Da SILENT NIGHT aber eben kein Kurzfilm ist, überlebt der bis dahin glückliche Familienvater die Prozedur und wird im Krankenhaus so weit es geht wieder zusammengeflickt. Das behelfsfreie Gehen funktioniert nach geraumer Zeit zwar wieder, der Kirchenchor wird in Zukunft allerdings auf ihn verzichten müssen.

Dass das alles tatsächlich auch ohne Worte verständlich ist, liegt daran, dass das Publikum mit Film-Sprache und Genre-Schablonen bereits hinreichend vertraut ist. Schließlich werden immer wieder dieselben Muster und Methoden verwendet, um Geschichten an Mann und Frau zu bringen. So häufig und so repetitiv, dass begleitende Verbalisierungen in der Tat oftmals sogar banal oder obsolet wirken. Um die Pointe vorwegzunehmen: Funktionieren tut es im Falle SILENT NIGHTs dennoch nicht - in erster Linie, weil man es nicht geschafft hat, das eigene Konzept konsequent durchzuziehen. Dass die Hauptfigur keinen Mucks von sich gibt, ist im Rahmen der Handlung hinreichend und nachvollziehbar erklärt. Aber dass auch der Rest der Welt überwiegend die Klappe hält und sich stattdessen meist nur blasierte Blicke zuwirft, wirkt völlig befremdlich. Entscheidend ist dabei das Wort „überwiegend“. Denn wäre wenigstens diese Idee eisern durchgezogen, könnte man das zumindest als eigenwilligen künstlerischen Kniff akzeptieren. Aber so ist es eben nicht: Hin und wieder fallen nämlich doch schon mal ein paar knappe Sätze – wenn auch mit einem Dämmungseffekt unterlegt, weswegen es nun so klingt, als befände sich der Sprechende irgendwo im Nebenraum. Das ergibt in seiner Gesamtheit dann tatsächlich gar keinen Sinn mehr, sodass man den Eindruck gewinnt, SILENT NIGHT habe sich hin und wieder vor seinem eigenen Dogma erschrocken. Dass Radiomeldungen, Polizeifunk und Trainingsvideos ebenfalls mit Sprache versehen sind, erscheint hingegen durchaus stimmig (höhö!).

So steht dann am Ende ausgerechnet das, was man sich so selbstsicher als Alleinstellungsmerkmal auf die Fahne geschrieben hat, SILENT NIGHT im Weg. Das ist vor allem deswegen fatal, weil man auf inhaltlicher Ebene kaum Punkte sammeln kann. Streng nach Schema F arbeitet das Drehbuch die einzelnen Stationen und Entwicklungsstufen ab, frei von Innovation und Idee. Rückblende um Rückblende muss der Zuschauer zu Beginn über sich ergehen lassen, obwohl er schon längst begriffen hat, dass Brian Godlock einst, als er noch mit seinem Sohn im Garten herumtoben durfte, nahezu kriminell glücklich war. Dass seine Frau ihn schließlich verlässt, ist zwar nicht sonderlich nett, aber als entscheidender Tropfen zu viel im Fass natürlich von Bedeutung: Kind weg, Kehlkopf weg, und dann kratzt auch noch die Angetraute die Kurve. Da muss man ja zum Killer werden! Dass Brian beschließt, die böse Brut direkt an Weihnachten, also ein Jahr nach dem Tod seines Sohnes, zu den Ahnen zu schicken, ist natürlich auf emotionaler Ebene enorm effektiv, aber auch unsinnig: Was für ein dusseliger Plan ist es denn bitte, eine komplette Gang an nur einem einzigen Tag auszuschalten? Dann beginnt das übliche Prozedere, überwiegend bestehend aus Krafttraining, Schießübungen und Selbstverteidigungskursen (wobei das zumindest zum Teil verzichtbar erscheint, denn Action-Held-Qualitäten brachte der durchtrainierte Brian bereits vor seiner Schussverletzung mit, wenn er behände über Motorhauben hechtet).

In Sachen Stil und Atmosphäre gemahnt das nicht selten an den Übervater aller Selbstjustiz-Filme, nämlich DEATH WISH (1974), welcher den von Charles Bronson verkörperten Protagonisten auf seiner Reise vom Normalo zum Racheengel verfolgte. Auch hier wird die entwurzelte Hauptfigur während ihrer Streifzüge durch die Stadt immer mehr und mehr von der Lust gekitzelt, dem zahlreich vorhandenen Gesindel ein für alle Mal den Garaus zu machen. Die Zeit, die vergeht, bis der ehemalige Spießbürger dann tatsächlich seinen ersten Menschen über den Jordan schickt, ist dabei durchaus unterhaltsam und weitestgehend interessant aufbereitet (Wann er dabei zwischenzeitlich auch zum Fesselungskünstler geworden ist, der die Schurkenschaft schick verschnürt von der Zimmerdecke baumeln lassen kann, hätte man allerdings schon ganz gern mal gewusst). Anlog zur altbackenen Story fallen diesbezüglich allerdings auch einige Klischees ins Auge, teils so abgestanden, dass sie schon bedenklich an der Kante zur unfreiwilligen Karikatur kratzen. Das betrifft vor allem die ausschließlich aus Latinos bestehenden Straßenbanden, die ihre Freizeit scheinbar vorzugsweise damit verbringen, aus fahrenden Autos zu hängen, um dergestalt bleiverspitzend durch die Vororte zu rasen. Und wann immer sich die Mitglieder gegenseitig kontaktieren, ist der Angerufene gerade damit beschäftigt, irgendjemanden zu schlagen, zu foltern oder kaltzumachen. Wenn dann schließlich auf offener Straße ein Bandenkrieg ausbricht, weckt das sogar Assoziationen zum wirklich extrem stupiden DEATH WISH III (1985), der einst jedweden Realitätsbezug über Bord warf und die Pflaster Amerikas als permanente Schlachtfelder in Szene setzte.

Apropos „in Szene setzen“: Dass die Inszenierung SILENT NIGHTs von einem Altmeister des Actionfilms vorgenommen wurde, sieht man dem Ergebnis kaum an. John Woo, der sechs Jahre nach dem missglückten MANHUNT wieder Regie führte, verzichtete hier nämlich nahezu komplett auf all jene Mechanismen, für die er berühmt geworden war, mehr noch: Er verkehrte sie bisweilen sogar ins Gegenteil. Statt der tänzerischen Eleganz früherer Werke dominiert hier die ungeschlachte Rauferei, wenn man sich durch Küche, Keller und Garage kloppt und dafür so ziemlich alles zweckentfremdet, was einem spontan in die Finger fällt. Speziell das Finale macht allerdings durchaus was her und versöhnt sogar mit manchem Defizit: In nahezu surrealer Umgebung, der zu einer Art psychedelischer Diskothek umgebauten Behausung des Ober-Bösewichts, haut man sich da gegenseitig die Kugeln um die Ohren, was wirkt, als befände man sich gerade inmitten eines verschwitzten Fiebertraums. Fans von John Woo werden seinen ikonischen Inszenierungs-Stil vielleicht vermissen. Schlecht umgesetzt ist das alles dennoch nicht.

Überragend wäre SILENT NIGHT wohl in keinem Fall geworden. Selbst, wenn der Schweigsamkeits-Gimmick aufgegangen wäre, müsste man immer noch die sträflich ausgetrampelten Story-Pfade sowie die stupiden Stereotypen ins Feld führen. Mehr drin gewesen wäre allerdings dennoch, denn vieles wirkt schlichtweg nicht zu Ende gedacht. So lässt sich Brian Godlock z. B. seinen Wagen mit Panzerplatten spicken und unternimmt riskante Fahrmanöver auf der Übungsstrecke, ohne dass es später irgendeine zwingende Relevanz hätte. Dabei hätte man gerade hier die Klischees zur Tugend machen und den einsamen Rächer am Ende zu einer Art dunklen Superhelden der Marke THE PUNISHER umdeuten können, an welchen die Sache hin und wieder durchaus erinnert – wenn auch eben lediglich in der Light-Variante. So besitzt SILENT NIGHT am Ende kaum eigene Persönlichkeit, wirkt wie eine mundfaule Mischung aus Teil 1 und 3 von DEATH WISH, DEATH SENTENCE von 2007 (in dem ebenfalls ein Durchschnittstyp zum Vigilanten wird) und eben THE PUNISHER. Ein Totalausfall sieht freilich trotzdem anders aus. Generell funktioniert Weihnachts-Action ja immer ziemlich gut, da sich Blut und Schnee so schön vermischen können. Nicht jedes Mal muss es dabei ein Geniestreich wie STIRB LANGSAM oder THE LONG KISS GOODNIGHT sein. SILENT NIGHT fuhrwerkt nur in Zweiter Reihe. Aber das macht er eigentlich ganz anständig. Und der obligatorische Tauben-Gag (der irgendwann fester Bestandteil eines jeden Woo-Werkes wurde) ist dieses Mal ausnahmsweise sogar richtig lustig. Und nein: Der Gag ist nicht, dass die Taube dieses Mal eine Stumme ist. Herrje ...

Laufzeit: 105 Min. / Freigabe: ab 18 

Donnerstag, 14. Dezember 2023

NOTWEHR


ZHUI BU
China, Hongkong 2017

Regie:
John Woo

Darsteller:
Zhan Hanyu,
Masaharu Fukuyama,
Ha Ji-won,
Angeles Woo,
Jun Kunimura,
Nanami Sakuraba,
Stephy Qi Wei,
Ikeuchi Hiroyuki



Inhalt:

Du Qiu [Zhang Hanyu], Rechtsanwalt mit Erfolgshintergrund, beschließt, seine Arbeit für den japanischen Pharma-Konzern Tenjin an den Nagel zu hängen und zwecks neuen Jobs in die USA auszuwandern. Seine Pläne zerschlagen sich auf grauenhafte Art: Nach einer großen Firmenfeier, die seinen Abschied markieren sollte, erwacht er neben einer unbekannten Frau. Das Problem dabei: Sie ist tot. Ermordet. Alles deutet dabei so eindeutig auf ihn als Täter hin, dass er sich in einer Panik-Reaktion dem Polizei-Zugriff entzieht und in einer spektakulären Aktion die Kurve kratzt. Von nun an hat Qiu keine ruhige Minute mehr. Denn nicht nur der ehrgeizige Polizist Satoshi Yamura [Masaharu Fukuyama] heftet sich an seine Fersen. Auch die beiden Attentäterinnen Rain [Ha Ji-won] und Dawn [Angeles Woo] wollen ihm in unbekanntem Auftrage ans Leder.

Kritik:

Seinen Ruf als bester Action-Regisseur aller Zeiten wird Woo Yu-sen nicht mehr los. Das verdankt der als John Woo bekannt gewordene chinesisch-stämmige Filmschaffende vor allem drei Werken, die allesamt in Hongkong entstanden: Der Gangster-Ballade A BETTER TOMMOROW (1986), die noch relativ wenig Feuerzauber fabrizierte, dem Attentäter-Opus THE KILLER (1989), das eine bleihaltige Männerfreundschaft für die Ewigkeit erschuf, und schließlich dem Mani(schlacht)fest HARD-BOILED (1992), einem wahren Inferno aus Kugeln und Körpern, das lange Zeit als Maßstab für die Inszenierung virtuoser Action galt. Sein späteres Wirken in Hollywood wurde erst von der Kritik, dann auch vom Publikum eher verhalten aufgenommen, was schließlich in einigen Flops mündete, nicht immer nur finanzieller Natur. Mit dem (nun wieder in seiner Heimat gedrehten) Kriegs-Epos RED CLIFF (2008) konnte er zwar einen erneuten Erfolg verbuchen, aber historische Schlachten sind nun einmal nicht das, was man mit dem Namen des Regisseurs verbindet. Nachdem THE CROSSING (2014) weltweit fast einhellig ignoriert wurde, lag alle Aufmerksamkeit auf seinem Nachfolge-Projekt MANHUNT. Die abermalige Adaption eines bereits 1976 verfilmten Romans, so hofften viele, würde alte Woo-Tugenden wiederaufleben lassen.

NOTWEHR, wie das Werk in Deutschland getauft wurde, beginnt dann auch ungemein vielversprechend, wenn der Protagonist, Anwalt Du Qiu, ein altes japanisches Restaurant betritt und an der Theke zwanglos mit dessen Besitzerin ins Gespräch kommt. Alles an diesem Ort erinnere ihn an alte Filme, sinniert er. Die Dame, offenbar ebenfalls mit einer gewissen Leidenschaft für die Wunder der Leinwand unterwegs, beginnt daraufhin damit, Film-Zitate zum Besten zu geben, und man attestiert einander, wie viel besser das Kino früher doch war (was fraglos auch als sarkastischer Kommentar zum Schaffen Woos zu verstehen ist). Die traute, fast schon intime Zwietracht wird jäh gestört, als ein paar rüpelige Anzugträger das Etablissement betreten und anfangen, Stress zu machen. Qiu bietet der Frau seine Hilfe an, was von ihr freundlich, aber bestimmt abgelehnt wird. Als Qiu das Lokal kurz verlässt, schiebt sie die Tür hinter ihm zu, zückt zusammen mit ihrer Kollegin das Schießeisen und beginnt zu beschwingter Stimmungsmusik, die unfreundlichen Herren zurück zu den Ahnen zu schicken.

Dieser stimmungsvolle Auftakt macht auch deswegen Laune, weil er wohlige Assoziationen zu weiteren artverwandten Werken erwecken kann. Das Setting erinnert auf Anhieb an Johnny Tos fast vergessenen A HERO NEVER DIES (1998), der ebenfalls zu großen Teilen in rustikaler Schankraum-Umgebung spielt, die Ankunft der grobschlächtigen Gesellen gemahnt an die Kneipen-Szene aus Robert Rodriguez’ DESPERADO (1995), während das sympathische Zitier-Spiel die Filmverliebtheit eines Quentin Tarantino [→ KILL BILL] oder auch Wong Kar-Wai [→ THE GRANDMASTER] wiederspiegelt. Wenn zum Ende des Segments schließlich die Pistolen sprechen, um, wie von Woo einst selbst kultiviert, die Unholde in tänzerisch choreographierter Zeitlupe den Löffel reichen zu lassen, wirkt das fast nur noch wie eine notwendige Pflichtübung, um der Erwartungshaltung des Publikums Genüge zu tun.

Dass die gesamte Sequenz für den Rest der Handlung inhaltlich ohne Belang ist, spielt dabei keine Rolle. Immerhin wird Qiu hier als Hauptfigur etabliert und auch die beiden Killerinnen tauchen nicht zum letzten Male auf. Was dann folgt, unterscheidet sich jedoch auch stilistisch sehr stark, wenn man von der eher dörflichen Kuschel-Kulisse unversehens ins Milieu der Hochfinanz wechselt, in die Welt der schicken Klamotten und rauschenden Firmenfeiern, in welcher sich Qiu mühelos und selbstsicher bewegt. Erst, als er buchstäblich über Nacht zum Hauptverdächtigen eines Mordes wird, agiert er erstaunlich kopflos, entzieht sich seiner Verhaftung und liefert sich eine halsbrecherische Hetzjagd mit der Polizei. Das erscheint nicht unbedingt plausibel, da hier ja eben kein Otto Normalverbraucher des Verbrechens bezichtigt wird, sondern ein erfolgreicher, zudem als besonnen und nachdenklich eingeführter Anwalt, der seine Unschuld im weiteren Verlaufe gewiss höchstselbst unter Beweis hätte stellen können. Aber da der Plot ja irgendwie ins Rollen kommen muss, entscheidet sich Qiu für die deutlich spektakulärere Variante der Verfolgung, weswegen sein Kontrahent, der Polizist Satoshi Yamura, nun endlich auf die Bühne darf. Ähnlich, wie es bereits bei Qiu der Fall war, wird auch dieser mittels eines Szenarios vorgestellt, das völlig losgelöst vom Rest des Geschehens im luftleeren Raume schwebt, wenn sich der Gesetzeshüter als tollkühner Reporter ausgibt, um auf reichlich unkonventionelle Art eine Geiselnahme zu beenden (prägendes Element dabei: ein beherzter Tritt in des Gegenübers Kronjuwelen). Auf einer Mega-Baustelle kommt es im Anschluss zur Konfrontation mit dem flüchtigen Qiu, der dabei nicht unbedingt sympathisch rüberkommt, wenn er zum Zwecke des wiederholten Entkommens Satoshis Kollegin mit der Nagelpistole bedroht.

Zwischen beiden Parteien entwickelt sich nachfolgend das obligatorische Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Qiu regelmäßig entkommen kann, während Satoshi im Ausgleich dazu nicht locker lässt und ihn immer wieder aufspürt. Da der Polizist nach privaten Ermittlungen zu dem Schluss gelangt, dass der Mann, den er jagt, eigentlich unschuldig ist, erinnert das überdeutlich an den Nachstellungs-Klassiker AUF DER FLUCHT, bei dem das genauso war. Mit den früheren Werken John Woos hingegen, so schält sich bald heraus, hat das – bis auf ein paar dezente Referenzen – kaum noch was am Hut. Deren Genialität bestand nämlich eigentlich in der ungenierten Einbindung zügelloser Rittermythen-Romantik, welche den Gewaltausbrüchen nicht nur gleichberechtigt gegenüberstand, sondern sie sogar bedingte. Die Feuergefechte, die Massendestruktionen, das Bluten und das Sterben waren stets zwingende Quintessenz innerer Martyrien in einer fatalistischen Welt, in der das eine nicht ohne das andere existieren konnte. Hier hingegen passiert die Action einfach so, um ihrer selbst willen, ohne nachvollziehbare Notwendigkeit. Und auch das Motiv der ehernen Männerfreundschaft, notfalls über den Tod hinaus, ehemals ebenfalls essentielles Element in Woos Schaffen, spielt in MANHUNT keine Rolle. Denn wenn Jäger und Gejagter sich hier schließlich zusammenraufen, entsteht daraus kein Bund fürs Leben, sondern eine legere Zweckgemeinschaft, die im Zweifelsfalle nicht länger anhält als bis kurz vor Einsetzen des Abspanns. Eine empathische Einbindung des Publikums passiert dabei nicht eine Sekunde lang.

Das gilt auch in Bezug auf die zahlreichen weiteren Gefühlskomponenten, die hier so großzügig ins Spiel gebracht werden. So lernt Qiu eine Frau kennen, deren Verlobter sich das Leben nahm, nachdem er vor Gericht gegen Qiu unterlag. Doch auch Satoshi trägt innerlich Trauer, da seine Angetraute ebenfalls einen frühzeitigen Tod fand. Dessen junge Kollegin indes leidet darunter, von ihm nicht ausreichend ernstgenommen zu werden. Und dann sind da noch die beiden Auftragsmörderinnen aus der Anfangssequenz, die ebenfalls hin und wieder mal auftauchen, Anschläge verüben und dabei irgendwie Dämonen aus ihrer Vergangenheit mit sich herumtragen. Involvieren kann das alles nicht, da stets nur an der Oberfläche gekratzt wird und die Figuren nicht lebendig wirken. Bleibt dann am Ende also doch nur die Action. Und die kann sich überwiegend sehen lassen. Vor allem eine Mittelsequenz überzeugt auf ganzer Linie, wenn Qiu und Satoshi sich auf einem Farmgelände verschanzen und zwischen wiehernden Pferden ein waffenstarrendes Duell mit einer motorisierten Mörderbande austragen. Eine frühere Verfolgungsjagd per Jetski wirkt hingegen eher albern, während sich auf offener Straße überschlagende Autos durchaus Schauwerte bieten (natürlich mit der obligatorischen, realitätsinkompatiblen Explosion zum Ausklang). Dennoch – und das ist das Tragische – hat auch die Action schlichtweg nicht von Bumms von damals. Waren Woo-Werke diesbezüglich in den 1980er- und teils 1990er-Jahren noch pure Perfektion und Maß aller Dinge, ziehen Nachahmer wie JOHN WICK zwischenzeitlich locker an dem vorbei, was MANHUNT zu bieten hat.

Davon, dass man es hier eigentlich mit dem Großmeister zu tun hat, zeugen nur noch zarte Selbstzitate wie beidhändiges Ballern, plötzlich einfrierende Bilder oder fließende Szenen-Übergänge. Die Konstellation Flüchtiger+Polizist ist eine entzahnte Replik von THE KILLER, das Finale erinnert aufgrund des Klinik-Schauplatzes entfernt an das Krankenhaus-Massaker HARD-BOILEDs. Allerdings wirken diese Querverweise überwiegend wie Nadelstiche, rufen sie einem doch immer wieder ins Gedächtnis zurück, wie deutlich überlegen die Vorbilder sind. Stattdessen erinnert MANHUNT über weite Strecken eher an Woos US-Produktion PAYCHECK, die alles andere als ein Ruhmesblatt war. Und auch, was als humorvolle Hommage gedacht war, geht behende ins Beinkleid: Seit Woo die Schauplätze THE KILLERs mit Scharen an Tauben bevölkerte, gelten diese als sein unumstößliches Markenzeichen. Bei dem mit religiösen Metaphern aufgeladenen Spektakel ergab das in Hinblick auf den Bedeutungshintergrund des Tieres auch fraglos Sinn. Danach jedoch wurde das gurrende Federvieh zum gegenstandslosen Gimmick, was hier seinen augenrollenauslösenden Negativ-Höhepunkt findet.

Wer trotz allem die Hoffnung in sich trug, das Finale könne das Ruder gewiss noch herumreißen, der wird böse abgestraft. Tatsächlich nämlich passiert genau das Gegenteil. Nicht nur, dass MANHUNT auf den letzten Metern einen halben Genre-Wechsel vollzieht, wird es dabei inhaltlich auch noch dermaßen absurd, dass es dem Gesamtbild nachhaltigen Schaden zufügt. So bleibt am Ende dann wirklich kaum noch etwas Positives zu sagen. Einzelne Momente sind durchaus sehenswert, aber stimmig zusammenfügen will sich das alles nicht. Vor allem der halbgar ins Skript gedoktorte Kriminalfall ist völlig uninteressant und letztendlich auch nicht das, was man in einem John-Woo-Film sehen möchte. Rätselraten und Mördersuche, so etwas können andere Anbieter besser. Und als gelte es, der Misere noch die Krone aufs Haupte zu setzen, ist auch die Akustik überwiegend grauenhaft. Aus unerfindlichen Gründen entschied man sich nämlich dafür, die asiatischen Darsteller zu großen Teilen Englisch sprechen zu lassen. Dabei hat man an einem guten Sprachtrainer offenbar ebenso gespart wie an einem guten Übersetzer. Infolgedessen radebrechen sich die Figuren nun in heiliger Angestrengtheit, die korrekten Töne zu treffen, emotionslos durch stocksteife Dialogzeilen, was die Darsteller schlechter wirken lässt, als sie es wohl eigentlich sind. Eine anständige Synchronfassung hätte hier wohl Abhilfe schaffen können. Das Problem: Es gibt keine (Gut, jedenfalls keine deutschsprachige. Zumindest die Franzosen haben sich eine gegönnt).

NOTWEHR mit Ladehemmung! Inhaltlich zerfahren und ohne rechtes Konzept von Station zu Station stolpernd, kann man zumindest konzedieren, dass man sich nicht der Verbreitung von Langeweile schuldig gemacht hat. Ereignislos ist das alles nämlich nicht, Leerlauf macht sich rar und auch die Optik ist insgesamt hochwertig. Dennoch ist das alles nur gekonnte Routine, keine gelebte Leidenschaft. Und wenn dann irgendwann der Abspann rollt, denkt man ernüchtert und sogar ein wenig wehmütig zurück an die verheißungsvolle Eingangssequenz. Und an die ersten Worte, die in MANHUNT gewechselt wurden: Früher, da waren die Filme einfach viel, viel besser.

Laufzeit: 110 Min. / Freigabe: ungeprüft

Freitag, 8. Dezember 2023

TRIPLE THREAT


TRIPLE THREAT
Thailand, China, USA 2019

Regie:
Jesse V. Johnson

Darsteller:
Tony Jaa,
Iko Uwais,
Tiger Chen,
Scott Adkins,
Michael Jai White,
Michael Bisping,
Celina Jade,
Michael Wong



„Wir rennen seitwärts und schießen dabei alles zu Klump.“
(Ganz wichtig bei sowas: Immer seitwärts rennen!)

Inhalt:

Irgendwo im Dschungel Indonesiens, in einem Erdloch gefangen, hockt Collins [Scott Adkins] – einer der gefährlichsten Terroristen der Welt. Als die Söldner Payu [Tony Jaa] und Long Fei [Tiger Chen] angeheuert werden, den Mann zu befreien, ahnen sie freilich noch nicht, mit wem sie es zu tun haben. Erst nach erfolgreicher Ausführung des Auftrages offenbart der frisch Befreite sein wahres grausames Gesicht. Payu und Fei beschließen, ihren Fehler wieder gutzumachen und den flüchtigen Collins zur Strecke zu bringen. Dabei werden sie allerdings selbst verfolgt: Der ehemalige Wachmann Jaka [Iko Uwais] verlor bei der Befreiungsaktion seine Frau und sieht in den beiden Männern die Schuldigen für dieses Unglück. Während er sich von Rache getrieben auf die Jagd begibt, planen Collins und seine Gefolgsleute einen Anschlag auf die reiche Erbin Tian Xiao [Celina Jade], die vorhat, ihr Vermögen der Verbrechensbekämpfung zur Verfügung zu stellen.

Kritik:

Fans und Sympathisanten des zünftigen Körperertüchtigungs-Kinos dürften mehrheitlich der spontanen Schnappatmung anheimgefallen sein, als die Besetzungsliste TRIPLE THREATs bekannt gegeben wurde. Das testosterongeschwängerte Personal-Paket, das findige Produzenten hier in Erwartung klingender Münze zusammenschnürten, schien den feuchten Träumen freidrehender Actionfilm-Nerds entsprungen zu sein, versammelten sich hier doch tatsächlich die zu dem Zeitpunkt wohl angesagtesten Heroen der Leinwand-Keile zum großen Karneval des Knochenverbiegens: Der Thailänder Tony Jaa, der 2003 mit dem staubtrockenen ONG-BAK einen Welterfolg landete, der Kritiker Vergleiche mit goldenen Bruce-Lee-Zeiten ziehen ließ. Der Indonesier Iko Uwais, dem 2011 mit THE RAID ein wegweisendes Action-Konglomerat gelang, dessen Kompromisslosigkeit neue Maßstäbe setzte. Der chinesische Kampfkünstler Tiger Chen, Schüler von Choreographie-Koryphäe Yuen Wo Ping, welcher der breiten Öffentlichkeit 2013 durch die Hauptrolle in Keanu Reeves’ Liebeserklärung MAN OF TAI CHI bekannt wurde. Der Brite Scott Adkins, der mit Werken wie NINJA (2009) die B-Action im 80er-Jahre-Stil wieder salonfähig machte. Der ehemalige US-Karate-Champion Michael Jai White, der sich durch seine Mitwirkung bei diversen Steven-Seagal- und Jean-Claude-Van-Damme-Vehikeln seine Lorbeeren verdiente und 2009 mit BLACK DYNAMITE einen herrlich selbstironischen Beitrag zum Blaxploitation-Genre erschuf. Die thailändische Faustverteilerin Jeeja Yanin, die 2008 durch den Leinwand-Wirbelwind CHOCOLATE internationale Aufmerksamkeit erregte. Und in einer kleineren Rolle gesellte sich auch noch Hongkong-Urgestein Michael Wong [→ FIRST OPTION (1996)] zu der illustren Truppe, der wohl immer mit dem Bild des harten, aber herzlichen Polizei-Ausbilders verbunden bleiben wird (obwohl er auch etliche andere Rollen verkörperte).

Eine ganze Wagenladung an Kompetenz und Können also, welche die Erwartungshaltung in nahezu schwindelerregende Höhen schraubte. Um das Fazit vorwegzunehmen: Fans cineastischer Kinetik kommen voll auf ihre Kosten. TRIPLE THREAT tritt tüchtig aufs Gaspedal und liefert kernigen Krawall in hoher Konzentration. Vom Action-Olymp ist man dennoch meilenweit entfernt – so sehr, dass jede der aufgeführten Darsteller-Referenzen tatsächlich ungleich sehenswerter ist. Denn die pickepacke vollgepackte Stabliste ist zugleich auch das Problem: Jedem der Stars gelingt es locker, ein Werk allein zu tragen. Ihre größten Erfolge bestachen durch zweckdienlich erdachte Konfliktsituationen, die so passgenau auf den jeweiligen Akteur zugeschnitten waren, dass dieser genügend Gelegenheit dazu bekam, seine Qualifikation zur Schau zu stellen. Hier, so hat man den Eindruck, stehen sich alle irgendwie gegenseitig im Weg. Was freilich geblieben ist, ist ein alibiartiges Story-Gerüst, das teils abenteuerliche Kapriolen schlagen muss, um die zahlreichen Publikumslieblinge halbwegs anständig unter einen Hut zu bringen. Dabei ist es nur allzu offensichtlich, dass zuallererst die Action-Szenen standen und man den Rest mehr oder minder improvisiert drumherum erfinden musste. Nun erwartet hier gewiss niemand im Vorfeld eine ausgefeilte Abhandlung, aber ein bisschen mehr Feinschliff, um die ganzen losen Enden und übriggebliebenen Fragezeichen zumindest etwas zu entkräften, wäre nun wahrlich kein Hexenwerk gewesen.

Generell ging man mit Erklärungen sehr ökonomisch um: Collins ist einfach „einer der gefährlichsten Terroristen“. Sich tatsächlich etwas auszudenken, was genau der Mann denn ausgefressen haben könnte, hat die Autoren offenbar überfordert. Dessen Zielperson Tian Xiao ist einfach nur eine „Millionenerbin“, die irgendwie irgendetwas gegen das Böse unternehmen will. Was genau, weiß man nicht. Es muss aber schon was wirklich Gravierendes sein, wenn die Unterwelt so in Aufruhr gerät, dass sie einen der „gefährlichsten Terroristen“ befreit, um die Dame auszuschalten (so ein gewöhnlicher Feld-, Wald- und Wiesen-Attentäter wäre der Aufgabe natürlich nicht gewachsen gewesen). So bekommt hier jede Figur einfach ein notdürftig erdachtes Attribut auf die Stirn gepinnt, welches als Charakterisierung einfach reichen muss. Auch der Rest bleibt eher schwammiger Natur – was vor allem für das Motiv der im Hintergrund die Fäden ziehenden Auftraggeberin gilt, die sich manchmal geheimnisumwabert per Telefon bei den Terroristen meldet, um neueste Instruktionen zu erteilen. Antwortmöglichkeiten darauf, wer sie ist und was sie antreibt, sparte das Skript vollkommen aus. Wobei das im Ansatz immerhin tatsächlich effektiv ist, hat es doch was von einem weiblichen Dr. Mabuse, eine unheilvolle, über allem schwebende Macht aus dem Dunkel.

Die Söldner Payu (Tony Jaa) und Long (Tiger Chen) machen zudem auch nicht den hellsten Eindruck, wenn sie zum Auftakt Scharen an Gegnern niederstrecken und im Nachhinein dann plötzlich ein schlechtes Gewissen bekommen, da sie der irrigen Meinung waren, bei dem Metzelauftrag handele es sich eigentlich um eine ‚humanitäre Mission‘. So ein Missverständnis aber auch … (Vermutlich war in der Heilsarmee kein Platz mehr frei, sodass die beiden Menschenfreunde auf Söldner umschulen mussten.) Doch zum Glück macht auch die Terror-Truppe um Scott Adkins nicht den Eindruck, einen Kompetenzwettbewerb in Sachen Geistesleistung gewinnen zu können: Nachdem ihr die Zielperson vor einem Fernsehstudio trotz ausgiebiger (und reichlich unkoordinierter) Bleiverspritzung durch die Lappen ging (indem sie einfach davonlief), beschließt die Mörderbande völlig plan- und kopflos, die gleiche Kamikaze-Nummer direkt noch einmal bei der örtlichen Polizei-Station abzuziehen. Getreu dem Motto: Ich bin Terrorist, ich bin böse, ich muss den ganzen Tag irgendwas umnieten. 18 Uhr ist Feierabend! Warum dieser grobschlächtige Haufen (der auch im weiteren Verlauf nichts so richtig gebacken bekommt) so gefürchtet sein soll, fragt man sich dann schon. Immerhin sorgt die Aktion für reichlich Schauwert, erinnert die bleihaltige Aufmischung des Reviers doch an eine beträchtlich aufgemotzte Variante der brachialen Zerlegung eines ebensolchen im Meilenstein TERMINATOR.

Dass hier statt Faust und Fuß in erster Linie Kugeln fliegen, mag eingefleischte Fans der Darsteller freilich enttäuschen. In der Tat besitzt TRIPLE THREAT insgesamt mehr Ähnlichkeit mit dem früheren philippinischen Söldner-Kino als mit den zeitnah entstandenen Martial-Arts-Epen, aus denen die Stars ja eigentlich hervorgingen. Ein paar Schlagabtausche gibt es dennoch zu bewundern. So passiert das erste Zusammentreffen (wobei „Zusammentreffen“ hier wörtlich gemeint ist) von Tiger Chen und Iko Uwais bei einem (offenbar illegalen) Untergrund-Kampf-Szenario, das doch stark an das 1988er Kultstück BLOODSPORT (oder fast noch mehr an dessen zahlreiche asiatische Nachahmer) erinnert. Und wem die Ereignisse bis dahin trotzdem noch zu bleihaltig waren, der wird mit einer finalen Zusammenschlag-Zusammenkunft entschädigt, deren Schauplatz, ein alter verfallener Palast, Assoziationen zum Shaw Brothers-Klassiker DIE TODESPAGODE DES GELBEN TIGERS (1969) zulässt. Das macht auch optisch schwer was her und dient somit auch als kleine Wiedergutmachung für den bis dahin doch arg kargen Look, der TRIPLE THREAT überwiegend anlastet: So scheint sich im Mittelteil phasenweise alles nur in einer schäbigen Straße abzuspielen.

Wer es schafft, die verklausulierte Erzählweise zu schlucken (das Skript zögert manche Dinge unnötig hinaus und kann sich lange Zeit nicht entscheiden, auf welcher Seite manche Figuren eigentlich stehen sollen), keine Scheu hat vor armseligem Dialoggut („Wer sind die?“ - „Eine Verbrecherbande. Richtig üble Kerle.“) und zudem ein Faible mitbringt für defizitäre 80er-Jahre-Billig-Action, an die sich TRIPLE THREAT nicht selten anschmiegt, geht somit am Ende doch recht glücklich nach Hause. Leid tun kann einem allerdings Celina Jade [→ THE MAN WITH THE IRON FISTS], die einfach nur das hilflose Opfer mimen darf und deren permanentes Panik-Gekreische nur unwesentlich unter dem von Fay Wray in KING KONG liegt.

Laufzeit: 96 Min. / Freigabe: ab 18

Samstag, 2. Dezember 2023

GODZILLA - MINUS ONE


GOJIRA -1.0
Japan 2023

Regie:
Takashi Yamazaki

Darsteller:
Ryūnosuke Kamiki,
Minami Hamabe,
Yuki Yamada,
Munetaka Aoki,
Hidetaka Yoshioka,
Sakura Ando,
Kuranosuke Sasaki,
Noriko Oishi



„Ich bin jemand, der schon längst tot sein sollte.“
(Shikishima hat heute mal wieder gute Laune.)


Inhalt:

Japan, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs: Die Insel Odo dient als Anflugstelle für Flugzeuge mit Motorschaden. Pilot Kôichi Shikishima [Ryūnosuke Kamiki], des Einsatzes müde, täuscht einen solchen vor, um sich auf dem Eiland in Sicherheit zu bringen. Doch die Ruhe ist nur von kurzer Dauer, denn etwas Unfassbares geschieht: Ein gigantisches Ungetüm, von den Einheimischen ‚Godzilla‘ genannt, erscheint auf der Bildfläche und beginnt einen radikalen Vernichtungsfeldzug. Shikishima ist einer der wenigen Überlebenden. 2 Jahre später: Im immer noch völlig zerstörten Tokio hat der nach wie vor traumatisierte Shikishima sich eine neue Existenz aufgebaut. Er lebt mit Frau und Kind zusammen und hat eine gut bezahlte Arbeit als Minenentschärfer zur See. Doch am Bikini-Atoll braut sich neues Unheil zusammen: Atombombentests treffen den dort ruhenden ‚Godzilla‘, der daraufhin zu einem noch grauenhafteren Wesen mutiert. Als ein paar Schlachtschiffe zerstört werden, ist Shikishima sofort klar, wer bzw. was dafür verantwortlich ist. Und es steuert aufs Festland zu.

Kritik:

Godzilla, das dinosaurierartige radioaktiv verstrahlte Fabelwesen, wurde vom Feuilleton lange Zeit lediglich belächelt. Teils nicht ganz zu Unrecht: Spätestens ab den 1970er Jahren verlor die japanische Kino-Reihe jeden Anspruch und gefiel nur noch als kunterbunte Jahrmarktsattraktion (was durchaus auch seinen Reiz hatte). Längst totgeglaubt, gelang dem Kult-Koloss im neuen Jahrtausend eine kaum mehr für möglich gehaltene Renaissance: Mit etlichen Jahren Verspätung eroberte er doch noch Hollywood [GODZILLA (2014)], welches ihn folgend sowohl in Film- als auch Serienform in ausufernde Schlachten schickte. Aber auch in seinem Ursprungsland durfte das Kaijū (wie Riesen-Monster dort genannt werden) erneut zum Leben erwachen, erst als SHIN GODZILLA (2016), welcher der Saga komplett neues Leben einhauchte, dann erstmals gezeichnet in gleich zwei Anime-Varianten. Fast schon zur Tradition verkommen, wurde GODZILLA – MINUS ONE, der vorliegende Kino-Nachfolger SHIN GODZILLAs, abermals als Komplettmodifikation gestaltet, welche die vorherigen Fortsetzungen und Ableger ignoriert und alles wieder auf Anfang setzt.

So nah an die Wurzeln wagte man sich zuvor allerdings niemals zurück. Denn eigentlich, und das geriet im Laufe der Jahre fast ein wenig in Vergessenheit, ist das feuerspeiende Ungetüm kein Gute-Laune-Lieferant, sondern eine gespenstige Schreckgestalt, die Tod und Leid über Land und Leute bringt. Sein Stelldichein im Jahre 1954 war nicht nur aufgrund der schwarzweißen Bilder ein enorm düsteres Weltuntergangs-Szenario: Regisseur Ishirō Honda schuf mit GODZILLA eine eindrückliche Allegorie über das Grauen des Atomkrieges, dessen Auswirkungen dem Land der aufgehenden Sonne im Produktionsjahr noch in den Knochen steckte. GODZILLA – MINUS ONE dreht die Zeit zurück und verortet die Ereignisse erneut in den Nachkriegsjahren, wodurch man es im Grunde mit der ersten wirklichen Neuverfilmung des originalen Meilensteins zu tun hat. Und ja, Godzilla ist tatsächlich wieder die brachiale Urgewalt, die er einst war, eine Geißel der Menschheit auf gnadenlosem Vernichtungsfeldzug. Das erklärt dann auch den Titel: Japan liegt nach den verheerenden Bomben-Angriffen überwiegend im Trümmern; für die Nation bricht das neue Jahr 0 an. Das Auftauchen Godzillas macht dann alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft zunichte; die neue Zeitrechnung beträgt somit nun nicht einmal mehr Null, sondern Minus Eins.

Stilistisch unterscheiden sich die 1954er- und die 2023er-Version dennoch recht stark. So steht das Monster hier nicht mehr für die Gefahren der Atomkraft, sondern für das Trauma des Krieges, welches der Nation noch Jahre später bis in die Heimat folgt und keine Ruhe geben wird, bevor es nicht vollständig vernichtet ist. Sinnbild dafür ist der von Ryūnosuke Kamiki [→ KRIEG DER DÄMONEN] gespielte Pilot Kôichi Shikishima, der zudem die Bürde vermeintlicher Feigheit mich sich herumträgt: Während des Krieges drückte er sich vor dem Kampfeinsatz und beim ersten Auftauchen Godzillas ist er mental zu schwach, um die Waffe abzufeuern (Dass diese dem Untier wahrscheinlich gar nichts hätte anhaben können und seine Kameraden somit ohnehin gestorben wären, spielt dabei keine Rolle, da Schuldgefühle nicht zwangsläufig rational sind). Wenn er sich, um Godzilla zu besiegen, schließlich einem Freiwilligen-Battalion anschließt, das überwiegend als ehemaligen Armee-Angehörigen besteht, ist die Botschaft eindeutig: Die Fehler der Vergangenheit müssen getilgt, Schuld und Schock der Nation ausgemerzt werden. Dabei umschifft MINUS ONE immer wieder ein Thema, das dennoch einem godzillagroßen Elefanten gleich im Raum steht. Denn dass das Land geschunden am Boden lag, hatte schließlich einen Grund: die Kollaboration Japans mit den Verbrechern des Nationalsozialismus. Von deren menschenfeindlicher Ideologie ist hier selbstverständlich nichts zu spüren: Das Militär besteht ausschließlich aus grundanständigen Leuten, Rädchen im Getriebe, die halt lediglich das taten, was irgendwie getan werden musste. So hat es einen durchaus bitteren Beigeschmack, wenn immer wieder betont wird, wie sehr die Regierung ihre Männer doch im Stich gelassen habe. Auch zur Bekämpfung Godzillas (= des Kriegstraumas) trägt sie nichts bei, weswegen die ehemaligen Soldaten die Sache höchstselbst in die Hand nehmen müssen.

Mit der bleiernen Schwere, die über dem Geschehen liegt, mögen sich die (vergleichsweise seltenen) Auftritte des Stars der Show indes nicht so recht vertragen: Godzillas Vernichtungsfeldzüge sind nämlich durchaus dem sensationsheischenden Krawall-Kino verpflichtet und machen – salopp gesagt – richtig Laune. Wenn sein Feueratem ganze Straßenzüge ausradiert und ikonische Szenen aus dem originalen Klassiker kopiert werden, während dazu Akira Ifukubes bewährte musikalische Klänge ertönen, dann macht das Fan-Herz wahre Freudensprünge. Aber MINUS ONE ist eben kein Spaß-Spektakel, sondern ein durchaus düsteres Drama über gepeinigte Seelen auf der Suche nach Sinn und Absolution. Das hat schon etwas Ironisches: Nachdem die japanischen Godzilla-Filme aufgrund der Durchschaubarkeit ihrer Effekte und oft naiven Handlung lange Zeit als rückständig und albern gegolten hatten, brachten Beiträge wie SHIN GODZILLA oder eben MINUS ONE eine ungeahnte Ernsthaftigkeit in die Marke, während ausgerechnet die parallel dazu laufende, vom japanischen Output unabhängige amerikanische Reihe nun plötzlich für die Infantilität zuständig war, wenn Godzilla sich dort z. B. wieder mit seinem alten Konkurrenten King Kong kloppen durfte.

So ganz kann MINUS ONE den Widerspruch zwischen bedrückender Stimmung und begeisternder Zerstörungsorgie bis zum Ende nicht auflösen, wenn man gegen den monströsen Staatsfeind auf hoher See final zu Felde zieht. Das hält dann zwar im Ablauf keine Überraschungen bereit, arbeitet den notwendigen Action-Anteil aber pflichtschuldigst ab. Der Oxygen-Zerstörer, die Wunderwaffe aus dem Original, die in den Folgejahren immer mal wieder innerhalb der Reihe thematisiert wurde, bleibt dabei dieses Mal in der Mottenkiste – obwohl sie fraglos ein wenig sinnvoller gewesen wäre als der doch recht hanebüchene Plan, den man sich hier zurechtlegt. Dass es kurz vor Abspann dann noch zu einem kurzen Moment kommt, der in seiner absurden Kitschigkeit wirkt, als habe Steven Spielberg hier ein paar Sekunden lang die Feder geführt, hätte nicht sein müssen, richtet aber auch keinen großen Schaden an. MINUS ONE ist zwar kein Meilenstein geworden, aber eine (erneute) Frischzellenkur, welche die Unsterblichkeit seiner Titelfigur abermals zementiert. Auf ihn mit Gebrüll!

Laufzeit: 125 Min. / Freigabe: ab 12