Eigene Forschungen

Dienstag, 24. Juni 2025

JOLT


JOLT
USA 2021

Regie:
Tanya Wexler

Darsteller:
Kate Beckinsale,
Jai Courtney,
Stanley Tucci,
Bobby Cannavale,
Laverne Cox,
Ori Pfeffer,
David Bradley,
Susan Sarandon



„Manche Leute heulen, manche saufen, manche schreiben scheiß Gedichte. Ich bin gewalttätig. Wird Zeit, das sinnvoll einzusetzen.“
(Immer schön, wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann.)

Inhalt:

Einfach nur zu behaupten, Lindy [Kate Beckinsale] habe ein Aggressionsproblem, wäre eine gewagte Untertreibung. Seit ihrer Kindheit trägt sie eine kaum kontrollierbare Wut in sich. Und ihre Hemmschwelle ist niedrig. Schon bei kleinen Provokationen oder Ungerechtigkeiten brennen ihr die Sicherungen durch und brutaler Hass bricht sich Bahn – oft sehr zum Leidwesen ihrer Mitmenschen. Kein Wunder also, dass sich Lindy weitestgehend aus der Gesellschaft zurückgezogen hat. Hoffnung keimt erst auf, als ihr Psychiater Dr. Munchin [Stanley Tucci] sie zu einem neuartigen Experiment überreden kann: Freiwillig herbeigeführte Elektroschocks sollen ihr hitziges Temperament zügeln. Aus diesem Grund trägt Lindy unter ihrer Kleidung nun eine Art Korsett, das mit Elektroden versehen wurde. Bei drohender Eskalation kann sie sich damit selbst per Knopfdruck ein paar Sekunden lang „unter Strom setzen“ – wodurch ihr Zorn verrauchen soll. Das funktioniert immerhin so gut, dass Lindy sich wieder unter Menschen traut. Sogar zu einem Blind Date findet sie den Mut. Gut, bei ihrem ersten Treffen prügelt sie zwar eine unverschämte Kellnerin ins Koma, aber das bekommt ihre Verabredung, der charmante Justin [Jai Courtney], zum Glück nicht mit. Lindy verliebt sich in den netten Buchhalter und ihr Leben scheint endlich ins Lot zu kommen. Doch als sie ihn am kommenden Tag anrufen will, meldet sich statt seiner Detective Vicars [Bobby Cannavale] von der Mordkommission und teilt ihr mit, dass Justin erschossen wurde. Lindys Welt bricht abermals zusammen. Aber nun hat sie ein Ziel: Den oder die Mörder ihres Geliebten zu finden und seinen Tod zu rächen. Und dafür hat sie mehr als genug Wut im Bauch.

Kritik:

„Jolt“ bedeutet auf Deutsch so viel wie „Ruck“ – womit in diesem Fall der elektrische Schlag gemeint ist, den die Protagonistin sich in regelmäßigen Abständen selbst verabreicht, um nicht aus der Haut zu fahren. JOLT steht damit ganz in der Tradition der exzessiven Gaga-Action, die gewissermaßen 2006 mit CRANK ihren Anfang nahm. Dort sah man einen durch die Stadt hetzenden Jason Statham, der sich immer wieder Adrenalinschübe verpassen musste, um nicht zu explodieren. Diese komplett absurde Ausgangssituation diente als Basis für eine hemmungslos Achterbahnfahrt, die nicht selten gezielt am guten Geschmack vorbeiging. Seitdem reicht eine verrückte Prämisse oft schon aus, um beim Genre-Freund Interesse zu wecken. Die Idee, einer Hauptfigur eine exorbitante Impulskontrollstörung zu verpassen, die nur mittels einer stromschlagausteilenden Apparatur gebändigt werden kann, ist daher prinzipiell schon einmal die halbe Miete – wobei im Wesentlichen das CRANK-Konzept einfach umgedreht wurde: Während dort der Erregungszustand künstlich hochgepuscht werden musste, um zu überleben, muss er hier – ganz im Gegenteil – mit aller Macht gezügelt werden. Die elektrische Unterwäsche, die das bewerkstelligen soll und als Alleinstellungsmerkmal in den Fokus gerückt wird, erweist sich allerdings rasch als für die Handlung überflüssiges Gimmick: Die Heldin hat nämlich ziemlich schnell gar keinen Grund mehr, ihren Jähzorn unter Verschluss zu halten. Auf der Suche nach den Verantwortlichen für das Ableben ihres Kavaliers braucht sie ihre aufbrausende Art nämlich unbedingt. Denn diese hindert sie daran, an etwaige Folgen zu denken und lässt sie zornesrot in Gangstergefilde vorpreschen, in die die Polizei nicht so einfach eindringen könnte.

Die rebellische Attitüde, die dabei mitschwingt, hält des Betrachters Stimmungsbarometer ziemlich konstant oben, obwohl JOLT letzten Endes doch relativ konventionell ausfällt. Dass Unbeherrschtheit und übersteigertes Aggressionspotenzial einen gleichzeitig auch noch Kampfkunsttechniken lehrt, mittels derer sich böse Buben behände auf die Bretter legen lassen, darf zudem stark bezweifelt werden. Etwas abgefedert wird dieses unglaubwürdige Element zumindest durch die Erwähnung der Jobs, die Lindy zuvor hatte und die ein gewisses Maß an Selbstverteidigungsbefähigung voraussetzen – Türsteherin zum Beispiel. Die hier zelebrierte Übertreibung erinnert dennoch stark an das Superhelden-Genre, in dem Behinderungen, Erkrankungen oder Traumata häufig als Ursache spezieller Begabungen herhalten mussten. Das Paradebeispiel dafür ist DAREDEVIL, der durch seine Blindheit seine anderen Sinne so weit schärfen konnte, dass er seinen Gegnern überlegen war. Lindys Superkraft in JOLT hingegen ist ihre Tobsucht. Und ihr Unvermögen, diese unter Kontrolle zu bringen. Ein wenig wie Hulk also. Nur halt ohne Hulk-Werdung. Oder wie Mr. Furious aus MYSTERY MEN. Nur, dass ihre Wut auch tatsächlich Folgen hat – sehr blutige mitunter. Der Comic-Eindruck der Veranstaltung wird zusätzlich verstärkt durch Gestalt und Habitus des Oberschurken: ein gleichermaßen steinalter wie -reicher Kauz, der in einem uneinnehmbaren Wolkenkratzer residiert, in dem er gelegentlich auch mal dämonisch von der Decke hängt. Nicht einmal die Regierung sei blöd genug, sich mit ihm anzulegen, heißt es an einer Stelle. Verkörpert wird diese Rolle von David Bradley [→ HARRY POTTER UND DER STEIN DER WEISEN], der sie mit ehrfurchtgebietender Bedrohlichkeit ausfüllt – was wunderbar mit Lindys jugendlich-unbeeindruckter Art kontrastiert.

Ohnehin … Kate Beckinsale! Die britische Schauspielerin besticht in der Hauptrolle durch eine sagenhafte Präsenz und trägt die ganze Angelegenheit nahezu mühelos auf ihren Schultern. Dass aus dem Püppchen aus PEARL HARBOUR (2001) einmal eine ernstzunehmende Action-Heldin wird, darauf hätte damals wohl kaum jemand gewettet. Und dass sie beim JOLT-Dreh bereits stramm auf die 50-Jahre-Marke zuging, glaubt man ebenfalls kaum. Als randalierender Racheengel mit Prügel-Tourette sprüht sie regelrecht vor Energie und obwohl sie nicht sonderlich muskulös ist, kauft man es ihr sofort ab, dass sie locker-flockig ein paar Leute zusammenfalten könnte. Freilich beißt sich ihre juvenil-derbe Art etwas mit der Behauptung, Lindy lebe am Rande der Gesellschaft. Dafür wirkt sie eigentlich viel zu unbeschwert. Aber JOLT will ja auch kein realistisches Sozialdrama sein, sondern in erster Linie gute Laune verbreiten. Der Einstieg geriet dafür allerdings erstaunlich düster, wenn mit Grabesstimme (Erzählerin: Susan Sarandon [→ THELMA & LOUISE]) von Lindys zerrütteter Kindheit berichtet wird, von der Tabletten- und Alkoholsucht ihrer Eltern, von ihrer Einsamkeit, ihren zerstörerischen Wutanfällen und ihrer Jugend als menschliches Versuchskaninchen. Das ist eigentlich schon ziemlich starker Tobak. Danach kippt der Tenor allerdings ziemlich schnell ins Komödiantische, was der abstrusen Story merklich guttut. Vor allem in den Dialogen zwischen Lindy und ihrem von Stanley Tucci [→ WILD CARD] gewohnt gallig verkörperten Stromschlag-Seelenklempner Dr. Munchin fliegen die Funken. Ihre gemeinsamen Szenen gehören fraglos zu den Höhepunkten JOLTs. Und dann ist da auch noch das Polizisten-Duo, das Lindy mehr oder weniger auf den Fersen ist und dabei ebenfalls für einige amüsante Momente sorgt: der schalkhafte, von Bobby Cannavale [→ PARKER] verkörperte Vicars, der offenbar ein kleines Auge auf seine Zielperson geworfen hat, und die resolute Nevin (Laverne Cox aus CHARLIE’S ANGELS [2019]), deren lakonische Kommentare ein paar echte Lacher fabrizieren.

Doch, das Personal ist schon gut aufgestellt und entschädigt auch für ein paar Defizite. Zu nennen wäre diesbezüglich in erster Linie die Inhaltsarmut, denn wirklich viel passiert hier eigentlich nicht. JOLT geht ziemlich unumwunden nach vorn und erlaubt sich keine großen Umwege. Nach dem fast schon mythisch angehauchten Einstieg hätte man da schon ein wenig mehr erwartet. Die Action ist zwar gut in Szene gesetzt, passiert aber tatsächlich auch eher selten. Viele von Lindys blutigen Ausrastern entpuppen sich zudem als Tagträume – Szenarien, die sicherlich Realität geworden wären, würde sie sich nicht mittels ihres Elektrodenkorsetts immer gerade noch rechtzeitig „zurechtschocken“. Dafür wurde eine völlig selbstzweckhafte Autoverfolgungsjagd ins Skript gemogelt, die so unnötig wirkt, dass es fast schon albern ist. Visuell allerdings hat Regisseurin Tanya Wexler (die zuvor hauptsächlich das Seriensegment bediente) die Chose gut im Griff. Wenn Lindy sich etwa unter Strom setzt, zoomt die Kamera auf ihre Augen, deren Pupillen dann von Blitzen durchzogen werden. Am Ende wird dann ganz selbstbewusst das Tor zu einer Fortsetzung sperrangelweit aufgetreten. Die kam dann allerdings nie. Was durchaus schade ist. JOLT ist zwar nicht sonderlich herausragend. Aber er macht Spaß. Und Wutbürgerin Beckinsale hätte man gern noch mindestens ein weiteres Mal beim Eskalieren zugesehen. 

Laufzeit: 91 Min. / Freigabe: ab 16

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