Eigene Forschungen

Montag, 27. April 2015

NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD


NOVE OSPITI PER UN DELITTO
Italien 1977

Regie:
Ferdinando Baldi

Darsteller:
Sofia Dionisio,
Massimo Foschi,
Dana Ghia,
Arthur Kennedy,
Caroline Laurence,
Loretta Persichetti,
John Richardson,
Rita Silva



Inhalt:

Ein junges Pärchen vergnügt sich beim Liebesspiel am Strand. Die Sonne scheint, das Meer rauscht, der Sand knirscht – und dann knallt die Flinte. Der Mann wird von einer Kugel getroffen, die aus dem Gewehr eines hinzugekommenen Beobachters kam. Der unerwünschte Gast hat noch drei weitere Herren dabei, ebenfalls mit Waffe im Anschlag. Der Angeschossene versucht zu fliehen, sich über die Felsen zu retten – doch es nützt ihm nichts: Die Kugeln der Angreifer treffen sicher ins Ziel. Die Schützen greifen sich ihr lebloses Opfer, heben eine Grube aus, verscharren es im Sand … 20 Jahre später: Das reiche Familienoberhaupt Ubaldo [Arthur Kennedy] macht mit seinen beiden Söhnen, seiner Tochter und deren Liebschaften Sommerurlaub in seinem Ferienhaus auf einer malerischen Insel. Seine bessere Hälfte, die auffallend jüngere Giulia [Caroline Laurence], sowie die etwas wirr scheinende Tante Elisabetta [Dana Ghia] hat er dabei ebenfalls im Schlepptau. Doch an Erholung ist nicht zu denken: Unter der sorglos scheinenden Oberfläche sind die Familienmitglieder bis aufs Blut miteinander verfeindet. Als plötzlich ein Unbekannter beginnt, die Gruppe zu dezimieren, ist somit quasi jeder verdächtig. Bald liegen die Nerven blank, und es wird klar, dass die Morde mit dem Verbrechen von damals zu tun haben.

Kritik:

Der Giallo war bis in die 70er Jahre eines der erfolgreichsten Genres des italienischen Kinos. Die blutige, stilistisch eigenwillige Variation bekannter Kriminalmotive (als deren unmittelbarer Vorreiter gut und gern die aus Deutschland stammende Edgar-Wallace-Reihe gesehen werden darf) kombinierte – mal mehr, mal weniger elegant – Schmuddel und Kunst zu oft hintersinnigen, von rüder Gewaltdarstellung geprägten Mordgeschichten, bei denen in der Realität verankerte Logik zugunsten in den Vordergrund gerückter Spannungs- und Stimmungsmomente lediglich die zweite Geige spielte. 1977 war die Blütezeit des Genres zwar schon vorbei, was Regisseur Fernando Baldi [→ HORROR-SEX IM NACHTEXPRESS] jedoch nicht davon abhielt, mit NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD noch einen inhaltlich und thematisch mustergültigen Nachschlag zu servieren. Dabei verschwendete man an den Plot allerdings nicht allzu viele Ressourcen, verrührte ein klassisches Agatha-Christie-Szenario mit bewährter Softporno-Attitüde und schüttete im Anschluss einen extra großen Kübel wirklich extrem künstlich wirkendes Kunstblut über alles. Originell ist das nicht. Funktionieren tut das trotzdem.

Das liegt in erster Linie daran, dass das gewählte Konzept zwar simpel, aber seit Urzeiten enorm effektiv ist: Die nach und nach erfolgende Dezimierung einer überschaubaren Anzahl an Personen in einem von der Außenwelt abgeschotteten Kosmos, von denen einer zwangsläufig der Mörder sein muss (das klassische Zehn kleine Negerlein-Prinzip also) lädt zum Mitraten ein (Wer ist das nächste Opfer? Wer ist der Täter? Was ist dessen Motiv?) und bietet etliche Möglichkeiten, spannungsgeladene Situationen und überraschende Wendungen unterzubringen. Der hier genutzte Schauplatz einer entlegenen Insel bringt zudem eine Extraportion malerisches Flair in die Mörderhatz und bietet einen attraktiven Kontrast zum mitunter hässlichen Geschehen. Dabei hielt man sich in der grafischen Darstellung der Tötungsakte in diesem Falle vergleichsweise sogar eher bedeckt (zumal sie bei Stattfinden auch auf Anhieb als recht billig umgesetzte Maskentricks entlarvt werden); die eigentliche Hässlichkeit geht von den Charakteren aus, die als ein Haufen triebgesteuerter und missgünstiger Individuen porträtiert werden, denen der eigene Vorteil über alles geht.

Das patriarchische Oberhaupt hält sich eine um Jahrzehnte jüngere Gattin, die es – so die einhellige Meinung des ganzen Rests – nur auf die nicht unerheblichen Reichtümer des Mannes abgesehen hat, die Söhne sind durch die Bank Versager, die des Erbes nicht würdig wären und deshalb nicht ohne Grund um ihren Anteil nach dem Tode des Herren bangen, deren heißblütigen Ehefrauen ist ein Mann in der Regel nicht genug, weshalb mitunter auch schon mal der eigene Schwager als Sexualpartner herhalten muss – vor aller Leute Augen, versteht sich. Eine illustre Gesellschaft präsentiert sich hier also – mit Betonung auf Lust. Denn wer das Pech hat, trotzdem leer auszugehen, besorgt es sich kurzerhand selbst. Und zwischen all dem feucht-fröhlichen Sündenpfuhl faselt die etwas sonderliche Tante Elisabetta etwas von einem Fluch und einem gewissen „Charlie“, der wiederkommen werde, um grausame Rache zu nehmen. Das Dumme daran ist vor allem: Sie behält Recht damit.

Die Darstellung reicher Leute als dekadenter, vom Leben gelangweilter Abschaum ist natürlich ebenfalls ein Klischee und viele der hier gezeichneten Figuren kommen einem aus ähnlichen Genre-Beiträgen doch arg vertraut vor. Das ändert jedoch nichts daran, dass die daraus entstehenden Konflikte so einigen Unterhaltungswert besitzen – zumindest, nachdem NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD seinen anfänglichen Softsex-Pfad verlassen hat. Denn gut das erste Drittel geht tatsächlich in erster Linie dafür drauf, die weibliche Belegschaft wahlweise knapp, durchsichtig oder gar nicht bekleidet abzulichten, um die heiteren Partnertauschepisoden durchzuexerzieren. Trotz der bisweilen lüsternen Kamera geschieht das zugegebenermaßen nicht vollkommen selbstzweckhaft, unterstreicht es doch die grassierende Unmoral der Protagonisten und verdeutlicht anschaulich, wie wenig Mann und Weib sich hier um die Gefühle des Anderen scheren. Dennoch wünscht man sich alsbald die erste Leiche herbei, um der auf Dauer ermüdenden Dauerkopulation ein Ende zu bereiten.

Als es dann so weit ist, entwickelt sich NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD auch hurtig zu einem angenehmen Schauerstück, das trotz der manchmal etwas seltsamen Verhaltensweisen seiner Figuren (so wird das von verzweifelten Hilferufen begleitete Ertrinken einer jungen Frau endlos vom Ufer aus kommentiert, bevor mal jemand auf die Idee kommt, zur Rettung zu eilen) für fiebrige Spannung und dichte Atmosphäre sorgen kann. Die Inszenierung besticht dabei zwar nicht unbedingt durch Raffinesse und geriet eher routiniert; dennoch gelingen hin und wieder ein paar ungewöhnliche Kameraeinstellungen oder gelungene Symboliken (wie die beiden Geschicklichkeitsspiele, die immer wieder ins Bild gerückt werden, sobald neues Unheil dräut). Ein Höhepunkt ist zweifelsfrei die Eröffnungssequenz, die bereits die Marschrichtung der folgenden 90 Minuten skizziert: Das Liebesspiel zweier Menschen findet sein abruptes Ende, als aus heiterem Himmel eine grausame Hinrichtung vollzogen wird. Ohne Erklärung, ohne Gesicht, ohne Dialog, lediglich untermalt vom Rauschen des Meeres, wird aus einem Moment wilder Romantik ein blutiger Alptraum.

Diese in eisiger emotionaler Kälte ausgeführte Tat, die zunächst ohne jeden inhaltlichen Zusammenhang und erläuternden Kommentar für sich steht, ist ein schaurig-schöner Einsteig in das Szenario und recht schnell wird klar, dass die aktuellen Ereignisse mit diesem Verbrechen zu tun haben müssen, die agierenden Personen auf irgendeine Weise darin verwickelt sind und man Zeuge eines perfide ausgeführten Racheakts wird. Die Zusammenhänge – so ehrlich muss man sein – sind nicht ausnehmend schwierig zu herzustellen, auch die letztendliche Enttarnung des Täters sollte selbst für weniger geschulte Kriminalisten keine sonderlich große Überraschung sein. Dennoch versteht es die Handlung durch diverse Ablenkungs- und Wendemanöver bis zum Finale bei der Stange zu halten und lässt lange Zeit die Frage im Raum stehen, ob die blutige Vergeltung hier säkularer Natur ist oder womöglich aus dem Jenseits erfolgt.

NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD erhielt zwar einen deutschen Titel, eine ebensolche Sprachfassung (und ein damit verbundener Kinoeinsatz) blieb Baldis Spät-Giallo jedoch verwehrt. Das ist erstaunlich, bietet das professionell in Szene gesetzte, sündig angehauchte Mörderspiel doch alle notwendigen Zutaten, um das sensationslüsterne Publikum der 70er Jahre in die Lichtspielhäuser zu locken: Blut, Sex und Rätselraten, nicht zu knifflig, nicht zu aufregend, aber durchaus von latenter Klugheit. Nicht italienischsprachigen Interessenten bleibt daher nur die untertitelte Originalfassung, die dank des Labels Camera Obscura im Jahre 2014 den Weg nach Deutschland fand – eine Einladung, die Giallo-Freunde ohne Reue annehmen dürfen.

Laufzeit: 87 Min. / Freigabe: ungeprüft

Mittwoch, 15. April 2015

THE GUNMAN


THE GUNMAN
GB, Frankreich, Spanien 2015

Regie:
Pierre Morel

Darsteller:
Sean Penn,
Jasmine Trinca,
Javier Bardem,
Ray Winstone,
Idris Elba,
Mark Rylance,
Melina Matthews,
Jasmine Trinca



Inhalt:

Kongo, 2006: Jim Terrier [Sean Penn] ist ehemaliger Soldat der Special Forces und soll als Mitglied des Sicherheitsdienst für Ordnung in dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land sorgen. Tatsächlich jedoch ist er geheimes Mitglied einer Söldnergruppe. Als er den Auftrag erhält, einen korrupten Bergbauminister zu eliminieren, führt er den Auftrag aus, obwohl er weiß, dass er danach das Land verlassen und seine Geliebte Annie [Jasmine Trinca], die sich in dem von Unruhen und Gewalt gebeutelten Land als Ärztin verdient macht, ohne Erklärung zurücklassen muss. Acht Jahre später hat Terrier sein blutiges Geschäft niedergelegt und engagiert sich im Land mit humanitärer Hilfe. Doch eines Tages holt seine Vergangenheit ihn ein: Bewaffnete Männer verüben einen Anschlag auf ihn, dem er durch Glück und Können entrinnen kann. Er erfährt, dass zwei seiner damals ebenfalls am Anschlag beteiligten Kollegen bereits liquidiert wurden. Die Suche nach den Hintermännern führt ihn schließlich zu seinem alten Bekannten Felix [Javier Bardem] – der mittlerweile mit Annie verheiratet ist.

Kritik:

Regisseur Pierre Morel war unter anderem mit dafür verantwortlich, dass das Adrenalinkino im Jahre 2008 einen kleinen Schub erlebte, als er den bis dahin überwiegend als Charakterdarsteller in Erscheinung getretenen Liam Neeson zum Actionhelden umpolte und ihn in 96 HOURS leichenreich nach seiner entführten Tochter suchen ließ. Dank des kompromisslosen Tons, der geradlinigen Erzählweise und der ebenso unkonventionellen wie treffsicheren Besetzung in der Hauptrolle wurde der eigentlich recht unspektakuläre Reißer zu einem Überraschungserfolg und inspirierte eine ganze Horde Nachahmer, die nun ebenfalls zu den Waffen griffen, um unrechtes Betragen entsprechend zu vergelten. Nach dem verunglückten FROM PARIS WITH LOVE blieb Morel mit der Romanverfilmung THE GUNMAN dem Genre auch weiterhin treu und inszenierte erneut ein feuriges, mit Explosionen, Nahkämpfen und Schusswechseln gespicktes Killerspektakel, dem es zwar an der einstigen rebellischen Frische fehlt, Freunden markiger Krawallveranstaltungen jedoch trotzdem ordentlich Zucker vor die Füße wirft.

Offenbar daran gelegen, den Besetzungscoup 96 HOURS' zu wiederholen, holte man sich dafür ebenfalls einen nicht mehr ganz taufrischen, doch allgemein geachteten Edelmimen ins Boot: Sean Penn, immerhin sogar zweifacher Oscar-Preisträger, gibt hier mit merklich aufgepumpten Oberarmen die gefährliche Tötungsmaschine, und in der Tat hat man kaum Schwierigkeiten damit, ihm diese auch abzunehmen. Penns Mitarbeit beschränkte sich jedoch nicht allein auf das Absolvieren der Titelrolle, er übernahm zusätzlich auch Funktionen in den Bereichen Produktion und Drehbuch. Vermutlich letzterem Umstand ist es zu verdanken, dass THE GUNMAN für ein vorgebliches Actionvehikel ungewohnt gesellschaftskritisch geriet und zunächst wie ein Polit-Thriller beginnt, wenn er einen halbdokumentarischen Blick auf die zerfahrene Situation der vom Bürgerkrieg gebeutelten Republik Kongo wirft. Auch wenn nach geraumer Zeit die zu erwartenden bleihaltigen Meinungsverschiedenheiten der Protagonisten im Mittelpunkt stehen, so ganz fallengelassen werden die anklagenden Untertöne bis zum Schluss nicht wirklich.

Der weitere Verlauf erfindet das Rad dabei gewiss nicht neu. Das Geschehen läuft in altbekannten Bahnen und die pflichtbewusst ins Skript geschriebenen Wendungen geben sich nicht einmal großartig Mühe, einen wirklichen Überraschungseffekt zu erzielen: Wer hier am Ende der große Kontrahent sein wird, liegt ebenso auf der Hand, wie die Gewissheit, dass der einzige weibliche Teil der Belegschaft schließlich als zitternde Geisel herhalten muss. Doch trotz bewährter Story-Schablone gelingt dem GUNMAN durchgehend packende Unterhaltung ohne wirklichen Durchhänger, bei der selbst das eingesponnene, im Prinzip ebenfalls alles andere als originell erdachte Dreiecksdrama nicht aufgesetzt wirkt, sondern wie ein notwendiger Faktor, um emotionale Tiefe zu schaffen und den verzweifelten Gefechten der Hauptfigur einen glaubwürdigen Motor zu verleihen.

Die Kombination aus Anspruch und Action läuft zugegebenermaßen nicht immer ganz so rund, wie ihre Macher es wohl eigentlich im Sinn hatten; der humanitären Nachdenk-Botschaft stehen immer wieder doch reichlich trivialer Radau und eine eher banal konstruierte Ereigniskette gegenüber, bei der sich – fast schon genretypisch – vor allem gegen Ende Albernheiten und absurde Zufälle häufen. Zudem erweist sich der bei der Hauptfigur mal eiligst herbeidiagnostizierte Hirnschaden, der bei Stress zu Übelkeit, Ohnmacht, Gedächtnisverlust, wenn nicht sogar zum Tode führen kann, als reichlich billiger Drehbuchkniff, spielt diese Krankheit doch tatsächlich nur dann eine Rolle, wenn sie zufällig gerade ins dramaturgische Konzept passt, ist ansonsten jedoch überhaupt kein Thema.

Dass das Gesamtpaket dennoch passt, liegt in erster Linie an der straffen Inszenierung und der unkonventionellen Besetzung, die einmal mehr die halbe Miete ist: Sean Penns Rolle als Actionheld unterscheidet sich bereits im Ansatz grundlegend von seinen früheren Figuren und wirkt gerade deswegen erfrischend unverbraucht. Dabei geht sein Jim Terrier im Einsatz nicht gerade zimperlich zur Sache, und so mancher seiner Gewaltakte sorgt auch beim Betrachter für zusammengebissene Zähne und schmerzverzerrte Miene. Der reaktionäre Grundton allerdings, der 96 HOURS einst auszeichnete, fehlt hier quasi völlig. Der GUNMAN ist kein grimmiger Bestrafer, der schon von Haus aus niemanden mit heiler Haut davonkommen lässt, er ist ein verzweifelter Kämpfer, der eben tut, was er tun muss, wenn er dazu gezwungen wird, sein eigenes Leben oder das seiner Lieben zu retten. Jim Terriers Urteil würde nicht ‚Selbstjustiz‘ lauten, sondern ‚Notwehr‘.

Nicht nur die Hauptrolle wurde mit Bedacht gewählt, auch an anderer Stelle macht der GUNMAN diesbezüglich so einiges richtig: Javier Bardem, der zuvor bereits in James Bonds SKYFALL dem Genre einen Besuch abstattete, ist als Penns Rivale ebenfalls eine überaus gebührende Besetzung, für dessen Figur man im Wechsel Misstrauen und Mitleid empfindet. Die Italienerin Jasmine Trinca [→ DAS ZIMMER MEINES SOHNES] bekam eine zwar antreibende, doch auf darstellerischer Ebene eher undankbare Rolle zugedacht und zieht sich aufgrund ungünstiger Umstände eigentlich ständig nur aus und an, während Idris Elba [→ PACIFIC RIM] ebenfalls völlig unterfordert ist und erst kurz vor Schluss ins Spiel kommt, um noch schnell ein paar Weisheiten abzusondern. Ein wenig besser erwischte es da Ray Winstone [→ INDIANA JONES UND DAS KÖNIGREICH DES KRISTALLSCHÄDELS], dem sein Part als kauziger Kumpel Terriers auf den nicht unerheblichen Leib geschneidert wurde und der dabei mit seiner lakonischen Art einige Sympathiepunkte sammeln kann.

THE GUNMAN besitzt nicht mehr die anarchistische Aufbruchsstimmung eines 96 HOURS, wirkt insgesamt wesentlich glatter und durchfrisierter. Doch trotz ähnlicher Anlage und Thematik sind beide Werke bereits dermaßen unterschiedlich konzipiert, dass sich ein Vergleich ohnehin nur noch aufgrund des identischen Regisseurnamens aufdrängt. Morel und seinem Team gelang ein engagierter, konzentriert durchexerzierter Feuerzauber, der weder ausufernd originell daherkommt, noch dem Genre etwas vollkommen Neues hinzufügen kann, aber dennoch gut zwei Stunden kompetent dargebotene Zerstreuung bietet, die gleichzeitig noch genug Intellekt besitzt, um dem Zuschauer kein schlechtes Gewissen aufzuhalsen. Die Antwort auf die Frage allerdings, warum das Finale in einer Stierkampfarena stattfindet, obwohl der Abspann sehr richtig darauf hinweist, dass zum Drehzeitpunkt in Barcelona bereits gar keine Stierkämpfe mehr stattfanden, bleibt bis zum Schluss unbeantwortet. Vermutlich war die Metapher vom rituellen Kampf Mann gegen kraftstrotzende Übermacht dann doch zu gut, um sie nicht zu verwenden.

Laufzeit: 115 Min. / Freigabe: ab 16

Sonntag, 12. April 2015

SHOOTOUT - KEINE GNADE


BULLET TO THE HEAD
USA 2012

Regie:
Walter Hill

Darsteller:
Sylvester Stallone,
Sung Kang,
Jason Momoa,
Christian Slater,
Sarah Shahi,
Adewale Akinnuoye-Agbaje,
Jon Seda,
Holt McCallany



Inhalt:

Jimmy Bobo [Sylvester Stallone] und sein Partner Louis Blanchard [Jon Seda] sind Auftragskiller. Als sie den Auftrag erhalten, einen korrupten Polizisten kaltzumachen, wird der Job zwar mit gewohnter Präzision erledigt, doch als sie ihren Lohn in Empfang nehmen möchten, taucht ein weiterer Killer auf. Louis überlebt die Attacke nicht; Jimmy hegt Rachegelüste. Dabei trifft er auf den jungen Polizisten Taylor Kwon [Sung Kang], der den Tod seines Kollegen gesühnt haben möchte. Der Killer und der Cop raufen sich zusammen und suchen leichenreich nach dem Auftraggeber. Diesen finden sie bald in Gestalt des reichen Unternehmers Morel [Adewale Akinnuoye-Agbaje], der ein ganzes Wohnviertel dem Erdboden gleich machen möchte, um auf dem Gelände Supermärkte und Eigentumswohnungen zu errichten. 

Kritik:

Walter Hill, das ist ein Name, der in den 80er (und mit Einschränkungen auch noch in den 90er) Jahren für staubtrockenes, geerdetes Action-Entertainment stand, bei dem in der Regel erst geschossen und dann gefragt wurde. Das nannte sich dann NUR 48 STUNDEN, AUSGELÖSCHT oder LAST MAN STANDING und bestach durch dünne Storys, deftige Einzeiler und beträchtlichen Blutzoll. Im folgenden Jahrtausend wurde es dann sehr ruhig um den einstigen Erfolgsregisseur, bis er 2012 quasi wie aus dem Nichts wieder auf der Matte stand, um mit seinem Spätwerk BULLET TO THE HEAD so zu tun, als wäre die Zeit in all den Jahren einfach stehengeblieben. 'Zurück zu den Wurzeln' lautete das Motto, weg vom pixelgestützten Digital-Tumult, hin zum handfesten Haudrauf-Spektakel. Dass dabei ausgerechnet Sylvester Stallone die Hauptrolle bekleidet, ist natürlich kein Zufall: Der Action-Altstar propagandierte nach langer cineastischer Durststrecke die Rückkehr zu alten Tugenden, kehrte als ROCKY BALBOA und JOHN RAMBO in seine Paraderollen zurück und trommelte die EXPENDABLES zusammen, um mal mehr, mal weniger gelungene Reminiszenzen an vergangene Zeiten abzufeuern.

Das Aufbäumen gegen Verschleiß und Veränderung erreicht mit BULLET TO THE HEAD (der fürs deutsche Publikum unnötigerweise in SHOOTOUT umgetauft wurde) einen fast schon an Verzweiflung grenzenden Höhepunkt, merkt man doch deutlich, wie verkrampft man hier bemüht war, die 'Old School'-Fahne hochzuhalten. Das mag zwar ein gut gemeinter Fan-Service für Alteingesessene und Traditionalisten sein, geht über einen großen Zeitraum jedoch zu Lasten von Eigenständigkeit und Innovation. Das beginnt bereits bei der mehr als simpel erdachten Alibihandlung, die man von quasi jeglicher Ablenkung befreit hat. Was andernorts gewiss auch positiv bewertet werden darf, wird hier zum großen Defizit, hatte Autor Alessandra Camon der grassierenden Inhaltsarmut doch kaum etwas entgegenzusetzen. Die Ereignisse entwickeln sich fast sträflich absehbar und auf sattsam ausgetretenen Pfaden. Dass man für eine derartige Reißbrett-Story, die jeder Praktikant in der Mittagspause zu Papier bringen könnte, sogar eine Comic-Vorlage bemühen musste, ist durchaus einen Lacher wert.

So hatte man dann auch auffallend Mühe, das Geschehen auf eine zumindest leidlich akzeptable Lauflänge zu zerren. Immer wieder kutschieren Stallone und sein Partner deshalb durch die Gegend und überbrücken die Zeit zwischen den einzelnen Stationen durch gezwungen humorvolle Streitgespräche, bevor Kwon sein Smartphone (eines der wenigen Zugeständnisse an die Neuzeit) zückt, um im Nullkommanichts alle benötigten Informationen über den nächsten Bösewicht abzurufen. Der folgende Besuch bei selbigem endet dann in der Regel mit einem zünftigen Schlagabtausch, der dann immerhin überzeugend und mit angenehm-altmodischer Grobheit in Szene gesetzt wurde. Diese Ruppigkeit ist es dann auch, die BULLET TO THE HEAD bei aller Belanglosigkeit zu seinem Unterhaltungswert verhilft: Es wird geschossen, gestochen, gestorben – und der erste Warnschuss geht meistens direkt in den Kopf. Die Choreographie ist anständig, der Ton kompromisslos und die Aktionen angenehm bodenständig und frei von neuzeitlicher Übertreibung.

In solchen Momenten wird einem bewusst, wie viel Potential hier eigentlich verschenkt wurde. Gewiss hätte es kaum zur großen Genre-Revolution gereicht, doch mit etwas mehr Feinjustierung wäre eine saubere Action-Hommage dabei herausgekommen. Doch wurden so ziemlich sämtliche Möglichkeiten zur Erschaffung interessanter Figuren vertan, und das, obwohl Ideen zumindest im Ansatz vorhanden waren (so bringt Stallones Jimmy stets seinen eigenen Schnaps mit in die Bar, weil seine Lieblingsmarke kein Schwein kennt). Auch die 'Buddy'-Komponente, also das Konzept, zwei grundverschiedene Charaktere aufeinanderprallen zu lassen, zwischen denen aller Differenzen zum Trotze am Ende eine respektierende Freundschaft erwächst, die der Regisseur in früheren Arbeiten wie NUR 48 STUNDEN oder RED HEAT mit solch selbstverständlicher Leichtigkeit beherrschte, wurde kaum genutzt, obwohl mit Sung Kang (der zudem die Brücke zum jüngeren FAST & FURIOUS-Publikum schlägt) ein durchaus geeigneter Kandidat vorhanden war.

Auch an anderer Stelle blitzen hin und wieder interessante Aspekte auf, die der ganzen Sache zusätzliches Pfeffer hätten verleihen können, würden sie nicht sang- und klanglos wieder fallengelassen werden. So bewegt sich das Geschehen einen Moment lang kurz in Richtung des klassischen Cop-Thrillers, schneidet kurz das Thema der Korruption im Polizeiapparat an, widmet sich dann aber, als hätte man Angst davor, den straffen Faden zu verlieren, doch wieder dem erzählerischen Alltag. Und dieser besteht nun mal aus einem Sylvester Stallone, der nach altbekannter Manier aus der Wäsche guckt, als könnte er seit geraumer Zeit nicht mehr anständig aufs Klo gehen, und einem ganzen Sack voller Gegner, die so klischeehaft gezeichnet sind, dass sie zu keinem Zeitpunkt als ernsthafte Bedrohung durchgehen. Überraschend uninspiriert geriet dabei vor allem die Rolle des eigentlich gern gesehenen Christian Slater, der als windiger Winkeladvokat eine sehr lustlose Darstellung hinlegt. Nun war Slater zu dem Zeitpunkt schon längst nicht mehr der Star, der einst in Krachern wie BROKEN ARROW vor jugendlicher Energie sprühte (sondern stattdessen Dauergast in minderwertigen Videopremieren), dennoch (oder gerade deswegen) wäre selbst bei einer solch eindimensionalen Figur ein wenig mehr Engagement wünschenswert gewesen.


Jason Momoa, der durch den TV-Hit GAME OF THRONES als grobschlächtiger Haudrauf mit furchteinflößender Physis bekannt wurde, gibt – aufgrund einer albern erdachten Wendung, die praktischerweise einen Großteil der Kontrahenten Stallones ausschaltet – schließlich Jimmys Endgegner Keegan – ein primitiver Schläger mit deutlich mehr Muskel- als Hirnmasse, der den Kampf anstatt mit Feuerwaffen lieber mit mittelalterlichen Streitäxten ausfechten möchte. Und Adewale Akinnuoye-Agbaje [→ KILLER ELITE] als skrupelloser Unternehmer Morel wirkt in seiner Motivation nicht nur recht ziellos, sondern scheint auch keine Ahnung davon zu haben, dass man den Inhalt eines USB-Sticks mit Leichtigkeit kopieren könnte – womöglich ebenfalls eine Anspielung auf die technikunerfahrenen 80er Jahre, vermutlich jedoch nur ein weiterer Fauxpas eines Drehbuchs, das sich um Dinge wie Schlüssigkeit nur wenig scherte, solang ein Sylvester Stallone nur genügend Leute zum Plattmachen findet.

Actionfans alter Schule können sich BULLET TO THE HEAD trotz aller Defizite durchaus mal gefallen lassen: In schwülem Ambiente, von staubigem Stoner Rock begleitet, erzählt Walter Hill ein der Zeit entrücktes Mordspektakel, das auch den Trend bescheuerter Stallone-Rollennamen (auf so etwas wie 'Jimmy Bobo' muss man erstmal kommen) nahtlos fortsetzt. Im Vergleich mit dem zeitnah gestarteten, wesentlich versierterem THE LAST STAND, welcher mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle ebenfalls dem klassischen Actionkino Tribut zollt, muss Stallones Auftritt jedoch zurückstecken und wirkt durch sein fast schon trotziges Schwelgen in vergangenen Tagen wie eine ewig gestrige Kopie einstiger Erfolge, die keinen wirklich überzeugenden Grund liefert, nicht lieber zu einem der Originale zu greifen.


Laufzeit: 91 Min. / Freigabe: ab 16