Eigene Forschungen

Sonntag, 18. August 2024

COLD WAR


HON ZIN
China 2012

Regie:
Luk Kim-Ching,
Leung Lok-Man

Darsteller:
Aaron Kwok,
Leung Ka-Fai,
Charlie Yeung,
Gordon Lam,
Chin Ka-Lok,
Andy On,
Andy Lau



Inhalt:

Auf den Straßen Hongkongs: 5 Polizisten stoppen einen betrunkenen Autofahrer. Dieser verweigert sich der Festnahme, will Beziehungen geltend machen. Was dann passiert, ist unklar. Am nächsten Morgen sind die Beamten verschwunden, scheinbar spurlos, samt Einsatzfahrzeug. Die Lage spitzt sich zu, als sich ein unbekannter Anrufer bei der Hongkong Police meldet, zu der Entführung bekennt und eine astronomisch hohe Lösegeld-Summe fordert. Von nun an läuft der Sicherheitsapparat auf Hochtouren. Die Einsatzleitung hat der radikale M. B. Lee [Tony Leung Ka-Fai] inne, dessen Sohn sich pikanterweise unter den Geiseln befindet. Doch aufgrund seiner herrischen Vorgehensweise und mutmaßlicher Befangenheit regt sich in den eigenen Reihen rasch Widerstand. Rädelsführer der internen Gegenbewegung ist der aufstrebende Sean Lau [Aaron Kwok], der statt auf Gewaltaktionen auf Dialog und Taktik setzt. Es kommt zum offen ausgetragenen Kompetenzwettstreit, der schließlich in einer Meuterei endet. Währenddessen läuft das Ultimatum der Entführer langsam, aber sicher ab.

Kritik:

Und jetzt alle im Chor: „Hongkong ist die sicherste Stadt Asiens.“ Diese tollkühne Behauptung kam bereits beim Marketing COLD WARs ausgiebig zum Einsatz und zieht sich in gebetsmühlenartiger Dauerschleife auch wie ein Leitfaden durch das Endprodukt. Natürlich ist das nicht mehr als eine unverifizierte Propaganda-Parole (was eine Reihe von Rezensenten jedoch nicht davon abhielt, sie treudoof als angebliche Tatsache wiederzukäuen). Wenn der prätentiöse Polizei-Thriller für einen selbst auf erzählerischer Ebene funktionieren soll, muss diese Beteuerung allerdings tatsächlich als gegeben hingenommen werden, wird doch die enorme Fallhöhe aller hier skizzierten Figuren ansonsten gar nicht klar. Denn dank Drehbuch passiert genau das, was laut Prämisse eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sein sollte: In Hongkong, der sichersten Stadt Asiens, auf deren Straßen die Polizei als quasi unantastbare Instanz agiert (Zitat: „Wir sind Polizisten. […] Wenn du Polizisten angreifst, darf ich dich sogar totschlagen.“), wird eine fünfköpfige, bestens ausgebildete Einheit samt Einsatzfahrzeug und dazugehörigem High-Tech-Equipment Opfer einer Entführung. Als diese Nachrichtenbombe ins Führungsgebäude platzt, versetzt das die Belegschaft kurzzeitig in eine kollektive Schockstarre, die nicht großartig anders ausgefallen wäre, hätte sie stattdessen erfahren, ein Meteorit sei soeben auf die Erde geknallt. Was dann folgt, ist eine permanent unter Starkstrom stehende katastrophennotstandähnliche Betriebsamkeit, die zumindest die Protagonisten-Pulse heftigst hämmern lässt und alle Regler aufs Maximum schiebt.

Die Werbekampagne bezeichnete COLD WAR als die Rückkehr zum großen Hongkong-Polizeifilm der 1990er Jahre, aber das stimmt vorne und hinten nicht. Übten sich damals die Bullen, stets das Herz auf der Zunge und die Flinte im Anschlag, noch im rauen Straßenkampf, inklusive blutverspritzender Exekutiv-Maßnahmen und Blaue-Bohnen-Ballett, agieren hier nun schnöselige Anzugträger, die wirken, als wären sie einer Anwaltsschule für neureiche Fatzkes entlaufen. Über weite Strecken könnte man sogar regelrecht vergessen, es mit einem Polizei-Krimi zu tun zu haben und sich stattdessen in einem Polit- oder Wirtschafts-Thriller aus dem Milieu der Hochfinanz wähnen. Raus in den gemeinen Großstadtrummel geht es nämlich nur selten. Stattdessen verbringt man die Zeit überwiegend in ausladenden Büro- und Konferenzräumen, in bis unters Dach mit Gerätschaften vollgestopften Schaltzentren, die eine Bühne bieten für Machtgerangel und Intrigenspinnerei. Passend dazu ist alles bis in die Haarspitzen blankpoliert; der Mensch verschwindet hinter maßgeschneiderter Garderobe und akkurat ausgerichtetem Interieur; die verglasten Gebäudekomplexe vermitteln Sterilität und seelenlose Kälte. Auf die Charaktere scheint diese Umgebung längst abgefärbt zu haben. Ob Freund, ob Feind: Alle wirken sie unnahbar, wie Figuren einer fremden, futuristischen Welt, die den Bezug zur Unbeschwertheit schon vor langer Zeit verloren haben. Dass einen die Erzählung trotz kaum vorhandener Berührungspunkte mit der erlebten Alltags-Realität durchaus packen kann, liegt somit nicht etwa an ausreichend zur Verfügung gestellten Identifikationsmöglichkeiten, sondern an der gekonnten Kombination aus manipulativer Inszenierung und darstellerischer Intensität.

Denn wenn Aaron Kwok und Tony Leung in den kollegialen Konkurrenzkampf treten und wilde Wortgefechte austragen, quillt den Männern die Energie nur so aus jeder Pore. Jeder von ihnen verkörpert einen bis ins Mark überzeugten Idealisten, der sich mit seinem Gegenüber ein feuriges Duell um Kompetenzen und Vorgehensweisen liefert, das einen den eigentlichen Handlungs-Hintergrund (die Befreiung der entführten Polizisten nämlich) eine Zeit lang fast vergessen lässt. Die Szene, in der die beiden sich vor versammelter Mannschaft lautstark und unnachgiebig ihre Argumente um die Ohren schmettern, erinnert – das ist kein Witz und gewiss auch kein Zufall – an ein Äquivalent aus Tony Scotts U-Boot-Reißer CRIMSON TIDE, in dem sich Denzel Washington und Gene Hackman einen ähnlich vehementen Schlagabtausch liefern. Dort allerdings hing vom Ausgang der Ereignisse nicht weniger als das Schicksal der Welt ab. Und wer sich das vor Augen führt, erhält eine ziemliche Ahnung davon, wie COLD WAR sich ziemt. Nämlich haargenau so. Die Regie haut hier dermaßen auf die Kacke, als ginge es nicht darum, ein paar Geiseln zu befreien, sondern die gesamte Menschheit vor ihrem Untergang zu bewahren. Dementsprechend werden hier auch keine kleinen Brötchen gebacken: schnelle Schnitte, große Gesten, besorgte Blicke bei jeder neuen Erkenntnis, begleitet von einem brachialen Soundtrack, der genauso gut für ARMAGEDDON hätte komponiert sein können und bei jeder Kleinigkeit suggeriert, im nächsten Moment ginge eine Bombe hoch. Ganz gleich, ob jemand nur einen Gang entlang geht, in eine Dokumentenmappe schaut oder lediglich sein Gegenüber fragend anstarrt: Die Musik verspricht Hochspannung. Und hätte man zusätzlich noch abgelichtet, wie einer der ansonsten emsig umherwuselnden Gestalten auf dem Donnerbalken hockt, man hätte es vermutlich mit den kreischenden Geigen aus PSYCHO unterlegt.

Das ist zwar in der Absicht durchschaubar, aber man muss zugeben: Die fiebrige Inszenierung macht schon schwer was her. Ohnehin ist es erstaunlich, dass das Regie-Duo Luk Kim-Ching und Leung Lok-Man hiermit erst seine erste Arbeit ablieferte. COLD WAR wirkt bereits wie das Routine-Werk eines alten Hasen. Ebenfalls kaum zu glauben, dass sich Aaron Kwok, der hier als Seriosität in Person auftritt, nur kurz zuvor als Clown (im Wortsinne!) durch den grandios vergeigten Superhelden-Stinker CITY UNDER SIEGE alberte. Und wer den seinen Kontrahenten gebenden Tony Leung noch als den sensiblen Träumer aus DER LIEBHABER (wohl auf ewig seine bekannteste Rolle) im Kopf hat, wird ihn hier als harten Hund wohl kaum wiedererkennen. Der Rest des Ensembles verblasst gegen diese in den Fokus gerückten Platzhirsche zwangsläufig. Fans der ersten Stunde freuen sich trotzdem über kurze Gastauftritte von Leuten wie Andy Lau [→ INFERNAL AFFAIRS], Michael Wong [→ BORN HERO] oder Andy On [→ BLACK MASK II].

Für relevante weibliche Rollen haben die Produzenten hingegen keinen Platz mehr gefunden. Dafür aber für mehr oder minder unterschwellige Werbung für die Hongkonger Polizei (obwohl man nach dieser eitlen Pfauenparade keinem Beamten mehr auch nur sein Käsebrot anvertrauen würde): „Wir dienen mit Stolz und Umsicht“, prangt als Schriftzug oft nur wenig dezent im Hintergrund. Dass das in etwa so glaubwürdig ist wie die Behauptung, Hongkong sei ein sicheres Pflaster, bestätigt wohl so ziemlich jeder chinesische Demonstrant, dem vom Polizei-Knüppel vor lauter Umsicht noch der Schädel brummt. Und auch, dass einem die Totalüberwachung als Segen verkauft wird, überrascht kaum: „Das heißt, jeder Polizeibeamte wird überwacht?“fragt einer ganz überrascht, als er erfährt, dass sich die Funkgeräte selbst in ausgeschaltetem Zustand noch orten lassen. „Nicht überwacht“, bekommt er als Antwort, „das ist eine Geheimwaffe.“ Chapeau! Die NSA hätte kaum besser reagiert.

Am Ende ist COLD WAR durchaus ansehnlich geworden. Zwar von klinischer Kälte und insgesamt nicht sehr nachhallend, aber dennoch gekonnt in Szene gesetzt und rasant die Zeit vertreibend. Freunde von Kinetik und Kugelhagel könnten sich aufgrund falscher Werbeversprechungen freilich vergrätzt fühlen. Zwar sprechen durchaus auch mal die Pistolen und hin und wieder hetzt man sich amtlich über den Asphalt, aber insgesamt wird Action nur punktuell und mit Bedacht eingesetzt. Es dominiert das verbale Dauerfeuer; als Waffe dienen Worte statt Wummen. Punktabzug gibt es schlussendlich noch für die teils lausigen Computer-Effekte, die für eine solch optisch penibel durchkomponierte Prestige-Produktion fast schon peinlich sind.

Laufzeit: 102 Min. / Freigabe: ab 16

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