Eigene Forschungen

Montag, 29. Juli 2024

KÜSS MICH, MONSTER


BÉSAME, MONSTRUO
BRD, Spanien 1967

Regie:
Jess Franco

Darsteller:
Janine Reynaud,
Rosanna Yanni,
Chris Howland,
Adrian Hoven,
Michel Lemoine,
Manuel Velasco,
Manolo Otero,
Jess Franco



Inhalt:

Diana [Janine Reynaud] und Regina [Rosanna Yanni], die gemeinsam das Detektiv-Duo Rote Lippen bilden, sind nicht wenig überrascht, als eines Tages ein junger Bote vor der Türe ihres rustikalen Domizils steht, um ihnen ein Notenblatt zu überreichen. Ehe er erklären kann, was es damit auf sich hat, kippt er tot um. Grund dafür: vermutlich das Messer, das jemand in seinen Rücken geschleudert hat. Das Lied, zu dem die Noten passen, wurde komponiert von einem gewissen Professor Bertrand, dessen Spuren die beiden Damen aufgrund beruflicher Neugierde nun folgen. Das führt sie zur spanischen Insel Lo Pagan, wo sie erfahren, dass der Gesuchte seit einiger Zeit vom Erdboden verschwunden zu sein scheint. Um weitere Informationen zu erhalten, suchen sie jetzt dessen Frau auf, aber diese haucht just bei Ankunft ebenfalls gerade ihr Leben aus. Doch damit nicht genug: Eine mysteriöse Vereinigung maskierter Kuttenträger nimmt Kontakt zu den Roten Lippen auf und beauftragt sie damit, eine Formel zu finden, die der Professor an einem geheimen Ort versteckt hat. Liegt die Lösung des Rätsels in der Komposition Bertrands?

Kritik:

KÜSS MICH, MONSTER ist die Fortsetzung der kuscheligen Krimi-Kuriosität SADISTEROTICA und entstand, obwohl erst mit beträchtlicher Verspätung veröffentlicht, gleich nach Fertigstellung ihres Vorgängers. Und das merkt man auch, geht die wonnige Urlaubs-Wohlfühl-Atmosphäre doch nahezu nahtlos weiter, als wäre sie eigentlich niemals weg gewesen. Tatsächlich wirkt alles so arglos und tiefenentspannt, als habe man sich nach Ende der originalen Dreharbeiten dazu entschlossen, die Kamera einfach noch ein paar Tage länger laufen zu lassen und Teil 2 kurzerhand dazuzuimprovisieren. Aber natürlich stimmt das nicht, hinter der Arbeitsweise stecken ernüchternd freudlose Zahlenspielereien: Wenn man Cast und Crew schon einmal vor Ort hat, ist es schlichtweg kostenschonender, sie gleich für zwei Beiträge einzuspannen, sofern ein Erfolg berechenbar ist. Und da Regisseur Jess Franco für seine Sparfuchs-Mentalität bekannt war und seine Ware zur Not bereits für ein paar warme Mahlzeiten in den Kasten kurbeln konnte, war die Gefahr eines Verlustes denkbar gering.

Es geht sogar die Sage, beide Teile wurden gar nicht hintereinander gedreht, sondern parallel, sprich: Die erste Hälfte des Tages agierte man für die eine Nummer, die nächste dann für die andere, weswegen die Darsteller bisweilen unmöglich hätten garantieren können, für welches Werk sie sich denn eigentlich gerade die Gesichtsmuskeln verbiegen. Franco bestritt dieses Vorgehen zwar später, aber am Ende ist es eh wurscht. Wusste man die Qualitäten SADISTEROTICAs zu schätzen, fühlt sich KÜSS MICH, MONSTER nämlich an wie ein Wiedersehen mit guten, alten Bekannten, sind sie doch quasi alle wieder da, in unveränderter Frische und Form: Janine Reynaud und Rosanna Yanni geben wieder die Roten Lippen und Chris Howland hampelt sich abermals als Interpol-Agent durch die Szenerie. Manolo Otero und Michel Lemoine lassen sich dazu ebenso wieder blicken wie Produzent Adrian Hoven und Regisseur Jess Franco persönlich - zwar teilweise zwangsläufig in anderen Rollen als noch im Vorgänger, aber geändert hat sich dennoch nichts.

Der Aufhänger der Geschichte ist dabei durchaus geglückt und erinnert gar an ein prototypisches Sherlock-Holmes-Abenteuer: ein Bote mit Messer im Rücken, eine ominöse Partitur, die offenbar eine verschlüsselte Nachricht enthält, sowie eine mysteriöse Formel, die so wertvoll zu sein scheint, dass gleich mehrere Parteien für sie buchstäblich über Leichen gehen. Aber wo Arthur Conan Doyle seinen Helden als eine Ausgeburt an Logik beschrieb, die zwischen jedem Ereignis und jeder Erkenntnis hoch konzentriert zwingende Zusammenhänge eruierte, handelt und reagiert hier wirklich niemand in irgendeiner Weise nachvollziehbar und schüttelt sich Eingebungen und Reaktionen stattdessen leger aus dem Ärmel. Das fängt schon bei den beiden hauptrollenden Detektivinnen an, die darauf, dass ihnen zum Auftakt direkt ein toter Mann durch die Türe vor die Füße fällt, reagieren, als soeben lediglich der Kleiderständer umgestürzt. Eine Prüfung, ob der arme Kerl womöglich noch zu retten wäre, entfällt komplett, da zumindest eine der Damen es für wichtiger hält, stattdessen ein paar Takte auf der Klampfe zu zupfen – hatte ja immerhin Notenblätter dabei, der Verblichene. Anschließend entsorgen die beiden den Leichnam dann in den Tiefen der See, als hätten sie etwas mit der Tat zu tun und müssten nun Beweismittel beseitigen.

Es ist nicht der letzte Akteur, der direkt vor den Augen der Protagonistinnen per Dolchwurf den Löffel reicht. Tatsächlich kippt fast jeder, der er wagt, mit dem Duo ein paar zarte Worte zu wechseln, kurz darauf tödlich getroffen vornüber. Einer davon ist Jess Franco höchstselbst, der sich hier als klassischer „Informant“ verkleidet hat: Sonnenbrille drauf, Glimmstängel drin, stets nervös von einem Bein aufs andere hüpfend, lässt er sein brandheißes Info-Material nicht etwa direkt an Ort und Stelle vom Stapel, sondern trifft sich erst in extra-einsamer Umgebung, da man sich dort ja viel besser killen lassen kann. Sein Abgang ist dann auch ganz besonders gelungen: Kaum getroffen reißt er theatralisch die Arme gen Himmel, stürzt in Richtung der Detektivinnen und lässt sich von ihnen in schwungvoller Darbietung auffangen. Das ist logisch gedacht: Wenn man schon frühzeitig abtreten muss, dann doch bitte mit zwei Schönheiten im Arm. Wie schon die Male davor machen die Damen danach nicht die geringsten Anstalten, den Attentäter – der sich der Logik nach ja immerhin in Wurfweite befinden muss - mal zu fassen und kommentieren das unfreiwillige Ableben ihres Gegenübers lieber mit: „Ich glaub, der hat was mit der Atmung.“

Gerade diese kindliche Unbekümmertheit ist es, die KÜSS MICH, MONSTER so attraktiv und liebenswert macht. Spannend im klassischen Sinne ist das freilich nicht – zumal die Präsentation auch arg verwirrend geriet, wenn oft bar jeder Erklärung von einer Szene zur nächsten gesprungen wird. Da sieht man Reynaud und Yanni dann schon mal in irgendwelchen Nachtclubs in Männer-Montur Saxophon spielen, ohne Montur die Hüften schwingen und in sonst irgendeiner Form durch verruchte Etablissements schwofen. Das ist natürlich in erster Linie dazu da, die Laufzeit zu strecken, kommt aber stets stilvoll und elegant des Wegs. Am eigentlichen Fall jedoch, so schält sich schnell heraus, haben weder Jess Franco noch seine Story-Konstrukteure ein gesteigertes Interesse, obwohl es eigentlich sogar recht stringent beginnt. Bald aber werden alle naslang neue Beteiligungsparteien aus dem Hut gezaubert, deren Sinn und Zweck oft zweifelhaft sind. So stoßen die Protagonistinnen u. a. auf ein Kuttenträger-Kollektiv, das sich bei der Auswahl seiner Garderobe offenbar vom Ku-Klux-Klan beraten ließ, zwei amazonenartige Zimtzicken mit geräuschintensiver Dschungelimitation auf der Terrasse, die ihre Gegner am liebsten in Käfige sperren, einen halbseidenen Anzugträger, der ein herrisches Arschloch-Kind im Schlepptau hat, das sich „Señorita Yolanda“ nennt und offenbar den Ton angibt, einen klassischen verrückten Wissenschaftler, der in einem Klischee-Labor zwischen Reagenzgläsern mit wild blubberndem Inhalt in toten Körpern herumstochert, und schließlich diverse muskelbepackte „Supermenschen“, die sich mittels Tierlauten verständigen und das zweifelhafte Resultat unmoralischer Forschungsarbeit darstellen sollen.

Das alles ist enorm verwirrend zusammenmontiert und obwohl teils ausufernd parliert wird, erschließen sich viele Zusammenhänge schlichtweg nicht. Vermutlich, weil es keine gibt. Gerade dieses Fehlen klarer Strukturen jedoch sorgt für eine höchst angenehme Atmosphäre, die so wohl nur Jess Franco kreieren konnte. Abseits jeglicher Vernunft entspinnt sich ein herrlich absurdes Spionage-Abenteuer zwischen Sandstrand, Swimming-Pool und Striptease-Bar, das sich dem Augenblick hingibt und nie den schnöden Zwängen normierter Narration unterwirft. Urgemütlich ruckert und tuckert alles vor sich hin, wie die riesigen Zahnräder, die am Ende zu des Rätsels Lösung führen. Der Unterhaltungswert ist überraschend hoch, die Optik edel, die Landschaft augenschmeichelnd eingefangen, die Ausstattung todschick und der Sound dazu ungeheuer schmissig. Reynaud und Yanni in den Hauptrollen bestechen durch eine fabelhafte Chemie, verstehen sich, trotz gelegentlicher Neckereien, großartig und gehen dieses Mal auch ganz schön rabiat vor, wenn sie ihre Widersacher per Maschinenpistole niederstrecken als wär es nix. Ist es eigentlich auch, denn der Gegner legt sich einfach hin, völlig unblutig, wie damals im Sandkasten. Alles hier ist nur ein großes, teils seltsames, aber stets sehr erquickliches Spiel.

Die Kritiken dazu sind und waren stets vernichtend. Aber man muss schon ausgesprochen miesepetrig sein, um KÜSS MICH, MONSTER nicht zu mögen. Die Unbeschwertheit, in der hier traumartig von Station zu Station getänzelt wird, ist pure, angenehme Alltags-Zerstreuung, fabelhaft unterfüttert von der spritzigen Synchronisation Gert-Günther Hoffmanns, die wahrscheinlich mit dem Champagnerglas in der Hand entstanden ist. Man muss das Monster ja nicht gleich küssen. Aber so eine kleine Jess-Franco-Sterbe-Umarmung sollte doch wohl drin sein. Hoch die Hände!

Laufzeit: 80 Min. / Freigabe: ab 18

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen