Donnerstag, 19. Juli 2012

WATCHMEN - DIE WÄCHTER


WATCHMEN
USA 2009

Regie:
Zack Snyder

Darsteller:
Billy Crudup,
Matthew Goode,
Carla Gugino,
Jackie Earle Haley,
Jeffrey Dean Morgan,
Patrick Wilson,
Matt Frewer,
Stephen McHattie



Amerika liebt Superhelden! Figuren wie Superman, Spider-Man oder Captain America verkörperten als moralisch einwandfreie Protagonisten schon immer auch das nationale Selbstbewusstsein und gaben solch schwammigen Begriffen wie Ehre und Gerechtigkeit memorable Gesichtszüge. Ihre Gegner hingegen waren stets das genaue Gegenteil: Frei von Gewissen, dafür voll der Niedertracht, strebten sie ebenso gewaltsam wie skrupellos nach Macht und Regiment. Hier die Guten, da die Bösen, das versteht in seiner bequemen Einfachheit jedes Kind, und obwohl es auch immer mal wieder Ambitionen für ambivalentere Auslegungen gab, blieben die Genreregeln insgesamt doch jahrzehntelang ungebrochen. So richtig entscheidend änderte sich das erst im Jahre 1986 mit dem Erscheinen der WATCHMEN. Das von Alan Moore erdachte und von Dave Gibbons gezeichnete Superheldenkollektiv brach die bekannten Schwarz-Weiß-Schablonen vollständig auf und stellte die bewährten Formeln tüchtig auf den Kopf. Bereits die Prämisse besticht durch Einfallsreichtum und Unkonventionalität, tragen sich die Ereignisse doch in einer fiktiven Vergangenheit zu, in einer alternativen Zeitrechnung, die real stattgefundene politische und geschichtliche Ereignisse neu arrangiert und in völliger Selbstverständlichkeit mit dem Superhelden-Mythos verbindet:

Inhalt:

New York, 1985: Richard Nixon tritt bereits seine fünfte Amtszeit als US-Präsident an. Der Kalte Krieg befindet sich auf dem Höhepunkt, die Welt steht einmal mehr am Rande der atomaren Vernichtung. Amerikas Superhelden haben sich zur Ruhe gesetzt, ihr Gewerbe wurde von höchster Stelle verboten. Dabei standen einige von ihnen in früheren Zeiten sogar im Dienste der Regierung, gewannen als 'Watchmen' den Vietnamkrieg und hielten die Sowjets in Schach. Inzwischen jedoch gelten ihre Aktivitäten als Akt der Selbstjustiz. Als der 'Comedian', einst Mitglied der Truppe, einem Mordanschlag zum Opfer fällt, ist sein alter Kollege 'Rorschach' davon überzeugt, dass es der Mörder gezielt auf die damaligen 'Watchmen' abgesehen hat und es zu weiteren Bluttaten kommen wird. Zunächst will man ihm nicht so recht Glauben schenken, doch dann erfolgt tatsächlich ein weiterer Anschlag auf seinen einstigen Kameraden 'Ozymandias'. Von der Polizei als Mörder gejagt, beginnt 'Rorschach' nun im Untergrund zu ermitteln und deckt dabei eine Verschwörung ungeheuren Ausmaßes auf.

Kritik:

Auf dieser ungewöhnlichen Basis entwickelt WATCHMEN ein ebenso intelligentes wie verwinkeltes Verwirrspiel, das haufenweise philosophische Fragen aufwirft und massenhaft Seitenhiebe auf Politik und Gesellschaft verteilt. Das überaus komplexe Geflecht aus Krimi, Thriller, Fantasy und Drama, kombiniert mit tiefgründiger Charakterzeichnung sowie essentiellen Fragen über Moral und Mortalität geriet dabei dermaßen überlebensgroß, bedeutungsschwer und vielschichtig, dass Moores schon bald kultisch verehrte Graphic Novel deshalb jahrelang – Achtung, jetzt kommt es wieder! - als unverfilmbar galt. Das war und ist natürlich Unfug, doch bildet die vorliegende Leinwandumsetzung tatsächlich erst den Abschluss eines unerwartet langwierigen, hochkomplizierten Prozesses, in dessen Verlauf sowohl finanzielle, künstlerische, als auch rechtliche Differenzen die Realisierung jahrzehntelang verzögerten.

Dass der Regieauftrag letztendlich an den damals noch eher unerfahrenen Zack Snyder ging, welcher zu diesem Zeitpunkt gerade mal zwei Kinoeinsätze auf seiner Vita vermerken konnte, war, vor allem angesichts der bis dahin bereits gehandelten Namen, schon eine recht mutige Entscheidung, welche vor allem im Erfolg seines Vorgängers 300 begründet sein dürfte. Ebenfalls auf einer berühmten Graphic Novel basierend, dabei bis in die Haarspitzen durchästhetisiert, bot das martialische Meuchel-Märchen um eine Horde wehrhafter Spartaner eine ganze Wagenladung wuchtiger Panoramen und gekonnt inszenierter Oberflächenreize. Und auch WATCHMEN gibt sich in optischer Hinsicht keine Blöße und schmeichelt das Auge mit perfekt komponierten Bildern von teilweise fast hypnotischer Sogwirkung. Wie bereits bei 300 orientierte sich Snyder bei der visuellen Umsetzung streng an den Zeichnungen des Originals und übernahm die Panels zum Großteil 1:1, ohne sich dabei allzu viele Freiheiten zu erlauben.

Die große Schwäche von Snyders Werken liegt darin, dass sie sich meist bereits in ihrer vordergründigen Attraktivität erschöpfen. Hat man die Schale erst geknackt und blickt hinter die verführerisch blinkende Fassade, bleibt am Ende oft erstaunlich wenig übrig. Womöglich hätte WATCHMEN ein ähnliches Schicksal ereilt, profitierte er an dieser Stelle nicht von seiner starken Vorlage, welche von David Hayter und Alex Tse ohne großartige Veränderungen adaptiert wurde – freilich nicht, ohne dabei auch weitreichende Komprimierungsarbeit zu leisten. Das Ergebnis dieser Bemühungen präsentiert sich als inhaltlich dicht gedrängtes Knäuel aus unzähligen narrativen Elementen, das trotz ausladender Spielzeit von 2 ½ Stunden kaum Zeit lässt zur weiteren Vertiefung und in seiner geballten Dichte eine beinahe schon erschlagende Wirkung erzielt.

So wird jedem der titelgebenden Helden seine eigene Hintergrundgeschichte gegönnt, und jede einzelne dieser Episoden hätte bereits ohne Schwierigkeit einen schnittigen 90-Minüter ergeben. Dass die Charaktere nun stattdessen auf engstem Raum gezeichnet wurden, war ein unvermeidbares Zugeständnis an das Kinoformat, das über weite Strecken durchaus funktioniert, vor allem deshalb, weil die Watchmen in ihren ambivalenten Persönlichkeiten so ziemlich jedem etablierten Superhelden-Klischee mit Überschallgeschwindigkeit entgegenlaufen. Das beginnt schon bei dem Umstand, dass Moores Kollektiv – mit einer Ausnahme – gar keine Superkräfte besitzt und sich seine Mitglieder vom normalen Bürger lediglich dadurch unterscheiden, dass sie maskiert sind, Künstlernamen tragen und unter staatlicher Legitimation agieren dürfen. Von diesem realistischen Ansatz ausgehend fühlen und handeln die Figuren nicht wie Lichtgestalten, sondern wie gewöhnliche Menschen, voller Zweifel und Schwächen, dabei unter Umständen auch moralisch bedenklich oder sogar schwerst kriminell.

Vor allem der Comedian, dessen verfrühtes Ableben die Ereignisse erst in Gang setzt, entpuppt sich im weiteren Verlauf als gewissenloses Scheusal: Zwischen Recht und Unrecht schon längst nicht mehr unterscheiden könnend, dabei überzeugt vom baldigen Untergang der Welt und desillusioniert bis ins Mark, schreckt er vor keiner Gewalttat zurück und versteht seinen Status ohne Not als staatlich verordnete Tötungslizenz. Auch die restlichen Watchmen sind kaum mehr als tragische Figuren: Dr. Manhattan, der einzige Charakter, der tatsächlich Superkräfte besitzt, strotzt vor Kraft, kann in die Zukunft sehen und beherrscht die Fähigkeit, sich durch Raum und Zeit zu teleportieren. Doch was im ersten Moment nach grenzenloser Freiheit klingt, erweist sich schnell als ausweglose Sackgasse: Da Dimensionen keine Rolle mehr spielen, erscheint ihm das eigene, heimatlose Dasein bald vollkommen sinnlos, ebenso wie jede Art von Tätigkeit, ist ihr Ausgang doch bereits vorherbestimmt. So flüchtet Manhattan schließlich auf einen anderen Planeten und quält sich mit der bohrenden Frage nach den Gründen für Ereignis und Existenz.

Das Schicksal Dr. Manhattans verdeutlicht dabei fast am besten den ungewöhnlichen Ansatz der Erzählung: Mögen seine Fähigkeiten auch fantastisch und wirklichkeitsfern sein, die daraus resultierenden Emotionen und Handlungsweisen sind glaubwürdig und am realen Leben orientiert. Ähnliches gilt auch für die Geschichte von Ozymandias, der sich bereits frühzeitig aus dem Helden-Metier zurückzog, um ein milliardenschweres Unternehmen aus dem Boden zu stampfen. Dass dieses unter anderem auch Ozymandias-Actionfiguren verhökert, verdeutlicht anschaulich, wie sehr die einstigen Ideale des Heldentums bereits verkauft und erfolgreich dem Mammon geopfert wurden. Als überaus kluger und rational denkender Mann steht Ozymandias am Ende vor einem moralischen Dilemma: Wenn man sowohl Mittel als auch Wege besitzt, die Welt zu retten, wie weit dürfte man dafür gehen, wie viele Opfer dafür fordern dürfen?

Es ist nicht einfach, sich angesichts dieses Sammelsuriums aus gebrochenen Charakteren und zweifelnden Helden eine Bezugsperson zu suchen. Am ehesten funktioniert das wohl noch mit Rorschach, der, das Gesicht hinter einer Maske mit Rorschachtest-Muster verborgen, dabei ganz klassisch mit Hut und Mantel unterwegs, als Detektiv auf der Pirsch ist und das Geschehen in bester Humphrey Bogart-Manier aus dem Off kommentiert. Doch auch er ist alles andere als ein strahlender Held: Einst Verbrechensbekämpfer aus tiefster Überzeugung, nach einem grausamen Entführungsfall jedoch in seinen Grundfesten erschüttert und den Glauben an die Menschheit verloren habend, wurde er schließlich zum zynischen Rächer, bedient sich zur Durchsetzung seiner Ziele extremer Brutalitäten und spannt Verdächtige schon mal im wahrsten Sinne auf die Folter.

All diese (und noch viel mehr) Schicksale und Themen bündelt WATCHMEN zu einer mit klassischen Film-Noir-Elementen sowie Versatzstücken des Thrillers gefütterten Moralparabel mit tragischem Unterton und philosophischem Überbau, dessen ausladende, in Hochglanzoptik verpackte Mischung aus massenkompatibler Action und intellektueller Attitüde ein wahres Fest für Auge und Ohr bietet. Einmal mehr gelang Snyder eine grandiose Symbiose aus Bild und Klang. Bereits der Vorspann, der, von Bob Dylans unsterblichem Klassiker The times they are a-changin' untermalt, einen alternativen Verlauf der Geschichte Amerikas erzählt, zieht einen aufgrund des atemberaubenden Zusammenspiels von Musik und Darstellung minutenlang in seinen Bann. Und auch im weiteren Verlauf erweist sich die Songauswahl als fast durchgehend exzellent und wirkt in Kombination mit den dazugehörigen Szenen wie eine perfekt aufeinander abgestimmte Komposition mit enormem Wirkungsgrad.

Doch kann all der Prunk nur schwerlich übertünchen, dass es WATCHMEN letztendlich nicht gelingt, seine überlebensgroßen Ansätze in sein beengtes Laufzeitkorsett zu zwängen. Zwar spürt man, dass da noch etwas ist, etwas im Hintergrund, das raus möchte, sich entfalten, atmen. Doch bleibt schlichtweg kein Platz dafür in diesem dicht gedrängten Wust aus Themen, Taten und Figuren, der in seiner konzentrierten Konsistenz eine ausreichende emotionale Bindung verhindert und die philosophischen Gedankenspiele bereits im Keim ersticken lässt. Die großen Fragen betreffend Wert des Lebens und Essenz der Menschlichkeit werden gerade mal angekratzt. Hinter seinen selbstgesteckten Absichten somit zurückbleibend, dabei technisch freilich voll auf der Höhe seiner Zeit, empfiehlt sich das überfrachtete Steampunk-Spektakel letztendlich für alle Freunde ambitionierten Kinos als durchaus imposante und erfreulich humorfreie Fantasy-Mär im futuristischen Retrolook, dessen visuelle Wucht manch erzählerisches Defizit vergessen lässt.

Laufzeit: 163 Min. / Freigabe: ab 16

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