Samstag, 21. Juli 2012

ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN


ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN
BRD, Italien 1971

Regie:
Jürgen Roland

Darsteller:
Herbert Fleischmann,
Henry Silva,
Horst Janson,
Patrizia Gori,
Véronique Vendell,
Dan van Husen,
Denes Törzs,
Ermelinda De Felice



„Alles nette Herren. Die reinsten Goldjungs!“


Inhalt:

Otto Westermann (Herbert Fleischmann) führt ein ruhiges, beschauliches Leben. Alles läuft für ihn, wie es laufen soll. Er ist der unumstrittene Boss in der Hamburger Unterwelt. Was er will, ist Gesetz. Und wer sich nicht daran hält, bekommt höflichen, aber bestimmten Besuch von Westermanns Angestellten, die den Wünschen ihres Chefs auch schon mal mit dem ein oder anderen Faustschlag Geltung verschaffen. Das ändert sich, als Luca Messina auf den Plan tritt. Stilecht per Kreuzfahrtschiff läuft der Italo-Amerikaner mit seiner Mutter (Ermelinda De Felice), Tochter Sylvia (Patrizia Gori), seiner Geliebten Kate (Véronique Vendell) und 15 gut trainierten Schergen, den titelgebenden Goldjungen, im Schlepptau im Tor zur Welt ein und beansprucht die Stadt umgehend als sein Territorium. Westermann soll Platz machen und ohne Murren 40 Prozent seines Gewinns an Messina abdrücken. Doch auch wenn Westermann und seine Geschäftspartner eher Ganoven vom alten Schlag sind, so stehen sie den neuen Gangstern aus Übersee doch in Skrupellosigkeit kaum nach. Und so entbrennt in der Hansestadt ein Bandenkrieg der sich gewaschen hat. Dann passiert allerdings etwas, womit keiner gerechnet hat: Westermanns Sohn Erik (Horst Janson) verguckt sich in Messinas Tochter Sylvia. Während ihre alten Herren ohne Rücksicht auf Verluste ihren Klinsch um das begehrte Territorium an der Elbe austragen, entwickeln sich zwischen den beiden jungen Leuten zarte Liebesbande. Ausser Kontrolle gerät die Situation, als Messinas Schergen Westermanns zweiten Sohn Karl zu Tode prügeln. Blind vor Zorn fordert Westermann Vergeltung Auge um Auge, Zahn um Zah, und hat es nun seinerseits auf Sylvias Leben abgesehen. Erik und Sylvia drohen zwischen den Fronten der Gangsterbanden aufgerieben zu werden...

Kritik:

Es ist unzweifelhaft, welches bekannte Werk der Literatur- und Theatergeschichte für das Storygerüst von ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN herhalten durfte. Die Parallelen zu William Shakespeares ROMEO AND JULIET sind unverkennbar. Mehr als den Ausgangspunkt der Geschichte (Sohn und Tochter zweier bis aufs Blut verfeindeter Familien verlieben sich ineinander und versuchen den Streit zwischen ihren Vätern zu schlichten) übernimmt der Film allerdings nicht. Vielmehr nutzt das geschickt konstruierte Drehbuch eben diesen Ausgangspunkt, um daraus eine eigene, sehr viel wendungsreichere und vielschichtigere Storyline zu entwickeln.

Westermann und Messina erkennen schnell, dass sie gar nicht so verschieden sind, wie es zu Beginn den Anschein hat. Konsequent rückt der Film die Gemeinsamkeiten beider Seiten durch quasi gespiegelte Szenenfolgen in den Mittelpunkt. So sind die Methoden, die sowohl Westermanns als auch Messinas Männer anwenden, um ihre Herrschaftsansprüche durchzusetzen, nahezu identisch. Auch ihre Persönlichkeiten gleichen sich. Beide haben Kinder aus gescheiterten Ehen, die beginnen, sich von ihnen abzuwenden, als sie erkennen, in welchem Milieu sich ihre Väter bewegen, und Geliebte, die nur des Geldes wegen bei ihnen bleiben. Hier reichen die Parallelen sogar bis in die Dialoge hinein: Westermanns Reaktion auf Eriks Aussage, dass Sylvia nicht viel von ihrem Vater halte, ist „Etwa so viel, wie du von mir?“. Exakt dieselbe Frage stellt Messina Kate, als diese ihm offenbart, dass Sylvia ihr von Eriks Abneigung gegen seinen Vater erzählt habe. 

Wären sich Westermann und Messina unter anderen Umständen begegnet, hätten sie vielleicht sogar Freunde sein können. Dieser Aspekt ist es, aus dem ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN einen Großteil seiner Spannung bezieht. Immer wieder scheint die Geschichte scheinbar auf ein Happy End zuzusteuern, nur um die Ereignisse dann doch wieder durch widrige Umstände in noch dramatischere Konfliktsituationen umkippen zu lassen. Gerade, als das Eis zwischen den Rivalen dabei ist zu schmelzen, nachdem Westermann Messinas Mutter vor dem Tode durch einen Herzinfarkt bewahrt hat, sind Messinas Männer dabei, Karl Westermann von zwei asiatischen Kampfsportlern ins vorzeitige Grab befördern zu lassen. Messinas Anruf, um dem Junior seines Gegners doch noch das Leben zu schenken, kommt nur wenige Minuten zu spät. Als Westermann den Tod seines Sohnes dadurch rächen will, dass er Sylvia zum Geburtstag einen Gedenkkranz mit einer darin versteckten Bombe zukommen lässt, ahnt er noch nicht, dass auch Erik auf der Geburtstagsfeier anwesend ist und beinahe ebenfalls ein Oper des Sprengsatzes wird, den Messina in letzter Sekunde in den Gartenteich befördern kann. Gegen Ende versucht dann seinerseits Messina, Westermann mittels einer Autobombe zu beseitigen. Angewidert vom Starrsinn ihrer Väter setzen sich jedoch Sylvia und Erik in den präparierten Wagen und fahren davon. Messina stürzt ihnen kopflos hinterher, will versuchen sie aufzuhalten. Westermann allerdings glaubt, der Amerikaner wolle ihn einmal mehr aufs Kreuz legen und habe es nun auch auf Eriks Leben abgesehen.

Das alles verpackt Regisseur Jürgen Roland in eine versierte, actiongeladene Inszenierung, die sich in Machart und Aufwand nicht hinter internationalen Produktionen der Zeit verstecken muss.  Mit dem Drehort Hamburg war Roland ganz in seinem Element, wurde er doch 1925 ebendort geboren und kannte sich in St. Pauli und Umgebung, nicht zuletzt dank seiner Erfahrungen als Rundfunkreporter beim NWDR, bestens aus. Darüber hinaus hatte er bereits in der Schulzeit Kriminalstücke für das Schultheater geschrieben und auch inszeniert und wurde im Laufe seiner über sechs Jahrzehnte überspannenden Karriere zu einem der profiliertesten deutschen Regisseure auf den Gebieten Krimi und Thriller, der Erfolgskonzepte wie die semidokumentarische Serie STAHLNETZ, die TATORT-Reihe oder auch das GROSSSTADTREVIER mit erdachte und maßgeblich prägte. Auch zwei der ersten Filme der langjährigen Edgar-Wallace-Reihe gehen auf sein Konto, nämlich DER ROTE KREIS und DER GRÜNE BOGENSCHÜTZE.

Bei den Dreharbeiten zu ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN konnte Jürgen Roland sowohl vor als auch hinter der Kamera auf eine Team internationaler Profis zurückgreifen. Produzent des Films war Wolf C. Hartwig, der vor allem durch die Erschaffung der SCHULMÄDCHEN-REPORT-Reihe sowie zahlreiche weitere Sexfilmchen bekannt war, aber immer wieder auch seriöse Produktionen stemmte, darunter unter anderem 1979 die Fortsetzung von STEINER - DAS EISERNE KREUZ. Auch ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN entstand in Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern, in diesem Fall aus Italien. Das Drehbuch schrieben Jörg Lüddecke und August Rieger. Lüddecke hatte 1959 auch schon am Skript für Fritz Langs Indien-Epos DER TIGER VON ESCHNAPUR/DAS INDISCHE GRABMAL mitgewirkt, während Rieger zuvor eher auf dem Gebiet der Heimatfilme tätig war, später, 1978, aber auch den ebenfalls international besetzten Thriller AGENTEN KENNEN KEINE TRÄNEN mit verfasste. Hier leisteten beide ganze Arbeit. Die Charaktere und das Milieu, in dem sie sich bewegen, wirken zu jeder Zeit glaubhaft, die Spannungskurve wird permanent angezogen und das Tempo stetig gesteigert. Als Chefkameramann fungierte Hartwig-Weggefährte Klaus Werner, der hier eindrucksvoll bewies, dass er nicht nur die nackten Körper junger Frauen und Männer, sondern auch rasante Actionszenen drehen konnte. Für die Erfschaffung der Action konnte sich Jürgen Roland auf Spezialisten aus den USA, Frankreich und Hongkong verlassen. Und das sieht man auch. Allein der rund zehnminütige Showdown, der eine Verfolgungsjagd per Auto und Motorboot bereithält, ist adrenalingeladenes Spannungskino vom Feinsten.

Bei der Besetzung der Rollen bewiesen Roland und Hartwig in mehrfacher Hinsicht eine glückliche Hand. Herbert Fleischmann ist ein perfekter Otto Westermann. Der neben seiner schauspielerischen Tätigkeit vor allem als Sprecher in Hörfunksendungen und Hörspielen bekannte, in Nürnberg geborene Mime gibt den hanseatischen Mafiapaten, der nach aussen die Fassade des seriösen, spießigen Geschäftsmannes lebt, als bärbeißigen Patriarchen. Ihm platzt auch schonmal im unpassenden Moment der Kragen. Der große Coup der Besetzung gelang mit der Verpflichtung von Henry Silva als Westermanns Konkurrent Luca Messina. Der gebürtige Amerikaner war ein international renomierter Star, hatte mit Frank Sinatra in OCEAN'S ELEVEN gespielt, konnte auch sonst eine ebenso umfassende wie qualitativ beeindruckende Karriere in Kino und Fernsehen vorweisen und hatte sich einige Zeit zuvor in Italien niedergelassen, wo er von Ende der 60er bis Ende der 70er Jahre in zahlreichen Filmen unterschiedlicher Genres, hauptsächlich aber italienischen Polizei- und Gangsterfilmen mitwirkte. Silva liefert als Messina einmal mehr eine Glanzleistung ab. Mit starrem Blick gibt er den eiskalt kalkulierenden Boss, der sein Ziel absoluter Dominanz in der Unterwelt ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen trachtet. Einzig wenn es um seine Familie, um Mutter und Tochter geht, wird er schwach. Die Szene, in der er Westermann anfleht, seiner im Sterben liegenden Mutter zu helfen, ist fast schon anrührig und Messinas Verzweifelung wird durch Silva eindrucksvoll porträtiert.

Als Westermanns Sohn Erik ist Horst Janson zu sehen. Janson stammt aus Mainz und war insbesondere in den 50er und 60er Jahren ein großer Jugendschwarm. Auch seine Filmografie kann sich sehen lassen und umfasst zahlreiche internationale Koproduktionen, wie z. B. den Hammerfilm-Klassiker CAPTAIN KRONOS. In den Jahren 1980-1983 agierte er neben Liselotte Pulver und Manfred Krug in der deutschen Version der SESAMSTRASSE und prägte damit die Kindheitserinnerungen einer ganzen Generation. Sein Erik macht im Laufe des Films eine interessante Wandlung durch. Zwar mit eigenem "Gebrauchtwagen"-Geschäft (mit geklauten Autos) an den Machenschaften seines Vaters beteiligt, lässt sich der junge Mann doch auch ganz gerne von seinem Vater finanzieren und treibt mehr oder weniger ziellos durchs Leben. Erst als eben diese Machenschaften drohen, seine Liebe zu Sylvia und sogar deren Leben zu gefährden, bricht er mit dem alten Herren, schlägt sich auf die Seite der Vernunft und beginnt Verantwortung zu übernehmen. Eine darstellerische Balance, die dem damals schon 38-jährigen und damit nicht mehr unerfahrenen Janson gut gelingt.

Die Italienerin Patrizia Gori spielt Messinas Tochter Sylvia, während die französin Véronique Vendell als dessen Geliebte Kate zu sehen ist. Gori stand 1973 noch ziemlich am Anfang ihrer nicht besonders erfolgreichen, nur rund 12 Jahre dauernden Karriere im Filmgeschäft. Auch ihre Sylvia entwickelt sich, wie Erik, im Laufe des Films von der wohlbehüteten Tochter zur selbstständig denkenden Frau. Allerdings fehlt der Gori etwas die schauspielerische Nuancierung, um wesentlich mehr zu sein als die hübsche Damsel in Distress. Da kommt Véronique Vendells Kate schon etwas vielschichtiger rüber. Vendells unterkühlte Darstellung passt zu Kate, denn die Geliebte bleibt eigentlich nur aus reinem Kalkül bei Messina. Er ermöglicht ihr ein Leben im Luxus. Doch kaum drohen seine Pläne an Otto Westermanns hartnäckigem Widerstand zu scheitern, packt sie ihre Koffer und plündert gleich auch noch den Safe. Interessant ist die Besetzung der Nebenrollen. Neben Dan van Husen, einem der deutschen Badguys vom Dienst, sticht hier vor allem Denes Törzs heraus. Nicht, weil sich seine Rolle als Messinas Scherge Guy oder Törzs selbst sich schauspielerisch besonders hervortun würden, sondern weil Törzs Jahre später als Ansager beim NDR große Bekannt- und Beliebtheit erlangen sollte. Über Jahrzehnte hinweg sagte er regelmäßig u. a. die SESAMSTRASSE oder das SANDMÄNNCHEN an.

Auf DVD ist ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN vom Kleinlabel FilmArt in Zusammenarbeit mit Subkultur Entertainment in zwei Ausführungen erschienen. Zunächst gab es eine Standardversion, die den Film lediglich in deutscher Sprache und ohne Extras enthält. Im Juni 2012 erschien dann eine umfangreiche, auf 1500 Exemplare limitierte Sonderausgabe in der "Edition Deutsche Vita". Diese enthält den Film zunächst in der deutschen Kinofassung mit deutschem und englischem Ton. Zusätzlich gibt es auf einer zweiten DVD die italienische Schnittfassung in italienischer Sprache mit deutschen Untertiteln. Ein Anpassen der deutschen Synchro an diese Fassung war nicht möglich, da sich die Schnittfassungen grundlegend voneinander unterscheiden. So konstruiert die italienische Fassung etwa eine zusätzliche Vorgeschichte zur eigentlichen Handlung, die andeutet, dass sich Westermann und Messina nicht zum ersten Mal begegnen und noch eine Rechnung miteinander offen haben. Gerade dies macht die italienische Fassung aber auch zu einem interessanten Schmankerl, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Weiterhin enthält die "Edition Deutsche Vita" ein ca. 13-minütiges Interview mit Horst Janson, ein ca. fünfminütiges Interview mit Henry Silva sowie ein 50-minütiges Audiointerview mit Jürgen Roland. Auch der deutsche Kinotrailer und eine Bildergalerie sind vorhanden. Abgerundet wird die in einem schick gestalteten Digipak erschienene Veröffentlichung durch ein Booklet mit Hintergrundinfos. Beide Filmfassungen sind übrigens im Format 1,78:1 anamorph abgetastet, wobei die deutsche Fassung eine recht gute Figur macht, während die italienische stark abgenutzt und blass aussieht.

Abschließend bleibt mir nur zu sagen, dass ZINKSÄRGE FÜR DIE GOLDJUNGEN ein rundum gelungener Film ist, der das Anschauen wirklich lohnt. Eine echte Genreüberraschung, die man so aus den von schmuddeligen Sexfilmen und verkopftem Autorenkino verbrämtem deutschen Landen der 70er Jahre sicher kaum erwartet hätte.

Laufzeit: 83 Min. / Freigabe: ab 16

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