Sonntag, 7. Oktober 2012

SASORI - GRUDGE SONG


JOSHÛ SASORI – 701-GÔ URAMI-BUSHI
Japan 1973

Regie:
Yasuharu Hasebe

Darsteller:
Meiko Kaji,
Masakazu Tamura,
Toshiyuki Hosokawa,
Yumi Kanei,
Akiko Mori,
Sanae Nakahara,
Kaoru Kusuda,
Akemi Negishi



„Polizistenmord in 8 Fällen, Gefängnisflucht in 3 Fällen, Fluchtversuch in 28 Fällen … Im Interesse unseres Ansehens darf dieser Frau niemals verziehen werden! Sie ist das personifizierte Böse!“


Inhalt:

Nami Matsushima [Meiko Kaji] ist mal wieder auf der Flucht. Erbittert verfolgt vom sadistischen Inspektor Kodama [Toshiyuki Hosokawa] trifft sie auf den verbitterten Kudo [Masakazu Tamura], der hinter den Kulissen eines Strip-Lokals arbeitet. Nach einer Studentenrevolte wurde Kudo einst von der Polizei schwer misshandelt. Seitdem hinkt er und hat seinen Lebensmut verloren. Doch als er auf Nami trifft, beginnt sein Panzer zu bröckeln: Er nimmt sich ihrer an, gewährt ihr Unterschlupf und fühlt sich bald als ihr Beschützer. Doch dann gerät Kudo in die Hände Kodamas. Erneut wird er schwer misshandelt, um Namis Aufenthaltsort preiszugeben. Zwar schweigt Kudo beharrlich, doch wieder auf freiem Fuß führt er die Polizei unwissentlich zu ihrem Versteck. Nami und er können entkommen und beschließen, Kodamas Ehefrau als Geisel zu nehmen. Doch der Coup misslingt - Kodamas Frau fällt einem Unfall zum Opfer und stirbt. Der Inspektor schwört ewige Rache …

Kritik:

1972 wurde der Skorpion erstmals auf das staunende Publikum losgelassen: Sicherlich angestachelt von amerikanischen Exploitation-Erfolgen wie FRAUEN HINTER ZUCHTHAUSMAUERN schickte der japanische Regisseur Shun’ya Itō die bildschöne Meiko Kaji in den Frauenknast, um sie dort ebenfalls ein Martyrium durchleben zu lassen. Anstatt dabei jedoch der belanglosen Ästhetik der Vorbilder zu folgen, gelang ihm das Bravourstück, die gewohnt schmuddelige Bahnhofskino-Atmosphäre mit einer geballten Ladung künstlerischen Anspruchs zu kombinieren. Mit höchster experimenteller Attitüde und schier überbordendem visuellen Einfallsreichtum erzählte er mit SASORI die auf einem Manga Tōru Shinoharas basierende mit Sex und Gewalt getränkte Geschichte der jungen Nami Matsushima, die – von ihrem Geliebten verraten – nach Misshandlung und Vergewaltigung und daraus resultierendem Mordversuch ins härteste Frauengefängnis Japans gesperrt wird. Obwohl sie dort weitere Demütigungen von Personal und Mithäftlingen durchleiden muss, lässt sie sich nicht brechen, um schließlich, nach geglückter Flucht, als schwarz gekleidete Rachegöttin 'Sasori' neu aufzuerstehen und einen gnadenlosen Tötungsfeldzug zu starten.

Der gekonnten Mischung aus schmieriger Exploitation und niveauvollem Kunstkino gelang der überaus seltene Coup, sowohl das sensationslüsterne, als auch das anspruchsvolle Publikum gleichermaßen zu befriedigen und wurde zur stilbildenden Ikone nicht nur innerhalb des Genres. Der Erfolg zog fünf Fortsetzungen nach sich, von denen Shun’ya Itō noch die ersten beiden inszenierte. Erwähnenswerterweise genügte es ihm dabei nicht etwa, das Erfolgsrezept des Vorgängers lediglich neu aufzukochen, sondern grenzte die weiteren Episoden inhaltlich und stilistisch so stark voneinander ab, dass jeder Teil seinen eigenen individuellen Charakter erhielt. GRUDGE SONG hingegen – der vierte Teil der Reihe – wurde nun erstmals von Yasuharu Hasebe inszeniert. Dieser war sich der Verantwortung gegenüber der nicht unbeträchtlichen Fangemeinde offenbar bewusst genug, um den extravaganten Stil seines Vorgängers beizubehalten. Tatsächlich fällt der Wechsel auf dem Regiestuhl kaum ins Gewicht: Auch Teil 4 präsentiert sich als surrealistisches, von wilden Farbspielereien beherrschtes und in ungewöhnlich verwinkelten Perspektiven eingefangenes Gewaltmärchen, dessen avantgardistische Umsetzung sich inhaltlich und formal quasi nahtlos ins bereits begonnene Opus einfügt.

Dennoch gibt es auf narrativer Ebene ein paar geringfügige Unterschiede: So war man offenbar der Meinung, das Schicksal Namis mittlerweile zur Genüge ausgeschlachtet zu haben, weshalb dieses Mal längere Zeit die neue Figur des ehemaligen politischen Aktivisten Kudo im Vordergrund steht. Dieser stellt dann auch einen äußerst interessanten Charakter dar: Ebenso wie Nami wurde auch Kudo in der Vergangenheit schwer misshandelt und ihm dabei sämtlicher Lebensmut genommen. In jahrelanger Katatonie erstarrt lässt ihn erst die Bekanntschaft mit Nami wieder Gefühle empfinden, erkennt er in ihrer Opferrolle doch auch seine eigene. Langsam wieder ins Leben zurückfindend, kümmert er sich um die Verfolgte und findet in seiner Beschützerrolle seine einstige Würde wieder. Als er später von der Polizei abermals gefoltert wird, um ihn zu zwingen, Namis Versteck preiszugeben, bettelt er am Ende um die Schläge und beweist sich auf diese Weise seine zurückgewonnene Stärke und Menschlichkeit.

Interessanterweise verlässt GRUDGE SONG seinen bis dahin erfreulich innovativen Weg in dem Augenblick, als Kudos Figur wieder fallengelassen wird, um abermals Nami in den Mittelpunkt (und ins Gefängnis) zu rücken. Meiko Kaji hinter Gittern ist zwar freilich genau das, was das Publikum erwartet, doch verkommt ihr weiterer Knastaufenthalt zu einem eher schwachen Aufguss bereits bewährter Ingredienzien, ohne der Saga großartig Neues hinzufügen zu können (zumal auch die obligatorischen Demütigungen im Vergleich zu den Vorgängern hier eher moderat ausfallen). Erst, als Nami (wenig überraschend) wiederholt entkommt und zum Racheengel mutiert, findet Teil 4 zu seiner Stärke zurück: Der schicksalhafte Kreis um Kudo und Nami schließt sich auf tragische Weise und hinterlässt in seiner bitteren Konsequenz nachhaltigen Eindruck.

Doch nicht nur inhaltlich, auch visuell geriet das Ende zum unbestreitbaren Höhepunkt GRUDGE SONGs: Das in surrealen Alptraumbildern ausgetragene finale Duell zwischen Nami und ihrem Todfeind Kodama erinnert in seiner Darstellung inklusive grotesk verzerrter Kulissen und schiefer Blickwinkel gar an den expressionistischen Stummfilm DAS CABINET DES DR. CALIGARI – wenn auch in ein tiefes Fass knallbunter Farbe getaucht. Ein wahrer Augenschmaus ist freilich auch erneut die betörende Hauptdarstellerin Meiko Kaji (welche in LADY SNOWBLOOD noch eine ähnlich geartete Rächerrolle verkörperte und zudem auch noch das Titellied singt), die mittlerweile völlig mit ihrer Figur verschmolzen zu sein scheint. Mit ihrer Präsenz und unergründlichen stoischen Aura quasi jede einzelne Szene beherrschend, dabei in den gesamten 90 Minuten vielleicht gerade mal zehn Wörter sprechend, sagt ihr minimalistisches Mienenspiel mehr aus als 100 Sätze es je könnten. Gegen Blickfang Kaji kann man gewiss nur verlieren, dennoch gelingt auch ihren Mitstreitern eine überzeugende Darstellung: Toshiyuki Hosokawa glaubt man den von Hass zerfressenen Inspektor zu jeder Sekunde und Masakazu Tamura geht in der Rolle des Kudo bis an die Grenzen.

So ist auch GRUDGE SONG (der letzte Teil der Reihe mit Meiko Kaji in der Hauptrolle) ein gefundenes Fressen für Cineasten jeden Couleurs, ein Feuerwerk an inszenatorischen Einfällen, überspitzte Comic-Gewalt zelebriert in umwerfenden Bildkompositionen, zwischen anrüchig und anspruchsvoll, zwischen Exploitation und Expressionismus. Dieser Skorpion haut jeden um!

Laufzeit: 88 Min. / Freigabe: ab 18

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