BRD 1971
Regie:
Wolfgang Staudte
Darsteller:
Horst Frank,
Heinz Reincke,
Klaus Schwarzkopf,
Christiane Krüger,
Siegurd Fitzek,
Heidy Bohlen,
Ulrich Beiger
„Er macht rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch!“
Inhalt:
Der brutale Bankräuber Willi Jensen [Horst Frank] bricht aus dem Gefängnis aus. Doch als er die vor seiner Inhaftierung versteckte Beute an sich nehmen möchte, wird er fassungsloser Zeuge, wie das Haus, welches dieser als vermeintlich sicheres Lager diente, gerade eingerissen wird. Das Geld ist futsch. Doch nicht nur das: Als er seinen Bruder, den rechtschaffenden Taxifahrer Heinz [Heinz Reincke], aufsucht, stellt er fest, dass seine Frau Vera [Christiane Krüger] inzwischen dessen Geliebte ist. Bebend vor Zorn plant er seinen nächsten Coup: einen Einbruch in die Villa des Millionärs Berndorf [Ulrich Beiger]. Doch nachdem Willi wie geplant eingestiegen ist, wird er von Liliane [Heidy Bohlen], der Frau des Beraubten, überrascht. Willi wird zum Mörder. Mit Vera als Geisel versucht er nun, sich ins Ausland abzusetzen. Doch nicht nur sein Bruder, auch Kommissar Knudsen von der Hamburger Polizei [Klaus Schwarzkopf] ist ihm bereits dicht auf den Fersen.
Kritik:
FLUCHTWEG ST. PAULI läuft noch nicht einmal zwei Minuten, da ist bereits der erste blanke Busen im Bild. Es ist also eindeutig ein guter Film.
FLUCHTWEG ST. PAULI läuft noch nicht einmal zwei Minuten, da ist bereits der erste blanke Busen im Bild. Es ist also eindeutig ein guter Film.
Dennoch
sollte man sich davor hüten, aufgrund dieses sehr enthüllenden Auftakts
falsche Erwartungen an die folgenden 80 Minuten zu hegen: Trotz
gelegentlich aufblitzender nackter Tatsachen und des marktschreierisch
im Titel drapierten Wörtchens „St. Pauli“, handelt es sich bei Wolfgang
Staudtes routiniert in Szene gesetztem Genre-Werk nämlich nicht etwa um
ein die Triebe spekulativ ausschlachtendes Schmuddelstück, sondern um
einen mit jeder Menge Lokalkolorit ausgestatteten und von schmissigem
Easy Listening Sound begleiteten Polizei- und Gangsterkrimi, der das
Rotlichtmilieu lediglich als attraktive Kulisse nutzt für seine fast
schon biblisch anmutende Geschichte zweier Brüder, die dermaßen
übertrieben gegensätzlich gezeichnet wurden, dass sich glatt die
hanseatischen Balken biegen:
Auf der einen Seite steht Willi
Jensen [Horst Frank], der auf seiner Jagd nach Reichtum selbst vor
Entführung und Mord nicht zurückschreckt und sich, wenn es denn sein
muss, noch nicht einmal scheut, seinem angetrauten Eheweib eine saftige Ohrfeige
zu verpassen – ganz eindeutig ein böser Kerl. Auf der anderen Seite
hingegen steht sein Bruder Heinz [Heinz Reincke], der als durch und
durch anständiger Taxifahrer nicht mal auch nur im Ansatz auf die Idee
käme, sich an seiner volltrunkenen Kundin, die sich gerade in seinem
Dienstfahrzeug entblättert hat, in irgendeiner Art und Weise unzüchtig
zu vergreifen, und sogar, neben besagter Dame, auch ihren prall
gefüllten Geldbeutel brav mit auf der Wache abgibt. Und als wäre das
nicht bereits genug der guten Taten, spart er sich von seinem schmalen
Gehalt auch noch ein erkleckliches Sümmchen zusammen, um seinem
gefallenen Bruder nach dessen Knastaufenthalt ein neues Leben
ermöglichen zu können.
Das vorzeitige Aufeinandertreffen beider
Parteien führt dennoch zu allerlei gewalttätigen
Auseinandersetzungen, die der für den Fall zuständige Kommissar Knudsen
[Klaus Schwarzkopf], welcher in der Regel eher durch Zufall als durch
gekonnte Ermittlungsarbeit an den Orten des Geschehens zugegen ist, mehr
oder weniger gleichgültig zur Kenntnis nimmt. Als Jensen seine Frau
Vera [Christiane Krüger] zur Geisel nimmt, zieht Knudsen nur
schulterzuckend von Dannen, nicht ohne zuvor seinen jungen Kollegen zu
rüffeln, der doch tatsächlich auf die alberne Idee kam, eine Fahndung
nach Jensen einzuleiten. Und auch der Rest der Polizei glänzt hier nicht
gerade mit Engagement und Cleverness, sondern wartet bevorzugt einfach
ab, bis sich die Unterwelt gegenseitig ans Messer liefert. Damit stemmt
sich FLUCHTWEG ST. PAULI, ob nun
gewollt oder ungewollt, gegen das vor allem im Ausland propagandierte
Bild des stahlharten Superpolizisten und präsentiert stattdessen ein
eher kumpelhaftes Verhältnis zwischen Beamten und Bürger, welche hier
quasi auf Augenhöhe miteinander agieren.
Die Vorzüge ihres
Schauplatzes Hamburg immer wieder gekonnt ins Bild rückend, tauscht die
zwar realitätsferne, doch hochunterhaltsame Räuberpistole dabei
Glaubwürdigkeit und ausgeklügelte Spannungsdramaturgie gegen eine
Extraportion nordisches Flair ein. Als Jensens Flucht vor dem Gesetz
ihn, von wabernden Klangteppichen begleitet, auf und über die Dächer der
Stadt führt, fängt die Kamera nicht nur ihn, sondern auch das monströs
anmutende Hafengebiet im Hintergrund ein. Die geschäftige Metropole wird
zum permanenten Nebendarsteller, zur siedenden Kulisse für Niedertracht
und Missetat. Wenig überraschend dabei, fast schon
obligatorisch, dass auch die Gutbetuchten nicht wirklich mehr Moral am
Leibe haben, als der gemeine grobschlächtige Unterweltvasall: Als
Millionär Berndorf, mit abstoßend unterschwelliger Verschlagenheit
verkörpert von Ulrich Beiger [→ DER FROSCH MIT DER MASKE], die Leiche
seiner Frau entdeckt, ruft er, nach pflichtbewusster Verständigung der
Polizei, unverzüglich und mit sichtlich zufriedener Miene seine Geliebte
an, um ihr die frohe Botschaft mit süffisanter Freude zu verkünden,
während man die Verblichene im Hintergrund auf dem teuren Teppich liegen
sieht.
Der Mord an der Gattin Berndorfs ist dann auch eine der gelungensten Szenen FLUCHTWEG ST. PAULIs:
Aus heiterem Himmel beginnt das noch ahnungslose alkoholgeschwängerte
Opfer zu grandios psychedelischem Schrammelrock eine
merkwürdig-ungelenke Tanznummer zu zelebrieren, bevor es von Jensen
hinterrücks erdrosselt wird. Während sich die Frau im Todeskampf windet
und die Musik dazu unerbittlich weiterschrammelt, gilt Jensens Blick im
selben Moment einzig und allein den auf dem Tisch platzierten Juwelen –
ein fabelhaft zynischer Augenblick, der an die italienischen Gialli der
70er Jahre erinnert, welche den Tötungsakt als stilvolle Kunstform zu
inszenieren wussten.
Willi Jensen wird vom damaligen Publikumsliebling Horst Frank [→ DJANGO – DIE TOTENGRÄBER WARTEN SCHON]
in bewährt ruppiger Art als phänomenal garstiger Schmierlappen zum
Leben erweckt, dem auf fast schon krankhafte Weise Geld und Gold über
alles gehen. Werte, die nicht materieller Natur sind, scheinen ihm
hingegen vollkommen gleichgültig zu sein. Der ebenso rabiate wie feige
Ganove ist geradezu eine Bilderbuchrolle für den bärbeißigen Frank, der
erneut einige große darstellerischen Momente für sich verbuchen kann.
Seine Mimik, als ihm klar wird, dass die versteckte Beute für immer
verloren sein wird, ist unschlagbar. „Dann war das ja alles umsonst, Mensch!“, jammert er mit brüchiger Stimme, den Tränen nah, doch verzweifelt um Fassung ringend. Mit Heinz Reincke [→ WENN ES NACHT WIRD AUF DER REEPERBAHN]
castete man als Sympathieträger ebenfalls eine waschechte Type, die
einem klassischen Hollywood-Helden unähnlicher nicht sein könnte. Weder
attraktiv noch sonderlich gewitzt erscheint Reincke stattdessen wie
der dufte Kumpel von nebenan. Vorurteile hegt er gegen nichts und
niemanden, und mit den Prostituierten der Roten Meile plaudert er nicht
minder kameradschaftlich und respektvoll als mit den Autoritätspersonen
vom hiesigen Polizeirevier. Als ihm seine missliche Situation über den
Kopf zu wachsen scheint und er sich aufgrund dessen hemmungslos in einer
Bar besäuft, möchte man ihn glatt selbst in den Arm nehmen und ihm zum
Trost einen Kaffee zu spendieren.
Aufgrund seiner geerdeten Figuren voller Kanten und Konturen gelingt FLUCHTWEG ST. PAULI
dann auch die emotionale Involvierung seines Publikums. Die Charaktere
wirken hier nicht etwa wie realitätsferne Gestalten aus wildfremden
Sphären, mit denen eine Identifikation quasi unmöglich erscheint, sondern wie
authentische Personen, von denen man sich vorstellen könnte, dass sie
tatsächlich existieren, was FLUCHTWEG ST. PAULI,
zusammen mit seinem glaubwürdig gezeichneten Schauplatz, an manchen
Stellen sogar einen dokumentarischen Touch verleiht. Die Handlung
hingegen ist nicht selten ernüchternd unplausibel, und das von Zufällen
und gnadenlos konstruierten Verhaltensweisen beherrschte Skript besticht
auch nicht gerade durch ausgemachte Pfiffigkeit.
Dennoch ist FLUCHTWEG ST. PAULI
ein lohnendes Abenteuer für all jene, die schon längst vergessen haben,
dass das deutsche Kino mehr zu bieten hat als Liebeskarussells und
Vergangenheitsbewältigung. Reeperbahn und Elbchaussee bilden die Kulisse
für ein wunderbar leichtes, erstaunlich unbiederes Ganovenstück, das
weder belehren noch moralisieren, sondern lediglich 80 Minuten
anspruchslose Zerstreuung bieten möchte. Die mit etwas Erotik und einer
Prise Action (im Finale liefern sich Auto und Motorrad eine fetzig
gefilmte Verfolgungsjagd) versetzte Mischung aus Groschenroman,
Bruderdrama und Gangsterkrimi funktioniert prächtig und der
jazzig-beschwingte Soundtrack lädt zum rhythmischen Mitschnippen ein.
Einen „Hintertreppen-Krimi“ nannte das konservative 'Lexikon des
internationalen Films' Staudtes Werk in gewohnt abschätziger Art und
Weise und übersah dabei völlig, dass auch auf Hintertreppen ganz tolle
Dinge passieren können. Moppen nach nicht mal zwei Minuten – was soll da
noch schiefgehen?
Laufzeit: 83 Min. / Freigabe: ab 16
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