BRD 2013
Regie:
Helge Schneider
Darsteller:
Helge Schneider,
Rocko Schamoni,
Pete York,
Peter Thoms,
Sergej Gleithmann,
Norbert Losch,
Tyree Glenn,
Carlos Boes
„Er wurde nicht als
Kommissar geboren. Er musste diesen Beruf erst erlernen.“
Inhalt:
Der Kommissar Schneider
[Helge Schneider] ist gut. Darum braucht man ihn auch, als eines der
schlimmsten Verbrechen überhaupt begangen wird: Ein skrupelloser
Verbrecher hat eine Schachtel Zigaretten aus einem Kiosk geklaut. Die
Täterbeschreibung der Besitzerin [Peter Thoms] gerät sehr
ungewöhnlich: Er hielt sich die Hände wie eine Krause vor den Hals,
gab reptilienähnliche Laute von sich und bespuckte die arme Frau mit
einer übelriechenden Flüssigkeit. Natürlich will der Kommissar
auch diesen Fall schnell lösen und den Verbrecher ins Gefängnis
tun. Doch das erweist sich als ungewöhnlich schwierig. Als der Täter
ein zweites Mal zuschlägt und ein Huhn vom Bauernhof klaut, ist er
am Ende seiner Weisheit. Ein Täter, der raucht und spuckt? Wie kann
das sein? 00 hat nur eine vernünftige Erklärung: Alle 400 Jahre
kommt ein Eidechsenmann auf die Erde, um Unheil zu stiften. Da der
Kommissar nebenbei auch noch einen Sittenstrolch zur Strecke bringen
muss, von einem rachsüchtigen Staubsaugervertreter verfolgt wird,
Besuch von seiner angeblichen Tante Tyree [Tyree Glenn] aus Amerika
bekommt und zudem auch noch aufgrund seiner Memoiren jede Menge
Interviews geben muss, hat er wieder alle Hände voll zu tun …
Kritik:
Das
Phänomen Helge Schneider zu erklären ist ein Unterfangen, an dem
schon größere Männer gescheitert sind. Tatsache ist, dass der
extravagante Unterhaltungskünstler von vielen Kritikern jahrelang
als Dilettant verschrien wurde und seine Auftritte erst
Konzerthallen füllen mussten, bis der Feuilleton
sich schließlich bereit erklärte, ihn und seine ungewöhnliche Art
der Komik zu akzeptieren. Als besonderer Härtefall erwiesen sich
dabei vor allem Schneiders Leinwandausflüge, in welchen er sein
Stilmittel der vermeintlichen Laienhaftigkeit, das bereits seine
Musik, Hörspiele und Bühnenprogramme durchzog, bis ins maximal
Mögliche potenzierte. Als er 1994 als Kommissar 00 SCHNEIDER –
JAGD AUF NIHIL BAXTER machte und der Humor Schneiders noch längst
nicht, wie in späteren Jahren, zur deutschen Popkultur gehörte,
sorgte der sich jeder Stringenz und Professionalität verweigernde
16mm-Witz für so manch fragendes Kritiker- und Konsumentengesicht.
00
SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE ist, schlanke 19 Jahre
später, der zweite Kinoeinsatz der von Schneider erdachten und
verkörperten Kunstfigur (wenn man seine Nebenrolle in TEXAS außer
Acht lässt), und somit die erste reelle Fortsetzung innerhalb des
Helge-Schneider-Universums. Tatsächlich jedoch ist das kaum von
Belang, denn Schneider hat sich weiterentwickelt in all der Zeit, und
so auch seine Arbeit. Der erste 00 SCHNEIDER ließ sich in alter Form
kaum wiederholen, viel zu abgeklärt wirkt der mittlerweile lässige
Altersmilde ausstrahlende Helge Schneider, der, anstatt wie zu
früheren Zeiten mit seinem unangepassten Brachialhumor gegen starre
Schablonen in Kunst und Gesellschaft zu rebellieren, lediglich noch
entspannte Selbstreflexion bietet. 00 SCHNEIDER Eidechse ist nicht 00
SCHNEIDER Nihil Baxter, welcher mit komplett improvisierten Szenen,
viel zu langen Kameraeinstellungen und dadaistisch-depperten Dialogen
jeden Realitätsbezug unter brutalem Wahnwitz begrub.
IM
WENDEKREIS DER EIDECHSE fühlt sich grundlegend anders an und
präsentiert sich als ironische Kriminalfilmparodie, welche zwar mit
den gewohnt-grotesken Schneiderismen aufwartet, inhaltlich
jedoch deutlich geschlossener daherkommt und in seiner Ausführung
mehr den Regeln des Films als denen des absurden Theaters gehorcht.
Bezeichnend für diesen Wandel sind bereits die ersten Minuten, in
welchen 00 Schneider in seinem schäbigen Citroën durch das in
bewährt-tristen
Bildern eingefangene Ruhrgebiet eiert, um sich, nach einer Fahrt ums
Eck, plötzlich und mit völliger Selbstverständlichkeit an den
majestätischen Felsenstränden Andalusiens zu befinden. Die bekannte
Ranzigkeit vermischt sich hier quasi im Handumdrehen mit wuchtiger
Pracht, die renommierte Unsinnigkeit mit professionellem Handwerk.
Auch die
Hauptfigur agiert widersprüchlich zum originalen 00, legt neben
ihrem bewährten Kleidungsstil auch ihre verkniffene Mimik nebst
gepresster Sprechweise ab und gleicht nunmehr dem in den Romanen
beschriebenen Kommissar, welcher ebenfalls mit dem Kino-00 nur wenig
zu tun hatte. Für Fans sind derlei Charakteränderungen nichts
Ungewöhnliches: Auch Dr. Hasenbein, ein weiteres Alter Ego Helge
Schneiders, war, nach einer Nebenrolle im ersten 00 SCHNEIDER, in
seinem eigenen Kinofilm plötzlich eine völlig andere Person.
Schneider hielt nie viel von Struktur und Zusammenhang und
entwickelte seine Figuren stets auf dieselbe Art und Weise, wie er
seine gesamte Komik entstehen lässt: spontan und aus dem Bauch
heraus. Vorbilder für den ‚neuen‘ 00 waren ziemlich eindeutig die
knallharten Cops der reaktionären 70er-Jahre-Polizeifilme, welche
die Verbrecher mit unorthodoxen Methoden zur Strecke bringen, um sie
im Anschluss windelweich zu prügeln.
Nicht
nur, aber auch in diesen liebevoll eingestreuten Genrezu- und -zitaten
zeigt sich erneut, worin der Erfolg Helge Schneiders mitbegründet
liegt: Ebenso, wie er die Regeln der Musik beherrscht, beherrscht er
auch die Regeln des Filmemachens – freilich lediglich, um
sie genussvoll unterlaufen zu können. Man erkennt, dass Helge weiß,
wie Filme funktionieren, dass er die Vorlagen kennt und sich darüber
bewusst ist, dass sein Publikum das ebenfalls tut. Die daraus
resultierende Erwartungshaltung macht er sich zu Nutze, um die
sattsam bekannten Muster immer wieder aufzugreifen und sie dann,
durch fallengelassene Ideen, verpasste Pointen und normkonträre
Verhaltensweisen, gekonnt auszuhöhlen. Das passt wunderbar in diesen
absonderlichen Parallelkosmos, in welchem sich die Ereignisse
zutragen, eine merkwürdig anachronistische Mischung aus
70er-Jahre-Mief und globalisierter Weltoffenheit, in welchem es keine
Computer gibt, sondern nur Schreibmaschinen, in welchem auf dem als
Polizeirevier dienenden, äußerst hässlichen Betonklotz nicht
‚Polizei‘ steht, sondern ‚Police‘, und in welchem die Sprache auf der
Station ein heilloses Durcheinander aus Deutsch, Englisch,
Italienisch und Französisch ist.
Wie befreiend ist es da,
dass an diesem absurden Ort Menschen hausen, die vor allem durch ihre
unverkrampfte Natürlichkeit bestechen. Niemand hier ist ein
professioneller Schauspieler, und das ist auch gut so. Abermals
besetzte Helge überwiegend aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis
und bewies dabei erneut ein unfehlbares Gespür für schräge Typen,
die allein durch ihre Kauzigkeit amüsieren. Die junge, rappende
Taxifahrerin z. B. hat zwar keine Funktion, passt aber irgendwie
einfach hinein in dieses verrückte Helge-Universum, zu dem sich
natürlich auch wieder alte Bekannte gesellen: So hat Peter Thoms als
JAZZCLUBs Pflasterverkäufer zwar mittlerweile die Preise geändert,
ist aber immer noch nicht beim Euro angekommen. Auch ließ es sich
Helge nicht nehmen, zusätzlich zur Hauptfigur noch weitere
Nebenrollen zu übernehmen: Vor allem der extrem nuschelnde
Psychiater Dr. Henry oder der dauergeile Zahnarzt Dr. Fracklefuss
belasten dabei gehörig das Zwerchfell.
Das Wiedersehen mit
etablierten Charakteren und die gleichzeitige Einführung neuer
Kultfiguren geriet für geübte Fans zu einer freudenspendenden
Veranstaltung, die mit schneidertypischen Momenten (so legt der
Meister in einem Parkhaus ebenso spontan wie sinnlos eine flotte
Sohle aufs Parkett) ebenso aufwartet, wie mit gezielten Parodien auf
gängige Klischees amerikanischer Copthriller (wie der massenhaft
praktizierte Tabakkonsum, der selbst den seligen Helmut Körschgen
blass gemacht hätte). Anhänger wissen, was sie erwartet, und 00
SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE nach bekannten Maßstäben
zu beurteilen, ist erwartungsgemäß nicht möglich. Denn obwohl man
den Regeln des klassischen Filmemachens hier mehr Tribut zollte,
bleibt es letztendlich ein nach wie vor formfernes Experiment.
Sympathisanten hält das nicht ab: Klar schludert die Kamera. Klar
schludert das Licht. Klar schludert der Schnitt. Doch ist es
Schludern um des Schluderns Willen. Helge bleibt Helge bleibt Helge bleibt
Helge. Wer’s mag, der mag’s. Wer’s nicht mag, hat einfach Pech.
Laufzeit: 94 Min. / Freigabe: ab 6
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