Mittwoch, 17. September 2014

ZWIEBEL-JACK RÄUMT AUF


CIPOLLA COLT
Italien, Spanien, BRD 1975

Regie:
Enzo G. Castellari

Darsteller:
Franco Nero,
Martin Balsam,
Sterling Hayden,
Dick Butkus,
Leo Anchóriz,
Romano Puppo,
Emma Cohen,
Helmut Brasch



1976 erschien KEOMA. Mit Enzo G. Castellari auf dem Regiestuhl entstand einer der dreckigsten und nihilistischsten Italo-Western überhaupt, in welchem sich sein Hauptdarsteller Franco Nero durch ein apokalyptisches Szenario aus Tod und Verderben kämpfen musste und dabei eine Menge Leichen zurückließ. Geradezu unglaublich erscheint es in diesem Zusammenhang, dass dasselbe Team fast zeitgleich auch ZWIEBEL-JACK produzierte, der wohl kaum einen größeren Kontrast zu Erstgenanntem darstellen könnte und beinahe den Eindruck erweckt, als sei er lediglich entstanden, da die Crew nach all der Weltuntergangsstimmung einen Ausgleich dringend nötig hatte. So weicht die raue Brutalität hier reinem Blödsinn und der graue Pessimismus grobem Unfug.

Zusammengefasst liest sich das dann so:

Inhalt:

Paradise City ist trotz seines Namens ein reichlich ranziger Ort. Als in dem kleinen Westernstädtchen plötzlich Öl gefunden wird, ist es mit der Ruhe vorbei: Der reiche Industrielle Lamb [Martin Balsam] terrorisiert die Bewohner, um ihnen das Land spottbillig abzukaufen. Der Farmer Foster allerdings weigert sich – und muss dafür mit seinem Leben bezahlen. Plötzlich taucht ein Fremder in der Stadt auf: Zwiebel-Jack [Franco Nero] liebt Zwiebeln über alles, isst sie, trinkt ihren Saft, schläft darin … und will sie deswegen auch anbauen. Zu diesem Zwecke hat er kurz vor Fosters Tod dessen Ranch gekauft. Gemeinsam mit Fosters minderjährigen Söhnen und dem Zeitungsverleger Pullitzer [Sterling Hayden] nimmt Jack den Kampf gegen die Schurken auf – mit Muskelkraft und Zwiebelsaft. 

Kritik:

Um sich auf den überaus subtilen ZWIEBEL JACK-Humor in angemessener Form einlassen zu können, sollten folgende Maxime unbedingt verinnerlicht werden:

  • Western-Helden, die ihre Gegner mittels Mundgeruch besiegen, sind witzig.
  • Sprechende Pferde sind witzig.
  • Furzende Pferde sind witzig.
  • Sprechende Pferde, die, bevor sie furzen, noch sagen „Dann bitte ich mal um Gehör!“ sind noch witziger.
  • Sätze wie „Der Sheriff mag keine Menschenaufläufe – nur Nudelaufläufe mag er“ sind witzig.
  • Verfolgungsjagden im Zeitraffer sind witzig.
  • Fahrräder, die sich während der Verfolgungsjagd in Ponys verwandeln, sind witzig.

Um auch noch die letzten Zweifel auszuräumen: ZWIEBEL-JACK ist krachlederner Klamauk der tiefergelegten Sorte und zieht als solcher hemmungslos vom Leder. Das dafür notdürftig errichtete Story-Gerüst vom schurkischen Ölmagnaten, der die armen Landbesitzer gewaltsam von ihrem Grund und Boden vertreiben will, gehorcht zwar im Grundsatz klassischen Genre-Regeln, bleibt jedoch von Anfang bis Ende bloßes Alibi für allerlei absurde Albereien. So wurde dann auch wenig Rücksicht darauf genommen, die Handlung in ein dramaturgisch durchdachtes Korsett zu zwingen, was vor allem dadurch auffällt, dass sich die Hauptfigur im einen Moment seinen Gegnern stellt (und ihnen dabei deutlich überlegen ist), im anderen Moment aber (immer dann, wenn es dem Drehbuch gerade gefällt) vor ihnen Reißaus nimmt. Was hier zählt, ist nicht der Sinn, sondern der Zweck. Und der Zweck ist ein Maximum an Schabernack.

Freunde von Castellanis düsteren Erfolgen wie JOHNNY HAMLET mögen hierüber womöglich die Nase rümpfen, doch tatsächlich war eine Karikatur der bekannten Muster zum Produktionszeitraum fast unumgänglich: Seit dem Erfolg mit DJANGO hatte sich das Genre aufgrund seiner zahllosen Wiederholungen mit immer ähnlichen Szenarien und Situationen im Prinzip selbst vernichtet; die einsamen Rächer und schweigsamen Revolverhelden lockten kaum noch einen Hund hinter dem Ofen hervor, geschweige denn in die Kinos. Die Popularität der Bud Spencer- und Terence Hill-Filme kam nicht von ungefähr: Der Italo-Western war bereits zu seiner eigenen Persiflage geworden; Filme wie VIER FÄUSTE FÜR EIN HALLELUJA oder MEIN NAME IST NOBODY trugen diesem Umstand lediglich Rechnung. ZWIEBEL-JACK potenzierte den Blödelgehalt dieser Vorlagen nochmal um ein Vielfaches und ließ allzu ablenkendes Beiwerk einfach weg.

So ist es gewiss kein Zufall, dass Franco Nero hier agiert wie Terence Hill auf Speed (wodurch sich der Kreis auf drollige Art und Weise wieder schließt, verdankte Terence Hill ein paar seiner ersten Hauptrollen doch auch seiner optischen Ähnlichkeit zu Franco Nero). Verstärkt wird der Eindruck noch durch den gewohnt beschwingten Soundtrack von den Spencer-/Hill-Stammkomponisten Oliver Onions sowie speziell in der deutschen Fassung durch die bewährte Synchronisation aus dem Hause Rainer Brandt mit Terence Hill-Sprecher Thomas Danneberg in der Hauptrolle, die dem Original auch hier wieder noch so einiges an launigem Spruchgut hinzudichtet.

Dass man für die Hauptfigur kurzzeitig eine Liebesgeschichte erspinnt (Liebe auf den ersten Blick zwischen der Zwiebel und der Verlegerstochter), die dann aber vollkommen im Sande verläuft, hätte man sich freilich sparen können, und der reichlich verspätete Drehbucheinfall, dass Jack ein Mord in die Schuhe geschoben werden soll, ist ebenfalls schnell abgefrühstückt, bietet aber immerhin ein paar Lacher auf Kosten des dauertrunkenen Richters („Nach dem Anhören der Zeugen und dem Urteil der Geschworenen bleibt mir keine andere Wahl, als Sie zum Tode durch den Strang zu verurteilen. Dieser Akt der Ungerechtig... äääh … der Gerechtigkeit wird morgen bei Tagesanbruch vollzogen werden. Viel Vergnügen!“).

Dabei entstand ZWIEBEL-JACK bei allem Ulk nicht vollkommen uninspiriert: Am Drehbuch schrieben Sergio Donati und Luciano Vincenzoni, die bereits Genre-Klassiker wie VON ANGESICHT ZU ANGESICHT oder SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD auf dem Kerbholz haben (warum man für solch eine läppische Story zwei solche Ikonen benötigte, ist natürlich eine berechtigte Frage) und die Bilder von Kameramann Alejandro Ulloa junior [→ TÖTE ALLE UND KEHR ALLEIN ZURÜCK] sind teilweise fast schon ein bisschen zu gut für ein Werk dieses Schlages: Bereits die Eröffnungsszene in einer Landschaft aus Bohrtürmen erinnert an großes Kino, und wenn Nero seinen Kontrahenten inmitten zahlreicher, vom Wind durch den Ort getriebener Zeitungsseiten gegenübertritt, dann weht auch ein Hauch episches Flair mit.

Natürlich bleibt Castellanis Werk dennoch ein denkbar anspruchsloses Unterhaltungsprogramm, das vor allem durch seine Besetzung Laune bereitet. Franco Nero holt aus seiner Hauptrolle das Höchstmögliche an Komik heraus und parodiert voller Vergnügen sein Image als harter Kerl vom Dienst. Dass das tatsächlich derselbe Mann ist, der in DJANGO noch völlig verdreckt und desillusioniert einen Sarg durch den Schlamm schleifte, mag man kaum glauben. Auch der Rest der Riege ist sich für kaum eine Albernheit zu schade: Martin Balsam [→ HÖLLENHUNDE BELLEN ZUM GEBET] gibt mit Wonne den hinterhältigen Schurken mit mechanischem Metallarm, der allerdings ab und zu mal irgendwo steckenbleibt und von seinem Butler Adolf (nicht rein zufällig mit Zweifingerbart und Seitenscheitel unterwegs) aus dieser Bredouille gerettet werden muss. Dazu gesellt sich noch Altstar Sterling Hayden [→ DER PATE] als Zeitungsverleger Pullitzer (der Name ist natürlich auch kein Versehen).

Für weiteres Amüsement sorgen die beiden Söhne des Farmers Foster, die das erzwungene Ableben ihres Vaters erstaunlich gelassen zur Kenntnis nehmen, mit Dynamit um sich werfen und in ihrer Abgebrühtheit für so manchen Lacher gut sind. Als Hilfssheriffs agieren dazu zwei geschminkte Supertucken und die Handlanger des Bösewichts präsentieren sich als Motorradbande im Football-Dress. Viel verrücktes Zeug also und fraglos nichts für Feingeister. Wer sich jedoch ohne Scham auch über den seichten Humor der späteren Terence Hill- und Bud Spencer-Vehikel amüsieren kann, ist hier grundsätzlich an der richtigen Adresse. Nicht jeder Gag zündet und manche Dinge (wie die ausufernden Zeitraffersequenzen im Stummfilm-Stil) wirken reichlich altbacken. Was jedoch ständig durchschimmert, ist die pure Lust an der Sinnbefreitheit. Und wem das nicht schmeckt, für den bleibt ja immer noch
KEOMA. „Nich' wahr?“ 

Laufzeit: 88 Min. / Freigabe: ab 12

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen