Mittwoch, 20. Mai 2015

THE KILLER RESERVED NINE SEATS


L'ASSASSINO HA RISERVATO NOVE POLTRONE
Italien 1974

Regie:
Giuseppe Bennati

Darsteller:
Rosanna Schiaffino,
Janet Agren,
Paola Senatore,
Howard Ross,
Chris Avram,
Eva Czemerys,
Lucretia Love,
Gaetano Russo



Inhalt:

Der wohlhabende Patrick Davenant [Chris Avram] kommt in der Nacht seines Geburtstags auf die Idee, mit seinen Gästen ein uraltes Theater aufzusuchen, das sich seit Ewigkeiten in Familienbesitz befindet. Doch als sie dort ankommen, wird die ausgelassene Feier schnell zum Alptraum: Erst taucht ein mysteriöser zehnter Gast auf, den niemand zu kennen scheint und der unverständliche Dinge sagt. Und als auf Patrick ein Mordanschlag verübt wird, stellt die nun gar nicht mehr so fröhliche Party-Gesellschaft fest, dass nicht nur die Türen des Gebäudes verriegelt sind, sondern auch die Telefonleitungen gekappt. Nun beginnt ein blutiges Spiel, denn der geheimnisvolle Mörder hat noch viel vor in dieser Nacht …

Kritik:

Als der Killer 1974 auf die Idee kam, neun Plätze zu reservieren, war er damit für die Hauptvorstellung im Prinzip ein paar Jährchen zu spät dran. Der Giallo, die große italienische Mordschau, hatte seine Hochphase bereits hinter sich und die wegweisenden Stücke längst auf den Weg gebracht. Was danach folgte, waren in erster Linie nur noch Abwandlungen der immergleichen Muster und Motive, die keine großartigen Innovationen mehr versprachen, im Idealfalle aber durch Schick und Geschick immer noch höchst gefällige Unterhaltung offerieren konnten. In diese Kategorie gehört auch THE KILLER RESERVED NINE SEATS, dessen Prämisse zwar altbekannt erscheint, dessen Mangel an inhaltlichem Genie jedoch durch gekonnte Modifikation, atmosphärische Dichte und vor allem seinen attraktiven Schauplatz spielend übertüncht wird. Immerhin drei Autoren verschliss sie dennoch, diese weitere Variation des Zehn kleine Negerlein-Prinzips, das, seit Agatha Christie es 1939 erdachte, seinen Siegeszug durch das Krimi-Genre antrat und in zahllosen Adaptionen und Abarten immer wieder die Leinwand heimsuchte.

So wird auch hier eine Handvoll Leute (wie zufällig tatsächlich erneut zehn an der Zahl) erst von der Außenwelt abgeschlossen und dann zur Zielscheibe eines mysteriösen Meuchlers, der nach und nach, Mann für Mann, Frau für Frau, die Reihen lichtet und somit den Kreis der potenziell Verdächtigen immer weiter schrumpfen lässt. Ein jahrhundertealtes Theatergebäude wird den Opfern dieses Mal zum mondänen Luxus-Gefängnis, sein verwinkeltes Konstrukt aus Fluren und Räumen zum eleganten Todes-Labyrinth. Tatsächlich entpuppt sich dieser hermetisch abgeriegelte Dauer-Tatort bald als heimlicher Hauptdarsteller, lässt er THE KILLER RESERVED NINE SEATS doch dieses im besten Sinne antiquierte Bühnenflair atmen, das ihn so herrlich altmodisch wirken lässt und ihm diesen wunderbar-melancholischen Unterton der Vergänglichkeit verleiht, den alte Häuser oftmals versprühen: Einst illustrer Treffpunkt für die kulturell interessierte Gesellschaft, ist das prunkvoll ausstaffierte Bauwerk nun leerstehend und nutzlos und verkommt langsam zur Ruine. Und ebenso, wie der protzige Prachtbau sein Leben aushauchen muss, geht es jetzt auch seinen unfreiwilligen Insassen an den Kragen.

Die Dinge entwickeln sich dabei altbekannt, doch auch altbekannt kurzweilig: Die reichlich versnobt gezeichnete Belegschaft entert in übermütiger Partylaune die rustikalen Räumlichkeiten und gibt sich wenig überraschend zuallererst diversen frivolen Spielchen hin. Schnell wird deutlich, dass die feinen Herr- und Damenschaften sich zwar elitär und erhaben geben, letztendlich aber doch nichts anderes sind als triebgesteuerte Tiere. Dem noch Harmonie suggerierenden, in die lässig-jazzigen Klänge Carlo Savinas [→ DER PATE] gehüllten Vorspann, bei welchem die in diskreter Distanz positionierte Kamera die anreisenden Protagonisten in ihren Autos bei friedlich anmutenden Zwiegesprächen beobachtet, stehen alsbald deren erotische Eskapaden gegenüber, die keinen Halt vor unmoralischen oder gar inzestuösen Grenzen machen. Rasch schält sich die Erkenntnis heraus, dass die Figuren sich eigentlich spinnefeind sind und es unter der netten Oberfläche reichlich brodelt. Diese Konstellation erinnert stark an Fernando Baldis nicht nur im Titel ähnlichen NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD, welcher freilich erst drei Jahre später entstand, weshalb es natürlich eigentlich umgekehrt ist. Während dort eine einsame Insel für ein dekadentes, sich verbündet gebendes, doch innerlich verabscheuendes und äußerlich wild kopulierendes Kollektiv zur tödlichen Falle wird, übernimmt diese Rolle hier der verschlossene Gebäudekomplex, und ebenso wie in Bennatis Theater keimt schließlich auch auf Baldis Eiland der Verdacht einer übernatürlichen Ursache für die Ereignisse auf.

Und dennoch sind beide Versionen trotz ihrer Gemeinsamkeiten am Ende doch völlig verschieden, wobei Bennatis Version der Geschichte die Nase eindeutig vorn hat – und das, obwohl er als Regisseur im Gegensatz zu Massenfabrikant Baldi ein eher unbeschriebenes Blatt war. Aber womöglich lag es ja auch gerade daran, dass er etwas mehr Mühe investierte und der Fließband-Routine eines alten Hasen eine konzentrierte Fingerübung mit Gespür für Atmosphäre und Ästhetik entgegensetzte. So wirkt auch die Zurschaustellung nackter weiblicher Reize hier weitaus weniger plump und selbstzweckhaft als bei seinem Kollegen, auch wenn einer der Hauptgründe dafür wohl dennoch eher der Appell an niedere Publikumsinstinkte gewesen sein dürfte. Auch die Präsentation der malträtierten Opfer geschieht nicht völlig frei von heischender Sensationslust, dafür jedoch in zum Teil morbider Schönheit, mit vom Nagel durchschlagener Hand in christlicher Symbolik skulptural arrangiert oder mit von schwerer Schiebetür zertrümmertem Torso.

Der relativ hohe Aufwand, den der Mörder betreibt, sowie die eigentlich unnötige Ritualisierung seiner Taten bleiben auch nach der Auflösung eher rätselhaft – überhaupt wand sich das Drehbuch durch einen zwar überraschenden, doch prinzipiell reichlich billigen Kniff aus allzu großer Erklärungsnot heraus. Doch Realitätsnähe war ohnehin noch nie das Steckenpferd, geschweige denn überhaupt die Intention des Genres. Wie so viele andere Vertreter seiner Zunft legt auch THE KILLER RESERVED NINE SEATS seinen Fokus auf den Weg und weniger auf das Ziel. Und dieser Weg, mit düsterer Märchenatmosphäre gepflastert und stets in manierlicher Nähe zur makabren Schauergeschichte, führt durch urige Kulissen, scheußlich-schöne Meucheleien und anarchisch gesetzte Winkel und streift schließlich, wenn er im Finale die endlosen Gänge des Theaters verlässt, um stattdessen durch unterirdische Gewölbe zu führen, auch den klassischen Gotik-Grusel.

Die Darsteller erfinden das Wort ‚Schauspielkunst‘ gewiss nicht neu, nehmen ihren Job aber ausreichend ernst und geben keinen Anlass zur Beschwerde. Überragende Momente sind nicht auszumachen, was jedoch auch daran liegt, dass dieses gar nicht gefordert war und auf eine wirkliche Hauptperson verzichtet wurde. Jede Rolle bekam in etwa das gleiche Gewicht, eindeutige Sympathieträger existieren hier ebenso wenig wie ausgemachte Hassobjekte. Das verhindert zwar etwaige Empathieerscheinungen seitens des Publikums, sorgt jedoch durch die damit verbundene Unterwanderung bekannter Dramaturgie- und Erwartungsschablonen auch für eine wohltuende Unvorhersehbarkeit: Wer das nächste Opfer wird, ist ebenso ungewiss, wie die Antwort auf die Frage, wer letztendlich als Täter infrage käme.

THE KILLER RESERVED NINE SEATS, und das hat er nun wieder mit NEUN GÄSTE FÜR DEN TOD gemein, gelangte nie zu deutscher Kinoehre und musste damit auch auf eine hiesige Synchronfassung verzichten. Das ist zwar bedauerlich, aber echte Freunde des gepflegten italienischen Tötungstheaters schreckt eine fremdsprachige Vorstellung kaum ab. Krimi-Freunde, die ein Faible für Bühnenluft und Rampenlicht hegen, die Wert legen auf Stil und Stimmung und die bei etwas fließendem Blut und nackter Haut nicht gleich ohnmächtig aus dem Sessel gleiten, sollten sich eine Karte reservieren. Neun Plätze sind noch frei.


Laufzeit: 99 Min. / Freigabe: ungeprüft

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