Sonntag, 12. Juli 2015

DIE LETZTE SCHLACHT AM TIGERBERG


ZHI QU WEI HU SHAN
China 2014

Regie:
Tsui Hark

Darsteller:
Tony Leung Ka-Fai,
Zhang Hanyu,
Lin Gengxin,
Yu Nan,
Tong Liya,
Han Geng,
Chen Xiao,
Tse Miu



Inhalt:

In den Wäldern Chinas, 1946: Die Volksbefreiungsarmee hat den Krieg gegen die Japaner gewonnen, doch an eine verdiente Ruhe ist nicht zu denken: Eine Räuberbande terrorisiert das Land und verbreitet Angst und Schrecken. Angeführt wird sie von einem berüchtigten Schurken mit dem simplen Namen 'Falke', der sich mit seinen blutrünstigen Mannen auf den als uneinnehmbar geltenden Tigerberg zurückgezogen hat. Hauptmann Shao Jianbo (alias Nummer 203)[Lin Gen-Xin] entwickelt einen riskanten Plan, um den Bösewichtern Einhalt zu gebieten: Er schleust sich als Bandit getarnt in die Truppe ein, um sich im Laufe der Zeit das Vertrauen des Anführers zu erschleichen, sie tatsächlich jedoch so weit zu schwächen, dass sie angreifbar wird. Um seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, bringt er ein Gastgeschenk mit: eine Karte, die strategisch wertvolle Ratschläge zur Kriegsführung liefert. Zunächst scheint sein Plan aufzugehen. Doch Shao muss feststellen, dass es oft nicht einfach ist, eine Tarnung aufrecht zu erhalten.

Kritik:

PEKING OPERA BLUES heißt das Werk, das den chinesischen Regisseur Tsui Hark im Jahre 1986 schlagartig auch im Westen bekannt machte. Die rasant geschnittene und üppig ausgestattete Kung-Fu-Komödie erntete in ihrer grellen Mischung aus Anspruch und Action viel Kritikerlob und holte das Hongkong-Kino endgültig aus der vermeintlichen Schundecke hinaus ans Licht der Öffentlichkeit. Von daher ist es nicht unamüsant, dass Harks THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN gut 30 Jahre später mit dem sarkastisch kommentierten Bild einer Peking-Oper beginnt. Allerdings basiert das pralle Historien-Epos auch auf einer eben solchen. Ab 1966, während der Kulturrevolution, entstanden - natürlich auf Druck Máo Zédōngs (und dessen Ehefrau Jiāng Qīng) – zahlreiche politisch motivierte Tanz- und Musikstücke, Modellopern genannt, von denen Mit taktischem Geschick den Tigerberg erobert zu einer der bekanntesten wurde. Als Grundlage diente der Roman mit dem englischen Titel TRACKS IN THE SNOWY FOREST des Autors Qu Bo, der in seiner Heimat immens populär wurde. Dass die Heldensaga, in der die chinesische Volksbefreiungsarmee während des Bürgerkrieges neben Hunger und Tod auch gegen eine berüchtigte Räuberbande kämpfen muss, tatsächlich, wie behauptet, auf einem wahren Ereignis beruht, kann man dabei entweder glauben, oder man lässt es eben bleiben.

Völlig unerwartet beginnt THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN zunächst im neuzeitlichen New York, das gerade vom wilden Trubel der Feierlichkeiten für den Wechsel ins Jahr 2015 bestimmt wird. Ein junger Chinese erhascht auf einer Party, kurz bevor er die Reise zu seiner in der Heimat wartenden Großmutter antritt, im Fernsehen eine Szene aus besagter Oper, worauf ihm - im Gegensatz zu seinen zechenden Freunden – ganz wehmütig ums Herz wird. Auf der Fahrt nach Hause holt er sein Tablet hervor und beginnt, die Darbietung komplett zu sichten. Erst dann springt die Handlung zurück ins Jahr 1946 und zeichnet das Bild einer tapferen Truppe verwegener Teufelskerle und -frauen, die sich, kurz nachdem sie die Japaner geschlagen hat, einem neuen Feind gegenübersieht: dem vom dämonischen Oberschurken 'Falke' befehligten Gaunerkollektiv, welches sich auf dem als uneinnehmbar geltenden Tigerberg verschanzt und das Land mit Tod und Terror überzieht. Dass das kein Dauerzustand bleiben wird, ist angesichts des Titels keine sonderlich große Überraschung, den Weg zum Ziel jedoch gestaltete Tsui Hark als ereignis- und attraktionsreichen Hindernisparcours mit wilder Radau-Attitüde und einer ganzen Wagenladung großartiger Schauwerte.

Mit dem mit dieser Thematik einhergehenden Hohelied auf Heldentum und Opferbereitschaft befindet man sich selbstverständlich voll und ganz auf Regierungskurs, nutzt die Staatsmacht das Kino Hongkongs doch seit Rückgabe der Metropole an China in erster Linie dazu, die Bürger nach eigenem Gusto zu erziehen und durch das Präsentieren proletarischer Pioniere Vaterlandsliebe zu erzeugen (was nicht selten einen bitteren Beigeschmack zur Folge hat). Doch die Drehbuchautoren (zu denen unter anderem auch Tsui Hark selbst gehörte) gaben sich in diesem Falle alle Mühe, THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN nicht zur platten Propaganda verkommen zu lassen - schon allein aufgrund dessen, dass eindeutige Realitätsbezüge überwiegend vermieden wurden. Stattdessen kreierten sie ein abgehobenes Abenteuer-Spektakel, das mehr mit einer ausgeflippten Achterbahnfahrt gemein hat als mit bodenständigem Geschichtsunterricht – was durch eine grandiose, an INDIANA JONES angelehnte Anschluss-Sequenz auf die Spitze getrieben wird (die freilich all jene verpassen werden, die bereits bei der ersten Stab-Einblendung aufspringen und das Weite suchen).

Somit gibt sich THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN bereits von Haus aus wie ein knalliger Comic-Strip, in dem Schwarz und Weiß klipp und klar voneinander getrennt und entsprechend überzeichnet sind. Die Guten sind von Grund auf edel, mutig und ehrenhaft, die Männer wie die Frauen, und niemand käme auch nur im Ansatz auf die Idee, dass hier der selbe Verein skizziert wird, der 1989 ein Massaker unter protestierenden Studenten angerichtet hat. Die Bösen hingegen sehen bereits aus wie grotesk verwachsene Missgestalten und glänzen in erster Linie durch grobschlächtige Aktionen und grunzende Artikulation. Gekrönt wird das durch einen unter seiner Maskerade kaum noch zu erkennenden Leung Ka-Fai [→ BODYGUARDS AND ASSASSINS] als Banditenkönig 'Falke', der eine frappierende Ähnlichkeit zu Danny DeVitos Pinguin aus BATMANS RÜCKKEHR aufweist und als schillernde Karikatur eines allmächtigen Super-Schurken den extravaganten Charakter des Werkes noch mal zusätzlich unterstreicht. Dazu gesellen sich heillos überzogene, Physik und Logik trotzende Action-Zelebrierungen (wie eine Schießerei auf Schiern oder eine waghalsige Abseilungsaktion zwischen zwei Bergmassiven), und ausgefallene, bisweilen bizarre Bilder wie der verbissene Kampf erst Mensch gegen Tiger, dann Tiger gegen Pferd – aus dem Rechner gezaubert, versteht sich, doch nicht nur für asiatische Verhältnisse verblüffend naturalistisch umgesetzt und von leicht surrealer Note umwabert.

Da Tsui Hark sein ausladendes Schlachtengemälde zudem für eine dreidimensionale Präsentation konzipierte, lies er es sich auch nicht nehmen, das Geschehen durch zahlreiche visuelle Taschenspielertricks tüchtig aufzumotzen. Dabei verfällt er zwar bisweilen – besonders zu Beginn – ein wenig in prahlerische Effekthascherei, lässt Messer, Granaten und sonstige Geschosse majestätisch durchs Bild gleiten (idealerweise dabei explodierend, damit man sie genüsslich und von allen Seiten im Funkenregen ablichten kann), aber Laune macht das dennoch – oder gerade deswegen. Bereits bei seinem Kostümschinken FLYING SWORDS OF DRAGON GATE experimentierte Hark mit 3D-Effekten und gab sich schon dort erstaunlich versiert. Hier legte er noch mal einen Zacken drauf und schöpfte die sich bietenden Möglichkeiten der seit AVATAR populären Technik optimal aus: Ungewöhnliche Kamerawinkel und ein geschicktes Spiel mit Raum und Perspektive erschaffen einen im wahrsten Sinne des Wortes ungemein vielschichtigen Kosmos, der zu leben und zu atmen scheint. Manchmal wirkt es, als habe Hark, einem großem Kinde gleich, einfach wild alles Mögliche ausprobiert, um dann nur die Ergebnisse behalten, die am meisten Eindruck geschunden hatten. Dazu passt auch, dass THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN, volle 15 Jahre nach MATRIX, wie selbstverständlich wieder die 'Bullet-Time' verwendet (also Kamerafahrten um in der Zeit eingefrorene Objekte herum) – nicht, weil es zufälligerweise gerade mal wieder im Trend läge, sondern einfach nur, weil es Spaß macht und gut aussieht.

Die Exposition scheint, wenn auch nicht langweilig, zunächst ein wenig ziellos und in erster Linie der Präsentationen optischer Sperenzchen zu dienen. Sobald jedoch Shaos Mission beginnt, entwickelt sich ein schnurstracks geradeaus marschierendes, mitreißendes Stück Kino, das eine im Grunde klassische Undercover-Story erzählt – nur, dass der Cop hier gegen einen Soldaten und die Drogenhändler gegen eine Horde Plünderer ausgetauscht wurden. Trotz einer Länge von auffallend über zwei Stunden herrscht dabei zu keinem Zeitpunkt Leerlauf oder Lethargie; im Gegenteil entpuppt sich THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN als wahres Füllhorn ergreifender Ereignisse und imposanter Impressionen und gipfelt in einem perfekt inszenierten orgiastischen Orkan atemberaubender Action, bei dem die Klang- und Pyrotechniker Überstunden schoben und es zeitlupenzerdehnte Kopfschüsse im Minutentakt hagelt. Der finale Sprung zurück in die Moderne schließt die erzählerische Klammer und veranschaulicht mit leiser Melancholie und nostalgischem Schwelgen, wie vergangene Taten Einfluss nehmen können auf das Leben und Wirken nachfolgender Generationen, bevor ein ebenso augenzwinkernder wie bombastischer Abschluss das Publikum wieder in die Wirklichkeit entlässt.

An Chinas Kinokasse war man damit geradezu umwerfend erfolgreich; bereits nach einer Woche spielte das Werk fast 52 Millionen US-Dollar ein. Das ist den Machern durchaus zu gönnen, nicht nur, weil man es hier mit einem vorzüglich produzierten Opus zu tun hat, sondern weil dieses vor allem auch die endgültige Rehabilitierung seines Regisseurs bedeutet, der nach fulminantem Karrierestart begann, seinen Ruf als talentierter Visionär mit Ramschware wie ZU WARRIORS oder BLACK MASK 2 [beide von 2001] brutal zu zersägen. THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN hingegen ist tatsächlich wieder ein hochambitioniertes Leinwand-Werk und bietet exzellente Unterhaltung, wie man sie sich wünscht: packend, aufregend und von umwerfender cineastischer Wucht. Historisches Kampfgetümmel trifft auf cartoonesk überzogenen Abenteuer-Esprit irgendwo zwischen Steven Spielberg und TIM UND STRUPPI; der selbstreferenzielle Charakter wirkt sympathisch und unverkrampft, und der stark romantisierte Hintergrund glättet sanft den unterschwelligen Lobgesang auf Pathos und Heldenkult. Tsui Hark hat nicht nur den Tigerberg zurückerobert, sondern auch den Kino-Olymp.

Laufzeit: 141 Min. / Freigabe: ab 16

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