Samstag, 14. Oktober 2023

BLOODY TIE


SASAENG GYEOLDAN
Südkorea 2006

Regie:
Choi Ho

Darsteller:
Ryu Seung-beom,
Hwang Jeong-min,
Chu Ja-Hyeon,
Ja-Hyeon Chu,
Kim Hee-ra,
Lee Do-gyung,
On Ju-wan,
Choe Jin-ho



Inhalt:

Busan: Kurz vor der Jahrtausendwende hat der Drogenhandel die Stadt im Würgegriff. Einer der Nutznießer ist der junge Dealer Lee Sang-do [Ryu Seung-beom], der seine Haushaltskasse mit dem Handel von Crystal Meth aufbessert. Doch die sorglosen Tage sind vorbei, als ihn der ruppige Polizist Doh Jing-Wang [Hwang Jeong-min] aufsucht und zur Zusammenarbeit erpresst: Sang-do soll als Spitzel agieren, um an eine noch größere Nummer heranzukommen. Doch die geplante Verhaftung geht gehörig in die Binsen, woraufhin Jing-Wang seinen Job los ist und Sang-do seine Freiheit. Acht Monate später kommt der Kriminelle aus dem Knast. Gleichzeitig wird der geschasste Bulle wieder in den Dienst gestellt. Während Jing-Wang die Karriereleiter erneut erklimmen muss, sieht sich Sang-do völlig neuen Verhältnissen gegenüber: Aus dem Ausland sind neue Drogen ins Land gekommen und haben den Markt komplett verändert. Der neue große Boss heißt Jang-chul [Lee Do-gyung]. Dessen Verhaftung wäre für Jing-Wang die Rückkehr zu alten Ehren und für Sang-do die Möglichkeit, wieder zum Kiez-König aufzusteigen. Notgedrungen schmieden die Kontrahenten daher ein neues schicksalhaftes Bündnis.

Kritik:

BLOODY TIE beginnt im Stil einer flotten Komödie, wenn der junge Dealer Lee Sang-do dem Publikum per gut gelauntem Off-Kommentar erklärt, wie er in hemdsärmeliger Routine seine Geschäfte abwickelt und was für eine tolle Win-Win-Situation das doch ist: Seine Kunden erwerben (vermeintliches) Glück in kleinen Dosen, er selbst hört im Austausch dafür tagtäglich die Scheine rascheln. Trotz der ernsten Thematik (dass Südkorea kurz vor der Jahrtausendwende in einer Krise steckte und speziell in Busan das Verbrechen scheinbar unkontrollierbar wütete, das vermitteln bereits zum Einstieg diverse Schlagzeilen und Ausschnitte aus Nachrichtensendungen) wird dabei eine durchaus heitere Grundstimmung suggeriert. Sang-do feiert ausgelassen in Bars und Clubs; sein forsches Auftreten wirkt jugendlich-überschwänglich, seine Gestiken und Mimiken erinnern bisweilen an argloses Kleinkind-Verhalten. Dazu bringen ein funky Soundtrack und schnelle Schnitte gehörig Schwung in die Sache und sorgen für Stimmung und gute Laune.

Dass diese ausgelassene Attitüde nicht bis zum Ende Bestand haben wird, davon zeugt bereits die erste Begegnung zwischen Sang-do und seinem unfreiwilligen Polizisten-Partner Jing-Wang, die unmissverständlich aufzeigt, dass sie keine Kumpels werden. Das hier ist kein Buddy Movie, in dem sich zwei grundverschiedene Parteien zusammenraufen und schließlich Freundschaft schwören. Hier können sich beide Männer tatsächlich auf den Tod nicht ausstehen, und die zerbrechliche Zweckgemeinschaft bleibt auch eine bis zum bitteren Ende. Auf dem Weg dorthin wird es mit jedem Schritt düsterer und brutaler, was dem Werk in seinem Heimatland sogar einige Schlagzeilen bescherte: Obwohl nicht ausdrücklich verboten, galt die explizite Darstellung von Drogensucht in Südkorea lange Zeit als eine Art rotes Tuch, weswegen das kommerzielle Kino in der Regel einen verschämten Bogen um das Thema machte. BLOODY TIE hingegen leistete sich diesen Tabubruch, wenn auch nicht um des reinen Brechens willen: Die Zurschaustellung der verhängnisvollen Folgen des Konsums von Rauschgift ist notwendiger Bestandteil der Handlung und offeriert zudem einige Schauwerte in Sachen Schauspiel und Inszenierung.

Chu Ja-Hyeon verkörpert exzellent die süchtige Lee Ji-young, die aufgrund traumatischer Erlebnisse in die Abhängigkeit getrieben wurde. Wenn in einer rückblickenden Montage gezeigt wird, wie sie langsam, aber unaufhaltsam in die Sucht abgleitet, dann ist das darstellerisch wie inszenatorisch ein nachhaltig eindrücklicher Moment. Gleichzeitig wird Ji-young auch zum Zünglein an der Waage. Denn Sang-do, dessen Weg sich mit dem ihren zufällig kreuzt, erkennt seine Mitschuld an ihrem Zustand, weswegen er die im Grunde nur noch als Wrack existierende Frau in eine Entzugsklinik einliefert – die ironischerweise von seinem eigenen Onkel geleitet wird. Dieser Moment bedeutet im Übrigen jedoch nicht, dass aus dem Dealer jetzt plötzlich ein besserer Mensch wird. So versucht er nach Ji-youngs ersten Erfolgen in Sachen Entzug schamlos, sie zum nächsten Drogen-Cocktail zu überreden. Seine Motivation wird dabei nicht ganz klar, aber spätestens ab diesem Moment steht fest, dass Sang-do nicht zur Sympathiefigur taugt.

Das gilt allerdings auch für Jing-Wang, der als Polizist ja immerhin (zumindest formal) auf der Seite des Gesetzes steht. Aber auch er ist für das Publikum keine Bezugsperson, wenn er sich, offenbar psychisch labil, stets am Rande des Nervenzusammenbruchs zu bewegen scheint und sich sein Gebaren gar nicht großartig von dem eines Verbrechers unterscheidet. Nun sind ambivalente Figuren, erst recht im Genre des Gangster- und Polizeifilms, prinzipiell immer gern gesehen, zumal man sich damit natürlich deutlich dichter an der Realität befindet als mit den Klischees vom strahlenden Helden und fiesen Schurken. Aber wenn Verhaltensweisen und Handlungen kaum nachvollziehbar sind und die Protagonisten moralisch mal in die eine, mal in die andere Richtung pendeln, dann führt das auf Dauer doch eher zu Unzufriedenheit.

Dabei blitzen vereinzelt durchaus mal Anflüge von Charakterisierung und Motivation auf, am ehesten bei Dealer Sang-do, dessen Leben offenbar bereits von Kindesbeinen an von Gewalt und Kriminalität bestimmt war. Vertieft wird das dann allerdings nicht. Jing-Wang hingegen handelt nach der Prämisse, dass Kriminalität mit legalen Mitteln nicht besiegt werden kann, weswegen er zwangsläufig selbst zum Kriminellen wird. Diese Figur ist im Genre natürlich alles andere als neu und im Falle BLOODY TIEs gelang es den Autoren auch nicht, ihr neue Facetten abzuringen. Darum muss als zusätzlicher Antrieb dann doch noch die gute alte Rache herhalten: Zielperson Jang-chul ist nämlich nicht nur Drogenbaron, nein, er hat auch noch einen Kumpel und Kollegen Jing-Wangs auf dem Gewissen.

Lebendig werden diese Abziehbilder in erster Linie vom energischen Spiel ihrer Darsteller. Speziell Ryu Seung-beom [→ ARAHAN] agiert sich als mit heftigen Gefühlsschwankungen versehenem Drogendealer die Seele aus dem Leib: Mal enthusiastisch wie ein kleines Kind, kullern im nächsten Augenblick dann ausgiebig die Tränen. In Hwang Jeong-min [→ SHIRI] als rastlosem Polizisten scheint indes ein brodelnder Zorn zu wohnen, der jede Sekunde sich Bahn brechen und zur Explosion führen könnte. Bezogen auf reale Verhältnisse scheint das zwar ein wenig übertrieben (einen Beamten, der solch ein überkandideltes und unberechenbares Verhalten an den Tag legt, hätte man schon längst in Frührente geschickt), aber darstellerisch gibt es da ebenfalls nichts zu mosern.

Hauptgrund, dass BLOODY TIE am Ende als Sieger ins Ziel kommt, ist allerdings die temporeiche Inszenierung, die trotz nicht gerade schmaler Laufzeit ständig aufs Gas steigt, obwohl man sich stilistisch nicht so ganz einigen konnte. Denn obwohl das Ganze zeitlich Ende der 1990er verortet ist, klingt der Soundtrack stark nach 1970er Jahre, wobei manche Szenen auch einen entsprechenden, an Beiträge wie FRENCH CONNECTION gemahnenden, Siff-Look mitbringen, während schnelle Schnitte, Split-Screens und viel Kamerabewegung dann doch wieder deutlich moderner wirken. Schaden tut das freilich nicht, denn es funktioniert durchgehend bis zum Schluss, der erstaunlich nihilistisch daherkommt und nun gar nichts mehr von der scheinbaren Unbekümmertheit der ersten Minuten innehat. BLOODY TIE mag das Genre damit weder neu erfinden noch ihm irgendwelche Innovationen hinzufügen, ist unterm Strich jedoch ein professionell gefertigter Zeitvertreib, dem man sich ohne Reue aussetzen kann.

Laufzeit: 112 Min. / Freigabe: ab 16

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