Donnerstag, 2. Mai 2024

1911 - REVOLUTION


XIN HAI GE MING
China 2011

Regie:
Zhang Li

Darsteller:
Jackie Chan,
Winston Chao,
Li Bingbing,
Sun Chun,
Joan Chen,
Jiang Wu,
Jaycee Chan,
Hu Ge



Inhalt:

1911: Die Qing-Dynastie beherrscht China seit gut 250 Jahren. Das ist genug, finden ein paar Aufständische und gehen in den Widerstand. Nachdem Kaiserwitwe Cixi [Joan Chen] bereits mehrere Rebellionen erfolgreich niederschlagen konnte, scheint sich das Blatt nun zu wenden: Der Hof liegt finanziell wie moralisch am Boden und das Revolutionsbündnis um Huang Xin [Jackie Chan] und den Chirugen Sun Yat-sen [Winston Chao] erhält immer mehr Rückhalt aus der Bevölkerung. Als sich überraschenderweise auch die Armee Wuchangs auf ihre Seite schlägt, rückt der Traum vom Sturz der Monarchie plötzlich in greifbare Nähe.

Kritik:

Wer Nachholbedarf in Sachen Chinesische Geschichte verspürt, der sollte sich in der nächstgelegenen Stadtbibliothek um ein gutes Buch bemühen. Keinesfalls jedoch sollte er stattdessen zu 1911 greifen. In diesem aufwändig gestalteten Historienfilm mögen zwar die Eckdaten stimmen. Doch ist die Aufklärungsattitüde lediglich vorgeschoben. Recht schnell bewahrheitet sich nämlich, was im Vorfeld schon zu erahnen war: 1911 ist primär ein prominent besetztes Propagandastück, das ein (natürlich parteigestütztes) Hohelied auf die ach so herrliche Nation China anstimmt. „Prominent besetzt“ bezieht sich dabei freilich auf Jackie Chan, einer der wenigen wirklichen Weltstars, die China je hatte. Einst durch komödiantische Kung-Fu-Kapriolen berühmt geworden, fand er im Alter nicht mehr zu alter Stärke, was ja per se keine Schande ist. Dass er seinem guten Ruf nachhaltigen Schaden zufügte, indem er sich als regimetreuer Repräsentant zum Erfüllungsgehilfen eines menschenverachtenden Systems machte, wiegt hingegen schon deutlich schwerer. Da passt es natürlich, dass 1911 ihn als aufrechten Revolutionshelden porträtiert, der zwecks Installierung einer „richtigen“ Regierung ruhmreich gegen den korrupten Kaiserhof zu Felde zieht.

Eine Hauptrolle ist das, anders als vom Marketing postuliert, allerdings nicht. Chans Charakter Huang Xin (der übrigens – wie viele andere Figuren hier – tatsächlich existierte) hat insgesamt nur wenige Auftritte, was hauptsächlich der eigenwilligen Dramaturgie des Werkes geschuldet ist. 1911 handelt zwar von Geschichte, erzählt aber nicht wirklich eine. Statt Protagonisten agieren hier Stichwortgeber und anstatt eine Story zu erzählen, springt man im nüchternen Doku-Duktus von Dialog zu Dialog, Schauplatz zu Schauplatz und Ereignis zu Ereignis und verweilt dabei nur selten längere Zeit an einem Ort. Dem Beitrag eines Historien-Senders gleich hakt man so die einzelnen Stationen ab und ignoriert dabei bewusst das gängige Regelwerk kinokonformen Erzählens, was natürlich den Eindruck von Seriosität erwecken soll. Allerdings wird gerade dieses Anliegen durch teils wirklich plumpe Manipulationsversuche wieder untergraben. Denn der Feind des chinesischen Volkes, so die Quintessenz, ist der Ausländer. Frei ist das Land nur, wenn es autark ist vom Rest der Welt, der stets nur Unterjochung und Ausbeutung im Sinn hat. In einer besonders grotesken Episode besucht der von Winston Chao [→ THE TOUCH] enorm weltmännisch verkörperte Revolutionsführer Sun Yat-sen (gleichfalls eine historische Figur) eine Zusammenkunft fremder Nationen, deren Teilnehmer fett und vollgefressen am dekadent gedeckten Tisch hocken und bereits darüber beratschlagen, wie man China unter sich aufteilen werde. Sun veranschaulicht der versammelten Mannschaft dann die Situation seines Heimatlandes anhand eines Lammbratens, was tatsächlich noch alberner ist als es klingt.

Entsprechend wird man auch nicht müde, die Monarchie als inkompetent und verkrustet darzustellen, wenn der Hof, längst an der Schwelle zum Ruin und mit einer Kaiserin an der Spitze, die mehr als nur offensichtlich einen kleinen Piepmatz mit sich spazieren trägt, die Eisenbahn (eine der großen technischen Errungenschaften der Nation) an schmierige Langnasen zu verscherbeln gedenkt. Ehern und aufrichtig ist dann am Ende tatsächlich nur das geknechtete chinesische Volk, das sich nichts sehnlicher wünscht als die Ausrufung der ersten Republik, was als Universal-Lösung aller Sorgen und Nöte unwidersprochen bleibt. Dementsprechend wurden auch Ambivalenzen keinerlei Platz eingeräumt; die Revolutionäre stehen unmissverständlich auf der rechten Seite, argumentieren und handeln stets moralisch vollkommen korrekt (so sehr, dass man Flüchtigen auch schon mal in den Rücken schießen darf, der Zweck heiligt schließlich die Mittel). Und da hier natürlich auch wirklich niemand mal zwischenzeitlich mit sich selbst oder der Idee hadert, wirkt die Truppe entsprechend unnahbar und langweilig.

Dass in der Realität wenig überraschend nicht immer alle an einem Strang zogen und es zwischen Huang Xin und Sun Yat-sen, hier stets ein Herz und eine Seele, sogar zum Zerwürfnis kam, dafür war im Skript natürlich kein Platz mehr. Das hätte auch so gar nicht ins schöne Märchen der alle Widerstände überwindenden Einheit gepasst. Nun sind dramaturgische Anpassungen wie diese natürlich nicht das Problem von 1911 (zumal sich das Werk damit ja in guter Gesellschaft befindet). Das eigentlich Perfide an der ganzen Sache ist die Suggerierung, das Volk habe damals den hier propagierten Zustand von Glück, Freiheit und Demokratie tatsächlich erreicht, was wohl kaum in größerem Widerspruch zu den bei Produktionsbeginn vorherrschenden Verhältnissen stehen könnte (Gut, die Republik China ging in Taiwan auf, aber dessen Eigenständigkeit wurde man des Negierens nie müde). Der klebrige Pathos, der sich im Finale zu ungeahnten Höhen aufschwingt und sich verpflichtet fühlt, die Großartigkeit der Nation immer und immer wieder zu betonen, versetzt dem Ganzen schließlich den Todesstoß und lässt selbst den kompromissbereitesten Betrachter das Handtuch werfen.

1911 kann zwar Punkte sammeln durch seinen sichtbaren Aufwand in Sachen Ausstattung, versagt aber am Ende sowohl als Geschichtsstunde als auch als Unterhaltungs-Programm auf ganzer Linie. Dass so etwas auch anders geht, beweist z. B. BODYGUARDS AND ASSASSINS, der sich ebenfalls mit der Figur Sun Yat-sen befasst. Der verbreitet zwar teils ähnlich zweifelhafte Botschaften (wie die auch hier lancierte Idee, dass der Wert des Individuums weniger wiegt als das große Ziel des Kollektivs), ist dabei aber immerhin ein packendes Stück Kino. 1911 hingegen eiert orientierungslos herum und schafft es nie, auch nur einen seiner Charaktere nahbar werden zu lassen. Ohne Jackie Chan als Zugpferd – und das wussten die Macher natürlich – hätte der pappige Propagandaschinken wohl kaum eine Chance auf eine Veröffentlichung außerhalb Chinas gehabt. Dieser verspielt hier allerdings nicht nur endgültig seinen Sympathiebonus, sondern ist zudem als Kopfschüsse verteilender Revolutionsführer auch völlig fehlbesetzt (dass man ihm der alten Zeiten wegen auch eine kurze Alibi-Kampfszene ins Skript mogelte, kann daran nichts ändern). Dass 1911 sein Publikum schließlich mit einem wirklich grauenhaften Song wieder in die Freiheit entlässt, ist somit am Ende das einzige ehrliche Statement. Auf zur Stadtbibliothek!

Laufzeit: 120 Min. / Freigabe: ab 16

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