Samstag, 4. Januar 2020

DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER


MAN YAN JAM
Hongkong 1980

Regie:
Kuei Chih-Hung

Darsteller:
Chen Kuan-Tai,
Ku Feng,
Jason Pai Piao,
Walter Tso Tat-Wah,
Chiang Tao,
Dick Wei,
Lee Chun-Hwa,
Yuen Wah



Inhalt:

China, gegen Ende der Qing-Dynastie: Eine beträchtliche Menge Gold verschwindet aus den kaiserlichen Schatzkammern. Liu Jing Tian [Walter Tso], Befehlshaber der Garde, erhält den Auftrag, das entwendete Gut zurückzuholen. Dieser hält nur einen Mann für fähig genug, den Auftrag auszuführen: Hauptmann Leng Tian-Ying [Chen Kuan Tai], der aufgrund seiner Skrupellosigkeit selbst in den eigenen Reihen einen eher zweifelhaften Ruf genießt. Leng stellt ein Bataillon aus 5 Männern zusammen und macht sich auf den Weg, die Diebe zu fassen. Doch die Reise ist beschwerlich und konfrontiert die kaiserlichen Krieger nicht nur mit der Armut des Volkes, sondern auch mit einer Vielzahl unerwarteter Hinterhalte. Bereits deutlich dezimiert, trifft der Trupp schließlich auf den Räuber Fang Feng-Jia [Fu Feng], der hinter dem Diebstahl zu stecken scheint und sich als ebenbürtiger Gegner erweist. Leng liefert sich mit Fang schließlich ein Duell auf Leben und Tod und begreift dabei viel zu spät, dass sie alle lediglich Marionetten sind in einem grausamen Spiel der Macht.

Kritik:

Die Werke der Shaw Brothers gelten für gemeinhin als Speerspitze der unerschöpflichen Kung-Fu-Unterhaltungs-Industrie der 70er und 80er Jahre – ein Eindruck, der nicht von ungefähr kommt. Dabei war ein Großteil des Erfolges nicht zwangsläufig dem Aufwand an Kostüm, Kulisse und Statisten geschuldet. Trotz hauseigener Fließband-Mentalität achtete man im Gegensatz zum Großteil der Konkurrenz nämlich nicht nur auf eine formal ansprechende Präsentation, sondern legte auch gesteigerten Wert auf funktionierende Geschichten, spannende Konflikte und ambivalente Figuren in moralischen Dilemmata. Dass das selbst in der Spätphase des Genres noch großartig fruchten konnte, bewies Kuei Chih-Hung mit seinem beinharten Historiendrama DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER, das mit komplexen Charakteren und pessimistischem Gesellschaftsbild weit über den Genre-Standard hinausragt. Dabei unterscheidet sich das Werk auffallend von den ausladenden Schlachtepen z. B. eines Chang Cheh. Hier ist alles eine Nummer kleiner, dreckiger und düsterer, zugleich aber auch realistischer, weil zudem auf die oft märchenhaft anmutenden Innen-für-Außen-Kulissen – fast eine Art Shaw-Markenzeichen – verzichtet wurde. Hier geht es wirklich noch raus in die Natur, und die ist roh und ungastlich, zumal hinter jedem Baum, Busch oder Felsen ein weiterer tödlicher Angreifer lauern könnte.

Im englischen Sprachraum ist das Abenteuer bekannt als KILLER CONSTABLE, was nun auch nicht gerade nach Kaffee und Kuchen klingt. Ebenso wie der deutsche Titel bezieht sich auch der englische auf den Hauptprotagonisten, Hauptmann Leng Tian-Ying (verkörpert von Chen Kuan-Tai [→ THE MAN WITH THE IRON FISTS]) - und dass dieser den nur wenig minniglichen Titulierungen alle Ehre macht, wird bereits in den ersten Minuten deutlich: Leng wird eingeführt als eine Art frühgeschichtlicher Kung-Fu-Dirty Harry, der innerhalb einer Rekordzeit von 90 Sekunden nicht nur eine Geiselnahme beendet, sondern auch die Täter ohne lästiges Frage-Antwort-Spiel komplett plattmacht. Derlei Skrupellosigkeit erschreckt sogar den eigenen Bruder, der sich nachfolgend von ihm lossagt und dementsprechend auf der anschließenden Mission, der Suche nach entwendetem Kaisergold, abwesend sein wird. Diese Stelle nutzt Autor Sze-To On [→ DIE TODESKLAUE DES TIGERS], um die Ambivalenz Lengs herauszustellen, denn ebenso skrupellos, wie dieser gegenüber teils sogar unbewaffneten Feinden auftritt, so fürsorglich tritt er gegenüber seinen eigenen Leuten auf. So besteht er bei einem älteren Untergebenen darauf, dass dieser sich nicht dem Kommando anschließe, da er aufgrund dessen Betagtheit um sein Leben fürchtet, einem jüngeren will er die Teilnahme verwehren, da dieser sich gerade erst verlobt hat und nun in Glück und Frieden mit seiner Frau leben solle.

Diese übertrieben väterliche Seite steht nicht nur mit den vorherigen Ereignissen in krassem Kontrast, sondern auch mit den folgenden: Bei der ersten Station der Mission tötet Leng vor den Augen von Frau und Kindern einen armen Müller, dem ein Teil des gestohlenen Goldes in die Hände fiel – ein unnötiger Akt, der auch seine Gefolgschaft ins Grübeln bringt. Dieser charakterliche Zwiespalt aus hart und zart ist essenziell für das Gesamtkonzept von DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER, der vor allem an der Auslotung von Gegensätzen interessiert ist. Beginnend im prunkvollen Palast vor verschwenderisch reich gedeckter Tafel, führt die Handlung alsbald in Gegenden des absoluten Elends, in verwahrloste Dörfer, in denen Hunger und Tod herrschen und das Volk langsam dahinsiecht. Manche der Soldaten scheinen hier erstmals die Ignoranz ihres Arbeitgebers, der Mandschu-Regierung, zu begreifen, und dessen Unwillen, an den Umständen etwas zu ändern. Aber auch Mitleid, so wird einem hier äußerst zynisch verdeutlicht, bringt einen nicht weiter: Als einer der Männer der armen Bevölkerung helfen will und ehrenhaft sein Essen teilt, wird er zum Dank des Nachts brutal ermordet. Die menschenverachtenden Repressionen der Herrscher führen zu Hass und Vergeltung, was wiederum Gegengewalt hervorruft. Die Folge ist ein Teufelskreis gegenseitiger Vernichtung.

Eine derart pessimistische Weltsicht verlangt natürlich auch nach einer entsprechenden Bildsprache – und die haben Kuei und sein Kameramann Lee San-Yip [→ CITY WAR] gefunden. DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER suhlt sich quasi in Schlick und Schlamm. Gekämpft wird vorzugsweise bei strömendem Regen, die Krieger waten mühsam durch Matsch, Morast und Brandung. Die Gewaltdarstellung (Shaw-Produktionen waren in dem Bereich nie besonders zimperlich) wurde nochmals drastisch angehoben. Wenn hier gestorben wird, dann richtig dreckig. Die Tricks mögen nicht immer überzeugen, aber die Grausamkeit ist teilweise enorm und verfehlt ihre Wirkung nicht. Die Schwertduelle sind keine tanzgleichen Todesballette, sondern eruptiv, kurz und schmerzhaft und enden in der Regel mit Verlust von Arm, Bein oder Kopf. Männer werfen sich in Todesverachtung ins Feuer, um ihren Kameraden die Flucht zu ermöglichen, und verbrennen, sich am Boden wälzend, bei lebendigem Leib. Wird jemand von Pfeilen getroffen, dann nicht nur von zweien oder dreien, nein, die Körper werden regelrecht gespickt. Stilistisch ließ man sich dabei eindeutig vom japanischen Kino inspirieren, von visueller Warte aus wähnt man sich oft in einem 20 Jahre zuvor entstandenen Samuraifilm – spätestens, wenn am Ende das Blut fontänenartig und mit mächtig Druck aus dem Körper schießt.

Inkonsequenterweise verliert man auf halber Strecke die Frage nach der Richtigkeit von Lengs Richter-und-Henker-Mentalität aus dem Fokus, und auch der anfänglich etablierte Bruderzwist wird vollkommen ad acta gelegt. Stattdessen verdichten sich die Ereignisse in Richtung eines persönlichen Duells (sowohl auf körperlicher, als auch auf psychologischer Ebene) zwischen Leng Tian-Ying und dem Räuber Fang Feng-Jia (verkörpert von Ku Feng [→ DIE TÖDLICHEN ZWEI]), der sich als sein erbittertster Feind erweist. Nicht unbedingt aufgrund seines Status oder kämpferischen Verstands, sondern weil er der erste Gegner ist, der Leng mit seinen Prinzipien der Gnadenlosigkeit hadern lässt, da er durch ihn erkennt, was das Publikum längst weiß: dass es kein eindeutiges Gut und kein eindeutiges Böse gibt. Wesentlich ist dafür vor allem ein ebenso intensiver wie aufwühlender Moment: Leng steht bei Fang im Haus, um ihn zu töten. Fangs arglose Tochter jedoch, die aufgrund ihrer Blindheit nicht ahnt, dass beide die Schwerter gegeneinander richten, hält ihn für einen guten Freund ihres Vaters und serviert ihnen in rührender Herzlichkeit Tee – weswegen sie für kurze Zeit gezwungen sind, freundlich zueinander zu sein. Regie-Legende John Woo übernahm diese beeindruckende Szene 9 Jahre später fast 1:1 für sein Meisterwerk THE KILLER.

Nach Aufdeckung eines bösartigen Komplotts und weiteren gekreuzten Klingen, endet DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER dann mit dem wohl niederschmetterndsten Schlussbild, mit dem jemals ein Shaw Brothers-Film sein Publikum entließ. Ohne Frage: Ein später Höhepunkt in der Filmographie des Studios.

Laufzeit: 96 Min. / Freigabe: ab 18

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