Hongkong 1980
Regie:
Kuei Chih-Hung
Darsteller:
Chen Kuan-Tai,
Ku Feng,
Jason Pai Piao,
Walter Tso Tat-Wah,
Chiang Tao,
Dick Wei,
Lee Chun-Hwa,
Yuen Wah
Inhalt:
China, gegen Ende der Qing-Dynastie: Eine beträchtliche Menge Gold verschwindet aus den kaiserlichen Schatzkammern. Liu Jing Tian [Walter Tso], Befehlshaber der Garde, erhält den Auftrag, das entwendete Gut zurückzuholen. Dieser hält nur einen Mann für fähig genug, den Auftrag auszuführen: Hauptmann Leng Tian-Ying [Chen Kuan Tai], der aufgrund seiner Skrupellosigkeit selbst in den eigenen Reihen einen eher zweifelhaften Ruf genießt. Leng stellt ein Bataillon aus 5 Männern zusammen und macht sich auf den Weg, die Diebe zu fassen. Doch die Reise ist beschwerlich und konfrontiert die kaiserlichen Krieger nicht nur mit der Armut des Volkes, sondern auch mit einer Vielzahl unerwarteter Hinterhalte. Bereits deutlich dezimiert, trifft der Trupp schließlich auf den Räuber Fang Feng-Jia [Fu Feng], der hinter dem Diebstahl zu stecken scheint und sich als ebenbürtiger Gegner erweist. Leng liefert sich mit Fang schließlich ein Duell auf Leben und Tod und begreift dabei viel zu spät, dass sie alle lediglich Marionetten sind in einem grausamen Spiel der Macht.
Kritik:
Die
Werke der Shaw Brothers gelten für gemeinhin als Speerspitze der unerschöpflichen Kung-Fu-Unterhaltungs-Industrie der 70er und
80er Jahre – ein Eindruck, der nicht von ungefähr kommt. Dabei war
ein Großteil des Erfolges nicht zwangsläufig dem Aufwand an Kostüm,
Kulisse und Statisten geschuldet. Trotz hauseigener
Fließband-Mentalität achtete man im Gegensatz zum Großteil der
Konkurrenz nämlich nicht nur auf eine formal ansprechende
Präsentation, sondern legte auch gesteigerten Wert auf
funktionierende Geschichten, spannende Konflikte und ambivalente
Figuren in moralischen Dilemmata. Dass das selbst in der Spätphase
des Genres noch großartig fruchten konnte, bewies Kuei Chih-Hung mit
seinem beinharten Historiendrama DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER, das mit
komplexen Charakteren und pessimistischem Gesellschaftsbild weit über
den Genre-Standard hinausragt. Dabei unterscheidet sich das Werk
auffallend von den ausladenden Schlachtepen z. B. eines Chang Cheh. Hier ist alles eine Nummer kleiner,
dreckiger und düsterer, zugleich aber auch realistischer, weil zudem
auf die oft märchenhaft anmutenden Innen-für-Außen-Kulissen – fast
eine Art Shaw-Markenzeichen – verzichtet wurde. Hier geht es wirklich
noch raus in die Natur, und die ist roh und ungastlich, zumal hinter
jedem Baum, Busch oder Felsen ein weiterer tödlicher Angreifer
lauern könnte.
Im
englischen Sprachraum ist das Abenteuer bekannt als KILLER CONSTABLE,
was nun auch nicht gerade nach Kaffee und Kuchen klingt. Ebenso wie
der deutsche Titel bezieht sich auch der englische auf den
Hauptprotagonisten, Hauptmann
Leng Tian-Ying
(verkörpert von Chen Kuan-Tai [→ THE MAN WITH THE IRON FISTS]) - und dass dieser den nur wenig
minniglichen Titulierungen alle Ehre macht, wird bereits in den
ersten Minuten deutlich: Leng wird eingeführt als eine Art
frühgeschichtlicher Kung-Fu-Dirty Harry, der innerhalb einer Rekordzeit
von 90 Sekunden nicht nur eine Geiselnahme beendet, sondern auch die
Täter ohne lästiges Frage-Antwort-Spiel komplett plattmacht. Derlei
Skrupellosigkeit erschreckt sogar den eigenen Bruder, der sich
nachfolgend von ihm lossagt und dementsprechend auf der
anschließenden Mission, der Suche nach entwendetem Kaisergold,
abwesend sein wird. Diese Stelle nutzt Autor Sze-To On [→ DIE
TODESKLAUE DES TIGERS], um die Ambivalenz Lengs herauszustellen, denn
ebenso skrupellos, wie dieser gegenüber teils sogar unbewaffneten
Feinden auftritt, so fürsorglich tritt er gegenüber seinen eigenen Leuten auf. So besteht er bei einem älteren Untergebenen darauf,
dass dieser sich nicht dem Kommando anschließe, da er aufgrund
dessen Betagtheit um sein Leben fürchtet, einem jüngeren will er
die Teilnahme verwehren, da dieser sich gerade erst verlobt hat und
nun in Glück und Frieden mit seiner Frau leben solle.
Diese
übertrieben väterliche Seite steht nicht nur mit den vorherigen
Ereignissen in krassem Kontrast, sondern auch mit den folgenden: Bei
der ersten Station der Mission tötet Leng vor den Augen von Frau und
Kindern einen armen Müller, dem ein Teil des gestohlenen Goldes in
die Hände fiel – ein unnötiger Akt, der auch seine Gefolgschaft
ins Grübeln bringt. Dieser charakterliche Zwiespalt aus hart und
zart ist essenziell für das Gesamtkonzept von DER GNADENLOSE
VOLLSTRECKER, der vor allem an der Auslotung von Gegensätzen
interessiert ist. Beginnend im prunkvollen Palast vor
verschwenderisch reich gedeckter Tafel, führt die Handlung alsbald
in Gegenden des absoluten Elends, in verwahrloste Dörfer, in denen
Hunger und Tod herrschen und das Volk langsam dahinsiecht. Manche der
Soldaten scheinen hier erstmals die Ignoranz ihres Arbeitgebers, der
Mandschu-Regierung, zu begreifen, und dessen Unwillen, an den
Umständen etwas zu ändern. Aber auch Mitleid, so wird einem hier
äußerst zynisch verdeutlicht, bringt einen nicht weiter: Als einer
der Männer der armen Bevölkerung helfen will und ehrenhaft sein
Essen teilt, wird er zum Dank des Nachts brutal ermordet. Die
menschenverachtenden Repressionen der Herrscher führen zu Hass und
Vergeltung, was wiederum Gegengewalt hervorruft. Die Folge ist
ein Teufelskreis gegenseitiger Vernichtung.
Eine
derart pessimistische Weltsicht verlangt natürlich auch nach einer
entsprechenden Bildsprache – und die haben Kuei und sein Kameramann
Lee San-Yip [→ CITY WAR] gefunden. DER
GNADENLOSE VOLLSTRECKER suhlt sich quasi in Schlick und Schlamm.
Gekämpft wird vorzugsweise bei strömendem Regen, die Krieger waten
mühsam durch Matsch, Morast und Brandung. Die Gewaltdarstellung
(Shaw-Produktionen waren in dem Bereich nie besonders zimperlich)
wurde nochmals drastisch angehoben. Wenn hier gestorben wird, dann richtig dreckig. Die Tricks mögen nicht immer überzeugen, aber die
Grausamkeit ist teilweise enorm und verfehlt ihre Wirkung nicht. Die
Schwertduelle sind keine tanzgleichen Todesballette, sondern eruptiv,
kurz und schmerzhaft und enden in der Regel mit Verlust von Arm, Bein
oder Kopf. Männer werfen sich in Todesverachtung ins Feuer, um ihren
Kameraden die Flucht zu ermöglichen, und verbrennen, sich am Boden
wälzend, bei lebendigem Leib. Wird jemand von Pfeilen getroffen,
dann nicht nur von zweien oder dreien, nein, die Körper werden
regelrecht gespickt. Stilistisch ließ man sich dabei eindeutig vom
japanischen Kino inspirieren, von visueller Warte aus wähnt man sich
oft in einem 20 Jahre zuvor entstandenen Samuraifilm – spätestens,
wenn am Ende das Blut fontänenartig und mit mächtig Druck aus dem
Körper schießt.
Inkonsequenterweise
verliert man auf halber Strecke die Frage nach der Richtigkeit von
Lengs Richter-und-Henker-Mentalität aus dem Fokus, und auch der
anfänglich etablierte Bruderzwist wird vollkommen ad acta gelegt.
Stattdessen verdichten sich die Ereignisse in Richtung eines
persönlichen Duells (sowohl auf körperlicher, als auch auf
psychologischer Ebene) zwischen Leng Tian-Ying und dem Räuber Fang
Feng-Jia (verkörpert von Ku Feng [→ DIE TÖDLICHEN ZWEI]), der sich als sein erbittertster
Feind erweist. Nicht unbedingt aufgrund seines Status oder
kämpferischen Verstands, sondern weil er der erste Gegner ist, der
Leng mit seinen Prinzipien der Gnadenlosigkeit hadern lässt, da er
durch ihn erkennt, was das Publikum längst weiß: dass es kein
eindeutiges Gut und kein eindeutiges Böse gibt. Wesentlich ist dafür
vor allem ein ebenso intensiver wie aufwühlender Moment: Leng steht
bei Fang im Haus, um ihn zu töten. Fangs arglose Tochter jedoch, die
aufgrund ihrer Blindheit nicht ahnt, dass beide die Schwerter
gegeneinander richten, hält ihn für einen guten Freund ihres Vaters
und serviert ihnen in rührender Herzlichkeit Tee – weswegen sie
für kurze Zeit gezwungen sind, freundlich zueinander zu sein.
Regie-Legende John Woo übernahm diese beeindruckende Szene 9 Jahre
später fast 1:1 für sein Meisterwerk THE KILLER.
Nach
Aufdeckung eines bösartigen Komplotts und weiteren gekreuzten Klingen, endet DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER dann mit dem
wohl niederschmetterndsten Schlussbild, mit dem jemals ein
Shaw Brothers-Film sein Publikum entließ. Ohne Frage: Ein später
Höhepunkt in der Filmographie des Studios.
Laufzeit: 96 Min. / Freigabe: ab 18
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