Donnerstag, 13. September 2012

JACK THE RIPPER - DER DIRNENMÖRDER VON LONDON


JACK THE RIPPER
Schweiz, BRD 1976

Regie:
Jess Franco

Darsteller:
Klaus Kinski,
Josephine Chaplin,
Andreas Mannkopff,
Herbert Fux,
Hans Gaugler,
Lina Romay,
Angelika Arndts,
Lorli Bucher



Inhalt:

London 1888: Ein Mörder geht um! Seine Opfer: Prostituierte. Seine Methode: Brutale Verstümmelung. Der einzige Zeuge: Ein blinder Bettler. Die Polizei: ratlos! Niemand ahnt, dass sich hinter der Identität des Mörders der unscheinbare Dr. Orloff [Klaus Kinski] verbirgt. Tagsüber ein Menschenfreund, frönt er des Nachts seinem unstillbaren Tötungsdrang. Zufällig jedoch kommt ihm der Fischer Charlie [Herbert Fux] auf die Schliche und beschließt, den werten Herrn Doktor ein wenig zu erpressen. Eine denkbar schlechte Idee …

Kritik:

Die Geschichte 'Jack the Rippers', des mutmaßlichen Serienmörders, welcher Ende des 19. Jahrhunderts mehrere Prostituierte brutalst ermordete, ohne jemals gefasst zu werden, beflügelt seit jeher die Fantasie von Autoren und Filmemachern. Da über die tatsächlichen Hintergründe kaum etwas bekannt ist und die Taten aufgrund ihrer historischen Ferne bereits Legenden-Charakter besitzen, sind den ausschweifendsten Verschwörungstheorien kaum Grenzen gesetzt.

Sex, Brutalität und Mord – die ideale Spielwiese also für einen Regisseur wie Jess Franco, haben doch ein Großteil seiner Werke genau diese Themen zum Schwerpunkt. Franco, der mit vollem Namen eigentlich Jesús Franco Manera heißt, wird von der Mehrheit gern als billiger Schundfilmer verspottet. Das liegt vermutlich – neben seinem zweifelsfrei enormen Output (in der Regel drehte er mehrere Filme pro Jahr) – in erster Linie an den oftmals auffallend niedrigen Budgets, mit welchem er arbeiten musste, den in der Regel unverhohlen sensationsheischenden Inhalten seiner Werke (Nacktheit und Gewalt gegen Frauen sind wiederkehrende Motive) und vor allem an seiner eigenwilligen, sich gängigen Mustern widersetzenden Art der Inszenierung, die, in Verbindung mit häufig verweigerter stringenter Erzählweise, mit gängigen Seherfahrungen bricht, was bei unbedarftem Publikum vielfach zu heilloser Verwirrung führt. Oft und gern jedoch wird dabei übersehen, dass gerade sein eigenwilliger Stil einen angenehm-bizarren Reiz ausmacht, wirkt der Ausbruch aus klassischer Dramaturgie und Darstellung doch nicht nur ungemein erfrischend, sondern sorgt aufgrund seiner Unberechenbarkeit auch für einen beachtlichen Unterhaltungswert.

JACK THE RIPPER hingegen gibt sich in seiner Machart erstaunlich konventionell und wurde deutlich auf Massentauglichkeit gemünzt – die für Franco so typische Inkohärenz ist hier quasi völlig verschwunden. Hauptgrund dafür dürfte die Zusammenarbeit mit Erwin C. Dietrich gewesen sein, einem vor allem im Schmuddelbereich höchst aktiven Schweizer Produzenten, welcher die kostengünstige, aber publikumswirksame Arbeit Francos zu schätzen wusste und diesen daher als Regisseur mehrerer auf Kassenerfolg getrimmter Projekte einspannte. So griff man für JACK THE RIPPER dann auch auffallend tiefer in die Tasche: Ausstattung und Kostüme können sich durchaus sehen lassen und schaffen es zumindest im Ansatz, dem Publikum eine Art Großproduktion vorzugaukeln. Jess Franco, welcher auch das Drehbuch schrieb, verzichtete auf ein großangelegtes Rätselraten um die Identität des Mörders – was durchaus vernünftig erscheint. Wenn Klaus Kinski auf der Besetzungsliste steht, erübrigt sich im Grunde ohnehin jede Spekulation. So geht es hier nicht etwa um Frage 'Wer ist der Täter?', sondern 'Wann und wie wird er am Ende gefasst?' Die Antwort darauf geriet dann allerdings denkbar simpel: Die ohnehin nicht besonders aufregende (und schon gar nicht historisch akkurate) Mörderhatz gipfelt in einem ernüchternd unspektakulären Finale, das der bis dahin geschürten Erwartungshaltung kaum gerecht werden kann.

Nun war Franco fraglos noch nie ein Meister des raffinierten Spannungsbogens, daher plätschert auch die eigentliche Handlung in etwa so eintönig vor sich hin wie das Flüsschen, das hier die Themse darstellen soll. Das liegt nicht unbedingt an der Tatsache, dass die Identität des Mörders von Anfang an feststeht, sondern eher daran, dass es keinen geeigneten Gegenpart gibt, mit welchem sich das Publikum großartig identifizieren könnte. Zwar sorgen die zahlreichen Prostituierten-Morde für ein wenig Nervenkitzel, verkommen im Prinzip jedoch zur dramaturgisch immer gleichen Nummernrevue – zweckmäßig und ohne besondere Raffinesse dienen sie in erster Linie der Zurschaustellung rüder Brutalitäten.

Dazwischen sorgt Andreas Mannkopff als ‚ermittelnder‘ Inspektor Selby für Amüsement. So scheint der nicht besonders helle wirkende Gesetzeshüter den ganzen Tag im Büro zu hocken und sich darüber zu ärgern, dass der Mörder nicht zu fassen ist, anstatt zwecks Spurensuche einfach mal das stille Kämmerlein zu verlassen. Fast jeder sonstige Beteiligte wirkt dann auch cleverer als der Inspektor, was besonders für die Rolle Hans Gauglers gilt. So erstellt er als blinder Bettler allein anhand wahrgenommener Gerüche im Nullkommanix ein astreines Täterprofil, zu welchem die doch arg vertrottelte Polizei wohl nicht mal imstande gewesen wäre, hätte der Mörder selbst mit persönlicher Vita auf der Schwelle gestanden. Schließlich muss des Inspektors Freundin, gespielt von Charlie Chaplins zweiter Tochter Josephine, selbst die Initiative ergreifen, wenngleich sie sich als Ripper-Köder in Dirnen-Montur ebenfalls nicht herausragend klug anstellt.

Ein Hammer ist natürlich die Besetzung Herbert Fux' als Herumtreiber Charlie, welcher sich anfangs in einer unnötig ekelerregenden Szene eine eitrige Geschwulst vom Bein pulen lässt, um seinen behandelnden Arzt später anhand einer (denkbar albernen) Phantomzeichnung als Mörder zu identifizieren und einen Erpressungsversuch zu starten. Im feinsten Ösi-Schmäh nuschelt er seine Dialoge herunter, was der Illusion, sich im viktorianischen London zu befinden, doch mehr als nur ein wenig abträglich ist.

Trotz deutlich goutierbarerer Inszenierung ließ sich Franco sein Steckenpferd natürlich nicht komplett aus der Hand reißen und würzte das Schauermärchen mit einer ordentlichen Portion Sex & Crime: Für die erotische Komponente sorgt dabei (von einer entkleideten Prostituierten mal abgesehen) einmal mehr Francos damalige Ehefrau Lina Romay, die hier eine etwas seltsam anmutende burleske Tanzdarbietung aufs Parkett legt, die eigentlich nur aus Arschwackeln besteht. Für die Gewalt hingegen ist natürlich Klaus Kinski höchstpersönlich zuständig, welcher in der wohl drastischsten Sequenz sein Opfer brutal vergewaltigen und abschlachten darf. Gleichzeitig!

Kinski (der mit Franco bereits bei dem herrlich surrealen PAROXISMUS zusammenarbeitete) ist als irrer Frauenmörder natürlich die Idealbesetzung, zumal man kaum überrascht wäre, zockelte er nach Feierabend tatsächlich los, um ein paar Dirnen kaltzumachen. Ausgerechnet hier hält er sich jedoch erstaunlich zurück und wirkt als seelengepeinigter Dr. Orloff eher ein wenig schwunglos. Dennoch geriet seine Rolle durchaus interessant, gibt er sich doch tagsüber als pflichtbewusster und – trotz missmutiger Visage – durchaus freundlicher Charakter, der, obwohl selbst am Hungertuch nagend, seinen oftmals bettelarmen Patienten für die Behandlung nichts berechnet, während sein Mordtrieb – Freud lässt grüßen! – einem grausamen Kindheitstrauma geschuldet ist, dem er nicht entkommen kann.

JACK THE RIPPER ist weder das beste Werk Francos, noch ein herausragender Genre-Beitrag. Doch trotz seiner Defizite sorgt der solide Grusler für angenehmen Kurzweil, wird die fehlende Spannungskurve durch gekonnt erzeugte Atmosphäre doch überwiegend ausgeglichen. Die verwinkelten, von grotesken Gestalten bevölkerten Gassen des nächtlichen Londons (was natürlich eigentlich nicht London ist, sondern Zürich) erzeugen dank geschickt-unheimlicher Ausleuchtung und großzügigem Nebelmaschinen-Einsatz ein schaurig-schönes Flair, den Edgar-Wallace-Filmen nicht unähnlich. Unheimliche Wälder, geistig verwirrte Figuren und schmierig-spekulative Effekte sorgen für angenehm-ruchloses Vergnügen. Zwar werden die mörderischen Malträtierungen deutlich erkennbar an steifen Schaufensterpuppen begangen und das Blut ist auch viel zu rot, um tatsächlich echt zu sein, doch die offenherzige Gewaltdarstellung dürfte damals schon den ein oder anderen Zuschauer schockiert haben. So empfiehlt sich JACK THE RIPPER für alle Freunde naiv-nostalgischen Grusel-Kintopps und unermüdliche Klaus-Kinski-Fans. Schlaflose Nächte wird die (teilweise ironisch gebrochene) Krimi-Horror-Sex-Melange fraglos keinem mehr bereiten – für 90 Minuten amüsanten Schauder im reißerischen Stil einer billigen Jahrmarkts-Attraktion reicht es allerdings immer noch.

Laufzeit: 92 Min. / Freigabe: ab 18

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen