SHIN GOJIRA
Japan 2016
Regie:
Hideaki Anno,
Shinji Higuchi
Darsteller:
Hiroki Hasegawa,
Yutaka Takenouchi,
Satomi Ishihara,
Ren Ôsugi,
Akira Emoto,
Kengo Kôra,
Jun Kunimura
Inhalt:
In
der Bucht von Tokio häufen sich merkwürdige
Unglücksfälle. Eine der absurdesten Theorien über die Ursache
bewahrheitet sich schneller, als allen lieb ist: Ein paar
Handykameras nehmen ein unbekanntes riesenhaftes Lebewesen auf, das
im Wasser zu leben scheint. Während sich der Krisenstab noch die
Köpfe darüber zerbricht, womit man es zu tun haben könnte, geht
die Kreatur an Land und schlägt eine Schneise der Verwüstung.
Obwohl man zunächst noch zögerte, werden mangels Alternativen bald
doch schwere Geschütze gegen das Urtier aufgefahren. Doch jede Waffe
erweist sich als wirkungslos. Fassungslos nimmt man zur Kenntnis,
dass das Wesen unberechenbar ist, da es ständig mutiert und zu einer
noch größeren Gefahr heranwächst. Als die inzwischen 'Godzilla'
getaufte Schreckgestalt plötzlich mit einem atomar aufgeheizten
Feueratem die halbe Stadt in Schutt und Asche legt, scheint es keine
Hoffnung mehr zu geben. Die UN beschließt über japanische Köpfe
hinweg, dass nur Nuklearbeschuss die Bestie besiegen kann, der
Zeitpunkt des Bombenabwurfes steht bereits fest. Doch innere Politik
und Wissenschaft sind sich einig, dass das eine noch größere
Katastrophe zur Folge hätte. Verzweifelt sucht man nach einer
Alternative, das wütende Monster in die Knie zu zwingen. Es bleiben
nur wenige Tage, bis die Bombe fällt und alles vernichten würde.
Kritik:
Godzilla,
das japanische Ungetüm, das eigentlich Gojira heißt, feierte sein
Leinwand-Debüt im Jahre 1954. Inspiriert von dem amerikanischen
Monsterspektakel PANIK IN NEW YORK, in dem etwas ganz Ähnliches
passiert, ließ Regisseur Ishirō Honda das saurierähnliche
Riesenreptil erstmals dem Meer entsteigen und die Großstadt
verwüsten, verwandelte den eher trivialen Charakter der Vorlage
allerdings in eine düstere Endzeitutopie, die überdeutlich auch
eine Allegorie auf das japanische Trauma der Atombombenabwürfe über
Hiroshima und Nagasaki darstellte. Die 27 Fortsetzungen, die aufgrund
des Erfolges bis 2004 entstanden, waren in der Regel auffallend
weniger düster und ließen die Reihe aufgrund ihrer grellen Mischung
aus Naivität, Infantilität und Eigenwilligkeit zum Kult werden.
Nach 2004 dauerte es satte 12 Jahre, bis die Reihe – bereits zum
dritten Male – neu gestartet wurde. Wie ernst die Macher es dieses
Mal meinten, wird dabei bereits anhand des Titels deutlich (shin=neu).
Basierten bis dahin alle Fortsetzungen auf dem Original aus den
50ern, wagte man dieses Mal einen radikalen Schnitt und schrieb die
Entstehungsgeschichte des Monsters komplett um. Das war durchaus
nicht unriskant; Fans können bekanntlich sehr eigen sein. Allerdings hatte zwei
Jahre zuvor auch schon die zweite amerikanische Version der
Geschichte [→ GODZILLA] die Ursprünge des Ungeheuers verändert,
was vom Großteil des Publikums akzeptiert wurde und damit zusätzlich
motivierend gewirkt haben dürfte.
Ein
konsequenter Neubeginn war in gewisser Hinsicht auch sinnvoll,
erstarrte die Reihe bis dahin doch immer wieder in bekannten Mustern,
was zwar stets unterhaltsam, aber eben nicht sonderlich originell
war. Neben einer nicht unerheblichen Portion Medienaufmerksamkeit
brachte die Entscheidung, einen komplett umgestalteten 'Godzilla'
zu erschaffen, somit auch gehörig frischen Wind in das Konzept und
ebnete den Weg für bis dahin ungenutzte Möglichkeiten. Dabei geriet
der Anfang noch überaus vertraut: SHIN GODZILLA beginnt fast haargenau wie das Original,
mit dem markanten Godzilla-Schrei und den dazugehörigen
Stampfgeräuschen. Danach ging Autor und Regisseur Hideaki Anno [→
CUTIE HONEY] allerdings vollkommen eigene Wege, liefert zwar recht
hurtig die ersten verwackelten Monsterattacken, im Anschluss darauf
jedoch noch mehr hyperaktive Krisen- und Beratungsgespräche, die
einem im schwindelerregenden Stakkato-Stil solch eine Masse an
Personal, Materie und Dialog um die Ohren hauen, dass man erstmal nach Luft japsen muss. Dabei ist es nicht unamüsant zu beobachten, wie
die völlig überforderten Experten eine wilde Theorie nach der
nächsten ausbrüten, wobei sich am Ende dann ausgerechnet immer
genau diejenige bewahrheitet, die zuvor als einzige kollektiv verlacht
wurde. Und im selben Augenblick, als man dem Volk selbstbewusst
verkündet, es bestünde für das Festland keinerlei Gefahr, da die unbekannte Lebensform
unmöglich an Land gehen könne, passiert eben haargenau genau dieses:
Die Kreatur pfeift auf jede wissenschaftliche Erklärung, entsteigt
dem Meer und verwüstet so ziemlich alles, was ihr vor die Füße
kommt.
Dass
sie dabei allerdings anfangs gar nicht so aussieht, wie der weltbekannte Titelheld,
ist eine der originellsten Ideen SHIN GODZILLAs: Das Untier muss im
Laufe der Handlung erst mehrere Metamorphosen durchleben, bis man es
dann tatsächlich als die berühmte Monsterikone wiedererkennt. Dann
aber legt der neue Godzilla dermaßen los, dass einem Hören und
Sehen vergeht. Zerstörte der atomare Feuerstrahl des Monsters in früheren
Tagen vielleicht gerade mal ein oder zwei Gebäude, radiert er hier,
von apokalyptischer Choral-Musik begleitet, mit einem Atemzug gleich
die halbe Stadt aus, holt zeitgleich die ihn angreifenden Flieger vom
Himmel und entfacht somit innerhalb weniger Sekunden ein gigantisches
Inferno aus Feuer, Tod und Vernichtung, für das der alte Godzilla
mindestens einen ganzen Tag gebraucht hätte. Auf diese Weise gelingt
es SHIN GODZILLA tatsächlich, seinen Star wieder so zu präsentieren,
wie es ursprünglich mal intendiert war: als furchterregende,
scheinbar unkaputtbare Destruktionsmaschine, vor der die Menschheit schlichtweg kapitulieren muss. „Godzilla ist die
Reinkarnation Gottes“, heißt es an einer Stelle zwar recht
pathetisch, aber in durchaus gebotener Ehrfurcht.
Die
Effekte sind dabei eine gesunde und oft sehr eindrucksvolle Mischung
aus klassischer Suitmation (also Schauspieler in Monsterkostümen)
und digitaler Retusche – ein gelungener Mittelweg zwischen
Klassik und Moderne, der alten Traditionen gehorcht, ohne sich der
Lachhaftigkeit des Ewiggestrigen preiszugeben. Auch der bewährte
Hintergrund der atomaren Gefahr blieb erhalten, wenn auch unter
anderen Vorzeichen, erfuhr Japan im Laufe der Zeit doch eine weitere
nukleare Katastrophe: Am 11. März 2011 kam es aufgrund von
Umwelteinflüssen und technischer Mängel im Kraftwerk
Fukushima Daiichi zu einer verheerenden Kernschmelze, welche das
Gebiet weiträumig radioaktiv verstrahlte. SHIN GODZILLA ist durchaus
als Reaktion auf diese Ereignisse zu verstehen, in einer Szene wird das
Monster gar mit einem Atomreaktor verglichen. Doch auch die Bombe kommt
wieder ins Spiel, will der Rest der Welt doch per gemeinsamen
Beschluss das Untier durch den Abwurf nuklearer Waffen besiegen, was
die japanische Regierung fassungslos zur Kenntnis nimmt. Die
eindeutig politische Komponente, die SHIN GODZILLA an dieser Stelle
bekommt, geriet dann unangenehm penetrant. Immer
wieder wird betont, dass Japan endlich souverän werden
muss und sich die Einmischung fremder Nationen in eigene Belange
nicht mehr gefallen lassen darf. Vor allem die USA bekommen dabei
tüchtig ihr Fett ab, wenn sie quasi ungefragt ein paar Flieger
vorbeischicken, durch deren Beschuss die ganze Misere am Ende nur
noch größer wird. „Was für ein unglaublich idiotischer Plan“,
bellt einer japanischen Stabsmitglieder an einer Stelle, „die sind
ja schlimmer als Godzilla!“
So
wird die Monstershow dann am Ende zu einem patriotisch-politischen
Panoptikum, was einen recht bitteren Beigeschmack hinterlässt. Doch
auch abseits davon geriet SHIN GODZILLA etwas schwer verdaulich. Der inhaltliche und stilistische Bruch zu den Vorgängern
ist so enorm, dass man sich oft erst wieder bewusst wird, gerade
einen GODZILLA-Film vor sich zu haben, wenn hin und wieder mal der
markante Soundtrack Akira Ifukubes ertönt, um an frühere Zeiten zu
gemahnen. So versprüht die zwei Jahre zuvor entstandene
Neuinterpretation aus den USA am Ende sogar mehr originales Flair als
die Rekonstruktion des Mythos' in ihrem Ursprungsland. Zusätzlich
erschwert wird der Zugang durch den Umstand, dass es hier im Grunde
keine wirkliche Bezugsperson gibt, sondern lediglich eine Vielzahl an
endlos diskutierenden Charakteren, die zwar alle per Einblendung mit
Namen vorgestellt werden, letztendlich jedoch eine anonyme Masse darstellen, während die wenigen, die sich im Laufe der Entwicklung als
Sympathiefiguren herausschälen, auch nur seelenlose Stichwortgeber
bleiben.
Die besten Momente sind dann auch die, in welchen spöttisch
die Ineffektivität der andauernden Dampfplauderei zum Ausdruck
gebracht wird, wenn die
Wissenschaft verzweifelt versucht, an Godzilla irgendwelche Verhaltensmuster zu
erkennen, an der übergroßen Aufgabe jedoch jedes Mal grandios
scheitert. „Keine Ahnung, er läuft einfach nur herum“, lautet
die resignierte Antwort auf die Frage, nach welchen Kriterien sich
die Kreatur wohl ihren Weg bahnt. So
ist die Wiedergeburt des Kult-Kolosses am Ende zwar ein
interessantes, aber auch zwiespältiges Vergnügen geworden, das unnötig politisch aufgeheizt wurde und oftmals ein wenig zu sehr bemüht ist, dem Thema neue Facetten abzuringen (man beachte auch die
oft extrem verschrobenen Kameraperspektiven und -blickwinkel). Ein bisschen mehr Tradition
hätte man sich ruhig bewahren dürfen.
Laufzeit: 118 Min. / Freigabe: ab 12
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