Hongkong 1972
Regie:
Chang Cheh,
Pao Hsueh-Li
Darsteller:
Chen Kuan-Tai,
Ching Li,
Wang Chung,
Chu Mu,
Tien Ching,
Yang Chih-Ching,
Bolo Yeung
Inhalt:
Shanghai
1942: Die Stadt steckt im Würgegriff des Verbrechens. Drogenhandel,
Glücksspiel und Prostitution beherrschen die Straßen. Der kleine
Gauner Qiu Lian-Huan (Chen Kuan-Tai) sieht sich eigentlich zu Höherem
berufen, ist aber lediglich Anführer einer kleinen Gangsterbande.
Eines Tages nimmt er Yu Xiao-Kai [Tien Ching] beim Kartenspiel aus.
Yu ist der Sohn von Yu Zhen-Ting [Yang Chih Ching], dem größten
Gangster Shanghais. Als Qiu seinem Kontrahenten auch noch die Braut
ausspannt, schickt dessen einflussreicher Vater seine Schlägerbanden
los. Aber Qiu erweist sich als zäh und nahezu unbesiegbar.
Währenddessen tobt auch innerhalb von Yus Bande ein Machtkampf: Der
verschlagene Chang Gen-bao [Chu Mu], rechte Hand des Anführers,
giert selbst nach der Spitze und spinnt unbemerkt Intrigen. Als am
Ende alle Figuren aufeinandertreffen, färben sich die Straßen
Shanghais rot ...
Kritik:
Im
Februar 1972 tobte DER PIRAT VON SHANTUNG über die Leinwand. Das
blutige Gangsterepos ließ Feingeister zwar um Hilfe schreien, das
Publikum jedoch bedankte sich mit klingender Münze für das
vermutlich von der Axt-Industrie gesponsorte Schlachtfest. Grund genug
für das produzierende Studio der Shaw Brothers, dem Erfolg eilig
eine Fortsetzung hinterherzuschieben - sehr eilig sogar, denn DER
MANN MIT DER TIGERPRANKE, wie das Ergebnis in deutschen Breitengraden
heißt, erreichte Hongkongs Kinosäle sogar noch im selben Jahr wie
der erste Streich. Nach dem Motto Never change a winning team nahm nicht nur erneut Großmeister Chang Cheh auf dem Regiestuhl
Platz, Chen Kuan-Tai [→ DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER] verlustierte
sich auch abermals in der Hauptrolle. Diese nennt sich hier Qiu
Lian-Huan und ist damit nicht identisch mit seiner Figur aus DER
PIRAT VON SHANTUNG. Generell wird der Begriff „Fortsetzung“ hier,
wie im asiatischen Kino nicht unüblich, sehr weit gedehnt, denn auch
inhaltlich bestehen mit dem vermeintlichen ersten Teil im Prinzip
keine Berührungspunkte. Dessen Ereignisse werden zu Beginn kurz
skizziert, man wird Zeuge, wie die Leichen, die des Vorgängers
Finale hinterließ, fortgeschafft werden, dann springt die Handlung
20 Jahre in die (damalige) Zukunft, und es beginnt eine neue
Geschichte, die zwar im gleichen Milieu spielt, aber eben doch eine
völlig andere ist. DER MANN MIT DER TIGERPRANKE können somit auch
mühelos all jene goutieren, an denen das Original vorbeigegangen
ist.
Denen
entgeht dann auch, dass MAN OF IRON (englischer Titel) sich dem
Vorgänger eindeutig geschlagen geben muss. Dieser punktete nämlich
neben seiner grandiosen Action vor allem durch das nötige Maß an
Charaktertiefe, das dem Handeln der Figuren einen nachvollziehbaren
Sinn gab und aus dem Gemetzel eben mehr machte als eine reine Gewaltpräsentation. Von den Protagonisten in DER MANN MIT DER
TIGERPRANKE hingegen erfährt man so gut wie gar nichts, sie bleiben
Reißbrettentwürfe, die in der Regel mit einer einzigen Eigenschaft
ausgestattet sind (ehrgeizig, böse, treu, hinterhältig, Frau,...)
und ansonsten brav dem simpel konstruierten Skript gehorchen. Das
gilt auch für Hauptrolle Qiu Lian-Huan, dessen Beweggründe
vollkommen im Hintergrund bleiben. Warum er unbedingt zum großen
Boss aufsteigen möchte, obwohl er mit seinem Leben als kleiner
Straßengauner ja augenscheinlich sehr zufrieden ist und gut über
die Runden kommt, erfährt ebenso wenig eine Erklärung, wie das
Rätsel, warum er ausgerechnet die langweilige Shen Ju Fang
(verkörpert von Ching Li [→ ZEHN GELBE FÄUSTE FÜR DIE RACHE]) zum Objekt der Begierde auserkoren hat –
so sehr sogar, dass er damit einen blutigen Konflikt provoziert. Die
angebliche gegenseitige Attraktion beider Parteien ist nämlich nicht
spürbar und bleibt eine kühne Drehbuchbehauptung, um die Action in
Gang zu bringen. Vielleicht liegt es ja daran, dass Sheng so ziemlich
das einzige weibliche Wesen in diesem Kosmos zu sein scheint. DER
MANN MIT DER TIGERPRANKE spielt nämlich offenbar unter einer Art
riesiger Kuppel, in einer hermetisch abgeriegelten Welt, in der nur
die Protagonisten existieren und sonst nichts und niemand. Zu keiner
Zeit findet eine Einmischung von außen statt, niemals begegnet man
neuen Personen auf den immer gleichen Plätzen, und blutige
Straßenschlachten bleiben auch stets unbehelligt von Polizei oder
jedweder sonstiger Intervention. Dass das Viertel in bester Sesamstraßen-Tradition sichtbar im Studio
entstand nebst künstlich erschaffenem Horizont und Himmelszelt, unterstreicht
diesen Eindruck noch.
Mag
DER MANN MIT DER TIGERPRANKE auch nicht mal in die Nähe des
übergroßen Vorbilds kommen, ein Vergnügen bleibt er
dennoch. Das liegt auch an Hauptdarsteller Chen Kuan-Tai, der
abermals ein tolles Bild abgibt. Stets geschniegelt und gebügelt,
mit dauerakkurater Mustermatte auf dem hocherhobenen Haupt, stolziert
er durch die Gegend wie ne offene Hose und ist sich jederzeit voll
und ganz bewusst, dass ihm niemand so einfach die Wurst vom Brot
ziehen kann. Sein Qiu Lian-Huan ist dabei kein strahlender Held, er
ist ein Ganove mit Hang zur Gewalt, oft zu selbstsicher und
eingebildet, und seine Auserkorene begrüßt er zunächst mit einer
zünftigen Maulschelle, damit die Dame direkt weiß, wer hier der Babo
ist. Aber die Gegenseite ist eben noch mal ein ganzes Stück
verworfener als er, was ihn ohne jede Frage zur Sympathiefigur
erhebt. So klatscht man ihm innerlich ohne Reue Beifall, wenn er die
miesen Schläger seines Kontrahenten nach allen Regeln der Kunst
windelweich drischt und sich dabei auch mal eines Fahrrads als Waffe
bedient. Wenn er seinem Nebenbuhler, dem feigen Yu Xiao-Kai
(verkörpert von Tien Ching [→ DIE TIGERIN VON HONGKONG]), die Fahrradkette um den Hals legt, um
ihn dann wie nen Hund an der Leine bei seinem Vater abzuliefern, dann
hat er die Lacher eindeutig auf seiner Seite.
Die
Action hat dabei deutlich weniger (erkennbaren) Choreographiecharakter
als z. B. die meisten Schwertkampffilme der Shaw Brothers, in denen
die Konfrontationen häufig einem tänzerischen Akt ähneln. Hier
hingegen gleichen sie eher dem dreckigen Straßenkampf, wirken
schroffer, direkter und damit auch schmerzhafter. Mit der
überbordenden Brutalität des Vorgängers kann das trotzdem nicht
mithalten. Zwar werden auch in diesem Falle feindliche Körper
anständig malträtiert und manchmal suppt es stattlich rot, aber die
fiesesten Gräuel finden außerhalb des Bildes statt – gegen das
Massaker, das DER PIRAT VON SHANTUNG angerichtet hat, ist das quasi
ein Kindergeburtstag. Da die physischen Auseinandersetzungen
jedoch sehr zahlreich sind, werden Freunde inszenierter Klassenkeile
dennoch auf erkleckliche Weise bedient und das Beschwerdeformular
darf den Papierkorb jungfräulich passieren. Aber nicht nur
die Action ist prima, auch der Look des Ganzen gefällt enorm. Wie
man hier versucht hat, visuell die 40er Jahre zu imitieren, obwohl
man sich doch ganz eindeutig in den 70ern befindet, gereicht zur
Freude und ist – nicht zuletzt auch aufgrund der artifiziellen
Märchendorf-Kulissen – ein wahrer Augenschmaus.
Die
Story indes ist weniger prachtvoll ausgearbeitet und selbst für
dieses Genre von ausnehmender Plattheit. Im Prinzip geht es um nicht
mehr als um ein ständiges gegenseitiges Angreifen und
Angegriffenwerden, was stets mit dem vorhersagbaren Ergebnis endet.
Selbst die retardierenden Elemente um einen Machtkampf innerhalb des
Gangsterapparates inklusive Intrigenspinnerei und Täuschungsmanöver
können nicht viel ausrichten, da sie an den eigentlichen
Verhältnissen (Gut gegen Böse) letzten Endes nichts ändern. Macht
aber nichts, denn der notwendige Unterhaltungswert ist gegeben.
Lobend erwähnt werden muss diesbezüglich auch die deutsche
Synchronisation, die zwar den Schalk im Nacken hat, dabei jedoch nicht den Fehler begeht, das Ganze in eine banale Blödelnummer zu verwandeln. Aber wenn Qiu auf dem Motorrad direkt durch die Wand in des Feindes
Festung brettert und dies anschließend mit einem lapidaren „Man
findet die Tür so schwer“
kommentiert, dann ist das der guten Laune überaus zuträglich.
Das
bekannte Fortsetzungsprinzip (von allem noch ein bisschen mehr) greift in diesem Falle wie erwähnt nicht – hier ist alles eine ganze Nummer kleiner und
nischenhafter als noch bei DER PIRAT VON SHANTUNG, mit dem dieser hurtig entstandene Nachklapp eigentlich auch gar nicht verglichen werden sollte. Das fällt auch nicht schwer, da fast sämtliche Querverbindungen
ausbleiben und das Werk, bis auf die ersten referenziellen Momente, völlig eigenständig bleibt. Spaß hat man hier dennoch. Inhaltlich tumb, optisch todschick, handwerklich tadellos – DER MANN MIT DER TIGERPRANKE ist ein astreiner Zweite-Reihe-Reißer und tötet Langeweile im Hand- und Armumdrehen. Nicht mehr. Aber auch wirklich nicht weniger.
Laufzeit: 99 Min. / Freigabe: ab 18
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