BRD 1971
Regie:
Rolf Olsen
Darsteller:
Curd Jürgens,
Heinz Reincke,
Johanna von Koczian,
Herbert Fleischmann,
Sieghardt Rupp,
Elisabeth Flickenschildt,
Angelika Ott,
Christine Schuberth
Inhalt:
Als Käpt’n Jolly [Curd Jürgens], genannt "Rauhbein", verfrüht von einer Reise nach Hause kommt, um seine Frau (Fraubein?) zu überraschen, ist er selbst überrascht, denn die Gute teilt sich gerade das Bett mit jemandem, der nicht er ist. Flunschig packt er seine Sieben Sachen zusammen, um die untreue Gemahlin für immer zu verlassen. Das führt zu einem Handgemenge im Treppenhaus und dieses wiederum mündet in einem tödlichen Sturz der Gattin durchs Geländer. Nachdem Jolly von jeder Schuld freigesprochen wurde, verlässt er seine Heimatstadt und sticht mit seinem Vertrauten Kniehase [Heinz Reincke] wieder in See. Als sie in einer obskuren Bananenrepublik landen, wollen sich die korrupten Behörden auf Anhieb die Fracht unter den Nagel reißen. Nach einer zünftigen Keilerei geht es für Jolly und Kniehase direkt in den Knast, wo immerhin auch die attraktive Ärztin Andersen [Johanna von Koczian] agiert. Eben jene aber wird – gemeinsam mit ein paar knackigen Kolleginnen – alsbald von einer bewaffneten Gaunerbande entführt und in einer Dschungelfestung zwecks Lösegelderpressung gefangengehalten. Jolly, für den die Flucht aus dem Kittchen natürlich ein Kinderspiel war, organisiert unversehens eine hauseigene Rettungsmission, für die er auch seinen alten Kumpel Nico [Herbert Fleischmann] ins buchstäbliche Boot holt.
Kritik:
Bereits die Inhaltsangabe deutet dezent das Defizit der von Autor und Regisseur Rolf Olsen selbstsicher auf den Weg gebrachten Sause an: Episodenhaftigkeit! Schon das einleitende Ereignis spielt für den Rest eigentlich gar keine Rolle, denn warum Käpt’n Jolly (was für ein Name!) in die Ferne schweift, ist völlig egal und hätte im Prinzip gar keiner Erklärung bedurft. Aber gut, dass sie trotzdem da ist, sorgen so doch schon die ersten Minuten für die Art von angenehmer Heiterkeit, die das launige Seemannsgarn die folgenden 80 Minuten noch begleiten wird. Allein der enttäuschte Gesichtsausdruck Jollys, nachdem er sein Weib in flagranti ertappt hat, ist reines Schauspiel-Gold. Bockig wie ein kleines Kind, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hat, packt er im Anschluss seine Tasche und schmettert mit missmutiger Miene alles rein, was er gerade so findet: Hier mal ne Socke, dort mal ein Büchlein, egal, kann man ja alles irgendwann mal brauchen. „So lass ich mich von dir nicht abschieben“, kolportiert die Gattin daraufhin vor der Wohnungstür, woraufhin Jolly sie kurzerhand sehr wohl abschiebt. Direkt über das Geländer nämlich, in des Treppenhauses triste Tiefen. Aber kein Problem: Schon in der folgenden Szene bescheinigt ihm das Gericht, völlig unschuldig am Tode der Dame zu sein. Nur stimmt das eben gar nicht, wie das Publikum ja gerade eben erst hochpersönlich miterleben durfte. Da kaum anzunehmen ist, dass Olsen hier einen ambivalenten Charakter erschaffen wollte, der die Schuld eines ungerechtfertigten Freispruchs mit sich herumtragen muss, ist die Szene vermutlich einfach nur ungeschickt inszeniert, aber ein unglücklicher Unfall sieht nun mal definitiv anders aus.
Von Belang ist dieser Vorfall, wie gesagt, später ohnehin nicht mehr, wird der Schauplatz doch alsbald verlassen, wenn Jolly & Crew in See stechen, um in fernen Gefilden neue Abenteuer zu erleben. Der Titel erweist sich somit im Prinzip als Mogelpackung, denn wer halbseidene Geschäfte auf sündiger Meile erwartet, hat das Nachsehen. Lediglich besagte Eröffnung bietet ein paar Hamburg-Bilder, danach glänzt die Hansestadt durch Abwesenheit. Wo genau die nachfolgenden Ereignisse dann eigentlich stattfinden sollen, wird indes vage gehalten - vielleicht sogar, um etwaigen Beschwerden aus dem Weg zu gehen. Jedenfalls stranden Jolly und seine Mannen in einem zwielichtigen Dschungelstaat, der vor Klischees nur so trieft und wohl genauso aussieht, wie Papa Piefke sich damals die weite Welt vorgestellt hat: exotische Wälder, rassige Weiber, korrupte Bullen und grobschlächtiges Ganoventum an jeder Straßenecke. Als anständiger Deutscher (von denen es hier merkwürdigerweise nur so wimmelt) kann man sich da nicht einmal in Ruhe die Puschen überziehen, ohne dabei überfallen oder sonstwie drangsaliert zu werden. Im Nullkommanix legt sich der Kapitän darum auch mit den böswilligen Behörden an, die ihn postwendend gesiebte Luft atmen lassen. Macht aber nix, denn auf lächerlich kindliche Art und Weise kann er auch schon wieder entkommen. Sowohl der Grund für die Inhaftierung als auch der Umstand, dass Jollys Kollege Kniehase sich eine ganze Wagenladung Medikamente unter dem Hintern hat wegklauen lassen, werden allerdings irrelevant, sobald ein Trupp Krankenschwestern von einer Räuberbande entführt und gefangengehalten wird. Kaum anzunehmen, dass Jolly sich auch so ins Zeug gelegt hätte, eine Befreiungsaktion anzuleiern, wären da ein paar bierbäuchige Mandolinenspieler hopps genommen worden, aber bei einer Schaar attraktiver Arzthelferinnen sieht die Sache natürlich schon wieder ganz anders aus.
Bis die Damen tatsächlich rausgehauen werden, vergeht allerdings noch einiges an Spielzeit, die mit ähnlich elliptischen Erlebnissen angereichert wurde, wie es bisher der Fall war. Stringentes Erzählen ist KÄPT’N RAUHBEIN VON ST. PAULIs Stärke nicht, aber das macht auch nichts. Denn die unbeschwert-naive Art der Präsentation hält das Stimmungsbarometer ständig oben. Das liegt vor allem an dem Star der Show, denn natürlich dreht sich hier alles um Curd Jürgens, einem der wenigen deutschen Schauspieler, denen auch internationale Aufmerksamkeit zuteil wurde. Jürgens agiert hier in einem solch unerschütterlichen Selbstbewusstsein, dass man direkt neidisch werden könnte. Denn eigentlich ist der Gedanke, ausgerechnet so einen zur sakralen Heldenfigur zu machen, völlig absurd. Das fängt schon bei der Optik an, gibt der Käpt’n doch nur ein wenig heroisches Erscheinungsbild ab, um nicht zu sagen: Er läuft in der Regel rum wie der letzte Penner. Siffig und ungepflegt, sichtbar abgehalftert und den Zenit schon seit längerer Zeit überschritten, markiert er trotzdem ständig den Dicken, weiß immer alles besser, motzt und schimpft (so nach dem Motto: „Nein, nein, so geht das nicht! Du musst das alles ganz anders machen!“) und wird dafür auf Schritt und Tritt mit zufliegenden Frauenherzen belohnt. So erklärt sich in Nachhinein wohl auch sein anfänglicher Freispruch: Wäre das Urteil anders ausgefallen, hätte er die Richter vermutlich zurechtweisen müssen. In einer Kaschemme stimmt der Kapitän schließlich sogar ein Seemannslied an („Überall ist es schön auf der Welt“), was von den Gästen pflichtschuldig mit urdeutschem, den Takt zuverlässig verfehlendem Mitgeklatsche quittiert wird. Dass Jürgens dabei rüberkommt wie der Klassenbeste kurz vor der Abschlussprüfung zum Vollzeit-Alkoholiker, verwundert kaum. „Die knackigsten Arschbacken von Buenos Aires bis Alaska!“, grölt er beim Anblick der hüftenschwingenden Damenschaft, und wer würde es wagen, seine Expertise anzuzweifeln? Als Ober-Arschbacke kennt man schließlich seine Pappenheimer!
Jürgens’ proletenhaftes Auftreten ist hier tatsächlich die halbe Miete, und das wussten wohl auch die Macher. So schrieben sie, als ihnen wirklich gar nichts anderes mehr einfiel, eine weitere, inhaltlich völlig belanglose Episode ins Skript, in der Jolly sich auf einem Luxusdampfer als Stewart ausgibt und die feine Gesellschaft am laufenden Band durch derbes Spruchgut und ungehobelte Manieren verschreckt. Hier findet auch anderweitig der humoristische Höhepunkt statt, wenn der Käpt’n eine junge Dame vor dem Todesbiss einer Tarantel bewahrt. Gut, zumindest soll es eine Tarantel sein oder etwas Artverwandtes. Da die gesamte Belegschaft aber offenbar Bammel davor hatte, sich beim Dreh mit einem echten Achtbeiner anzulegen, behalf man sich mit einer Attrappe, die selbst bei gestandenen Arachnophobikern akuten Niedlichkeitsalarm auslösen dürfte. Respekt geht raus an die (natürlich halbnackte) Schauspielerin, die die ganze Zeit so tun muss, als befalle sie tatsächlich waschechte Panik, wenn ihr der putzige Plüsch-Polyp über das aparte Bäuchlein bummelt. Natürlich obliegt es Herrn Rauhbein höchstpersönlich, hier zu intervenieren und, während dem Rest der Welt gebannt der Atem stoppt, den kuscheligen Krabbler gaaaaaaaanz vorsichtig auf den eigenen Handrücken zu bugsieren, mit ihm hochkonzentriert zur Rehling zu schleichen und ihn dort schließlich mit erlösender Geste den Weiten des Meeres zu überantworten. Der heilige Ernst, mit dem Jürgens diese durchsichtige Lachnummer spielt, ist ein echter Brüller und verortet KÄPT’N RAUHBEIN endgültig im Bereich der unfreiwilligen Komödie.
Dass sich an Bord des Schiffes auch ausgerechnet einer der Rädelsführer der Entführerbande befindet, liegt dann nicht etwa an Kunst und Können Käpt’n Rauhbeins, sondern ist bloßer Zufall. Jolly kommt ihm eigentlich auch gar nicht wirklich auf die Schliche, er mutmaßt einfach – ohne jeden Anhaltspunkt – besagter Herr könne doch etwas mit dem Verbrechen zu tun haben. Bingo, so ist es dann auch! Die sich anschließende Befreiungsaktion ist die einzige wirkliche Action-Sequenz KÄPT’N RAUHBEINs und miserabel in Szene gesetzt. Vor allem der Kapitän fällt auf durch alberne Aktionen ohne Sinn und Verstand. In einer Szene steht eine Flasche in der Gegend rum, auf deren Etikett jemand mit Filzstift „Salzsäure“ geschrieben hat, was schon ziemlich lustig ist. Bei Helge Schneiders 00 SCHNEIDER stand auf der Zeitung ja schließlich auch „Zeitung“. Seltsamerweise geht es nach dem vermeintlichen Finale noch eine ganze Weile weiter, wenn man sich mit den befreiten Ladys durch den mit Archivaufnahmen bevölkerten Dschungel schlägt. Irgendwann, nach der überraschenden Enttarnung eines weiteren Übeltäters, ist es dann aber tatsächlich vorbei (der Schurke stellt sich am Ende übrigens selbst – der Käpt’n hat nichts zur Überführung beigetragen und dieses Mal noch nicht einmal was gemutmaßt).
Obwohl die Nummer somit schließlich doch ein paar Minütchen zu lang geriet, ist die kolportageartige Abenteuer-Kriminal-Melange ein ziemlich launiges Feierabendprogramm. Curd Jürgens stiehlt allen die Schau, während Heinz Reincke als sein vermeintlich komischer Kompagnon so nervig geriet, dass man ihn fürs letzte Drittel aus der Handlung schrieb. Schade, dass die Veranstaltung trotz einiger reißerischer Elemente insgesamt doch ziemlich brav und bieder geriet. Dabei hatte man schon gute Zutaten zur Hand; Abenteuer-, Gangster-, Söldner- und Frauenknast-Motive fließen fröhlich ineinander. Aber am Ende bleibt es dann doch eher familienfreundlich. Zumindest an die Action jedoch hätte man gern jemanden ranlassen dürfen, der sich mit sowas auskennt.
KÄPT’N RAUHBEIN AUS ST. PAULI - die feudale Filmwerdung des fleckigen Feinripp-Unterhemds. Ahoi und Alaaf!
Laufzeit: 91 Min. / Freigabe: ab 16
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen