Freitag, 13. Juni 2025

BROTHERS FROM THE WALLED CITY


SENG ZAAI CEOT LAI ZE
Hongkong 1982

Regie:
Lam Nai-Choi

Darsteller:
Chin Siu-Ho,
Phillip Ko Fei,
Johnny Wang Lung-Wei,
Liu Lai-Ling,
Wong Ching,
Kwan Hoi-San,
Pak Man-Biu,
So Hang-Suen



Shaw Brothers-Produktionen bringen die meisten wohl spontan mit aufwändigem Kung-Fu-Krawall in Verbindung, manch einer vielleicht auch noch mit Grusel-Gulasch oder Monster-Mumpitz. BROTHERS FROM THE WALLED CITY allerdings, obwohl vom Titel her eigentlich prädestiniert für eine weitere Heldenreise wackerer Kampfkunst-Recken, bespielt ein Genre, das in diesem Kontext wohl die wenigsten auf dem Zettel haben: das Großstadt-Drama. Gut, völlig neu ist die Thematik freilich nicht – immerhin begab man sich dafür ins Gangster-Milieu, in dem zuvor bereits viele Action-Auswüchse des Anbieters angesiedelt waren. Aber dieses von Regisseur Lam Nai-Choi auf den Weg gebrachte Werk verzichtet auf unrealistische körperbetonte Kinetik und setzt stattdessen auf eine stark dokumentarisch angehauchte, trockene Authentizität – nicht unähnlich der Idee des New Hollywoods, das mit seinen ambivalenten Enden, komplexen Charakteren und gesellschaftlichen Themen mit starren Konventionen brach. New Hongkong sozusagen.

Inhalt:

Xiao [Ha Wai-Hong] und Da [Lee Kim-Chung] wachsen unter prekären Bedingungen auf: In den Straßen der Walled City Kowloons verleben sie eine wilde Kindheit zwischen Chaos und Kriminalität. Ihre Welt gerät ins Wanken, als ihr Vater Chan [Kwan Hoi-San] von einem Drogensüchtigen eine Klinge in den Leib gestoßen bekommt und vor ihren Augen verstirbt. Als Heranwachsende kommen beide nicht mehr recht in die Spur. Trotz des Zuredens seines älteren Bruders, gerät vor allem Xiao [jetzt: Chin Siu-Ho] immer mehr außer Kontrolle, wagt gefährliche Mutproben und rebelliert gegen alle Regeln. Versehentlich legt er sich dabei auch mit dem Triadenmitglied Yi Ching [Wong Ching] an – ein Konflikt, der sich immer weiter zuspitzt. Als Xiaos Freundin Mei Ling [Liu Lai-Ling] schwanger wird, heizt ihr Vater, der jähzornige Officer Cheung [Johnny Wang Lung-Wei], die Situation noch weiter an. Verzweifelt versucht Da [jetzt: Phillip Ko Fei], die kommende Katastrophe abzuwenden.

Kritik:

Grob und ungeschliffen, fern der filigranen Kunstfertigkeit vieler anderer Shaw Brothers-Beiträge, gleicht BROTHERS FROM THE WALLED CITY einem düsteren Sozial-Krimi, der von entwurzelten Menschen erzählt, von ihrem Ringen darum, im Leben Fuß zu fassen, um am Ende doch nur Gefangene ihrer Welt zu bleiben, sei es durch äußere Umstände oder innere ZwängeXiao und Da, die beiden Brüder, die den Titel schmücken dürfen, fungieren als Symbolfiguren dieser Situation und werden daher vom Skript ausführlich beleuchtet. Der Prolog, in dem sie im Kindesalter ihren Vater verlieren, fällt dabei recht lang aus, bedenkt man, dass diese Ereignisse für den weiteren Verlauf eigentlich keine Rolle mehr spielen. Zugleich ist das auch der einzige Abschnitt, der tatsächlich in der Kowloon Walled City spielt, jenem von der Außenwelt abgeschotteten, von Gesetzlosigkeit beherrschten und dicht an dicht besiedelten Mikrokosmos, der noch bis in die 1990er-Jahre existierte. Eingemauert bleiben sie dennoch, die Titelhelden, auch im Erwachsenenalter, als ihnen – zumindest rein theoretisch – alle Türen offen stehen. Die These, dass Umfeld und Herkunft sowohl den Charakter prägen als auch den Lebensweg bestimmen, die Figuren also von Anfang an keine Chance haben, dem Strudel der Gewalt jemals zu entkommen, wird dabei zwar niemals explizit aufs Brot geschmiert, aber steht natürlich im Raum.

Vollends überzeugend wirkt diese Vermutung dabei freilich nicht, gefällt sich der jüngere Bruder, Xiao, als Heranwachsender doch überwiegend als infantiler Lausbube, der mit seinen Mitmenschen launige, teils auch schmerzhafte Scherze treibt, ohne dass dafür ein notwendiger Anlass erkennbar wäre. Da sich die Aktionen zwar nicht ganz, aber doch so ungefähr auf dem Niveau deutschen 1960er-Jahre-Pennäler-Klamauks befinden, konterkariert das doch einigermaßen mit der angestrebten Dramatik. Ausschlaggebend für die andauernde Abwärtsspirale ist dann, dass Xiao bei einer seiner Aktionen ein Triadenmitglied brüskiert, das diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen möchte. Kaum weniger unreif als sein Gegenüber, zettelt der Verunglimpfte daraufhin eine Retourkutsche an – der Beginn eines kleinkarierten Rache-Reigens, der sich so weit hochschaukelt, bis er alle Beteiligten in den Abgrund reißt. Das scheint in der Summe ein wenig bemüht: Warum sollte sich ein aufstrebender Gangster von einem Dumme-Jungen-Streich derart aus der Fassung bringen lassen, dass bald sein gesamter Alltag davon dominiert wird? Sonst keine Sorgen? Am Ende steht die Erkenntnis, dass wohl gar nichts Schlimmes passiert wäre, hätten sich alle Anwesenden einfach mal ein bisschen zivilisierter benommen – was dem postulierten Ansatz des Umweltdeterminismus dezent widerspricht. Auch wirkt vieles konstruiert und zurechtgebogen, um das Drama überhaupt erst in Gang zu bringen und halten zu können. Dazu gehört auch der fast schon übertrieben gehässig gezeichnete Officer Cheung (Wang Lung-Wei aus DER SHAOLIN-GIGANT), dessen Missgunst und Niedertracht nicht so recht nachvollziehbar erscheinen – immerhin ist er Polizist.

Nichtsdestotrotz: Fesselnd ist sie allemal, diese Großstadt-Fabel, die unterhaltsam zwischen Anspruch und Ausschlachtung sozialer Probleme pendelt – nicht in dem Sinne, dass man sich die Fingernägel zerkaut, aber Langeweile geht eben auch anders. Wer auf Action hofft (was aufgrund des Produktionsstudios gar nicht mal so wenige sein dürften), schaut etwas in die Röhre: BROTHERS FROM THE WALLED CITY spielt nicht in einer dieser Welten, in der jeder Hilfsarbeiter Kung-Fu beherrscht, sondern behält stets Bodenhaftung mit der Realität. Körperliche Auseinandersetzungen sind meist ein wüstes, unelegantes Raufen und in der Regel auch schnell vorbei. Niemand entwickelt Superkräfte, mutiert zum Rambo oder avanciert zum treffsicheren Western-Helden. Betrachtet man das Personal, ist es sogar einigermaßen erstaunlich, wie seriös es hier zugeht. Zum einen steht immerhin Phillip Ko auf der Besetzungsliste, der sich später als Darsteller, Regisseur und Produzent unzähliger Schrottschinken wie ULTRACOP 2000 einen zweifelhaften Ruf erarbeitete. Zum anderen geht die Inszenierung auf das Konto Lam Nai-Chois, der danach nicht nur das schmadderige Fantasy-Horror-Abenteuer-Gebräu THE SEVENTH CURSE zusammenrührte, sondern auch eines der groteskesten Werke verantwortete, die je gedreht wurden: die absurd brutale Manga-Verfilmung STORY OF RICKY. Dort werden Rasierklingen gefuttert, um sie dem Gegner ins Gesicht zu spucken, Kontrahenten mit ihrem eigenen Darm erdrosselt und garstige Gefängnisdirektoren in einer gigantischen Fleischfräse zu Mettgut verarbeitet.

All das könnte kaum weiter entfernt sein von der spröden Authentizitätsattitüde, die hier an den Tag gelegt wird. Allerdings hat Lam die Sache doch ziemlich gut im Griff und auch Herr Ko verkörpert den „vernünftigeren“ der beiden Brüder mit nahbarer Unverfälschtheit. Eine gewisse Groschenroman-Mentalität lässt sich zwar nicht leugnen, aber im Kern bleibt BROTHERS FROM THE WALLED CITY ein wütendes, nihilistisches Moralstück, das angenehm nach Straße schmeckt.

Laufzeit: 88 Min. / Freigabe: in Deutschland nicht erschienen

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