Samstag, 7. Juni 2025

DER KUNG-FU-FIGHTER VON CHINATOWN


TANG REN JIE XIAO ZI
Hongkong 1977

Regie:
Chang Cheh

Darsteller:
Alexander Fu Sheng,
Sun Chien,
Phillip Kwok Chun-Fung,
Lo Meng,
Jenny Tseng,
Shirley Yu Sha-Li,
Siu Yam-Yam,
Johnny Wang Lung-Wei



„Lieber ein lebendiger Versager als ein toter Held.“
(Tang Dongs Chef kennt die Regeln in Chinatown.)

Inhalt:

Tang Dong [Alexander Fu Sheng], ein einfacher Junge vom Land, hat nur einen Wunsch: ein besseres Leben für sich und seinen Großvater. Doch ohne Papiere ist das Überleben auf den Straßen Hongkongs ein täglicher Kampf. Als er sich mit dem zwielichtigen Geschäftsmann Xu Hao [Johnny Wang Lung-Wei] anlegt und von ihm hereingelegt wird, bleibt ihm nur die Flucht in die USA. In San Franciscos Chinatown bekommt er einen Job als Küchenhilfe und findet in seinem Kollegen, dem Studenten Yang Jian Wen [Sun Chien], einen neuen Freund. Doch Dong gerät erneut mit Kriminellen in Konflikt und wird unversehens Mitglied in der Weißer-Drache-Bande Siu Bak-Lungs [Phillip Kwok], wo er aufgrund seiner Kampfkünste schnell Karriere macht. Der naive Dong wird Teil eines Systems, das er nicht durchschaut – ohne zu erkennen, welchen Preis andere für seinen Aufstieg zahlen.

Kritik:

Obwohl CHINATOWN KID zur Zeit seiner Entstehung spielen soll, also um 1977 herum, macht er meist den Eindruck, seine Geschichte fände circa 40 Jahre früher statt. Viel zu altmodisch wirken Look und Setting dieser klassischen „Aufstieg und Fall eines Gangsters“-Story, die vom renommierten Regisseur Chang Cheh [→ ZEHN GELBE FÄUSTE FÜR DIE RACHE] im Auftrag der produzierenden Shaw Brothers entstand und überwiegend in den USA angesiedelt ist. Und genau da liegt vermutlich der Hase im Pfeffer. Denn gedreht wurde überwiegend offensichtlich nicht vor Ort, sondern in hauseigenen hongkonger Studiokulissen, die einen nur wenig authentischen und zudem stark anachronistischen Eindruck hinterlassen. Zwar wurden auch tatsächlich ein paar Szenen in San Francisco gedreht, an markanten Plätzen der realen Chinatown. Dem Vernehmen nach jedoch heimlich, still und leise, ohne wirkliche Drehgenehmigung, und auch nur, um wenigstens ein paar echte Amerika-Bilder integrieren zu können. Im Endprodukt sind die Übergänge zwischen real und künstlich alles andere als fließend und insgesamt eher rührender Natur. Die daraus resultierende Wirklichkeitsferne ist mitverantwortlich dafür, dass der Zuschauer die meiste Zeit über eher auf Distanz bleibt und das Geschehen nicht als ein Stück vom echten Leben begreift, sondern lediglich als (immerhin aufwändig arrangierte) Theatervorstellung.

Doch es ist nicht nur diese Artifizialität, die eine Einbindung erschwert. Das Drehbuch von Ni Kuang [→ DER PIRAT VON SHANTUNG], James Wong Jim [→ DANCING WARRIOR] und Chang Cheh selbst will viel zu viel, macht ein Fass nach dem anderen auf und setzt den Fokus dabei zu selten auf seine Figuren und ihre Facetten. Mit Tang Dong (Fu Sheng aus DER SCHREI DES GELBEN ADLERS) und Yang Jian Wen (Sun Chien aus DER GEHEIMBUND DER TODESKRALLE) werden gleich zu Beginn zwei zentrale Protagonisten eingeführt, die aus verschiedenen Gründen in die USA auswandern, bevor sie sich dort kennenlernen. Vor allem die Geschichte Tang Dongs ist dabei enorm ausladend und unnötig umständlich erzählt, obwohl sie kaum etwas zur späteren Entwicklung oder Charakterbildung beiträgt. Der Zuschauer wird zunächst Zeuge, wie er mit seinem ebenfalls bettelarmen Großvater durch die Straßen Hongkongs zieht, um eine anständige Arbeit zu finden. Da er jedoch keine Papiere hat, stellt ihn kein Unternehmen ein. So weit, so gut. Dann haben beide die Idee, an einem Stand Obstsaft zu verkaufen. Allerdings können sie sich keine Presse leisten. Doch Dong ist kräftig und kann Kung-Fu, was ihn befähigt, Orangen mit bloßer Hand auszuquetschen. Dadurch wird er zu einer Art Touristenattraktion und das Geschäft brummt. Trotzdem müssen sie regelmäßig vor der Polizei fliehen, denn eine Lizenz besitzen sie nach wie vor nicht.

Schon das ist eigentlich viel zu ausufernd erzählt, bedenkt man, dass diese Erlebnisse später keinerlei Relevanz mehr haben. Richtig kompliziert wird es aber erst, als Triadenboss Tsui Ho (Wang Lung-Wei aus BROTHERS FROM THE WALLED CITY) die Bühne betritt, der von Dongs Saftpresskunst so beeindruckt ist, dass er ihn gleich für seine Gang anwerben möchte. Es folgt eine Handvoll redundanter Einzel-Episödchen, aus denen man locker eigenständige Werke hätte weben können. So kommt es zu einem (vermeintlich freundschaftlichen) Zweikampf zwischen Dong und Xu, den Dong gewinnt, woraufhin Xu ziemlich impulsiv reagiert und ihn abstechen will, was dessen Frau allerdings verhindert. Diese spinnt dafür eine Intrige, die Dong glauben lässt, ihre Cousine befände sich in den Händen skrupelloser Entführer. Postwendend will Dong sie befreien – nur, um festzustellen, dass die vermeintliche Verwandte gar kein Familienmitglied ist, sondern von Xu und dessen Frau zur Prosititution gezwungen wird. Dass Dong die Dame ob dieser neuen Erkenntnis nun versteckt hält, erzürnt wiederum Xu, weswegen er Dong (auf sehr lachhafte Weise) Drogen untermogelt und die Polizei auf ihn aufmerksam macht. Nun endlich hat Dong so eine Art Grund, aus der Stadt zu fliehen – wobei die Entscheidung, gleich auch das ganze Land mit zu verlassen trotz dieser ellenlangen Herleitung nicht so wirklich plausibel erscheinen möchte.

Da nebenbei auch noch Yang Jian Wens Vorgeschichte erzählt wird, dauert es eine ganze Weile, bis Chinatown endlich zum zentralen Schauplatz wird. Das gehetzte Tempo der exorbitanten Exposition bleibt dabei weitgehend bestehen, sodass oft lediglich Anhaltspunkte gegeben werden, warum manche Dinge sich so entwickeln, wie sie es halt tun. Als einsame Ausnahme erweist sich die Beschreibung der beinahe bedingungslosen und nahezu aus dem Stegreif erfolgenden Freundschaft zwischen Tang Dong und Yang Jian Wen, die einfühlsam und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl auf die Leinwand gebracht wurde: Beide Männer bewerben sich gleichzeitig beim Restaurantbesitzer Chen (Yang Chi-Ching aus DER MANN MIT DER TIGERPRANKE), der allerdings nur einen Helfer in Lohn und Brot nehmen möchte. Bereitwillig verzichtet Dong auf einen Teil seines Gehalts, um Jian Wen ebenfalls seine Anstellung (und damit sein Studium) zu ermöglichen. Schlafen tun sie dann beide unter einem Dach – im Wortsinne, denn ihr knauseriger Chef lässt sie in einer winzigen Kammer direkt unter dem Giebel hausen, in der kaum genug Platz für eine einzige Person wäre. Nach Feierabend hocken sie dort regelmäßig zusammen und erzählen von ihren Leben, Hoffnungen und Träumen. Sie schuften für einen Hungerlohn, werden ausgiebig ausgenutzt, fristen ihr Dasein in einem kargen Verschlag – und scheinen doch glücklich, denn zuvor hatten sie noch weniger. Schon gar keine Perspektive. In einem charmanten Running Gag stoßen sie sich während ihrer Gespräche immer wieder den Kopf an der niedrigen Decke. Ein schönes Gleichnis: Die jungen Männer wollen hoch hinaus – und werden in ihrer Begeisterung immer wieder von ihrer beengten Lebensrealität gestoppt, die sie daran erinnert, dass es noch längst nicht so weit ist. Das Schlagen mit den Fäusten an die einzwängende Zimmerdecke wird zum symbolischen, später immer wieder aufgegriffenen Akt, zum Ausdruck des Wunsches nach Aufbruch und Entkommen aus bestehenden Verhältnissen.

Zumindest für Tang Dong ändern sich die Umstände dann bald auch schlagartig, wenn auch nicht unbedingt plausibel und reichlich konstruiert: Als er zu verhindern versucht, dass sein Chef Schutzgeld an die Triaden zahlen muss und zu diesem Zwecke ein paar anständige Nasenstüber in die doch recht überrascht dreinblickenden Eintreibervisagen verteilt, gerät er irgendwie zwischen Fronten zweier um die Vorherrschaft rivalisierender Verbrecherbanden. Als der feige Chen ihn auf die Straße setzt, um bei den Erpressern wieder lieb Kind zu machen, beginnt ein wilder Anwerbungsmarathon, denn jede der Banden möchte den Superkämpfer auf ihrer Gehaltsliste wissen. Am Ende dient Dong dem Anführer der „Weißen Drachen“ (Phillip Kwok aus DER TODESSCHREI DES GELBEN TIGERS) und das Drehbuch will dem Publikum Glauben machen, das arglose Chinatown Kid habe nicht die geringste Ahnung, dass sein Boss in halbseidene Geschäfte verwickelt ist. Trotzdem läuft Dong aus heiterem Himmel rum wie ein Zuhälter, flext wie Oskar durch sein Viertel und wundert sich, dass die Leute ihm gegenüber auf Distanz gehen. Als Zuschauer stellt man an dieser Stelle erneut fest, wie wenig greifbar die Figur Tang Dong doch eigentlich ist. Schon in der Anfangsszene verzehrt er sich nach einer sündhaft teuren Armbanduhr, die direkt vor ihm, doch in unerreichbarer Ferne im Schaufenster liegt. Später prügelt er sich mit Boss Tsui, weil dieser ihm im Falle des Sieges sein digitales Zeiteisen als Trophäe versprochen hat, das Dong auf Anhieb fasziniert hat. Logo, dass er nun, inzwischen selbst dem Reichtum anheim gefallen, ein eben solches Statussymbol mit sich spazieren trägt – nebst dekadentem Glimmstängel im Gesicht und lächerlichem Ludenkittel am Leib.

Woher seine Vorliebe für derlei oberflächliche Verlockungen rührt, wird nicht wirklich erklärt – ebensowenig wie die Arglosigkeit, mit welcher er durchs Leben stolpert und die ihn so korrumpierbar macht. Dong ist tatsächlich nie wirklich ein Gangster – anfangs ohnehin nicht, aber selbst dann nicht, als er zu den Herrschern der Stadt zählt. Die Konsequenzen seines neuen „Berufs“ erkennt er erst, als er seinen alten Freund und Kollegen Jian Wen wiedertrifft, der immer noch unter dem Dach des Restaurants wohnt und sich aufgrund der Doppelbelastung von Arbeit und Studium mittlerweile der Drogensucht ergeben hat. Das geht zu Herzen, in erster Linie deswegen, weil die gemeinsamen Szenen beider Charaktere zu den Höhepunkten CHINATOWN KIDs gehören, der ansonsten viele dramaturgische Schwächen hat. Die viel zu lange Herleitung gehört dazu, aber auch, dass Tang Dong erst im letzten Drittel zur Titelfigur wird und seine Unterweltkarriere daher gar nicht so richtig nachvollzogen werden kann. Von heute auf morgen ist er einfach der große Zampano. Jian Wen wird dafür, obwohl erst gleichberechtigt eingeführt, überwiegend vergessen, weil sich alles nur noch auf Tang Dong konzentriert. Da dieser aber nie wirklich lang an einer Station verweilt und es von Nebenfiguren, die alle irgendwie auch noch mitmischen, nur so wimmelt, kommt nie wirkliche Spannung auf. Besonders schwer erwischt es die Frauenrollen, die wirklich nur Alibifunktionen erfüllen. So bandelt Dong etwa mit der kessen Yvonne (Jenny Tseng aus DIE TÖDLICHE KOBRA) an, die sich später regelrecht in Luft auflöst. Dann hätte man das ja auch gleich lassen können.

CHINATOWN KID (dessen Titel für deutsche Plakate viel zu kurz war, weswegen er zu DER KUNG-FU-FIGHTER VON CHINATOWN aufgebrezelt wurde) ist zwar als Actionfilm deklariert, sieht sich selbst aber eher selten in dieser Funktion. Ja, es gibt ein paar Handgemenge hier und da und hin und wieder gerben sich ein paar Leute das Fell. Aber das artet niemals aus und ordnet sich brav der Handlung unter, die hauptsächlich vom Dialog vorangetrieben wird. „Gangster-Drama“ wäre daher die passendere Bezeichnung. Wird es doch mal rabiat, rückt man sich bevorzugt mit Faust, Flinte und Klinge zuleibe und hinterlässt dabei Blut, Schutt und Scherben. Wer hauptsächlich auf Kampf und Knochenbrecherei aus ist, wird hier jedoch kaum glücklich werden. Wer eine gut durchdachte Ereigniskette erwartet, allerdings ebenfalls nicht. Dazu ist das Drehbuch oft zu plump, zerfasert und undurchdacht. Punkten kann die Veranstaltung freilich durch ihre dichte Atmosphäre und ihren herrlichen 1970er-Jahre-Schwof, inklusive gigantischer Brillengestelle und Schnauzbärten des Todes. Am Ende ist CHINATOWN KID ein wenig wie sein Protagonist: etwas schrullig, etwas naiv – und trotz aller Defizite liebenswert. 

Laufzeit: 115 Min. / Freigabe: ungeprüft

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