BRD 1972
Regie:
Jess Franco
Darsteller:
Fred Williams,
Horst Tappert,
Barbara Rütting,
Elisa Montés,
Siegfried Schürenberg,
Rainer Basedow,
Wolfgang Kieling,
Jess Franco
„Hallo! Hier spricht Edgar Wallace … sein Sohn.“
Inhalt:
In London mordet es sich immer noch am schönsten. Dieser Auffassung ist zumindest ein mysteriöser Messerwerfer, der seine Klingenschleuderkunst dazu missbraucht, ein paar Herren in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Zuvor packt der Killer seinen Opfern aber jedes Mal noch die Koffer. Inspektor Redford [Fred Williams] versteht die Welt nicht mehr und sein Freund, der Krimi-Autor Charles Barton [Horst Tappert], der sich mit Rätseln aller Art beschäftigt, ist ihm ebenfalls keine Hilfe. Eine vage Spur führt den Ermittler schließlich zu dem undurchsichtigen Dr. Bladmore [Siegfried Schürenberg] und dessen Assistentin Helen [Elisa Montés].
Kritik:
Kino-Krimi-Kundigen dürfte der Inhalt entfernt bekannt vorkommen. Die ausgetauschten Namen täuschen nicht darüber hinweg, dass hier lediglich der gut 10 Jahre zuvor entstandene DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER neu geschnürt wurde. Sinn und Zweck der Aktion sind durchaus streitbar, zumal die vorherige Verfilmung gut goutierbar war und diese Neuinterpretation ihr nichts Nennenswertes hinzuzufügen hat. Interesse weckt sie dann auch in erster Linie als Anschauungsobjekt dafür, wie unterschiedlich sich ein und dieselbe Story interpretieren und inszenieren lässt. Denn obwohl DER TODESRÄCHER VON SOHO seinem Vorgänger erstaunlich dicht folgt, teils bis in den Dialog hinein, ist seine Wirkung doch völlig anders. War schon das Original nicht unbedingt ein Musterbeispiel stringenten Erzählens, gleicht die Präsentation hier durch das Weglassen oder zu lapidare Abhandeln von Informationen zeitweise einem Puzzle mit fehlenden Teilen. Beinahe publikumsverachtend springt man ziellos von Ort zu Ort, von Person zu Person, von Zeile zu Zeile, und erzählt dabei nur scheinbar eine Geschichte. In Wahrheit aber irrlichtern konturlose Gestalten wie Gespenster durch die Gegend und suggerieren eine nicht vorhandene Bedeutung, ohne dabei einen Hauch von Halt oder Orientierung zu bieten. Gelegenheiten, Einzelszenen spannend zu gestalten, wurden dabei fast konsequent in den Wind geschlagen.
Wer einen flüchtigen Blick auf den Namen des Regisseurs wirft und sich ein wenig im europäischen Bahnhofskino der damaligen Zeit auskennt, wird vermutlich nicht groß staunen: Dem Spanier Jess Franco, der eigentlich Jesús Franco Manera hieß, ging es eigentlich nie um die Einhaltung dramaturgischer Konventionen, sondern um das Kreieren von Stimmungen. Oft mit surrealer Note versehen und nicht selten unter prekären finanziellen Bedingungen entstanden, meist unter Zuhilfenahme populärer Zutaten wie Nacktheit, Kunstblut und unmoralischem Gebaren. Gerade deswegen verwundert es, dass man die Chance, veränderten Sehgewohnheiten Tribut zu zollen, überwiegend ungenutzt ließ. Das Original war, den Zeitumständen geschuldet, nämlich eigentlich viel zu brav und schrie regelrecht nach einer reißerischen Aufarbeitung. Brutale Messermorde, Wahn und Suizid im Drogenrausch, verruchte Tanzlokale auf sündigen Meilen ... Eigentlich ein Heimspiel für den Regisseur, der sich seine Lorbeeren in diesen Bereichen längst verdient hatte. Ausgerechnet hier legte er jedoch eine ungewöhnliche Zurückhaltung an den Tag. Immerhin führt der Weg einmal in die berühmte „Flamingo-Bar“, die nur deswegen so berühmt ist, weil sie andauernd in Jess-Franco-Filmen erwähnt und/oder besucht wird. Da sitzen die Herr- und Damschaften dann immer ganz gesittet, als befände man sich nicht etwa in einer miesen Spelunke, sondern im vornehmen Opernhaus, und schauen zu schwofeligem Saxophongesäusel dem Mädchen der Saison minutenlang beim mal mehr, mal minder rythmischen Ablegen der Abendgarderobe zu. Aber nicht einmal das wird hier vollends ausgespielt, wendet sich die Kamera doch fast schamhaft von der Bühne ab, bevor die Show überhaupt erst so richtig beginnt.
Das ist umso rätselhafter, da es offensichtlich nie das Ziel war, sich als anspruchsvolle Unterhaltung zu tarnen. DER TODESRÄCHER VON SOHO ist bis ins Mark durchdrungen von den typischen Schmuddel-Schwingungen des damaligen Bahnhofskinos, vor allem manifestiert in seinem schäbigen Look, der stark von Schauplätzen wie düsteren Hinterhöfen und ungastlichen Gässchen geprägt ist. Um den tristen Örtlichkeiten doch noch ein bisschen Leben einzuhauchen, lichtete sie Kameramann Manuel Merino Rodríguez [→ DIE SIEBEN MÄNNER DER SUMURU] oftmals im Weitwinkelmodus und aus ungewöhnlichen Perspektiven ab. Das Ergebnis sind unwirkliche, teils (alp-)traumhafte Bilder, die an den deutschen Expressionismus erinnern. Zwar wirkt der Einsatz eher willkürlich, statt wirklich Teil eines künstlerischen Konzepts zu sein. Dennoch bleibt die Bildgestaltung der einzige Aspekt, der zumindest im Ansatz den Anschein von Ambition vermittelt. Da begeben sich die Protagonisten schonmal zwischen zwei Spiegel, um einen sehnervverwirrenden Blick in die Unendlichkeit zu ermöglichen. Ins Auge stechen des Weiteren eine kurze visuelle Hommage an Alfred Hitchcocks VERTIGO sowie das Finale, wenn der Schurke versucht, der Justiz durch einen Tunnel zu entkommen – Bilder, die für den Bruchteil einer Sekunde an ähnliche Augenblicke aus dem Klassiker DER DRITTE MANN erinnern. Dass der Ort je nach Einstellung völlig anders ausgeleuchtet ist und Licht und Schatten sich dabei fröhlich die Klinke in die Hand geben, beweist dann allerdings wieder die generelle Gleichgültigkeit, mit der man hier zu Werke ging.
Die Besetzungsliste wird angeführt von Horst Tappert [→ PERRAK] als rotzigem Privatermittler mit Selbstjustiz-Allüren. Horst tappert trantütig durch die kargen Kulissen und lässt dabei keine Identifikationsmöglichkeit zu – zumal die Hintergründe seiner Figur über weite Strecken im Dunkeln bleiben. Ähnlich verhält es sich mit dem von Fred Williams [→ SIE TÖTETE IN EKSTASE] verkörperten Inspektor Redford, der laut Skript ein gewitzter Kriminalist sein soll. Aber anstatt zu ermitteln und logische Schlussfolgerungen zu ziehen, markiert er lieber den Schürzenjäger, taumelt ziellos durch die Gegend und trifft Entscheidungen, die schlichtweg nicht nachvollziehbar sind. Zwar gelingt es ihm am Ende, den Täter zu stellen, aber das ist eher dem Zufall als seinem Spürsinn zu verdanken. Insgesamt ist seine Rolle so überflüssig, dass man ihn auch gleich ganz aus dem Spiel hätte lassen können. Siegfried Schürenberg ist dem Krimifilmfan noch gut bekannt als Sir John von Scotland Yard aus der klassischen Edgar Wallace-Reihe, erstmals 1962 in DIE TÜR MIT DEN SIEBEN SCHLÖSSERN. Hier spielt er als zwielichtiger Arzt eine völlig andere Rolle, zwar gewohnt routiniert, sich aber sicherlich auch fragend, was das eigentlich alles soll. Perlen vor die Säue warf man mit Elisa Montés [→ DJANGO – DER RÄCHER], die in ihrer ersten Szene sehr charmant und schlagfertig eingeführt wird, später aber wirklich nur noch flennen und sich retten lassen darf. Für die humoristische Note sorgt Luis Morris [→ TODESMELODIE] als Fotograf, der laufend Sätze vom Stapel lässt wie „Ach, wie wunderbar sind doch des Schicksals Fügungen“. Die Figur kommt in der Kritik im Allgemeinen schlecht weg, ist aber tatsächlich ganz witzig und um Lichtjahre besser als ihr von Chris Howland gespieltes Pendant im originalen DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER. Und auch Regisseur Jess Franco [→ SADISTEROTICA] selbst gibt wieder einen Gastauftritt als „Messerexperte“ (ein schöner Beruf!), der allerdings nichts Nennenswertes beisteuert.
Gedreht wurde offenbar in Spanien – oder war es doch Portugal, wie von Jess Franco selbst einmal behauptet? Sicher ist nur: London war es nicht, auch wenn das Drehbuch unermüdlich darauf besteht. Allerdings gaben sich die Macher nicht einmal für fünf Pfennige die Mühe, eine überzeugende Illusion aufzubauen, was für ein maximales Desinteresse spricht, eine glaubhafte Welt zu servieren. Natürlich wäre es ein Leichtes, den Schwarzen Peter dafür dem Regisseur zuzuschieben, aber damit machte man es sich etwas zu einfach. Denn auch den Produzenten war offenbar nicht daran gelegen, ihrem Publikum etwas Brauchbares zu bieten. Hauptsache, auf der Leinwand bewegt sich was und der Name „Bryan Edgar Wallace“ (von dem stammt die Romanvorlage) steht als Lockmittel auf dem Plakat. Stand die "Wallace"-Marke gut zehn Jahre zuvor noch für eine gewisse (sogar stilbildende) Sorgfalt, kann davon hier nun wahrlich nicht mehr die Rede sein. Der schluderig zusammengeschusterte DER TODESRÄCHER VON SOHO ist für eine Massenbegeisterung völlig ungeeignet und nahezu ausschließlich für Fans der verschrobenen Eigenarten des Regisseurs von Interesse. Denn wie so oft bei Franco treffen visuelle Finesse und skurrile Einfälle auf einen (vermeintlichen) Dilettantismus, was einen durchaus faszinierenden Effekt erzielt. Wenn sich dazu noch Dialoge gesellen wie „Was wollen Sie?“ – „Ich möchte Sie heiraten!“ – „Ich hab heute meinen Quarktag und an meinem Quarktag heirate ich nie“, läuft ohnehin fast jede ernsthafte Kritik ins Leere.
Wer sich für die Lösung des Rätsels um die gepackten Koffer interessiert, der muss sich nach Auslaufen des Abspanns übrigens die letzten Minuten der älteren Verfilmung zu Gemüte führen. Die hat man hier nämlich schlichtweg vergessen. Dabei hätte man bei der Gelegenheit auch gleich mal klären können, warum überhaupt die ganze Zeit von Koffern die Rede ist, obwohl es doch offenkundig Reisetaschen sind.
Laufzeit: 81 Min. / Freigabe: ab 16
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