Eigene Forschungen

Mittwoch, 20. September 2023

SPIRITS OF DEATH


UN BIANCO VESTITO PER MARIALÉ
Italien 1972

Regie:
Romano Scavolini

Darsteller:
Ida Galli,
Ivan Rassimov,
Luigi Pistilli,
Pilar Velázquez,
Ezio Marano,
Giancarlo Bonuglia,
Gianni Dei,
Edilio Kim



Inhalt:

Auf saftigem Grün, durch Baum und Busch vor Blicken verborgen, zelebriert ein Paar die Zärtlichkeit. Doch das Vergnügen findet sein jähes Ende: Ein Mann nähert sich den einander Zugetanen mit einer Pistole im Gepäck. Kurze Zeit später liegen drei Leichen im Gras: Die Liebenden wurden vom unerwarteten Gast per Kugel niedergestreckt, er selbst richtete sich im Anschluss selbst. Es war der Ehemann der Frau, die nun freilich nie wieder fremdgehen wird. Doch das Drama blieb nicht unbeobachtet: Zwei vor Schreck geweitete Kinderaugen waren Zeuge der blutigen Tat. Sie gehören Marialé. Der Racheengel war ihr Vater. Viele Jahre später ist das Mädchen erwachsen und fristet sein Dasein auf einem abgelegenen Schloss. Ihrem Gatten Paolo [Luigi Pistilli] gelingt es, die Frau erfolgreich von der Außenwelt abzuschirmen. Trotzdem stehen eines Tages Gäste vor dem Tor: Einige frühere Freunde des Ehepaares beharren darauf, eine Einladung erhalten zu haben und bestehen auf Einlass. Paolo kann sich das nicht erklären, lässt die Besucher aber widerwillig passieren. Ein Fehler. Zwar freut sich Marialé [nun: Ida Galli], ihre Bekannten von damals wiederzusehen und veranstaltet mit ihnen eine rauschende Party. Doch dann geschieht ein grausamer Mord. Es wird nicht der letzte bleiben.

Kritik:

Angeblich drehte Regisseur Romano Scavolini SPIRITS OF DEATH lediglich aus finanzieller Not heraus als relativ unwillkommene Auftragsarbeit. Das klingt nicht unbedingt nach guten Voraussetzungen für einen packenden Krimi-Abend und lässt leidenschaftslos abgefilmten Dienst nach Vorschrift erwarten. Dass dem nicht so ist, wird zum Glück schnell klar, denn UN BIANCO VESTITO PER MARIALÉ, so der deutlich sperrigere Originaltitel, eröffnet sein Spiel gleich mit einem Knalleffekt (ja, im Wortsinne) und hat allein dadurch bereits auf Anhieb alle Blicke auf sich - wenn danach auch erst einmal wieder einen Gang runtergeschaltet wird. Stattdessen beherrschen nun zarte Agatha-Christie-Schwingungen das Szenario gemischt mit etwas gotischem Grusel, wenn eine bunt zusammengewürfelte Gastgesellschaft (man fragt sich, wie solch unterschiedliche Figuren sich denselben Freundeskreis teilen können) sich zum Stelldichein auf dem ungewöhnlichen Wohnsitz der stets leicht der Realität entrückt scheinenden Marialé versammelt. Hier quillt dann vor allem die Atmo aus jeder Ritze, denn der Schauplatz Schloss ist umgeben von verzaubert scheinenden Gärten und verziert mit ausladend dekadenter Dekoration.

Natürlich kommt es dann, wie es meistens kommt: Die Besucher sind sich spinnefeind und die Luft ist erfüllt von Spannungen jedweder Art. So weit, so gewohnt. Doch dann wird es unversehens extravagant: In einer (alp-)traumartigen Sequenz steigt die bunte Runde die Kellertreppe hinab und tappst zwischen Massen an Spinnweben wie lobotomiert durch ein Kabinett aus steinernen Masken, menschgroßen Stoffpuppen, altertümlichen Kostümen und weiterem schaurigen Schnickschnack, während sich um sie herum das Tor zur Hölle zu öffnen scheint und ein Inferno aus Blitz, Sturm und Donner urplötzlich den Raum erfüllt. Sich einen Reim auf diese sonderbaren Bilder zu machen, ist freilich nichts, was mal eben zwischen Tür und Angel passieren sollte. Aber geht man davon aus, dass das gesamte Schloss eine Metapher ist für die angeschlagene Psyche der Hauptfigur Marialé, so symbolisieren dessen Mauern ihr Gefängnis, ist der Gang ins unterirdische Gewölbe ein Sinnbild für das Eindringen in die tief verborgenen Geheimnisse ihrer Seele und der unvermittelte (eigentlich unmögliche) Wetterumschwung eine Allegorie auf die Unruhe, die dieser Einblick in ihrem Gemüt verursacht. Dazu passt, dass Marialé hier unten im Dunkel das weiße Kleid wiederfindet, das ihre Mutter einst im Augenblick ihrer Ermordung trug. Die verdrängte Vergangenheit holt sie nicht nur ein, sie ergreift regelrecht Besitz von ihr, da sie sich das unheilvolle Kleidungsstück überwirft und bis zum Ende auch nicht mehr ablegen wird.

Ohnehin bricht sich der Wahn ab hier genüsslich Bahn. Denn das Auffinden ausgefallener Gewänder nimmt die Gemeinschaft zum Anlass, sich neu in Schale zu schmeißen, um im Anschluss eine simpel als „Spiel“ bezeichnete Super-Orgie vom Zaun zu brechen, die überdeutlich Assoziationen zu spätrömischer Dekadenz zulässt. Kaum kostümiert und die Antlitze hinter bunter Schminke verborgen entladen sich die bis dahin so angestrengt zurückgehaltenen Alterationen aller Anwesenden bei einem rauschartigen, von psychedelischer Beat-Musik begleiteten Fest der Völlerei, das die Teilnehmer offenkundig auf einen anderen Stern katapultiert. Da wird im närrischen Federkleid durch den Saal gehopst, die Peitsche geschwungen und Backenfutter verteilt. Hemmungen fallen, Hüllen ebenfalls, Triebe gewinnen die Oberhand. Man wird beleidigend, rassistisch, übergriffig. Das Tragen der Masken scheint die Menge zu demaskieren. Nach der großen Sause, als die Realität langsam wieder anfängt zu kicken, stehen sie dann alle da wie begossene Pudel, außer Atem und albern im Anblick. Und da das Krimi-Karussell irgendwann einmal anfangen muss zu rotieren, kommt nun, nach fast genau einer Stunde Laufzeit, der Hammer.

Im Wortsinne versteht sich, denn der erste extern herbeigeführte Exitus endet für den unfreiwilligen Rezipienten mit zerschmettertem Schädel. Ab jetzt bringt der Tod tüchtig Leben in die Bude, denn die Zahl der Gäste schwindet von nun an rapide. Der Mörder begann sein Werk zwar spät, scheint aber trotzdem pünktlich Feierabend machen zu wollen. Die Tötungen sind garstig, blutig und nicht selten experimentell und aus ungewöhnlichen Winkeln gefilmt. Die Identität des Täters liegt dabei so offenkundig auf der Hand, dass man sich fragt, ob das überhaupt als Geheimnis intendiert war. Zwar bleibt der Meuchler bei Ausübung seiner Taten stets fürs Publikum unerkannt, aber die „überraschende“ Enthüllung am Ende geriet so asketisch abgefrühstückt, dass man annehmen muss, der Regie war die obligatorische Rätselratenummer schlichtweg gleichgültig. Und obgleich ein Paukenschlag zum Abschied die Sache noch etwas runder hätte machen können, funktioniert sie auch ohne finalen Aha-Effekt. SPIRITS OF DEATH ist nämlich selbst nur kostümiert und hüllt die Studie einer geschundenen Seele in das Kleid eines Krimis. Zeitweise erzählerisch etwas unausgewogen (so wird anfangs etwas zu lang und dabei etwas zu ereignislos lediglich durch den Schauplatz geirrt, während die Mordserie im letzten Drittel dann kaum zum Luftholen kommt), aber stets von morbider Faszination, entfaltet sich ein durchaus fesselndes Kammerspiel.

Dass die dabei präsentierte Weltsicht eher pessimistisch geprägt ist und einem kaum Identifikationsfiguren lässt, darf einen freilich nicht stören. So sind Marialés „Freunde“ (die wohl auch deswegen charakterlich so verschieden sind, weil sie verschiedene gesellschaftliche Typen abbilden sollen) überwiegend sonderbar und unsympathisch, lediglich der von Ivan Rassimov [→ DIE FARBEN DER NACHT] verkörperte Massimo scheint noch einen gewissen Rest Anstand zu besitzen (obwohl der lüsterne Blick, den er einer jungen Frau anfangs beim Nachdemwegfragen zuwirft, durchaus auch den ein oder anderen Abgrund vermuten lässt). Das Personal agiert stets zwielichtig, wie der von Luigi Pistilli [→ DER SCHWANZ DES SKORPIONS] gespielte Ehemann, der seine Frau gegen ihren Willen mit Medikamenten füttert, oder Genger Ghatti [→ DIE RACHE DER CAMORRA] als schräger Bediensteter, der hier mit seinem Schnauzer aussieht wie Charles Bronson, sodass man jeden Augenblick damit rechnet, er würde eine Waffe ziehen. Dazu kommt die wirklich wunderschöne Musik von Fiorenzo Carpi [→ EIN FISCHZUG FÜR 300 MILLIONEN], die angenehm in den Gehörgang kriecht und es sich dort gemütlich macht.

SPIRITS OF DEATH zeichnet eine Tragödie, deren Folgen bis in die Gegenwart reichen und die vermutlich noch bis in alle Ewigkeit nachhallen wird. Und mag es auch nicht vorrangige Intention gewesen sein, so wird dem gemeinen Grusel- und Giallo-Freund mittels einer wohldosierten Melange aus finsteren Gestalten und gefährlichem Getier doch genügend Material geboten, um sich hier ebenfalls angenehm unwohl zu fühlen. Erwähnt sei abschließend noch der wahrhaft spektakuläre Abgang des in flagranti erwischten Liebhabers aus der Eröffnungssequenz, der nach erfolgtem Todesschuss durch die frische Waldluft bollert, als habe ihn soeben eine Kanonenkugel getroffen, es aber während seiner daraus resultierenden Dreiviertel-Drehung trotzdem noch irgendwie schafft, verschüchtert seine Scham zu bedecken.

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft

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