Eigene Forschungen

Sonntag, 8. Dezember 2019

DIE FARBEN DER NACHT


TUTTI I COLORI DEL BUIO
Italien 1972

Regie:
Sergio Martino

Darsteller:
Edwige Fenech,
George Hilton,
Ivan Rassimov,
Maria Cumani Quasimodo,
Tom Felleghy,
Luciano Pigozzi,
George Rigaud,
Julián Ugarte



Inhalt:

Seit dem Tod ihres ungeborenen Kindes leidet die junge Jane [Edwige Fenech] unter erschreckend intensiven Alpträumen. Immer wieder auftretender Protagonist: ein unheimlicher Fremder mit stahlblauen Augen und gezückter Klinge, der ihr offenbar ans Leder will. Ihr Lebensgefährte Richard [George Hilton] empfiehlt zur Heilung dubiose Pillen, ihr Therapeut Dr. Burton [George Rigaud] rät zu Ruhe und Entspannung. Helfen tut das freilich alles nicht. Als ihr der mysteriöse Traummann plötzlich auch in der Realität auflauert, nimmt sie in ihrer Verzweiflung den leicht wunderlichen Ratschlag ihrer Nachbarin Mary [Marina Malfatti] an: Eine Schwarze Messe soll die gebeutelte Seele wieder in Balance bringen. Und tatsächlich: Nach einer bizarren Nacht inklusive Tierblut und Rudelgewudel blüht Janes Psyche deutlich auf. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer: Plötzlich kommt es in ihrer Umgebung zu gewaltsamen Todesfällen. Und ihr eigentlicher Alptraum beginnt …

Kritik:

1971 machte Regisseur Sergio Martino den zahlreichen Giallo-Fans gleich zwei sehr ansprechende Genre-Geschenke. Erst zauberte sein blutiger Bilderbogen DER KILLER VON WIEN allen Freunden elegant-effektiver Krimi-Unterhaltung ein Lächeln ins Gesicht, dann legte er nur wenige Monate später DER SCHWANZ DES SKORPIONS vor, der die Qualität des Vorgängers zwar nicht mehr erreichte, Martinos Ruf als zuverlässiger Lieferant solide gefertigter Spannungsszenarien aber nachhaltig zementierte. Im Jahr darauf präsentierte der fleißige Filmhandwerker schließlich den dritten Nägelkauer in Folge: DIE FARBEN DER NACHT erzählt die archetypische Thriller-Story einer schutzbedürftigen Maid in Not, für deren Umsetzung Martino und Team in visueller Hinsicht abermals aus den Vollen schöpften. Bereits unmittelbar nach dem (noch recht harmonieversprechenden) Vorspann verstört eine Abfolge wild verwinkelter Bilder den Betrachter, ein grelles Gewirr aus gammeliger Kauleiste, knallblauen Kontaktlinsen und rinnendem Kunstblut, das sich freilich ziemlich schnell als furchterregender Alptraum der Hauptprotagonistin entpuppt, der grazilen Jane Harrison, welcher das Publikum im weiteren Verlauf nicht mehr von der Seite weichen wird.

Beschweren werden sich darüber sicherlich nur Wenige, ging die Rolle der Heldin doch an Edwige Fenech, die auch schon beim KILLER VON WIEN dabei war und eine Zeitlang - nicht ganz zu Unrecht - als eine der attraktivsten Aktricen des italienischen Nischenkinos galt. Die damals 24-Jährige gefällt hier jedoch nicht nur auf optischer, sondern auch auf darstellerischer Ebene und überzeugt als labile junge Frau, die sich gelegentlich gefährlich nahe an der Schwelle zum Wahnsinn bewegt. Denn schon bald wird deutlich, dass Martino dieses Mal sein vertrautes Terrain verlässt. Anders als die beiden Vorgänger ist DIE FARBEN DER NACHT deutlich weniger an Massakrierung und Mörderjagd interessiert und rückt stattdessen Themen wie Seelenleid und Realitätsverlust in den Fokus. Die Idee, narrative Spielchen mit Schein und Sein zu treiben, war natürlich schon damals nicht neu, sorgt aber altbewährt für den nötigen Nervenkitzel: Ebenso wie (die stellenweise doch etwas arg hilflos wirkende) Jane Harrison fragt sich auch der Betrachter bald, ob die rätselhaften Ereignisse um sie herum Resultat höllischer Visionen oder weltlicher Verschwörung sind, und Jeder aus ihrem Bekanntenkreis steht im Laufe der Ereignisse mindestens ein Mal im Verdacht, irgendwie nicht ganz koscher zu sein.

Aus psychologischer Perspektive rumpelt es hier zugegebenermaßen an allen Ecken und Enden, und so manch ein in Seelenkunde Geschulter dürfte sich bereits auf dem Kenntnisstand der 1970er Jahre die Akademikerhaare gerauft haben. Trotz reizvoller Gedankenspiele und stilistischer Raffinesse ist das Geschehen nämlich höchst hanebüchen und die brisante Thematik allzu offensichtlich nur Mittel zum Zweck, das Publikum mit der nötigen Portion Schauder an sich zu binden. Allein schon die Aufhängeridee, dass die Protagonistin an einer Schwarzen Messe (samt Bettenschlacht und Blutgeschmiere) teilnimmt in der Hoffnung, das könne irgendwie hilfreich gegen Alpträume sein, ist so himmelschreiend vernunftswidrig, dass man kurzzeitig annimmt, das Ganze spiele womöglich auf einem anderen Planeten, auf dem menschenähnliche Wesen Entscheidungen treffen, die für den tatsächlichen Homo Sapiens keinen nachvollziehbaren Sinn ergeben (dafür würde auch sprechen, dass manche dieser Wesen ohne ersichtlichen Grund am helllichten Tag in halbtransparenten Kleidern herumlaufen). Dass bei solch einer Prämisse auch die Auflösung nicht gerade vor Plausibilität strotzt, versteht sich eigentlich von selbst. Wirklichen Schaden anrichten tut das allerdings nicht. Im italienischen Genre-Kino geht es generell nur selten um schnöde Rationalität. Es geht um Farben, Bilder und Stimmungen. Und genau in diesen Bereichen funktioniert DIE FARBEN DER NACHT prächtig.

Neben gelegentlicher inhaltlicher Absurdität teilt man sich mit dem klassischen Giallo (zumindest nach deutscher Lesart) in erster Linie die experimentelle Attitüde und die publikumswirksame Andeutung oder Zurschaustellung weiblicher Nacktheit. Andere charakteristische Ingredienzien wie schwarze Handschuhe, blanke Rasierklingen und subjektive Mördersicht sucht man vergebens, und auch der Gewaltpegel wurde deutlich heruntergefahren. Das Vernachlässigen der klassischen Krimi-Komponente, die Konzentrierung auf psychedelische Horror-Elemente und nicht zuletzt die eher schleichende Entwicklung der Ereignisse (auf die ersten Morde muss duldsam gewartet werden) mag manchem Puristen womöglich nur wenig gefallen. Wer aus seinem starren Rezensionskonzept ausbrechen kann, erlebt hier allerdings einen angenehmen Zeitvertreib mit gern gesehenen Gesichtern: George Hilton [→ DJANGO – MELODIE IN BLEI] verkörpert den zwielichtigen Lebensabschnittsgefährten der verhuschten Heldin, Ivan Rassimov [→ DJANGO – DEIN HENKER WARTET] lauert eben jener hinter jeder zweiten Ecke auf und setzt auch schon mal in der U-Bahn zum Sprung auf sie an, George Rigaud [→ TOP JOB] mimt den seltsamen Psychiater, der seine Zulassung offenbar in der Keksdose gefunden hat, und Julián Ugarte [→ IN MEINER WUT WIEG ICH VIER ZENTNER] gibt sich als satanischer Sektenguru die zweifelhafte Ehre. Und über allem schwebt die Präsenz von Edwige Fenech, die das Werk mit Schönheit und Schauspiel fast im Alleingang trägt (auch, wenn man sich ihren Charakter zumindest einen Hauch selbstbestimmter gewünscht hätte).

DIE FARBEN DER NACHT ist ein exzessiver Wirbelwind zwischen Wahn und Wirklichkeit, gespickt mit Giallo- und Horror-Motiven, ROSEMARY'S BABY bisweilen näher als DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE. Dem Schlussakt fehlt es dafür freilich an inhaltlicher Konsequenz, und so manches wirkt nicht zu Ende gedacht. Wer schon immer mal wissen wollte, wie es auf einer Schwarzen Messe eigentlich so zu geht, kommt um Sergio Martinos Farbenspiel allerdings nicht herum. Im Folgejahr ratterte unter seiner Regie dann DIE SÄGE DES TEUFELS. Aber das ist eine andere Geschichte.

Laufzeit: 95 Min. / Freigabe: ab 16

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