Italien 1985
Regie:
Alberto De Martino
Darsteller:
Christina Nagy,
David Warbeck,
Carroll Blumenberg,
Rossano Brazzi,
Andrea Bosic,
Loris Loddi,
Adriana Giuffrè,
Daniela De Carolis
Inhalt:
Die querschnittsgelähmte Joanna [Christina Nagy] ist trotz ihrer Behinderung eine lebenslustige Frau, die sich u. a. mit Fechten und Bogenschießen fit hält. Dabei lernt sie den charmanten Sportlehrer Graig [David Warbeck] kennen, der sie alsbald in den Hafen der Ehe zu bugsieren gedenkt. Es ist an Joannas Hausarzt Dr. Sernich [Rossano Brazzi], Graig über Joannas Vergangenheit aufzuklären: Im Alter von 11 Jahren stürzte sie eine öffentliche Treppe hinab, als sie vor einem Mann im Priestergewand floh, der sich an ihr vergehen wollte – ein Trauma, das ihre Psyche seitdem verdrängt hat. Aber nun scheint ihre Vergangenheit sie einzuholen: Immer wieder sieht Joanna einen mysteriösen Mann in dunkler Robe, der eine mit Blut besudelte Puppe bei sich trägt. Gleichzeitig beginnt eine grausige Mordserie, der immer mehr Freunde und Bekannte Joannas zum Opfer fallen. Joanna muss all ihre körperlichen und mentalen Kräfte aufbringen, um hinter das Geheimnis zu kommen.
Kritik:
Dass DAS HAUS DER VERFLUCHTEN in vielen Datenbanken unter der Rubrik „Horror“ gelistet ist, verdankt er wohl in erster Linie seiner unpassenden Benennung nebst akuter Abschreiberitis. Aber auch, wenn gefühlt jedes dritte Spuk-Spektakel ebenfalls einen derartigen Titel trägt, entpuppt sich 7, HYDEN PARK: LA CASA MALEDETTA (wie er im Original kaum weniger irreführend heißt) bereits nach wenigen Minuten als ein Giallo reinsten Wassers. Gut, so rein, wie es anfangs den Anschein hat, ist das Wasser im weiteren Verlaufe dann zwar gar nicht, übernatürliche Phänomene glänzen dennoch durchgehend durch Abwesenheit. Dafür startet Regisseur Alberto De Martino [→ IM DUTZEND ZUR HÖLLE] direkt mit der Bebilderung des für das Giallo-Genre unerlässlichen Kindheitstraumas, was auf Anhieb Punkte bringt, denn die Inszenierung ist unerwartet hochwertig. Verstörende Symbole, schräge Winkel und verschrobene Perspektiven erschaffen eine astreine Alptraum-Ästhetik und glaubwürdige Visualisierung der Zerrüttung einer Kinderseele. Und als wollte man alle Zutaten in möglichst kurzer Zeit abarbeiten, folgt im Anschluss an diese Sequenz auch direkt der erste Mord, stilecht begangen mit schwarzen Handschuhen und scharfem Rasiermesser.
An effektiven Auftakten mangelt es also beileibe nicht und des Publikums Neugierde, wie die einleitenden Ereignisse miteinander in Verbindung stehen, ist geweckt. Bis das geklärt wird, vergeht ein wenig Zeit, die allerdings gut genutzt wurde und zudem einige Stilwechsel mit sich bringt. So wandelt sich DAS HAUS DER VERFLUCHTEN zunächst zaghaft zum Psycho-Thriller, wenn Hauptfigur Joanna von ihrer verdrängten Vergangenheit eingeholt wird. Die Auftritte eines unheimlichen Priesters, der ein blutbeflecktes Plastik-Püppchen vor sich her trägt, welches noch dazu mit zarter Mädchenstimme ein gar grausliches Gesangsstück über aufgeschlitzte Bäuchlein zum Besten gibt, sorgen dabei in der Tat für ein paar schöne Schauer-Momente, obwohl einem eigentlich zu keiner Sekunde suggeriert wird, hier ginge tatsächlich ein Gespenst um. Dass stattdessen ein Komplott im Hintergrund läuft, davon künden nämlich die doch sehr weltlichen Tötungsdelikte, die sich im Umfeld der Protagonistin ereignen, und denen – Zufall? – stets Kirchendiener zum Opfer fallen. Die größte Überraschung ist dabei am Ende gar nicht die Antwort auf die Frage nach dem Täter, sondern der Umstand, dass dieser sich dem Publikum bereits nach gut einer halben Stunde Spielzeit selbst offenbart.
Mit dieser unerwarteten Früh-Demaskierung findet ein Perspektivwechsel statt, der DAS HAUS DER VERFLUCHTEN vom Mitrate-Krimi in etwas verwandelt, dessen Mittel Altmeister Alfred Hitchcock (von dessen Stil die Ereignisse auch deutlich inspiriert sind) einst als Suspense bezeichnet hat: Der Protagonist weiß nicht um die Gefahr, in welcher er schwebt, das Publikum allerdings schon. Durch diesen Wissensvorsprung entsteht der nötige Nervenkitzel, denn natürlich hofft man, dass die Hauptfigur das Unheil rechtzeitig bemerkt und mit heiler Haut davonkommt. Dennoch – so viel muss man einräumen – hängt die Spannung ab diesem Moment zunächst ein wenig durch, zumal sich die meisten Zusammenhänge auch als ernüchternd banal erweisen und der zu Beginn aufgebauten Erwartungshaltung kaum zur Genüge gereichen. Doch zum Glück gelingt es den Autoren (zu denen auch der Regisseur selbst gehört), die Ereignisse wieder ansprechend zu verdichten, wenn sich das Ganze nach und nach zu einem intensiven Kammerspiel entwickelt, bevor jede Subtilität über Bord fliegt und es nur noch ums blanke Überleben geht. Hier kommt dann auch endgültig das den Titel schmückende Haus ins Spiel, das von Alberto De Martino und seinem Kameramann Gianlorenzo Battaglia [→ BLADE IN THE DARK] als sinistrer Todeskäfig in Szene gesetzt wurde. Dass man dabei die Rollstuhl-Abhängigkeit der Protagonistin mehrmals zur Spannungsförderung einsetzt, führt zu einer weiteren prominenten Referenz, nämlich den Thriller-Klassiker WARTE, BIS ES DUNKEL IST aus dem Jahre 1968, in welchem das blinde Opfer seine Behinderung am Ende in seinen Vorteil ummünzt.
Dass DAS HAUS DER VERFLUCHTEN erst Mitte der 1980er entstand, nimmt freilich Wunder, ist die Inszenierung doch auf fast schon trotzige Weise angenehm altbacken. Dabei hatte der Giallo, die in viel Kunstblut getränkte italienische Krimi-Spielart, seinen Zenit zu dieser Zeit nicht nur überschritten, sondern war eigentlich schon längst abgemeldet. Dennoch wirkt das Werk überwiegend, als sei es gut 10 Jahre früher entstanden. Davon, dass bereits ein neues Zeitalter angebrochen war, zeugen insgesamt nur wenige Dinge, wie beispielsweise die Musik, die hier doch arg synthetisch klingt. Und auch der Einfluss amerikanischer Slasher-Ware, die seit Beginn der 1980er mit HALLOWEEN & Co. die Kinosäle füllte, lässt sich kaum leugnen (wobei diese auch deutlich vom Giallo inspiriert war, womit sich der Kreis wieder schließt), spätestens dann nicht mehr, wenn am Ende plötzlich alle bis dahin Gemeuchelten aus jeder Ecke fallen und der Killer trotz brutalster Blessuren schlichtweg nicht kleinzukriegen ist. Ohnehin gestaltete De Martino manche Momente verblüffend heftig, wenn immer mal wieder zwar kurze, aber dafür umso eindringlichere Gewaltakte stattfinden. Und natürlich lassen sich auch die offiziellen Meuchelszenen nicht lumpen, wenn Skalpell und Schaufel sehr gekonnt zweckentfremdet werden.
Frei von Schwächen ist die Erzählung dabei freilich nicht. So wird man beispielsweise das Gefühl nicht los, die Enthüllung des Rasiermesser-Mörders geschehe vor allem deswegen so früh, weil sie ohnehin keine sonderlich große Überraschung gewesen wäre (für das deutsche Publikum übrigens schon gar nicht, ist dessen Synchronstimme doch derart markant, dass man sie bereits nach wenigen Sekunden korrekt zugeordnet hat). Ein zwischendrin stattfindender Ausflug nach New York ist inhaltlich zudem so unnötig, dass man den Eindruck gewinnt, hier wollte man nur noch schnell eine Drehgenehmigung ausnutzen. Irritierend geriet auch eine seltsam uninspiriert wirkende Traum-Sequenz Joannas, die einen durch ihren neuen Denkanstoß so sehr aus der Bahn wirft, dass sie dem weiteren Verlauf der Handlung sogar regelrecht Schaden zufügt, obwohl sie am Ende (ebenso unpassenderweise) wieder aufgegriffen wird. Dieser Einfall wirkt nicht nur auf erzählerischer Ebene unglücklich, sondern auch auf formaler, da die Inszenierung ohnehin bereits einen realitätsfernen (Alp-)Traumcharakter besitzt.
Dass die ganzen vorgetragenen Erklärungen bezüglich Verdrängung und Seelenpein küchenpsychologischer Kokolores vom Feinsten sind, versteht sich fast von selbst, gehört dieser Umstand doch fast so sehr zum Giallo-Genre wie Mord und Maskierung. Ohnehin wirkt die Konstruktion von Joannas Kindheitstrauma etwas weit hergeholt: Ein Triebtäter, welcher sich ausgerechnet in eine geistliche Tracht wirft, um Kinder anzulocken? Wäre für so etwas nicht jedes andere Kostüm besser geeignet gewesen? Eigentlich sollte es sich ja herumgesprochen haben, dass, sobald ein Pfaffe mit Püppchen naht, sämtliche Fluchtreflexe umgehend zu aktivieren sind. Auch dem bewährten erotischen Unterton wird Rechnung getragen, wenn ein paar harmlose gleichgeschlechtliche Anwandlungen zwischen Joanna und ihrer jungen Pflegerin geschehen. Eindeutige Schlüpfrigkeiten bleiben jedoch aus und hätten sich auch kaum mit der restlichen Tonalität vertragen.
Um sich bewusst zu machen, wie viel Klasse DAS HAUS DER VERFLUCHTEN trotz seiner fraglos vorhandenen Defizite besitzt, muss man ihn nur mit der Mehrheit der Italo-Krimi-Ware aus dem Jahrzehnt seiner Veröffentlichung vergleichen, wie mit dem blankpolierten, nichtssagenden NOTHING UNDERNEATH, der im tiefsten 1980er-Körperkult-Sumpf versinkt und ähnlich langweilig-oberflächlich daherkommt wie die ganzen Models, die dort uninteressanter Weise gemeuchelt werden. Im Gegensatz dazu erscheint Alberto De Martinos Werk regelrecht klassisch und besticht durch eine hochwertige Ausstattung (die mit Bildern und Büchern vollgestopften Räumlichkeiten sind ein echter Hingucker) und ein paar gelungene optische Spielereien (wie Spiegelungen in Sonnenbrillen oder zahlreiche experimentelle Perspektiven). Die Gründe für die Morde kann das Drehbuch zwar nicht so wirklich plausibel machen, aber Stimmung und Spannung passen durchaus. Wer für klassischen Giallo-Grusel und „Hitchcock mit Härte“ etwas übrig hat, der darf in diesem Haus also gern ein Zimmer buchen.
Laufzeit: 85 Min. / Freigabe: ab 16
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