Eigene Forschungen

Montag, 3. Februar 2020

1931 - ES GESCHAH IN AMERIKA


PIAZZA PULITA
Italien 1972

Regie:
Luigi Vanzi

Darsteller:
Tony Anthony,
Lucretia Love,
Adolfo Celi,
Richard Conte,
Corrado Gaipa,
Irene Papas,
Lionel Stander,
Raf Baldassarre



Inhalt:

USA, 1931: Gangster Pete di Benedetto [Tony Anthony] bekommt den Auftrag, eine Leiche von Virginia nach Sizilien zu überführen. Dabei zählen ausschließlich die inneren Werte: In dem Leichnam steckt eine halbe Million Dollar. Benedetto ist die eigentliche Bezahlung für den Job zu niedrig, weshalb er Siziliens Boss Polese [Adolfo Celi] kontaktiert. Gemeinsam sprengen sie die Trauerfeier und reißen sich das Geld unter den Nagel. Doch dann offenbart Polese sein wahres Gesicht – er hat nämlich mitnichten vor, den Betrag zu teilen. Dass er den frisch Geprellten einfach nur auf die Straße setzt anstatt ihn noch vor Ort umzulegen, erweist sich als folgenschwerer Fehler. Benedetto denkt nämlich gar nicht daran, sich so einfach geschlagen zu geben. Da seinen alten Kumpels bereits bei bloßer Erwähnung des Namens Polese die Muffe saust und er daher keine Hilfe erwarten kann, zieht er die Nummer schließlich allein durch und entführt Pearl [Lucretia Love], die etwas naive Gespielin des Mafiabosses. Herausgabe, so der Deal, nur gegen Bares. Die Übergabe gelingt zwar zunächst, aber nun fühlt sich Polese natürlich arg ans Bein gepisst. Es beginnt ein brutaler Reigen aus Verrat, Marter und Mord.

Kritik:

Tony Anthony war zu Zeiten seiner kurzen Kino-Karriere schon eine ziemlich coole Socke. Der amerikanische Schauspieler (eigentlicher Name: Roger Anthony Petitto), der sich im europäischen Raum ein kleines Standbein erschuf, scheint generell nur die Rollen angenommen zu haben, die er besonders geil fand. Den Rest ließ er einfach sausen. Seine Figuren und Filme waren dabei immer sehr eindeutig von wesentlich größeren Vorbildern inspiriert, und man wird partout den Eindruck nicht los, Anthony wollte einfach immer nur das nachspielen, was er auf der Leinwand so richtig knorke fand. Wie kleine Jungs das in den 80ern mit Spencer, Hill, Schwarzenegger und Stallone auf dem  Schulhof gemacht hatten. Zwischen der kauzigen Clint-Eastwood-Kopie [→ EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN] und dem hemdsärmeligen Indiana-Jones-Imitat [→ DAS GEHEIMNIS DER VIER KRONJUWELEN] hatte er offenbar auch kurz mal Bock, den wilden Gangster zu mimen und als eine Art Sparflammen-Scarface ein paar Patronen und Blutpäckchen platzen zu lassen. Das Ergebnis: 1931 – ES GESCHAH IN AMERIKA, ein kostengünstig erstelltes, aber durchaus vorzeigbares Gaunerstück, das er nicht nur mit seiner Präsenz beehrte, sondern auch mit dem dazugehörigen Drehbuch versorgte. Ach ja: Produzent war er auch noch. Wenn schon, denn schon.

Der Vorspann begrüßt einen mit den Klängen Louis Armstrongs und sorgt somit auf Anhieb für das richtige Flair. Ein Off-Sprecher informiert einen derweil freundlicherweise darüber, dass bereits eine Menge Filme über die großen Gangster der 30er Jahre gedreht wurden, Pete di Benedetto dabei aber konsequent ignoriert wurde. Wer danach noch bis zum Abspann dranbleibt, weiß dann auch, warum. Exorbitant aufregend geriet die Geschichte nämlich wahrlich nicht. Dass der Unterhaltungswert dennoch deutlich über dem Durchschnitt liegt, ist vor allem Verdienst der stimmungsvollen Inszenierung. 1931 funktioniert in erster Linie als gediegenes Kostüm- und Ausstattungsexponat, ohne dass dabei jemals der Eindruck eines realistischen Zeitbildes erweckt würde. Stattdessen schielte man in Richtung nostalgischer Verklärung und gerierte sich als pulpig anmutende Theatervorführung mit leichtem Hang zur siffigen Exploitation. Da werden Leichen geschändet, Rasiermesser zweckentfremdet und Menschen generell ziemlich kaltblütig aus dem Leben katapultiert (auf dem Scheißhaus eingesperrt an Bleivergiftung zu sterben, muss echt entwürdigend sein). Wirklich geil ist das Gaunerleben, dass Tony Anthony und sein Haus- und Hofregisseur Luigi Vanzi [→ DER SCHRECKEN VON KUNG FU] hier entwarfen, wirklich nicht. Wer zu gutmütig oder -gläubig ist, stirbt nicht an Altersschwäche. Jeder behummst jeden. Und Mann wie Frau treibt ausschließlich die Gier nach dem großen Geld.

Tatsächlich unterscheidet sich PIAZZA PULITA (Originaltitel) daher herzlich wenig von den Brutalo-Western, in denen Anthony zuvor zu sehen war. Die Zeit ist vorangeschritten, Menschen und Moral jedoch sind gleich geblieben. Vor allem das weibliche Geschlecht, hier verkörpert durch eine großartig aufspielende Lucretia Love, hat in dieser Welt wenig zu lachen. Als naives Anhängsel des großen Bosses Polese (ebenfalls hervorragend: Adolfo Celi) wird sie von diesem behandelt wie Dreck, kassiert Ohrfeigen am laufenden Meter und muss sich dazu Sätze anhören wie: „Gewöhn dir gefälligst an, nur zu reden, wenn du gefragt wirst.“ Und als sie sich ob der dauernden Watscherei beschwert, bekommt sie als Rechtfertigung: „Aber das ist normal für ne Nutte.“ Nachdem sie zum Entführungsopfer von Hauptprotagonist Benedetto wird, ändert sich ihr Status auch nicht erheblich. Zwar ist der grundsätzlich etwas netter zu ihr, aber er reißt ihr trotzdem ungefragt die Kleider vom Leib (wohlgemerkt: um sie zu fotographieren), spendiert ihr tüchtig Backenfutter, nötigt sie zum Kaffekochen und schubst sie zum lieben Dank final aus dem fahrenden Auto. Ihr Charakter, der anfangs lediglich den Eindruck einer unwichtigen Nebenfigur (eben der typischen Frauenrolle) erweckt, schält sich im Laufe der Zeit unerwartet als der interessanteste und auch wichtigste heraus. Sie ist die einzige Person, die eine offenkundige Entwicklung durchmacht, und ist essentiell für den Ausgang der Ereignisse und deren finales Fazit.

Der Rest der Belegschaft bleibt indes arg unterentwickelt und wird lediglich grob umrissen. Ausgerechnet Tony Anthonys Benedetto kommt dabei am belanglosesten daher (und das, obwohl er ja höchstselbst das Skript verzapfte). Ein besonders guter Schauspieler war er freilich nie, hier jedoch agiert er sogar noch etwas träger als sonst – was sich vor allem im darstellerischen Duett mit der deutlich ausdrucksstärkeren Lucretia Love [→ THE KILLER RESERVED NINE SEATS] bemerkbar macht, gegen die er fast vollständig verblasst. Anthony verlässt sich auf seine Maskerade aus Anzug, Hut, Bart und Glimmstengel, was aber nicht ausreicht, um glaubhaft ein Gangster zu sein. Zu allem Überfluss fährt Adolfo Celi [→ EISKALTE TYPEN AUF HEISSEN ÖFEN] als sein Kontrahent auch noch richtig auf und liefert als arroganter Mafiaboss eine herrliche Vorstellung. Höhepunkt ist die Sequenz, in welcher er sturzbetrunken die Treppe hinauf ins Bettchen wankt, quietschfrivol herumlallend wie ein besoffener Schuljunge nach dem Abiball, und mit seiner Liebsten auf Tuchfühlung gehen will. Als sie keine Lust hat, kassiert sie wieder mal ne Schelle. Als sie dann erstmals zurückschlägt, sitzt er sekundenlang da wie vom Donner gerührt, starrt sie fassungslos an, das Händchen an der schmerzenden Wange, und meint schließlich in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran zulässt, dass für ihn gerade die Welt aus den Fugen gerät: „Du hast mich geohrfeigt.“

Der deutsche Titel versuchte dem Werk einen gewissen epischen Stempel aufzudrücken, was nicht nur die knapp bemessene Laufzeit Lügen straft. Auch inhaltlich backt man hier bescheidenere Brötchen. 1931 – ES GESCHAH IN AMERIKA ist letzten Endes nicht mehr als ein kleiner Krimi im Unterweltmilieu, dessen Story sehr simpel gestrickt wurde, geht es doch im Grunde nur darum, dass zwei Parteien sich immer wieder gegenseitig übers Ohr hauen, um sich einen Batzen Bargeld abzuluchsen (was zumindest in einer bösen Pointe endet). Adolfo Celi und seine Mannen wirken zudem auch nicht wirklich, als seien sie die großen Syndikats-Zampanos, sondern machen eher den Eindruck einer ungezogenen Rabaukenbande. Überdies wundert man sich über den zum Teil recht lockeren Tonfall, der so gar nicht zur eigentlich recht gewalttätigen Atmosphäre passen will (was allerdings auch lediglich autonome Ausgeburt deutscher Synchronkunst sein könnte). Als Benedettos Wagen während einer Verfolgungsjagd droht, schlappzumachen, schreit er die Karre an: „Wenn du mich jetzt im Stich lässt, pisse ich dir in den Tank!“ Und zum Thema Partnerschaft weiß er: „Schaffst du dir ein Weib ins Haus, fliegt dein Geld zum Fenster raus.“

1972 – Es geschah in Italien. Tony Anthony drehte mal wieder das, was großen Jungs wie ihm Freude macht. Mit viel Kostüm, Dekor und Maske, dazu etwas Sadismus und Selbstjustiz, abgeschmeckt mit blanken Brüsten und blauen Bohnen, erschafft er seine eigene Westentaschen-Version von großem Kino. Das wird niemals irgendjemand mit einem Meisterwerk verwechseln. Aber für den kleinen Genre-Hunger zwischendurch reicht das locker aus.

Laufzeit: 89 Min. / Freigabe: ab 16

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