Eigene Forschungen

Freitag, 30. August 2013

EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN


UN DOLLARO TRA I DENTI
Italien 1966

Regie:
Luigi Vanzi

Darsteller:
Tony Anthony,
Frank Wolff,
Gia Sandri,
Raf Baldassarre,
Jolanda Modio,
Aldo Berti,
Enrico Cappellini,
Arturo Corso



„Was für ein Mann bin ich?“


Inhalt:

Ein Fremder [Tony Anthony] reitet in das karge Städtchen Cerro Gordo. Dort wird er Zeuge, wie die Schurkenbande unter der Führung des gefürchteten Gesetzlosen Aguilar [Frank Wolff] ein ganzes Bataillon mexikanischer Soldaten auslöscht. Der Grund: Aguilar und seine Männer wollen sich selbst als die Armeebediensteten ausgeben. Abgesandte der amerikanischen Kavallerie sind nämlich auf dem Weg, um dem mexikanischen Militär zwei Säcke voller Gold auszuhändigen. Der Fremde errät den Plan und klinkt sich in das Unternehmen ein. Doch als er seinen Anteil verlangt, ist es mit der Gastfreundschaft Aguilars zu Ende: Lediglich eine Dollarmünze überlässt er ihm als Belohnung, bevor er ihn brutal zusammenschlagen lässt. Doch der Fremde kann entkommen und hat jetzt nur noch ein einziges Ziel: das gesamte Gold ...

Kritik:

Das kleine Wörtchen 'Dollar' im Titel ist kein Zufall: EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN erinnert von Thema, Atmosphäre und Schauplatz her doch auffallend an den damals erst zwei Jahre zurückliegenden Sensationserfolg FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR, welcher Kinogeschichte schrieb und das Bild des Italo-Westerns entscheidend mitprägte. Hier wie dort reitet ein namenloser Fremder in ein kleines Western-Kaff, spricht kaum ein Wort, legt sich mit einer Schurkenbande an und erweist sich im Schusswechsel als unbezwingbar, um am Ende schließlich als Sieger wieder aus der Stadt zu reiten. Nur heißt der fremde Pistolero hier nicht etwa Clint Eastwood, sondern Tony Anthony. Dieser besitzt zwar einen ähnlichen Poncho wie sein großes Vorbild, aber bei weitem nicht dessen Coolness. Dabei gibt sich Anthony durchaus Mühe, es dem Original bestmöglich nachzueifern: Nicht nur sein Kleidungsstil, auch die verkniffene Miene und die Einsilbigkeit gehören zu den eindeutig kopierten Mechanismen des 'Fremden'. Die deutsche Fassung setzte dem Imitat dann noch die Krone auf, indem sie ihm gar dieselbe Synchronstimme verpasste. Doch im Vergleich zu Eastwood wirkt Anthony doch immer etwas zu schwachbrüstig, um ihm seine Überlegenheit so ohne weiteres abzukaufen. Wenn er die bösen Buben niederschlägt, dann befürchtet man im ersten Augenblick eher, er habe sich dabei die Hand gebrochen, als dass man tatsächlich erwarten würde, dass die Getroffenen betäubt zu Boden sinken.

Auch inhaltlich wandelt A STRANGER IN TOWN (englischer Titel) auf wohlbekannten Pfaden. Bereits nach wenigen Minuten sind die Seiten klar abgesteckt: Auf der einen die Bösen in Gestalt der verkleideten Schurkenbande Aguilars, auf der anderen der Gute (oder besser gesagt: der etwas weniger Böse, immerhin ist dies ein Italo-Western) in der Gestalt Tony Anthonys, der seinen Gegnern zumindest intellektuell haushoch überlegen ist und dessen Kugeln vermutlich ferngesteuert durch die Gegend fliegen, treffen sie ihr Ziel doch immer haargenau. Was sich daraus ergibt, ist ein gewalthaltiges Katz-und-Maus-Spiel, bei welchem mal die eine, mal die andere Partei die Oberhand gewinnt. EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN folgt somit überwiegend der narrativen Schablone des großen Vorbilds: Der Fremde gibt sich zunächst als Verbündeter der Banditen aus und hilft ihnen sogar dabei, ihren Coup durchzuziehen. Erst, als er im Anschluss von ihnen erwartungsgemäß aufs Kreuz gelegt und um seinen Anteil betrogen wird, beginnt er einen verlustreichen Feldzug. Aufgrund seiner Schießkunst und Schläue hat er dabei quasi auf Anhieb die besseren Karten als die primitive Gaunerbande, die zur Erlangung ihrer Ziele lediglich auf rohe Gewalt zu setzen vermag. Doch auch trotz seiner Überlegenheit muss der Fremde herbe Rückschläge einstecken, wird gefoltert und scheint fast besiegt, bevor er im Finale dennoch triumphieren kann.

Das ist natürlich alles nicht atemberaubend originell und letztendlich nur die zu Grunde liegende Blaupause jeder Heldenstory, die hier eigentlich kaum großartig variiert wurde. Dass EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN dennoch ein gelungenes Unterhaltungsprogramm bietet, liegt, neben der versierten Regie Luigi Vanzis, vor allem an den liebgewonnen Ingredienzien des klassischen Italo-Westerns, welche hier, aufgrund des recht frühen Produktionsjahrs, noch erfreulich frisch und unabgenutzt wirken: das ungastliche Städtchen, durch das unaufhörlich der Wind pfeift, die kargen Landschaften, die eine trostlose Einsamkeit vermitteln, die unersättliche Gier nach Gold, die nur das Schlechteste im Menschen hervorruft, und nicht zuletzt die ruppige Gewaltdarstellung, die rein gar nichts mehr mit dem klinischen Glanz früherer amerikanischer Western gemein hat.

Im Gegensatz zu FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR fehlt es dabei allerdings etwas an inhaltlicher Dichte. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass sich Clint Eastwood seinerzeit mit gleich zwei Gangsterbanden herumschlug, während es Tony Anthony hier nur mit einer einzigen zu tun bekommt. Da sich diese auch nicht gerade durch übermäßige Pfiffigkeit auszeichnet, verkommt EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN im Mittelteil zeitweise zu einem simplen Versteckspiel, in welchem der Fremde lediglich durch Höhlen und Häuser kriecht, während seine Häscher erst dann wieder zur Jagd blasen, wenn ein weiteres Mitglied ihrer Truppe in den Staub gebissen hat. Chronologisch will dabei manches nicht so recht zusammenpassen: Da plant Aguilar die Dorfschönheit zwangszubegatten, was der Fremde lobenswerterweise verhindern möchte. So schleicht er durch das Gebäude, hinterlässt dabei eine Spur aus Schießpulver, wird beinahe entdeckt, versteckt sich, schlägt seinen Beinahe-Entdecker nieder, geht wieder in Deckung und entzündet schließlich die hinterlegte Spur, um das Dynamitlager in die Luft zu jagen. Und obwohl man während all dieser Zeit locker ein ganzes Frauenhaus hätte vernaschen können, hat sich Aguilar in der Zwischenzeit noch nicht einmal die Schuhe ausgezogen.

Auch an anderen Stellen gibt es durchaus mal kleinere Schönheitsfehler: Dass die Soldaten zu Beginn z. B. alle brav stehenbleiben, um sich über den Haufen schießen zu lassen, erscheint ein wenig merkwürdig. Auch an Blutpäckchen hat man offenbar gespart, immerhin hinterlässt das erwähnte Massaker nicht einen einzigen sichtbaren Kratzer auf dem schnieken Unterhemd. Zudem hat der Fremde die meiste Zeit mehr Glück als Verstand, da seine Gegner selbst aus nächster Nähe vielleicht gerade mal den Türrahmen treffen, in welchem er sich befindet. Sinnlos zu erwähnen, dass seine Kontrahenten meist schon am Boden liegen, bevor er überhaupt den Abzug betätigt hat. Doch solch liebenswerte Unzulänglichkeiten gehören auch einfach zu einem zünftigen B-Kracher, zumal EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN im Gegenzug mit so manch großartigem Moment aufwarten kann: So kann man sich eines Schmunzelns kaum erwehren, wenn der Fremde zunächst seine Schritte auf der Veranda abzählt, um dann später hinter der Ecke kauernd die Schritte seines Widersachers zu zählen und genau zu wissen, wann er feuern muss. Auch, wenn er sich im Anschluss unter den Bodendielen versteckt und seine Gegner zunächst mit Geräuschen und Bewegungen verunsichert, bevor er sie in seine Flinte laufen lässt, erntet das einen gehörigen Lacherfolg.

Die Gewaltdarstellung schockiert dabei aus zeitlicher Distanz freilich längst nicht mehr so sehr wie noch im Erscheinungsjahr, doch vor allem die Zynismen des Schurken Aguilar sind von unvergänglicher Boshaftigkeit: Nach dem kaltblütigen Niedermähen einer ganzen Armee schreckt er auch nicht davor zurück, einen Säugling mit dem Messer zu bedrohen, um aus dessen Mutter eine benötigte Information herauszukitzeln, lässt sich vor jeder Missetat jedoch immer wieder von seinem Handlanger Marinero (gespielt von Aldo Berti [→ ESCONDIDO]) bestätigen, dass er ein gerechter Mann sei. Das ist schon starker Tobak und macht Aguilar zu einem enorm verachtenswerten Vertreter seiner Zunft. Der viel zu früh verstorbene Frank Wolff [→ GOTT VERGIBT – DJANGO NIE!], welcher diesem sein markantes Gesicht leiht, ist als Darsteller hassenswerter Bösewicht ohnehin eine Bank. Seine schauspielerischen Qualitäten kann er hier allerdings kaum unter Beweis stellen, seine Rolle ist dafür schlichtweg zu eindimensional geraten. Im Gegenzug jedoch darf er hier nach Herzenslust böse sein, um immer dann, wenn er sich nicht mehr hinter seinem Maschinengewehr verstecken kann, zum erbärmlichen Jammerlappen zu mutieren.

Ungewöhnlich ist, dass sich hier auch eine Frau zu den Schurken zählen und als solchen ebenfalls gehörig austeilen darf: Gia Sandri [→ SCHNELLER ALS 1000 COLTS] spielt Maruca, welche dem Fremden bei seiner Ankunft zunächst nur die Blumenvase entgegenschleudert (nicht ganz zu Unrecht, immerhin beobachtet er sie beim Einkleiden), ihm später jedoch mit inbrünstiger Leidenschaft die Peitsche ins Gesicht knallt (obwohl sie in Wahrheit natürlich total rattig auf ihn ist). Die zweite größere Frauenrolle ging an die hübsche Jolanda Modio [→ VON ANGESICHT ZU ANGESICHT], die als hilfebedürftige Chica das klassische Opfer spielen und einige Male aufgescheucht aus der Wäsche gucken darf.

Und Tony Anthony? Der hat mit der Figur des schweigsamen Westernhelden offenbar die Rolle seines Lebens gefunden, so dass er nachfolgend eigentlich kaum noch etwas anderes spielte und diesem Typus fast bis zum Schluss treu blieb - was seinen Höhepunkt erreichte, als er in BLINDMAN nicht nur schweigsam sein durfte, sondern auch noch blind. Obwohl sich seine Darstellung, wie mehrfach erwähnt, mit den ganz Großen nicht messen kann, verleiht er der klassischen Figur des unnahbaren Revolvermannes doch etwas ganz Eigenes, eine eigenartig liebenswerte Tapsigkeit, die ihn aus der Masse hervorhebt.

Komponist Benedetto Ghiglia [→ HÖLLENJAGD AUF HEISSE WARE] spendierte dem Fremden dazu ein eingängiges Titelthema, welches allerdings ein wenig zu häufig wiederholt wird und einem daher irgendwann doch auf die Nerven fällt. Die restliche Musikuntermalung geriet eher trist und lässt große Melodien, eigentlich eines der Steckenpferde des Genres, schmerzlich vermissen.

Die ständigen Vergleiche mit FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR muss sich EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN schlichtweg gefallen lassen – zeitlich zu nah sind sich beide Werke und zu ähnlich sind Konzept und Umsetzung. Doch holt man Vanzis kompetent umgesetzte Spaghetti-Sause aus dem Schatten Sergio Leones, dann kommt dabei ungemein passable Unterhaltung zum Vorschein. Auch dem Publikum schien das ausreichend gefallen zu haben, durfte der Fremde im Anschluss doch noch zwei weitere Male in die Stadt reiten.

Kein Grund zum Zähneknirschen. 

Laufzeit: 83 Min. / Freigabe: ab 16

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen