Eigene Forschungen

Dienstag, 20. August 2013

BODYGUARDS AND ASSASSINS


SHI YUE WEI CHENG
China 2009

Regie:
Teddy Chan

Darsteller:
Donnie Yen,
Leon Lai,
Tony Leung Ka-Fai,
Nicholas Tse,
Eric Tsang,
Simon Yam,
Fan Bingbing,
Jacky Cheung



Inhalt:

„Demokratie ist die Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk.“

So zitiert Professor Yang Quyun [Jacky Cheung], Gegner der Qing-Dynastie und Anführer der Revive China Society, die berühmten Worte Abraham Lincolns. „Werden wir dieses Ideal auch in China verwirklichen?“, fragt eine Zuhörerin. „Ich bin mir ganz sicher: Dieser Tag wird kommen“, antwortet Yang. Dann spaltet ihm eine Kugel den Schädel.

Im Jahre 1905 steht das Kaiserreich China kurz vor dem Zusammenbruch. Die Intellektuellen wenden sich westlichen Ideen zu und kokettieren mit einem demokratischen Staat. Dr. Sun Yat-Sen [Zhang Han-Yu] ist einer der bedeutendsten Anführer der Widerstandsbewegung gegen die unterjochende Qing-Dynastie. Als er ankündigt, aus dem Exil zurück ins Land zu reisen, befiehlt Kaiserin Cixi [Lau Kwong-Ning] seinen Tod. Der Attentäter Yan Xiao-Guo [Hu Jun] soll das Urteil vollstrecken. Der Revolutionär Prof. Chen Xiaobai [Tony Leung] will Sun Yat-Sen zusammen mit General Fang Tian [Simon Yam] beschützen. Doch ihre Einheit wird verraten und vernichtend geschlagen. Polizeichef Shi [Eric Tsang] beugt sich dem britischen Druck und hält sich heraus. Doch Prof. Chen denkt nicht ans Aufgeben und formiert innerhalb von fünf Tagen eine neue Widerstandsgruppe. Der Geschäftsmann Li Yue-Tang [Wang Xue-Qi], welcher bisher lediglich als Geldgeber fungierte, kristallisiert sich dabei bald als wichtigste Persönlichkeit heraus. Dazu stoßen alsbald einfache Bürger wie der gutmütige Riese Wang Fuming [Mengke Bateer], der Rickschafahrer Deng Si-di [Nicholas Tse], der Bettler Liu Yubai [Leon Lai], General Fangs Tochter Hong [Chris Lee], der spielsüchtige Polizist Shen Chong-Yang [Donnie Yen] sowie Yue-Tangs Sohn Chung-Quang [Wang Bo-Chieh].

Kritik:

Mit Beginn des neuen Jahrtausends entdeckte das chinesische Kino langsam, aber sicher seine Vorliebe für die Historie und produzierte in Folge immer häufiger aufwändige Schlachtpanoramen und Biographien bedeutender Persönlichkeiten aus Chinas Vergangenheit, häufig und gern vor dem Hintergrund einschneidender politischer Umwälzungen. Der Hauptgrund dafür war jedoch weniger der Drang, das Publikum mit kostspieligem Geschichtsunterricht zu verwöhnen, sondern vielmehr die Tatsache, dass sich historische Stoffe hervorragend dazu eignen, beim Konsumenten unterschwellig patriotische Gefühle zu erwecken – ein Umstand, den die Propagandaabteilung des Landes natürlich sehr begrüßte. Der Hinweis, dass die tatsächlichen geschichtlichen Ereignisse zu diesem Zwecke stark romantisiert und simplifiziert wurden, sollte dabei in seiner Selbstverständlichkeit kaum mehr als eine Fußnote wert sein.

Ganz und gar regierungskonform geriet somit auch BODYGUARDS AND ASSASSINS, ein von Regisseur Teddy Chan [→ PURPLE STORM] mit viel Eifer in Szene gesetztes Martial-Arts-Epos, angesiedelt vor der brodelnden Kulisse der letzten Tage der Qing-Dynastie. Um die reale Figur des Revolutionsführers Dr. Sun Yat-Sen ersponnen die Drehbuchautoren Junli Guo, Tin Nam Chun und Joyce Chan die fiktive Geschichte einer Gruppe von Widerstandskämpfern, welche sich gegen die Terrorherrschaft der Kaiserin auflehnt und mit allen Mitteln versucht, das Attentat am zukünftigen ersten Präsidenten der Republik China zu verhindern. Wer nun allerdings ein Dauerfeuer an Handkantenschlägen und Knochenbrechereien erwartet, dürfte recht bald ernüchtert aus der Wäsche blicken. Das mehr als zweistündige Werk nimmt sich nämlich jede Menge Zeit, um zunächst seine Protagonisten vorzustellen – und das sind nicht gerade wenige. So werden einem innerhalb der ersten Stunde gut und gern 20 Personenbeschreibungen vor den arglosen Latz geknallt. Trotz dieser enormen Figurenfülle gelingt es BODYGUARDS AND ASSASSINS jedoch, durch die geschickte Verknüpfung der einzelnen Schicksale und die eher simple, wenn auch effektive Charakterzeichnung, jede einzelne Person dermaßen prägnant zu schildern, dass eine Identifikation nahezu reibungslos funktioniert.

Dass die Figuren dabei allesamt Stereotypen sind, ist freilich kaum von der Hand zu weisen. Ob es nun der Bettler ist, welcher durch den Selbstmord seiner Geliebten in den Opiumrausch getrieben wurde, der spielsüchtige Polizist oder die rachsüchtige Tochter des ermordeten Generals – die Motive und Hintergründe der Handelnden sind denkbar simpel gestrickt und alles andere als innovativ. Zur Wahrung der Übersicht allerdings ist dieser Umstand doch sehr nützlich und die emotionale Bindung des Zuschauers an die Protagonisten wird auf diese Weise ebenfalls denkbar erleichtert. Das Erwecken von Emotionen ist dann auch eines der Hauptanliegen BODYGUARDS AND ASSASSINS', weswegen es die Protagonisten in manch tränentreibende Situation verstrickt. So erfährt der von Donnie Yen verkörperte Shen Chong-Yang, dass die Tochter seiner ehemaligen Frau in Wahrheit sein eigenes Kind und nicht das ihres neuen Geliebten ist. „Wie konnte ich ihr erklären, was für ein Mensch ihr leiblicher Vater ist?“, wird er in Anspielung auf seine Spielsucht gefragt. Es folgt ein hochergreifender Moment, in welchem Shen seiner Tochter des erste Mal in die Augen blickt. Auch der grandiosen Schauspielleistung Donnie Yens ist es zu verdanken, dass diese Szene selbst dem Abgefeimtesten ans Herz geht.

Ohnehin sind die darstellerischen Darbietungen BODYGUARDS AND ASSASSINS' durch die Bank exzellent. Neben dem erwähnten Donnie Yen, dessen Karriere nach jahrelangem Gedümpel in Billigproduktionen schließlich eine wahre Blütezeit erlebte, überzeugt vor allem Wang Xue-Qi in der Rolle des reichen Geschäftsmanns Li Yu-Tang, welcher mit der Revolution zunächst wenig zu tun haben will und seinen Beitrag in Geldleistungen erschöpft sieht, um dann, nach turbulenten Ereignissen sein Verlagshaus betreffend, zu einer der wichtigsten Führungspersonen des Widerstandes aufzusteigen. Der eher unbekannte Mime spielt seinen Wandel dabei ebenso glaubhaft wie eindrucksvoll. Doch auch der Rest der Besetzung, bestehend aus dem Genre-Freund durchaus wohlbekannten Namen wie Eric Tsang, Leon Lai, Nicolas Tse oder Tony Leung, bekommt eine Chance, und nahezu jeder Darsteller erhält eine große Szene, in welcher er sich beweisen darf.

Auf gegnerischer Seite sieht man Hu Jun als kaiserlichen Attentäter Yan Xiaoguo, der zwar eine Armee befehligt, letztendlich jedoch quasi im Alleingang gegen den Widerstand zu Felde zieht. Das ist natürlich hochgeradig hanebüchen und letztendlich auch eher sinnbildlich zu verstehen: Yan Xiaoguo steht symbolisch für das 'böse China', für die verkrustete Kaisermentalität, die sich gegen jede Art von Fortschritt eisern zur Wehr setzt. Als typische Schurkenrolle angelegt, erfüllt Hu Juns Figur auch so ziemlich jedes zu erwartende Klischee, freilich nicht ohne ebenfalls einen großen Moment für sich zu verbuchen: So entführt er seinen ehemaligen Lehrer Chen Xiaobai [Tony Leung] und sperrt ihn ins Verlies, da auch dieser mit der Revolution sympathisiert. Doch hat Xiaoguo noch immer Respekt vor dem Mann, der ihn einst unterrichtete („Wer einmal mein Lehrer war, ist ein Leben lang mein Mentor.“). Darauf folgt ein großartiger verbaler Schlagabtausch zwischen beiden Parteien, von Unverständnis der gegenteiligen Meinung ebenso geprägt wie von verbleibender gegenseitiger Achtung.

Mit packenden Szenen wie dieser bietet BODYGUARDS AND ASSASSINS trotz der anfänglichen Action-Armut bereits mitreißende Unterhaltung. Die finale Stunde schließlich gehört dann fast ausschließlich dem Kampf und entschädigt auch den vergrätztesten Nörgler für die bis dahin vorherrschende Dialoglast. Meisterlich gelingt es Teddy Chan, eine zum Schneiden dichte Atmosphäre zu kreieren, als die zu beschützende Zielperson Sun Yat-Sen in einer Sänfte durch das belebte Hongkong getragen wird und das geschäftige Treiben in den Straßen plötzlich zur unheilvollen Kulisse mutiert, zu einem bedrohlichen Konglomerat aus fiebrigem Ambiente, unterschwelliger Gefahr und bösen Vorahnungen (so werden die zum Tragen schwerer Lasten benötigten Packhaken effektiv ins Bild gerückt), bei welchem der Duft des Massakers bereits in der Luft zu liegen scheint. Auf diese Weise bis zum Höhepunkt gepeitscht, entlädt sich die angestaute Spannung schließlich in einem gewaltigen Gemetzel, welches, wie vom Hongkong-Kino kaum anders gewohnt, abermals ein Musterbeispiel an Choreographie und Schlagkraft darstellt und in seiner Konsequenz kaum Wünsche offenlässt.

Dabei zelebriert BODYGUARDS AND ASSASSINS freilich ausgiebig Märtyrertum, Heldenmut und Opferbereitschaft und geriet damit in seiner Botschaft nicht unbedingt leicht verdaulich: Das zu erreichende Ziel steht über dem Wohl des Einzelnen und dessen Tod ist eine zwar tragische, doch im Zweifel notwendige Unabänderlichkeit. Die Opfer werden geehrt (hier sogar jeweils in einer Extraeinstellung mit Einblendung von Name, Geburts- und Todesdatum) und ihr Sterben, so die Behauptung, war nicht sinnlos. Derlei Propaganda könnte man BODYGUARDS AND ASSASSINS gewiss leicht zum Vorwurf machen, zumal die angestrebte Botschaft angesichts der tatsächlichen chinesischen Verhältnisse geradezu lachhaft wirkt: Das ständige Gerede von Freiheit und Demokratie, die behauptete Volksherrschaft, angebliche Weltoffenheit und USA-Sympathie, das alles steht im völligen Widerspruch zur wirklichen Situation des Landes, in welcher ein totalitäres System über die Belange seiner Bürger bestimmt und jeden Anflug von Freiheitsgeist bereits im Keim zu ersticken versucht.

Doch schiebt man den politischen Hintergrund beiseite, erlebt man ein mitreißendes, packendes Stück Kino, großartig ausgestattet und voll von symbolträchtigen Allegorien. Dabei ist es vor allem die Zeit, die als gegnerische Kraft immer wieder ins Bild gerückt wird. Ständig blicken die Protagonisten auf ihre Uhr und das Schlagen des Pendels erscheint manchmal als das lauteste Geräusch auf der Welt. BODYGUARDS AND ASSASSINS ist verdammt starker Stoff, der das Hongkong des beginnenden 20. Jahrhunderts mit beachtlichem Aufwand an Kostüm und Kulisse wieder zum Leben erweckt und inhaltlich bisweilen an den japanischen Klassiker DIE SIEBEN SAMURAI (und damit auch an dessen amerikanische Neuauflage DIE GLORREICHEN SIEBEN) erinnert, ein historisch inakkurates, doch mit einem Übermaß an Spannung, Stimmung und Atmosphäre aufgeheiztes Mammutwerk, großartig besetzt, stark gespielt und meisterhaft inszeniert. Von Leibwächtern und Attentätern empfohlen!

Laufzeit: 133 Min. / Freigabe: ab 16

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