Italien, Spanien 1969
Regie:
Giulio Petroni
Darsteller:
Tomas Milian,
John Steiner,
Orson Welles,
Luciano Casamonica,
Ángel Ortiz,
Annamaria Lanciaprima,
José Torres,
George Wang
„Liebst du Mexiko?“
Inhalt:
Tepepa [Tomas Milian] ist zum Tode verurteilt. Der freiheitsliebende Mexikaner war einer der Anführer der Revolution, die vermeintlich gewonnen wurde. Doch nach scheinbar erfolgtem Sieg ist die Armee doch bald wieder an der Macht und der erzkonservative Obert Cascorro [Orson Welles] arbeitet daran, die prärevolutionären Verhältnisse wiederherzustellen. Mit der Hinrichtung Tepepas, eines der wichtigsten Männer des Widerstandes, soll ein Exempel statuiert werden. Francisco Madero, der ehemalige Revolutionsführer, hat sich mit dem Militär verbündet und das Todesurteil seines ehemaligen Gefolgsgenossen selbst unterschrieben. Tepepa blickt bereits in die Gewehrmündungen, da fährt ein Auto vorbei. Am Steuer sitzt Dr. Henry Price [John Steiner]. Er entführt Tepepa und rettet ihm das Leben. Doch Price ist nicht etwa ein Sympathisant, wie Tepepa zunächst glaubt: Er meint, in Tepepa den Vergewaltiger seiner Verlobten zu erkennen und will ihm persönlich das Licht auspusten. Mit Müh und Not kann Tepepa ihn davon überzeugen, dass er sich irrt. Es folgt eine schrittweise Annährung beiden Parteien und schließlich wird Price sein Verbündeter im erneuten Kampf gegen die Unterdrückung.
Kritik:
Bei
der Masse genießt der Italo-Western – vorausgesetzt, es steht nicht
zufällig der Name Sergio Leone darauf – die Reputation des billig
produzierten, bleihaltigen Spektakels, das Leiche über Leiche stapelt.
Dieser Ruf kommt nicht von ungefähr, wurde die deutliche Mehrzahl dieses
Subgenres doch tatsächlich mit eher beschränkten finanziellen Mitteln
umgesetzt, während auf inhaltlicher Ebene das meist zu Grunde liegende
Rachethema lediglich rudimentär variiert wurde. Dass es sich dennoch
lohnt, den Blick zu schärfen, um in der Menge an Material das ein oder
andere Glanzlicht zu entdecken (was natürlich nicht bedeuten soll, dass
preiswerte Dutzendware zwangsläufig schlecht sein muss), beweist
Regisseur Giulio Petroni mit seinem im Jahre 1969 entstandenen TEPEPA. Vor
dem explosiven Hintergrund der mexikanischen Revolution entwirft
Petroni eine penibel durchdachte politische Parabel, die ihr
Hauptaugenmerk nicht auf Action und Sadismus legt, sondern auf eine
differenzierte, mit bitterem Humor gespickte Auseinandersetzung mit den
Themen Staat, Freiheit und Unterdrückung. Wer nun sperrige
Intellektuellenkost erwartet, der sei mit dem Hinweis beruhigt, dass TEPEPA dennoch durchgehend packende Unterhaltung bietet und trotz Actionarmut bis zum überraschenden Ende zu fesseln vermag.
Dabei resultiert die vibrierende Spannung TEPEPAs
weniger aus einer aufregenden Story, sondern vielmehr aus dem
ambivalenten Verhältnis der Charaktere zueinander. Bereits die
Ausgangssituation stellt diesbezüglich die Weichen: Der undurchsichtige
Henry Price erscheint zunächst als Verbündeter der Titelfigur Tepepa,
als er diesem das Leben rettet. Doch dann wird klar, dass er ihm
lediglich geholfen hat, um ihn selbst umzubringen, da er ihn für einen
Vergewaltiger hält. Erst, nachdem Tepepa ihn von seinem Irrtum
überzeugen kann, wird er nach und nach tatsächlich zu dessen Verbündeten
und schließt sich zunächst zaghaft, dann immer leidenschaftlicher der
Widerstandsbewegung an. Dieser bereits wunderbar doppelbödige
Beginn ist Wegbereiter für die folgenden Ereignisse, die geprägt sind von
einem Wechselbad aus gegenseitigem Argwohn und Vertrauen, Hass und
Respekt, Verachtung und Bewunderung. Verschiedene Figuren verfolgen
verschiedene Interessen, und ihr Aufeinandertreffen sorgt für eine
gehörige Portion Zündstoff und ein beständiges
unterschwellig-bedrohliches Brodeln. Bedeutend dabei ist, dass das
Verhalten der einzelnen Charaktere, selbst das des so unsympathischen
Polizeichefs Cascorro, jederzeit nachvollziehbar bleibt und Verständnis
ernten kann. Auf das klassische Gut-Böse-Schema wurde hier nahezu
vollkommen verzichtet.
Auch begeht TEPEPA nicht etwa den Fehler, seine Titelfigur zum strahlenden, moralisch
einwandfrei agierenden Helden zu stilisieren, wie man anfangs noch
glauben könnte, sondern zeichnet ihn mit zunehmender Laufzeit als einen
erschreckend naiven Charakter, dessen moralischer Kompass sehr ungenau
justiert wurde. Zwar fehlt es ihm nicht an vordergründigem
Selbstbewusstsein und Charisma (womit er nicht nur seine Leute zu
blenden versteht), wohl aber am nötigen Intellekt, um sowohl Schwere als
auch Folgen seiner Taten korrekt einschätzen zu können. Aus dem
anfänglichen Idol wird so nach und nach ein eher bemitleidens-,
zeitweise sogar verachtenswerter Tropf, für dessen simples Gemüt man
schließlich nur noch Abscheu empfinden kann. Regisseur Giulio Petroni [→ PROVIDENZA]
war es somit nicht etwa daran gelegen, lediglich ein simples
Revolutionsspektakel darzubieten, welches die Bürgerrevolte einer
kritiklosen Glorifizierung unterwirft. Das kluge Drehbuch aus der Feder
Ivan Della Meas und Franco Solinas' interessiert sich vielmehr für das
Wesen der Revolution, für ihre Macht der Verführung und Manipulation und
für die Folgen, die falsch verstandener Freiheitsdrang mit sich bringen
kann. Die Figuren sind Sinnbilder, ihr Handeln ist exemplarisch: Als
Tepepa einen älteren Mann unter Anklage des Verrats hinrichtet,
empfindet dessen Sohn nicht etwa Hass gegen den Mörder seines Vaters,
was die natürliche und einzig logische Reaktion wäre, sondern akzeptiert
die Tat stillschweigend als Notwendigkeit und unterstützt Tepepa
nachfolgend sogar noch durch den Kauf von Feuerwaffen. Solche und
ähnliche Momente sind in TEPEPA
keine Seltenheit und veranschaulichen eindrucksvoll, wie sehr sich
Verhalten und Einstellungen der Protagonisten bereits von der ‚normalen‘
Welt entfernt haben.
Tomas Milian [→ VON ANGESICHT ZU ANGESICHT] in der Titelrolle zu besetzen war die wohl beste Entscheidung der Macher, und es ist kaum anzunehmen, dass TEPEPA mit einem anderen Hauptdarsteller ebenfalls so gut funktioniert hätte.
Milian war damals bereits einer der beliebtesten Darsteller Italiens und
hat mit seinem spitzbübischen Charme und seiner Ausstrahlung die
Publikumsgunst auf Anhieb auf seiner Seite. Gleichzeitig ist der
gebürtige Kubaner jedoch auch ein hervorragender Schauspieler, der seine
Rollen, falls nötig, mit der nötigen Tiefe auszustatten versteht. Der
Wandel Tepepas von der Sympathiefigur zum wenn auch nicht ‚bösen‘ so
doch zumindest zwielichtigen Charakter, geschieht somit ebenso
unerwartet wie glaubwürdig. Ihm gegenüber steht ein fabelhaft besetzter Orson Welles [→ IM ZEICHEN DES BÖSEN],
der als erzkonservativer Polizeichef Cascorro ebenfalls voll und
ganz überzeugen kann. Mit scheinbar stoischer Gelassenheit versprüht er
eine enorm autoritäre Aura, beunruhigend wie respekteinflößend zugleich.
Und doch ist auch seine Figur nicht einfach nur der oberflächliche
Schurke: In einer Szene erinnert er sich an den Kampf gegen die
Aufständischen. Mit nachdenklicher Miene und fernem Blick berichtet er,
wie Tepepa, der von Cascorros Befehl, ihn zu verschonen, nichts ahnte,
ihm ohne jede Angst vor dem Tod entgegenrannte – eine großartig
gespielte Momentaufnahme, die verdeutlicht, dass Cascorro, obwohl er
Tepepas Feind ist, doch Bewunderung empfindet für diesen von seinen
Idealen vollkommen überzeugten Mann. Denn ebenso wie Tepepa, sieht sich
auch Cascorro als Patriot, dessen Ziel, die alten Verhältnisse
wiederherzustellen, für ihn jedes Mittel legitimiert. John Steiner [→ EIN TURBO RÄUMT DEN HIGHWAY AUF]
macht seinem Namen derweil alle Ehre und verkörpert seinen Dr. Henry Price mit
tadellos versteinertem Gesichtsausdruck, was die Undurchsichtigkeit der
Figur blendend unterstreicht. Nach seiner spektakulären Rettungsaktion
zu Beginn, nimmt er lange Zeit eine eher passive Rolle ein, bevor er
sich am Ende als eine der wichtigsten Figuren TEPEPAs
herauskristallisiert. Den ständigen Zwiespalt zwischen persönlicher
Überzeugung und zerreißenden Emotionen spielt Steiner sehr
eindrucksvoll, seine tadellose Leistung ergänzt die Darbietungen seiner
Schauspielkollegen nahezu perfekt.
Grundsätzlich charaktergetrieben, fährt TEPEPA
im Finale zur explosiven Hochform auf und bietet eine äußerst versiert
in Szene gesetzte Actionsequenz, in der es auch ordentlich knallen darf.
Doch trotz gelegentlich durchaus vorhandenen Feuerzaubers bleibt das
Werk in erster Linie eine scharfsinnige Abhandlung über politische
Verhältnisse, Macht und Ohnmacht, Staat und Volk. Eingehüllt in das
wiederholt wunderbare Klangkleid Ennio Morricones [→ TOP JOB],
präsentiert Petroni seine Analyse jedoch nicht als schwerfällig
verkopftes Intellektuellenstück, sondern als sympathisch
unaufdringlichen Nebeneffekt großartigen Unterhaltungskinos. TEPEPA gelingt somit das Kunststück, sowohl die feingeistige als auch die frugale Natur gleichermaßen zu beglücken. Das
bestürzende Ende schließlich sitzt wie ein Keulenhieb und untermauert
mit bleibendem Nachdruck nochmals die radikale Botschaft. Die Revolution
frisst ihre eigenen Kinder. Und Freunde packender Italo-Western fressen TEPEPA.
Laufzeit: 136 Min. / Freigabe: ab 16
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