Eigene Forschungen

Montag, 31. Dezember 2012

LIFE OF PI - SCHIFFBRUCH MIT TIGER


LIFE OF PI
USA 2012

Regie:
Ang Lee

Darsteller:
Suraj Sharma,
Irrfan Khan,
Ayush Tandon,
Gérard Depardieu,
Rafe Spall,
Tabu,
Adil Hussain,
Shravanthi Sainath



Inhalt:

Pi Patel [Irrfan Khan] erzählt einem Schriftsteller [Rafe Spall] die Geschichte seines Lebens: Als Sohn eines indischen Zoobesitzers verliert er als Jugendlicher [Suraj Sharma] bei einem Schiffsunglück seine ganze Familie. Er selbst kann sich auf ein kleines Boot retten, gemeinsam mit einem Zebra, einem Orang-Utan, einer Hyäne und einem bengalischen Tiger. Die Hyäne tötet erst das Zebra. Als der Orang-Utan das Zebra retten will, ist er das zweite Opfer. Doch der Tiger, bislang unter einer Plane versteckt, tötet im Anschluss die Hyäne. Nun ist Pi mit einem gefährlichen Raubtier allein auf hoher See – der Beginn einer unglaublichen Reise der Annährung, Hoffnung und Verzweiflung, bei der beide Parteien nach und nach erkennen, dass sie aufeinander angewiesen sind, um zu überleben.

Kritik:

Es soll Leute geben, bei denen flossen Tränen, als Chuck Noland, gespielt von Tom Hanks, in CAST AWAY von seinem Volleyball zwangsgetrennt wurde. Diese Leute möchte man nicht neben sich wissen, wenn sie Zeuge werden, wie Pi Patel sich am Ende LIFE OF PIs von seinem Tiger verabschieden muss.

Tatsächlich sorgt die erst nach langem Prozess entstandene Verfilmung des 2001 erschienenen Romans SCHIFFBRUCH MIT TIGER für ein paar der herzzerfetzendsten Szenen des Kinojahres 2012. In zeitweise schier überwältigenden Bildern erzählt LIFE OF PI ein ausladendes, in religiösen Metaphern und tiefgründigen Symbolen schwelgendes Abenteuermärchen, dessen versöhnliche Botschaft und simple Konklusion noch nachhaltig beeindrucken können. Dabei verkommt die optische Brillanz niemals zum reinen Selbstzweck, sondern erscheint im Hinblick auf die finale Wende sogar fast zwingend notwendig. Der gebotene Prunk erschlägt Geschichte nicht etwa, sondern ordnet sich ihr unter, unterstützt sie, bereitet ihr die Bühne. So beginnt LIFE OF PI – einer der visuell aufregendsten Filme des Jahres 2012 - in beschaulicher optischer Bescheidenheit mit unaufdringlichen Bildern sich friedlich lümmelnder Zootiere und fühlt sich nachfolgend, wenn er den jungen Inder Pi auf seiner Sinnsuche begleitet, zunächst wie ein bunt bebilderter Exkurs in Sachen Religion und südasiatische Gesellschaftsverhältnisse an.

Aus dieser Prämisse heraus entwickelt sich das intensive Psychogramm eines Mannes, der als Kind von der Vielzahl der Religionen dermaßen verwirrt wird, dass er gleich mehrere annimmt, der mit Intelligenz und Ausdauer den albernen Klang seines Namens reinwäscht, um als Jugendlicher schließlich auf hoher See, scheinbar verlassen von der Welt, doch mit unbändigem Lebenswillen, Tod und Wahn zu trotzen. Besonders die turbulenten Ereignisse auf dem Meer sind es dann auch, die sich ins Gedächtnis brennen: Der brutale Überlebenskampf zwischen Zebra, Affe, Hyäne, Tiger und Mensch, groteskerweise im extrem beengten Raum eines Rettungsbootes stattfindend, liefert einzigartige, in ihrer Wirkung oft surreale Bilder von unübertrefflicher Symbolik. Nachdem lediglich Mensch und Tiger überleben, beginnt eine faszinierende, von Rückschlägen und Erfolgen gezeichnete Annäherung beider Parteien, die sich schließlich miteinander arrangieren, als sie erkennen, dass einer auf die tröstende Gesellschaft des anderen angewiesen ist – nicht nur eine großartige Metapher für das respektvolle Zusammenleben von Mensch und Natur, sondern auch ein treffendes Gleichnis für die Zähmung des menschlichen Geistes.

Viele Regisseure waren bereits für die Verfilmung des im Jahre 2001 erschienenen Romans im Gespräch: M. Night Shyamalan [→ THE VILLAGE], Jean-Pierre Jeunet [→ DIE FABELHAFTE WELT DER AMELIE], Alfonso Cuarón [→ CHILDREN OF MEN] – keiner davon wäre eine schlechte Wahl gewesen. Dass der Zuschlag schließlich an Ang Lee [→ SINN UND SINNLICHKEIT] ging, muss dennoch als wahrer Glücksfall der Filmgeschichte gelten: Seine Inszenierung ist sich der Stärke ihrer zugrundeliegende Story jederzeit bewusst und geriet trotz überbordender Bildgewalt doch zugleich behutsam und unaufgeregt. So kleidet Lee selbst die dramatischsten Momente immer noch in Szenen malerischer Ruhe: Wenn Pi den verheerenden Untergang seines Schiffes zeitweise unter Wasser miterlebt, entsteht auf diese Weise ein Bild von fast schon poetischer Anmut. Überhaupt liegen Schönheit und Schrecken hier verblüffend nah beieinander: Der mörderische Sturm, der das Leben von Pi so entscheidend verändern und seine gesamte Familie auslöschen wird, wird von ihm mit ausgelassenem Freudentaumel empfangen, ein springender, fluoreszierender Wal sorgt zwar für einen der imposantesten Augenblicke, gleichzeitig aber auch für den Verlust lebensrettender Nahrungsmittel, und es ist bezeichnend, dass ausgerechnet die tödliche Insel, auf welcher Pi schließlich strandet, für die wohl schönsten Kinobilder des Jahres 2012 sorgen darf.

Schauspieldebütant Suraj Sharma liefert in der schwierigen Hauptrolle eine beeindruckende Leistung ab. Sein emotionales Wechselbad aus Wut, Hoffnung und Verzweiflung geriet so intensiv, dass man fast meint, sich ebenfalls an Bord seines Rettungsbootes zu befinden. Für zusätzliches Erstaunen sorgen die fast ausschließlich am Rechner entstandenen, absolut authentisch wirkenden Tieranimationen, die es einem aufgrund ihrer Detailliertheit und realistischen Bewegungsabläufe fast unmöglich machen zu glauben, dass sich der Hauptdarsteller in Wahrheit nicht mal auch nur in der Nähe eines wildes Tieres befand.

LIFE OF PI endet, nach einer ereignisreichen Fülle sensationeller Bilder und unvorstellbarer Situationen, schließlich mit einer denkbar simplen, doch gerade in ihrer Einfachheit erhabenen Pointe, die als psychologisch geschicktes Wendemanöver nicht nur dem Erlebten einen neuen Sinn gibt, sondern auch allen Kritikern, die sich an den vermeintlich übermäßig verkitschten Panoramen stören möchten, jeglichen Wind aus den Segeln nimmt. Freilich könnte man den religiös-philosophischen Unterton auch ohne jede Schwierigkeit ignorieren und LIFE OF PI einfach als packende Abenteuergeschichte begreifen, als dokumentarisch angehauchte Annäherung von Mensch und Tier oder als romantisches Ethno-Märchen mit leichtem Fantasy-Einschlag – und wäre damit keineswegs im Irrtum. LIFE OF PI funktioniert in viele Richtungen, bedient viele Gemüter und Sichtweisen, ohne sich dabei selbst im Wege zu stehen. Er missioniert nicht, wie man in unbedarftem Überschwang schnell glauben könnte, er führt die Notwendigkeit der menschlichen Fantasie vor Augen. Dass dieses mithilfe solch phänomenaler Schauwerte geschieht (die sich vor allem in der dreidimensional dargebotenen, eindringlich empfohlenen Version entfalten können), soll der Schaden des Publikums nicht sein.

LIFE OF PI gelingt eine erhabene, überaus kluge Kombination aus tiefsinniger Handlung und inszenatorischer Brillanz, deren kleinere Makel (wie der unzureichend ausgebaute Handlungsstrang, in welchem Pi der Liebe begegnet) unter der berauschenden Welle der Impressionen verschwinden – ein fast schon magisch anmutendes Erlebnis, dessen nicht neue, doch überzeugende finale Erkenntnis schließlich das Tüpfelchen auf dem (P)i darstellt.

Laufzeit: 127 Min. / Freigabe: ab 12

Montag, 24. Dezember 2012

DER TEUFELSGARTEN


COPLAN SAUVE SA PEAU
Frankreich, Italien 1967

Regie:
Yves Boisset

Darsteller:
Claudio Brook,
Margaret Lee,
Jean Servais,
Bernard Blier,
Jean Topart,
Hans Meyer,
Klaus Kinski,
Agatha Alma



Inhalt:

Mara [Margaret Lee] stirbt in den Armen ihres Geliebten, des Geheimagenten Francis Coplan [Claudio Brook] – ermordet. Auf der Suche nach den Drahtziehern dieses Verbrechens und dessen Grund lernt Coplan die Schattenseiten Istanbuls kennen. Dubiose Figuren kreuzen seinen Weg, jeder scheint etwas zu wissen, doch alle schweigen. Als Coplan in einem Nachtclub schließlich eine Doppelgängerin Maras kennenlernt, ist ihm klar, dass hier eine große Verschwörung laufen muss …

Kritik:

007? Kennt jeder. 117? Dank ironisierter Wiederbelebung auch ein paar Leuten bekannt. Und FX 18? Der hatte etwas weniger Glück als seine Kollegen und blieb – zumindest in Deutschland – eher unbekannt. Zwar brachte es auch Coplan auf insgesamt sechs Kinoabenteuer, doch die verwirrende Vermarktungspolitik der deutschen Verleiher und die Tatsache, dass die Figur bei jedem seiner Ausflüge von einem anderen Darsteller verkörpert wurde, blieben nicht folgenlos. 

Natürlich ist der französische Agent Francis Coplan auch nur ein weiteres der zahlreichen unverhohlenen James-Bond-Duplikate, wie sie in den 60ern die Lichtspielhäuser zu Dutzenden belagerten, und folgt als solches blindlings den bereits vorgetrampelten Pfaden, ohne dabei etwas sonderlich Neues hinzufügen zu können. DER TEUFELSGARTEN, der letzte Beitrag zur Coplan-Reihe, erlaubt sich allerdings doch so einige unerwartete Verrücktheiten und eine leicht surreale Grundstimmung, was im Nachhinein deutlich mehr Laune macht, als die zwar ähnlich gearteten, doch wesentlich konventionelleren Abenteuer seines Kollegen OSS 117. Bereits nach wenigen Minuten wähnt man sich buchstäblich im falschen Film, wenn Coplan seine ersten Worte spricht und seiner Geliebten, die eben noch verzweifelt um ihr Leben rannte, mit zartem Schmelz in der Stimme entgegensäuselt: „Erinnerst du dich an die Blumen von Acapulco? Dieser farbige Teppich, der uns auf dem Fluss entgegen schwamm? Erst, als wir ganz nahe dran waren, konnten wir die Schiffe erraten.“

Jedoch just, bevor man sich ernsthaft zu fragen beginnt, ob das Drehbuch vielleicht von Rosamunde Pilcher verfasst wurde, befindet man sich auch schon mittendrin im schönsten Spionagesalat: „Hast du mal etwas vom Konsortium gehört?“, fragt die so blumig Angesäuselte. „Vom Konsortium der Gehirne?“, antwortet Coplan erstaunt. Spätestens jetzt ist klar: Die kommenden 105 Minuten bieten allerfeinsten Agentenquatsch mit Soße. Der sich anschließenden Handlung zu folgen, ohne dabei den Faden zu verlieren, ist keine sehr einfache Übung. Selbst Coplan scheint nicht so recht zu verstehen, worum es hier eigentlich geht und stolpert eher unbedarft und mit fragendem Blick von einem Schauplatz zum nächsten. Mag sein Darsteller Claudio Brook auch rein optisch voll und ganz dem gängigen Agentenklischee der 60er Jahre entsprechen (hochgewachsen, brustbehaart, ein süffisantes Lächeln im kantigen Gesicht), erweckt seine Mimik doch überwiegend den Anschein, als sei er soeben mit voller Kraft gegen einen Laternenmast gelaufen und versuche nun verzweifelt sich daran zu erinnern, wer er eigentlich ist, wo er sich befindet und was der ganze Trubel um ihn herum überhaupt soll. So dümmlich aus der Wäsche geguckt, wie Brook es hier quasi im Dauerzustand macht, hätte Sean Connery wohl nicht mal, wäre er des Morgens im rosa Tutu mit auf dem Teppich getackertem Haupthaartoupet aufgewacht.

So erweckt Coplan, während seine Gegenüber ihn mit Informationen versorgen, überwiegend den Eindruck völliger geistiger Abwesenheit, dass man fast gewillt ist, ein Goldstück für seine Gedanken zu reichen. Ihren Höhepunkt findet diese vermeintliche Apathie, als Colplan von einer Szene auf die andere plötzlich ohne ersichtlichen Grund auf einer Bahre liegt und von den Bediensteten seines Kontrahenten, des türkischen Lieutenants Sakki, in Richtung Krankenwagen geschleppt wird. Bar jeder Gegenwehr liegt Coplan auf der Trage, bis ihm – just in dem Moment, in welchem er an der Kamera vorbeigetragen wird – plötzlich doch noch die Merkwürdigkeit der Situation bewusst zu werden scheint, was zur Folge hat, dass er sich beherzt aufrichtet und sich eher zaghaft als erbost die Frage erlaubt: „Sagen Sie mal, was soll das? Ich bin doch nicht krank!“

Nicht verschwiegen werden sollte an dieser Stelle, auf welche raffinierte Art Agent FX 18 im Anschluss aus dieser scheinbar ausweglosen Situation entkommt: Als plötzlich ein Eselskarren auf der Straße steht und der Krankenwagen scharf bremsen muss, nutzt der Topspion geistesgegenwärtig den entstehenden Tumult und schleicht sich ebenso leise wie unbemerkt aus dem Fahrzeug. Auf die berechtigte Frage des Lieutenants, wie es Coplan denn trotz Bewachung gelingen konnte, zu entfliehen, antwortet sein Untergebener dann auch ganz offen und ehrlich: „Er hat die Tür aufgemacht, Herr Lieutenant!“ 

So und so ähnlich amüsiert DER TEUFELSGARTEN dann auch beinahe über die gesamte Laufzeit hinweg auf äußerst angenehme, realitätsinkompatible Weise: Coplan tigert von Station zu Station, trifft merkwürdige Figuren, die merkwürdige Dinge tun und sagen, tut und sagt selbst merkwürdige Dinge, liefert sich zwischendurch arg ungelenk choreographierte Keilereien und hängt bei öffentlichen Ringkämpfen oder in verruchten Nachtclubs herum. Die recht kryptischen Dialoge (die im Original ähnlich abstrakt und nicht nur das Produkt der deutschen Synchronfassung sein dürften) sorgen dabei immer wieder für Heiterkeit, die obskure Story für angenehmes Erstaunen.

Erstaunlich spät wird auch der eigentliche Oberschurke eingeführt: Hugo Gernsbach [Hans Meyer], der auf einer schwer bewachten Festung irgendwo in der Nähe der syrischen Grenze haust. Nachdem Coplan die ortsansässigen Bauern nach dessen Standort befragt hat („Ich suche ein Schloss oder sowas wie eine Burg.“ - „Hööö?“ - „Eine Festung, eine Zitadelle!“) stattet er dem Fiesling schließlich einen Besuch ab – trotz eindringlicher Warnung: „Kein vernünftiger Mensch geht freiwillig in die Gärten des Teufels!“ - „Die Gärten des Teufels?“ - „Seit Jahrhunderten werden sie so genannt.“ - „Und warum?“ - „Man erzählt, dass in diesen Tälern der Teufel umgeht.“ Dort hütet Gernsbach, ein herrlich bizarrer Bösewicht, der eine Gesichtshälfte wie weiland das Phantom der Oper hinter einer Maske aus Kaugummipapier versteckt, in einer verbotenen, durch eine Stahltür gesicherten Kammer ein todbringendes Geheimnis, ein undefinierbares weißes Licht, dessen Bedeutung und Herkunft bis zum Ende nie geklärt wird.

Der kleine Mystery-Schlenker tut dem TEUFELSGARTEN ziemlich gut, zumal die bizarre Sause gegen Ende ohnehin noch mal einiges an Fahrt aufnimmt. Als Gernsbach eine gnadenlose Menschenjagd veranstaltet und Coplan durch Dschungel und Felsgestein hetzen lässt, sorgt das nicht nur für ein gesundes Maß an Nervenkitzel, sondern auch für eine der amüsantesten Szenen des gesamten Spektakels: So versteckt sich Coplan vor seinen Häschern auf einem Baum und erblickt erschrocken eine riesige Spinne. Dass diese eindeutig aus einem anderen Film hineingeschnitten wurde, ist noch nicht wirklich ein Brüller. Als das Tier Coplan jedoch angreift, sieht es plötzlich nicht nur völlig anders aus, sondern hat sich auch in eine unbewegliche Gummispinne aus dem Halloween-Shop verwandelt, die nun wirklich nicht so aussieht, als könne sie irgendjemandem auch nur im Ansatz gefährlich werden.

Ein weiteres Highlight ist unbestreitbar der legendäre Klaus Kinski in einer großartigen Nebenrolle als undurchschaubarer Bildhauer, der erst in liebevoller Kleinarbeit ein Nacktmodell drapiert, um sich im Anschluss seinem undefinierbaren Haufen Klumpatsch zu widmen, der allerdings keinesfalls den Eindruck erweckt, als könne jemals eine brauchbare Skulptur daraus entstehen. Kinski nutzt hier einmal mehr die Gelegenheit, sein verschrobenes Wesen voll und ganz auszuspielen, und es ist eine wahre Freude, ihm dabei zuzusehen. Mit nacktem Oberkörper stolziert er gedankenverloren durch den Raum, den Blick unstet, die Gesichtsmuskulatur nervös zuckend, und sinniert von der Schönheit des weiblichen Körpers und Bindungen, die über den Tod hinausgehen. Wenn er später plötzlich mit einem Kollegen auch noch Barbie-Puppen entkleidet, um zärtlich mit ihnen zu schmusen, hat man als Zuschauer schon längst alle Scham verloren und suhlt sich voller Wonne in diesem sinnfreien Wust erstaunender Skurrilitäten.

Es ist bezeichnend, dass Agent FX 18 nach einer anfänglichen Schlägerei den halben Rest der Laufzeit seinen linken Arm in einer Schlinge tragen muss – besser kann man den verhinderten Versuch, eine ernsthafte 007-Konkurrenz auf die Beine zu stellen, kaum versinnbildlichen. Dass DER TEUFELSGARTEN dennoch vorzügliche Unterhaltung bietet, liegt an dem ansprechend hohen Kuriositätsfaktor, der eine Absehbarkeit der Ereignisse unmöglich macht und an jeder Ecke eine neue, obskure Überraschung bietet. Die Dialoge sind hemmungslos blöd, der Hauptdarsteller ist auf sympathische Weise überfordert und die Handlung wirkt im Nachhinein wie ein wirrer Traum.

Tadellos gerieten hingegen die Bilder von Kameramann Alain Derobe, dem nicht nur, aber vor allem im Finale ein paar sehr schöne Aufnahmen gelangen.

DER TEUFELSGARTEN! Kein Film mit Hirn! Aber mit Gehirnen!

Laufzeit: 105 Min. / Freigabe: ab 16

Donnerstag, 13. Dezember 2012

DER HOBBIT - EINE UNERWARTETE REISE


THE HOBBIT – AN UNEXPECTED JOURNEY
USA, Neuseeland 2012

Regie:
Peter Jackson

Darsteller:
Martin Freeman,
Ian McKellen,
Ian Holm,
Lee Pace,
Hugo Weaving,
Benedict Cumberbatch,
Billy Connolly,
Elijah Wood



Inhalt:

In einer Höhle im Boden, da lebt ein Hobbit. Dieser trägt den Namen Bilbo Beutlin [Martin Freeman] und führt ein recht beschauliches Leben, das sein jähes Ende findet, als plötzlich der Zauberer Gandalf [Ian McKellen] auf der Matte steht – ein großes Abenteuer plane er, so dessen Botschaft, bei welchem er die Anwesenheit des Halblings wünsche. Aufregung und Bilbo Beutlin, das passt nicht zusammen, findet Bilbo, schließlich sind Abenteuer scheußliche, unbehagliche Sachen, die nur dazu führen, dass man zu spät zum Essen kommt. Freundlich, aber bestimmt lehnt er daher ab. Doch dann laden sich ein Haufen Zwerge nebst ihrem imposanten Anführer Thorin Eichenschild [Richard Armitage], Erbe des Zwergenthrons, unangemeldet zum Essen ein und berichten nach erfolgter Speisekammernplünderung von ihrem Dilemma: Erebor, das Königreich der Zwerge, fiel vor vielen Jahren dem Drachen Smaug zum Opfer, welcher den enormen Goldschatz des Volkes witterte und einen brutalen Zerstörungsfeldzug begann. Nun planen die Zwerge die Rückeroberung ihres einstigen Reiches – und Bilbo soll ihnen dabei behilflich sein. Die Berichte der Zwerge und das gute Zureden Gandalfs wecken in dem betulichen Hobbit schließlich tatsächlich die Abenteuerlust, so dass er sich den Reisenden doch anschließt. Der Beginn sagenhafter Ereignisse ...

Kritik:

DER HOBBIT – eine lang erwartete Reise. Mehrere Jahre mussten vergehen, bis DER HERR DER RINGE, die ebenso aufwändige wie aufsehenerregende Verfilmung des vermutlich einflussreichsten Fantasywerks der Literaturgeschichte, seine cineastische Vorgeschichte erhielt. Als Buch bereits einige Zeit vor der wegweisenden Romantrilogie entstanden, wurden die von Autor John Ronald Reuel Tolkien erdachten, in Aufmachung und Narration deutlich gemäßigter präsentierten Ereignisse Bilbo Beutlins, des Onkels Frodo Beutlins, in der Filmversion schließlich – angereichert mit einigen universumkompatiblen Nebenhandlungen und -figuren - als ausladendes, in drei Teile gesplittetes Mammutwerk nachgereicht, wovon EINE UNERWARTETE REISE den Erstling darstellt (der allerdings bereits einen Großteil der Handlung verarbeitet).

Lange Zeit sah es zunächst so aus, als würde Peter Jackson, Regisseur der vielgelobten Vorgängertrilogie, seinen Platz auf dem Regiestuhl jemand anderem überlassen. Dass es letztendlich anders kam, muss als echter Glücksfall gelten. Als eingefleischter Kenner der Vorlage und visueller Schöpfer Mittelerdes besaß allein Jackson die Kompetenz, die in DER HERR DER RINGE erschaffene Welt erneut so zu kreieren, dass sie mit dem Vorgänger völlig widerspruchsfrei kompatibel wurde. Abermals gelang es ihm, unter Nutzung der imposanten Landschaften seines Heimatlandes Neuseeland, Mittelerde in solch aberwitziger Detailverliebtheit zum Leben zu erwecken, dass es unmöglich erscheint, es einfach nur zu betrachten, dass man stattdessen darin eintaucht, hineingesaugt, verschlungen wird, mit Haut und Haar, von Kopf bis Fuß.

So wirken DER HERR DER RINGE und DER HOBBIT nun tatsächlich wie aus einem Guss, wenn sich auch gewisse, freilich der Vorlage geschuldeten Unterschiede, nicht leugnen lassen. Während sich DER HERR DER RINGE in seiner Komplexität und phasenweisen Brutalität überwiegend an erwachsene Leser wandte, schrieb Tolkien den HOBBIT für ein eher jugendlicheres Klientel, was sich in einem deutlich simpleren Handlungsverlauf und humorvollen Grundton bemerkbar macht. Dieses ist auch in der Filmversion zu spüren, besitzen doch viele Szenen, selbst welche, in denen ihre Protagonisten bereits dem Tode ins Auge blicken müssen, bei aller Dramatik immer noch eine gewisse Heiterkeit. Das liegt vor allem darin begründet, dass die meisten der zahlreichen Gegner zwar optisch furchteinflößend wirken mögen, die menschliche Sprache jedoch nicht nur beherrschen, sondern auch anwenden, was zur Folge hat, dass sie ihren abnormen Schrecken größtenteils verlieren. Die drei riesigen Trolle, welche gleich die gesamte Zwergenschar zu vernaschen gedenken, schockieren somit zunächst aufgrund ihres grausigen Äußeren, ihre debilen Dialoge hingegen lassen sie schließlich wie ungezogene Schuljungen wirken.

Mag es manch Berufspuristen auch erzürnen, dass ein für junge Leser gedachtes, eher harmlose Verspieltheit vermittelndes literarisches Werk die Welt des bewegten Bildes als brachiale Bombastwalze erblicken musste, so fand Jackson doch eine wohlbedachte Balance zwischen Epos und Einfachheit, stillt sowohl den Schlachtenhunger der DER HERR DER RINGE-Fans als auch das Harmoniebedürfnis der HOBBIT-Freunde in sorgfältiger Dosierung. Behutsam und fast zärtlich unaufgeregt beginnen die Ereignisse, mit deutlicher Gewichtung des komödiantischen Aspekts wird das folgende Geschehen in geradezu gediegener Gemütlichkeit vorbereitet. Nachdem bei der Rückblende auf den brutalen Freiheitskampf Thorin Eichenschilds das erste Mal Lebenssaft fließen darf, wird der Ton spätestens nach Beginn der Reise deutlich ruppiger, immer wieder wird die Harmonie durch grausige Schreckensszenarien gestört: Köpfe rollen, Blut spritzt, Schwerter graben sich schmatzend in feindliches Fleisch. Zwar geschieht dieses auffallend weniger detailliert als noch im HERRn DER RINGE, verfehlt im starken Kontrast zur ansonsten trotz allem eher friedfertigen Stimmung jedoch seine Wirkung nicht.

Im direkten Vergleich zu DER HERR DER RINGE, welcher selbst in seiner erweiterten Fassung noch durch seine enorme Dichte bestach, muss DER HOBBIT inhaltlich freilich zurückstecken, nicht zuletzt deshalb, weil einem die (durchaus vorhandenen) Schwächen der Buchvorlage hier nun in solch epischer Breite und vollendeter Fabulierlust unter die Nase gerieben werden, dass man sie kaum noch ignorieren kann: Entwickelte sich aus der Geschichte später auch ein überlebensgroßes, äußerst kompliziert verwinkeltes Universum, so bleibt sie doch in ihrem Ablauf reichlich schlicht und noch weit entfernt von der Komplexität der Nachfolger. So geriet EINE UNERWARTETE REISE dann auch vor allem im Schlussteil zu einer zwar zweifelsfrei überaus beeindruckend bebilderten, letztendlich jedoch arg substanzlosen Abfolge wuchtiger Actionsequenzen, die den Freund des gepflegten Adrenalinschubs zwar durchaus zufriedenstellen, in ihrer Pointe jedoch auffallend schwach gerieten: Mag die Gefahr auch noch so groß sein, erfolgt in letzter Sekunde doch immer wieder die Rettung durch bis dahin meist unbeteiligte Dritte – ein nicht gerade durch übermäßige Gewitztheit bestechendes Konzept, welches der Zuschauer dann auch recht schnell durchschaut hat. So hält sich das Hoffen und Bangen um das Schicksal der Helden auf Dauer doch eher in Grenzen, weshalb man schon bald dazu übergeht, sich stellvertretend an der wahrlich umwerfenden Optik der Ereignisse zu ergötzen.

Hochspannung im klassischen Sinne sucht man beim HOBBIT ohnehin vergebens. Was zählt, ist das angenehm-kribbelnde Gefühl, Zeuge epischer Momente zu werden. Bilbos Begegnung mit Gollum, verbunden mit dem Fund des Ringes, der später noch eine so große Rolle spielen soll, ist so ein Moment. Wenn Bilbo den Ring findet und dazu Howard Shores bereits aus DER HERR DER RINGE bekannte schicksalhaft-unheilvolle Melodie erklingt, wenn der Hobbit sich im Anschluss mit dem geradezu erschreckend real animierten Wesen Gollum das berühmte Rätselspiel um sein Leben liefert, wenn man erlebt, wie sehr Gollum leidet in seiner Zerrissenheit, man gleichzeitig sowohl Mitleid empfindet als auch Abscheu und Furcht vor seiner vom Wahn gezeichneten Fratze, dann sind das solch magische, gänsehautbescherende Augenblicke, dann nimmt das dermaßen gefangen, dann taucht man so tief ein in die Ereignisse, dass man in dieser fernen Welt quasi vollkommen versinkt und alles andere um sich herum schlichtweg vergisst.

Zum Gefühl, mit DER HOBBIT in eine vertraute Welt zurückzukehren, trägt nicht allein die ortskundige Regie Peter Jacksons bei, sondern auch die Tatsache, dass viele bereits aus DER HERR DER RINGE bekannte Figuren wieder zurückkehren, die an entscheidender Stelle auch erneut von den altbekannten Darstellern verkörpert werden. Die Idee, die Ereignisse in einer Rahmenhandlung vom alten Bilbo Beutlin erzählen zu lassen, ermöglicht nicht nur erneute Auftritte von Ian Holm und Elijah Wood, sondern schlägt auch gekonnt die Brücke zur Vorgängertrilogie und vermeidet etwaige Verwirrungen bezüglich der Tatsache, dass DER HOBBIT zwar nach DER HERR DER RINGE gedreht wurde, zeitlich jedoch davor angesiedelt ist. Mit Ian McKellen als Zauberer Gandalf gibt es ebenso ein Wiedersehen wie mit Cate Blanchett als Galadriel, Christopher Lee als Saruman oder Hugo Weaving als Elrond. Wichtigster Neuzugang ist Martin Freeman als die jüngere Ausgabe Bilbo Beutlins – welcher als solche schlichtweg hinreißend agiert: Hier ein nervöses Zucken, dort ein verwirrter Blick, immer wieder ein trockener Kommentar zur rechten Zeit - quasi auf Anhieb schließt der Zuschauer den ebenso kauzigen wie liebenswerten Charakter ins Herz.

EINE UNERWARTETE REISE bildet somit einen überaus imposanten Auftakt zur HOBBIT-Trilogie, ein mitreißendes Kaleidoskop packender Panoramen, dessen Bildgewalt man sich nur sang- und klanglos ergeben kann. Durchzogen mit aufwühlender Action, die noch lang im Gedächtnis verbleibt (die geradezu sensationell umgesetzte Flucht aus der Orkhöhle erinnert in ihrer Rasanz und wahnwitzigen Kinetik im besten Sinne an die spektakuläre Lorenfahrt aus INDIANA JONES UND DER TEMPEL DES TODES), dabei in ihren besinnlichen Momenten von liebreizender Behaglichkeit, ist der erste HOBBIT keine unerwartete, aber überaus lohnende Reise, deren lautes Schlachtgetöse und prachtvolles Augenfutter die inhaltlichen Defizite ausreichend zu übertünchen verstehen. Von führenden Reisebüros empfohlen.

Laufzeit: 169 Min. / Freigabe: ab 12

Dienstag, 4. Dezember 2012

THE MAN WITH THE IRON FISTS


THE MAN WITH THE IRON FISTS
USA 2012

Regie:
Robert Diggs

Darsteller:
Robert Diggs, Russell Crowe,
Lucy Liu,
Rick Yune,
Dave Bautista,
Jamie Chung,
Byron Mann,
Daniel Wu,
Gordon Liu



„Bei ner Messerstecherei hab ich immer ne Pistole dabei.“ [Jack Knife]


Inhalt:

China, 19. Jahrhundert: Gold Lion [Kuan Tai Chen], der Anführer des Lion Clans, übernimmt den Geleitschutz für eine Ladung Gold des Gouverneurs. Doch sein Companion Silver Lion [Byron Mann], selbst scharf auf das Gold, wird zum Verräter und lässt Gold Lion durch den Mörder Poison Dagger [Daniel Wu] töten. Als Gold Lions Sohn X-Blade [Rick Yune] von dem Attentat erfährt, sinnt er auf Rache. Er reist nach Jungle Village, wo er Silver Lion vermutet. Doch X-Blade unterliegt Brass Body [Dave Bautista], einem Kämpfer mit magischen Fähigkeiten, der seinen Körper in Metall verwandeln kann. Schwer angeschlagen wird er vom Schmied des Dorfes [Robert Diggs] gerettet, der einst als schwarzer Flüchtling nach China kam. Doch sein Einsatz bekommt ihm teuer zu stehen: Als er sich weigert, X-Blades Versteck zu verraten, hacken ihm Silver Lions Schergen beide Arme ab. Doch der verschlagene Engländer Jack Knife [Russell Crowe], frisch im Dorf eingetroffen, rettet ihm das Leben und schmiedet ihm unter seiner Anweisung zwei metallene Arme, dessen eiserne Fäuste jeden Feind besiegen können. Gemeinsam mit der Prostituierten Silk Blossom [Jamie Chung] und deren Chefin Madame Blossom [Lucy Liu] nehmen sie den Kampf gegen die Unholde auf.

Kritik:

Robert Diggs, alias RZA, neben seiner Funktion als Mitglied und Mitbegründer der Hip-Hop-Combo 'Wu-Tang Clan' auch großer Bewunderer des Martial-Arts- und Exploitationkinos der 70er Jahre, suchte, während bereits seine Musikvideos wiederholt mit Kung-Fu-Elementen kokettierten, auch immer wieder die Nähe zur großen Leinwand. So streifte er durch Jim Jarmuschs verträumte Samurai-Reflexion GHOST DOG und pimpte den Soundtrack des Shaw-Brothers-Kniefalls KILL BILL von Regisseur Quentin Tarantino, in dessen Dunstkreis schließlich auch seine erste eigene Regiearbeit entstand.

Nachdem das GRINDHOUSE-Projekt von Quentin Tarantino und Robert Rodriguez im Jahre 2007 die Hommage an die B-Movies der 70er quasi salonfähig gemacht hatte, erblickten in den darauffolgenden Jahren bereits mehrere auf alt getrimmte Ehrerbietungen an vergangene Bahnhofskinotage das Licht der Filmwelt. Originell war RZAs Idee, im Jahre 2012 einen Kung-Fu-Streifen im 70er-Jahre-Stil zu drehen, somit also nicht mehr wirklich. Das Ergebnis jedoch geriet dermaßen frisch und arglos, dass es einem fast vorkommt, als hätte es einen derartigen Einfall noch nie zuvor gegeben. Diggs bewies nicht nur, wie sehr er die Originale verinnerlicht hat, sondern inszenierte auch mit Geschick und Fingerspitzengefühl: Angefangen vom Titel (inklusive dessen wackeliger Einblendung vor eingefrorenem Hintergrund) über Handlungskonzeption und Schnitttechnik bis hin zur dem klassischen Look entsprechenden Besetzung, gelingt es THE MAN WITH THE IRON FISTS die bekannten Elemente dermaßen perfekt zu imitieren, dass man tatsächlich den Eindruck gewinnen könnte, hier wäre ein vergessenes Kampfsport-Spektakel der Vergangenheit ins neue Jahrtausend katapultiert worden.

Dabei verzichtete RZA darauf, durch absichtliche Bildstörungen, Fehlschnitte oder vermeintlich fehlende Filmrollen den Eindruck zu erwecken, eine alte, verschlissene Kinokopie zu betrachten, wie es viele seiner Kollegen vor ihm taten, und vertraut zur Erweckung seliger Nostalgiegefühle stattdessen ganz auf die klassische Optik, den altmodischen Inszenierungsstil und die antiquierte Handlung, die ebenso dünn und selbstzweckhaft daherkommt, wie es zu früheren Zeiten der Fall war. Die Werke der Shaw Brothers sind es vor allem, denen RZA seinen Respekt zollt, sowie deren zahllose Plagiate, die sich durch immer unsinnigere Kampftechniken und verrücktere Figuren gegenseitig zu übertrumpfen versuchten. Aber auch der zarte Schlenker zum Blaxploitation-Kino (der vor allem erklären soll, warum mit RZA ein schwarzer Protagonist im alten China weilt) gelingt quasi mühelos und bettet sich fast nahtlos ins Martial-Arts-Szenario ein.

Dass die überbordenden Gewaltexzesse nicht wie 40 Jahre zuvor mit Kunstblut und Prothesen getrickst wurden, sondern überwiegend am Rechner entstanden und im Hintergrund statt der Peking Oper moderne Rap-Musik erschallt (wozu natürlich auch der Wu-Tang Clan seinen Beitrag leistet), mag für Puristen empörend klingen, funktioniert jedoch allen Vorurteilen zum Trotz ohne jede Schwierigkeit, was vor allem daran liegt, dass die Verwendung nicht unnötig inflationär, sondern mit Bedacht und Sorgfalt erfolgte: Tatsächlich findet RZA eine wohlige Balance zwischen altmodischen und modernen Elementen, benutzt er letztere doch nicht etwa zur bloßen Anbiederung an den Zeitgeist, sondern zur bestmöglichen Unterstützung klassischer Bestandteile.

Für Fans strotzt THE MAN MIT THE IRON FISTS nur so vor Zitaten und Gastauftritten: Während John Woos THE KILLER lediglich musikalisch gehuldigt wird, hält Shaw-Brothers-Recke Gordon Liu, der bereits Quentin Tarantinos KILL BILL veredeln durfte, sein Antlitz ebenso in die Kamera wie (die gewaltig aus dem Leim gegangene) Blaxploitation-Ikone Pam Grier [→ FOXY BROWN]. Auch die übliche Besetzung ist vortrefflich ausgewählt und Freunden des asiatischen Kinos gewiss nicht unbekannt: Rick Yune [→ NINJA ASSASSIN] hat nach recht ausführlicher Einleitung zwar wenig zu tun, überzeugt auf guter Seite aber dennoch als furchtloser Kämpfer X-Blade, der mit seinem abgefahrenen Messeranzug selbst noch in gefesseltem Zustand seine Gegner plattmacht. Dazu gesellt sich die zierliche Allzweckwaffe Lucy Liu [→ 3 ENGEL FÜR CHARLIE], die als graziöse Bordellinhaberin Madame Blossom ihr geheimnisvoll-exotisches Flair voll ausspielen kann.

Auf der bösen Seite bekommt man Byron Mann [→ CRYING FREEMAN] zu sehen, der als Silver Wolf einen herrlich klassischen Klischeeschurken abgibt, und Daniel Wu [→ NAKED WEAPON], als heimtückischer Poison Dagger die meiste Zeit allerdings unter seiner Kutte verborgen, der seine Gegner – getreu seinem Namen – mit vergifteten Klingen ins Jenseits befördert. Ausgerechnet Zugpferd Russell Crowe [→ GLADIATOR] jedoch, sicherlich aufgrund seiner Popularität beim breiten Publikum in den Cast gehievt, wirkt in dem Szenario wie ein Fremdkörper. Weder mit dem Thema, noch mit dem Genre harmonierend, sorgt seine Präsenz eher für Irritation und reißt einen mehr aus der Illusion, ein altmodisches Kung-Fu-Spektakel zu betrachten, als jeder CGI-Effekt es je könnte. Zwar darf Crowe (der hier einen nicht unbeträchtlichen Wanst vor sich herschiebt) ein paar muntere Einzeiler aus der Lippe fallen lassen und mit seinem rotierenden Monstermesser einigen bluttriefenden Schaden anrichten, wirkt aber dennoch reichlich verloren, zumal auch das Skript nicht viel mit ihm anzufangen weiß.

Fraglos könnte das auch Folge der massiven Kürzungen sein, die THE MAN WITH THE IRON FISTS über sich ergehen lassen musste. Ursprünglich deutlich ausführlicher geplant, merkt man es der Handlung phasenweise schon an, dass sie erst im Nachhinein auf 90 Minuten eingedampft wurde. So werden unzählige durchaus interessante Figuren eingeführt, die im späteren Verlauf jedoch kaum noch ein Rolle spielen oder zur Entwicklung der Story beitragen. Bezogen auf deutsche Verhältnisse ist das auf sarkastische Weise schon fast wieder konsequent: Nicht selten wurden damals hierzulande allzu epische Shaw-Brothers-Werke, die durchaus schon mal an der 2-Stunden-Marke kratzten, auf kompakte Neunzigminüter zurechtgestutzt, so dass sich Motivation und Schicksale der Protagonisten während des verbleibenden Handkantengewitters häufig in Rauch auflösten.

Martial Arts, Blaxploitation und etwas Hokuspokus, mit modernem Sprechgesang verrührt, dazu haufenweise schöne Frauen und überzeichnete Comic-Gewalt, die durch ihre CGI-Wurzeln jeden Schrecken verliert – es ist eine wahre Freude zu sehen, mit welch selbstverständlicher Leichtigkeit diese Mischung funktioniert. RZA war klug genug, sein Werk nicht als polternde Parodie zu inszenieren, welche sich aus arrogantem Überlegenheitsgefühl heraus über die Trivialität der Klassiker amüsiert, sondern eine überaus stilvolle Respektsbekundung zu erschaffen, die sich selbst und ihre Vorbilder ernst nimmt. Im Gegensatz zu Robert Rodriguez’ MACHETE, welcher zwei Jahre zuvor auf eher verkrampfte Art und Weise versuchte, das klassische Exploitation-Kino wiederaufleben zu lassen und dabei (wenn auch auf hohem Niveau) scheiterte, gelingt es THE MAN WITH THE IRON FISTS quasi spielend, den unschuldigen Geist vergangener Kinozeiten wieder zum Leben zu erwecken – als knallbunte, quietschfidele, unbekümmert groteske Posse, deren Mut zu maßloser Übertreibung und Massenuntauglichkeit ein diebisches Vergnügen bereitet.

Passt! Wie die Faust aufs Auge!

Laufzeit: 96 Min. / Freigabe: ab 16

Freitag, 30. November 2012

GAMERA GEGEN GAOS - FRANKENSTEINS KAMPF DER UNGEHEUER


GAMERA TAI GYAOSU
Japan 1967

Regie:
Noriaki Yuasa

Darsteller:
Kojiro Hongo,
Naoyuki Abe,
Kichijiri Ueda,
Reiko Kasahara,
Taro Marui,
Yukitaro Hotaru,
Yoshio Kitahara,
Akira Natsuki



Inhalt:

Von der Menschheit bislang unentdeckt lebt ein gigantisches fledermausähnliches Wesen im Inneren eines Vulkans nahe einem japanischen Dorfe. Als plötzlich ein geheimnisvolles grünes Licht aus dem Berg dringt, wittert ein Sensationsreporter eine verheißungsvolle Story. Mühsam kraxelt er den Berg hinauf und begegnet dabei dem kleinen Eiichi [Naoyuki Abe], welcher sich hier bestens auskennt und sich daher als Führer anbietet. Kaum angekommen, beginnt das nun entdeckte Monster zu randalieren und verspeist zunächst den sichtlich verblüfften Reporter, mit dessen Story es nun freilich Essig ist. Bevor das monströse Untier auch den pausbäckigen Dreikäsehoch verspachteln kann, bekommt es jedoch von der plötzlich ebenfalls sich vor Ort befindenden fliegenden Riesenschildkröte Gamera eins gescheuert. Auf Gameras Rücken reitet Eiichi zurück ins rettende Dorf und muss dort im Anschluss allerhand Fragen betreffend des Monsters beantworten. Er nennt das Ungetüm kurzerhand Gyaos – nach eigener Aussage wegen des Schreis, den es ausgestoßen hat (vermutlich hat der Kleine etwas an den Ohren, denn der Schrei klang nicht im Entferntesten wie Gyaos) – und hat schon bald ergründet, dass selbiges eine Art Vampir zu sein scheint, nachtaktiv und nach Menschenblut dürstend. Nun ist guter Rat teuer, denn selbst Gamera scheint gegen Gyaos nichts ausrichten zu können, trollt sich die menschenfreundliche Flugkröte doch nach unterlegener Schlacht von dannen. Aber die Experten haben, von Eiichi tatkräftig unterstützt, noch so einige tolle Ideen …

Kritik:

1954 entstand im japanischen Toho-Studio GODZILLA, ein offensichtlich vom amerikanischen Klassiker PANIK IN NEW YORK beeinflusster, düster gehaltener Monsterfilm, in welchem Tokio von einer mutierten Riesenechse erst heimgesucht, dann plattgemacht wird. Der Erfolg war dermaßen gewaltig, dass eine wahre Schwemme an Fortsetzungen und Plagiaten über das Publikum hereinbrach und ein neues Genre schuf: 'Kaijū Eiga' – den japanischen Monsterfilm. Im Gegensatz zu westlichen Produktionen wurden die Riesenmonster dabei nicht etwa von (damals) modernen Stop-Motion-Effekten zum Leben erweckt, sondern – da weitaus kostensparender – von kostümierten Schauspielern verkörpert, die sich durch Miniaturlandschaften bewegten. Im Westen aufgrund der Durchschaubarkeit der Effekte oft belächelt, entwickelte das Verfahren jedoch seinen ganz eigenen unverkennbaren Charme, der den eher seelenlosen Tricks diverser US-Produktionen nicht selten deutlich überlegen war.

War GODZILLA noch ein sehr humorloses Unterfangen, trieb die folgende Monsterwelle teilweise wahrlich sonderbarste Blüten, schien doch kaum eine Idee zu abstrus zu sein, um sie nicht in einem Kaijū Eiga verbraten zu können. Als eifrigster GODZILLA-Nachahmer erwies sich bald das mit Toho konkurrierende Daiei-Studio, welches sich bestimmt eine beträchtliche Zeit lang den Kopf darüber zerbrach, welche Art Monster man einer riesigen mutierten Echse als Rivale gegenüberstellen könnte. Schließlich entschied man sich für die naheliegendste Lösung: eine gigantische, fliegende Schildkröte mit Düsenantrieb, welche um die eigene Achse rotieren und Feuerbälle spucken kann – 'Gamera' war geboren. 1965 fand Gameras erster Leinwandauftritt statt, und obwohl Dramaturgie, Handlung und Machart auf geradezu sträflich einfallslose Weise nahezu sämtliche GODZILLA-Elemente sklavisch wiederkäuten, war GAMERA das einzige Konkurrenzprodukt, das ebenfalls in Serie ging.

GAMERA GEGEN GAOS ist der dritte Leinwandauftritt des Riesenreptils und gleichzeitig der erste, der in Deutschland auch unter diesem Namen erschien (nachdem der erste hierzulande zunächst ignoriert und der unmittelbare Vorgänger zum GODZILLA-Film umsynchronisiert wurde). Kopierte man anfangs noch brav das GODZILLA-Konzept (erster Auftritt in Schwarzweiß, später Wandlung des Monsters zum Menschenfreund), war Teil 3 der erste Beitrag der Reihe, in welchem sich deren spätere Richtung bereits abzeichnete: So entwickelte sich GAMERA im Laufe der Zeit zur Kinderserie und schöpfte damit vor allem die Zuschauer ab, denen die GODZILLA-Reihe (trotz auch dort zunehmender Infantilität) immer noch zu düster und brutal erschienen. Daher rückten immer mehr die jugendlichen Darsteller in den Mittelpunkt des Geschehens, während die Erwachsenen sich nicht gerade mit Ruhm bekleckerten und sich von ihrem Nachwuchs mehr als einmal belehren lassen mussten. Sägten die vorlauten Gören freilich überwiegend an den Nerven des volljährigen Publikums, geriet GAMERA GEGEN GAOS in der Beziehung durchaus noch erträglich. Eiichi, gespielt von Naoyuki Abe, erscheint sogar vergleichsweise recht putzig, wenn er den stupiden Erwachsenen immer wieder die Welt erklären muss oder dem tölpeligen Sensationsreporter zu Beginn verbal vors Schienbein tritt. Auch die erwachsenen Darsteller erledigen ihre Arbeit angesichts der stussigen Handlung erstaunlich souverän, während die deutsche Synchronisation die Angelegenheit mal wieder etwas weniger ernst nahm und das Geschehen mit einigen lockeren Floskeln aufpeppte.

Gyaos (wer im deutschen Titel das ‚y‘ geklaut hat, wurde übrigens niemals aufgeklärt) ist zwar allzu offensichtlich nur eine Kopie RODANs (ebenso wie GODZILLA ein erfolgreiches Monster der Toho), aber im Vergleich zum Rest tatsächlich noch die originellste Idee der Macher: Das sich etwas ungelenk bewegende, aber recht knuffig gestaltete Ungeheuer erscheint als Mischung aus Flugsaurier, Urzeitvogel und Riesenfledermaus und erlebte 1995 mit GAMERA – GUARDIAN OF THE UNIVERSE sogar eine deutlich höher budgetierte Wiedergeburt. Nicht ohne Grund geriet Gyaos zu einem der beliebtesten Monster des GAMERA-Universums, das sich, im Gegensatz zu manch anderem Ungeheuer, sogar als verblüffend brutal erweist, wenn es sich, wie es blutgierige Riesenfledermäuse nun mal so tun, auf nächtlichem Beutezug seine bedauernswerten Opfer schnappt und lustvoll auf ihnen herumkaut, um sich an deren Blut gütlich zu tun.

Die Handlung geriet fraglos sehr dünn und ideenlos. Zweimal muss Gamera gegen Gyaos unterliegen, um schließlich beim letzten Kampf als Sieger hervorgehen zu dürfen (warum nicht gleich so?). Dazwischen vergeht jede Menge Zeit für ausgewalzte Beratungsszenen der menschlichen Protagonisten, deren infantile Dialoge einem häufiger mal die Schuhe ausziehen. Die eigentümlichen Maßnahmen der Militärs erweisen sich dann auch hintereinanderweg als völlig wirkungslos, was dem Spaßfaktor doch sehr zuträglich ist. Allein die glorreiche Idee, Gyaos auf eine riesige rotierende Scheibe zu locken, um ihn auf diese Weise so trieselig zu machen, dass er vor Morgengrauen nicht mehr rechtzeitig in seine Höhle zurückfindet, darf gut und gern mit schallendem Gelächter quittiert werden. Um die Handlung abermals weiter zu strecken, wird GAMERA GEGEN GAOS zwischen Monsterkarussells und vorlauten Kinderkommentaren auch noch sozialkritisch, als einige Dorfbewohner gegen den geplanten Straßenbau protestieren, um ihr Dorf zu retten. Mit ihrem ernsthaften Hintergrund in ziemlichem Gegensatz zum ansonsten eher kindgerecht aufbereiteten Geschehen stehend, entpuppt sich die sympathisch-naiv dargebotene Sozialkomponente am Ende jedoch als astreine Nullnummer, wenn sich das Problem quasi sang- und klanglos in Luft auflöst.

Regisseur Noriaki Yuasa inszenierte bereits den ersten GAMERA und war auch für die Nachfolger verantwortlich. Obwohl er später immer wieder betont haben soll, wie viel Herzblut er in die Regie der GAMERA-Filme gesteckt habe, wirkt diese doch ein wenig hüftsteif und frei von übertriebener Raffinesse. Tatsächlich erscheint GAMERA GEGEN GAOS etwas schwächer als der (nicht von Yuasa inszenierte) Vorgänger, obwohl die tapsige Unbeholfenheit der Macher fraglos etwas entwaffnend Liebenswürdiges hat. Die Effekte waren bei GAMERA (zumindest bis zur 1995er Neuauflage von Shûsuke Kaneko) immer ein paar Klassen unter der GODZILLA-Konkurrenz angesiedelt – GAMERA GEGEN GAOS bildet da keine Ausnahme. Die Kostüme sind deutlich fantasieloser, die Miniaturbauten auffallend billiger. Dennoch gelingen zumindest ein paar schöne Trickaufnahmen, wenn der kleine Eiichi auf Gameras Rücken reitet oder sich die beiden Ungetüme über dem Meer fliegend das Fell gerben. 

GAMERA GEGEN GAOS ist am Ende das, was es ist: eine Veranstaltung für Fans von sich kloppenden Männern in Kostümen. Genre-Fremde wird man hier kaum rekrutieren können, dafür fehlt es an Gewitztheit und Einfallsreichtum. Monsterfreunden hingegen bietet der dritte GAMERA immer noch ausreichend launiges Entertainment mit angenehm prickelndem Kuriositätsfaktor.

Wie wird in den deutschen Kaijū-Eiga-Synchronfassungen doch immer so treffend gebellt?

„Ungeheuerlich!“

Laufzeit: 89 Min. / Freigabe: ab 12

Freitag, 23. November 2012

96 HOURS - TAKEN II


TAKEN II
Frankreich 2012

Regie:
Olivier Megaton

Darsteller:
Liam Neeson,
Maggie Grace,
Famke Janssen,
Rade Serbedzija,
Leland Orser,
Luke Grimes,
Luenell,
Laura Bryce



Inhalt:

Einst pflügte Bryan Mills [Liam Neeson] mit roher Gewalt durch Europa, um seine entführte Tochter zu retten. Dabei hinterließ er dank seiner Nahkampferfahrung und skrupelloser Entschlossenheit mehrere Leichen. Murad [Rade Serbedzija] ist der Vater einer der unter diesen Umständen Verblichenen. Und er schwört Rache. Nun soll Mills das genommen werden, was er am meisten liebt: seine (Ex-)Frau Leonore [Famke Janssen] und seine Tochter Kim [Maggie Grace]. Als Familie Mills in Istanbul aufeinandertrifft, sieht er seine Chance: Murads Schergen greifen sich Mills und Leonore. Nun liegt es an Kim, ihren Eltern zu helfen …

Kritik:

„Ich werde Sie finden, und ich werde Sie töten!“, raunte Bryan Mills im Jahre 2008 den Entführern seiner Tochter telefonisch ins Ohr, um im Anschluss selbiges in die Tat umzusetzen – in dieser Reihenfolge und mit beispielloser Akribie.

96 HOURS (im Original TAKEN), ein recht kostengünstig und ohne großartige Übertreibungen inszeniertes Actionbrett, geriet zu einem kaum absehbaren Überraschungserfolg, der Freunde knochentrockener und prickelnd unmoralischer Vergeltungsmaßnahmen die Freudentränen ins Knopfloch trieb. Ein fabelhaft gegen den Strich besetzter, gerade aufgrund seiner Unaufdringlichkeit begeisternder Liam Neeson kämpfte, folterte und meuchelte sich jenseits aller Schamgrenzen durch Europas Unterwelt, um zu verhindern, dass seine Tochter skrupellosen Mädchenhändlern anheimfällt.

Da Erfolge eine Fortsetzung brauchen, überrascht es kaum, dass Bryan Mills vier Jahre später wieder einen Haufen Ärger am Hacken hatte. Dramaturgisch folgt die Weiterführung mit dem unsinnigen deutschen Titel 96 HOURS – TAKEN II dabei ohne großes Risiko dem Original. So hat Bodyguard Bryan Mills zunächst abermals eher unspektakuläre Privatproblemchen mit der Ex-Frau und vor allem dem Töchterlein, das er sowohl vor der Entjungferung als auch vor dem wiederholten Durchrasseln bei der Führerscheinprüfung retten muss. Bei Familienzwist und Männergespräch mit Grillkumpanen vergeht erneut einige Zeit, bis das Geschehen in Wallung kommt. Doch wo das Original ab der Entführung von Mills Tochter das Gaspedal quasi pausenlos durchtrat und eine zum Schneiden dichte Atmosphäre kreierte, kommt die Fortsetzung nie so recht in die Gänge und stottert meist planlos vor sich hin. Die Idee, dieses Mal Mills selbst zum Entführungsopfer werden zu lassen und stattdessen seine Tochter auf Rettungsmission zu schicken, ist so unoriginell nicht, verläuft jedoch bereits nach kürzester Zeit im Sande, da Mills sich im Rekordtempo und auf geradezu lachhaft simple Art und Weise selbst befreien kann. Das nun zwangsläufig folgende Actionspektakel, hauptsächlich bestehend aus Verfolgung, Schusswechsel und Handgemenge, erfüllt freilich seinen Zweck und bietet Adrenalinbedürftigen zumindest das Basisfutter. Das besondere Etwas jedoch, die Grimmigkeit, der Zynismus und vor allem die klare Konsequenz, die das Original so überraschend frisch machten, fehlt fast völlig. War die Action im Vorgänger noch auf ein festes Ziel fixiert, dabei straff, stringent und schnörkellos, wirkt sie bei TAKEN II nur beliebig, episodenhaft und zum Selbstzweck verkommend. Das Skript müht sich verzweifelt, kann seine Konstruiertheit jedoch kaum verbergen. Hier eine Hetzjagd, dort eine Rauferei, doch alles ohne echte Motivation, ohne Zusammenhang, ohne Evidenz.

Die zwar heftig abgestandene, doch deswegen nicht minder gültige Botschaft, dass Gewalt notwendigerweise Gegengewalt erzeugt, also Mills’ von den Fans geliebte Kompromisslosigkeit im Erstling die Fortsetzung somit quasi erzwungen hat, ist dabei ein nettes Gedankenspiel, und immer mal wieder steht die Frage nach der Legitimität von Selbstjustiz im Raum. Doch in selber Regelmäßigkeit werden diese Ansätze auch wieder fallengelassen, als hätten sich die Macher plötzlich vor ihrem eigenen Intellekt erschrocken. Die Möglichkeit einer interessanten Selbstreflexion bezüglich eines der kontroversesten Aspekte des Originals, die rücksichtslose Gewaltanwendung zum Zwecke hehrerer Ziele, wird somit sinnlos vertan.

Vielleicht wollte man die Fans auch einfach nicht mit zu viel Hirnfutter vergrellen, was durchaus seine Berechtigung hat. Doch fehlt es TAKEN II selbst unter dieser Prämisse erheblich an Glaubwürdigkeit. Nun ist Logik fraglos kein zwingendes Konzept für einen funktionierenden Actionfilm. Doch hatte es der erste Teil von 96 HOURS vortrefflich verstanden, Mills Suche, sein Geschick, seine Taktiken, Tricks und Kniffe verblüffend plausibel und nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Verfolgte man dort noch fasziniert, wie Mills die Puzzleteile nach und nach zusammenfügte, weicht die Gewitztheit hier eher abstrusen Ideen und ernüchternder Einfallslosigkeit: Da lässt Mills seine Tochter Handgranaten durch Istanbul schleudern, um zwecks genauer Analyse von Windrichtung und Schallreflexion seinen Standort zu bestimmen, und telefoniert selbst in verschnürtem Zustand noch mit dem Notfallhandy aus der Stinkesocke, während die brutalen Gangster den wohl zu dem Zeitpunkt gefährlichsten Mann Istanbuls lediglich mit simplem Plastikbändchen fesseln und sich anschließend wundern, dass ihm die Flucht gelingt.

TAKEN II hat gewiss den Nachteil, einen wirklich großartigen 96 HOURS als Vorgänger zu haben. Aber selbst ohne den direkten Vergleich mag sich keine rechte Begeisterung einstellen. Zwar präsentierte auch der Erstling ein eher abgehalftertes Feindbild, gab sich in seinem Verzicht auf Schnörkel und Sperenzchen aber letztendlich dennoch erstaunlich alternativ. Dem Nachfolger jedoch geht jene erfrischende Attitüde fast völlig ab, der befreiende Aha-Effekt weicht den üblichen Klischees, von welchen sich das Original gerade so angenehm unterschied. Die fiesen Gaunerfratzen hat man einmal mehr von ganz tief unten aus der Klamottenkiste gezogen und verärgern durch bereits unzählige Male bis zum Erbrechen durchexerzierte Ganoven-Klischees (was bereits in der ersten Szene beginnt, als die Albaner bar jeder Logik statt in ihrer Muttersprache in gebrochenem Englisch Blutrache schwören). Istanbul bietet zwar eine schöne Kulisse für das gewalttätige Treiben, wird jedoch abermals als hinterwäldlerischer Moloch präsentiert, in dem Verbrechen und Gewalt dermaßen an der Tagesordnung sind, dass selbst die achtlos in die Gegend geschleuderten Handgranaten niemanden zu interessieren scheinen.

Statt Pierre Morel nahm beim Mills zweitem Ausflug Olivier Megaton auf dem Regiestuhl Platz (der vier Jahre zuvor mit TRANSPORTER III ebenfalls eine von einem anderen Regisseur begonnene Actionreihe beerbte), was ebenfalls ein paar Veränderungen mit sich bringt. Sein Stil fiel doch deutlich hektischer aus als die eher besonnene Inszenierung Morels (was sich vor allem in den arg unübersichtlich gestalteten Autoverfolgungen zeigt). Liam Neeson, den man vor 96 HOURS niemals auch nur ansatzweise in einem Actionthriller vermutet hätte, agiert hingegen in bekannter Qualität. Ebenso souverän wie agil beweist er, dass unkonventionelle Besetzungen die halbe Miete sein können. Famke Janssen [DEEP RISING] an seiner Seite hingegen wird vom Skript dermaßen unter Wert verkauft, dass es fast ein Trauerspiel ist.

Der Überraschungseffekt, den der Erstling mit sich brachte, ließ sich freilich unmöglich wiederholen. TAKEN II müht sich zwar, bleibt aber letztendlich eine nicht zwingend notwendige und an den Haaren herbeigezogene Fortsetzung, die quasi alle Qualitäten des Originals vermissen lässt: Die zielstrebige Killer-Klimax weicht beliebiger Larifari-Action, das Aufbegehren gegen gängige Konventionsmuster weicht eben diesen. Sicherlich gibt es für Actionfreunde schlechtere Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Die Happy Hour ist dennoch vorbei.

Laufzeit: 92 Min. / Freigabe: ab 16

Mittwoch, 14. November 2012

FOXY BROWN


FOXY BROWN
USA 1974

Regie:
Jack Hill

Darsteller:
Pam Grier,
Antonio Fargas,
Peter Brown,
Terry Carter,
Katheryn Loder,
Harry Holcombe,
Sid Haig,
Juanita Brown



„Rache ist so amerikanisch wie ein Hamburger.“ [Foxy Brown]


Inhalt:

Die schlagkräftige Foxy Brown [Pam Grier] hat’s nicht leicht! Nicht nur, dass sie ihrem missratenen Bruder Link [Antonio Vargas] ständig die Haut retten muss – ihr fürs FBI spitzelnder Ehemann Dalton Ford [Terry Carter] wäre auch vom Drogenkartell des schurkischen Steve Elias [Peter Brown] beinahe massakriert worden. Doch die Gesichtschirurgen verpassen dem mit Müh und Not mit dem Leben Davongekommenem eine neue Visage und das Zeugenschutzprogramm ihm einen neuen Namen. Der Start ins endlose Eheglück? Von wegen! Link schnuppert den Braten und petzt bei Elias, um seine Schulden bei ihm begleichen zu können. Ford werden die Lichter ausgepustet – dieses Mal wirklich! Foxy will Rache! Zum Glück führt Elias Gespielin Katherine [Kathryn Loder] einen als Model-Agentur getarnten Edelnutten-Escort-Service, ausschließlich dazu bestimmt, höchste Kreise aus Politik, Polizei und Justiz gewogen zu stimmen. Foxy lässt sich quasi mühelos anwerben, doch muss bald erkennen, dass die Korruption weiter nach oben reicht, als sie glaubte.

Kritik:

In den 70er Jahren erblühte ein neues Genre in der US-Kinolandschaft: Blaxploitation war angesagt! Die oftmals brutale Realität in den Ghettos der Schwarzen und der immer noch latente Rassismus der weißen Bevölkerung diente als Aufhänger für eine Unzahl spekulativer Billigfilme, in welchen schwarze Heldenfiguren das Gesetz selbst in die Hand nahmen, um sich an den Verbrechen (überwiegend weißer) Gangster zu rächen. Arm an Budget, dabei reich an grober Sex- und Gewaltdarstellung, formulierte die ebenso simple wie effektive DIRTY HARRY-Variante umgekehrten Rassismus und präsentierte die dunkelhäutigen Helden als moralisch einwandfreie, übermächtige, omnipotente Kampfmaschinen – ein filmischer Befreiungsschlag für die schwarze Bevölkerung Amerikas, die sich nach jahrelanger Unterdrückung nur allzu gern mit dieser Rolle identifizierte (obwohl sie eigentlich alle Klischees der weißen Mittelschicht über den ‚schwarzen Wilden‘ bestätigte).

Nach den ersten großen Kassenerfolgen mit SHAFT & Co. versuchte man schnell, auch weibliche Pendants zu den maskulinen Überkämpfern zu etablieren. Als eine der beliebtesten Darstellerinnen kristallisierte sich dabei schnell Pam Grier heraus, die zwar sehr kükenhaft daherkam (was ihre angebliche Unbesiegbarkeit etwas unglaubwürdig erscheinen ließ), jedoch über das nötige Charisma verfügte, um sich gleich durch mehrere Blaxploitation-Sausen hauen zu dürfen. In COFFY trat Grier 1973 das erste Mal in weiße Ärsche, bevor sie diese Tätigkeit ein Jahr später als FOXY BROWN fortsetzen durfte. Der Klassikerstatus, den das Werk mittlerweile genießt, erscheint im Nachhinein jedoch schon etwas befremdlich. Nüchtern betrachtet hat man es mit einer nur wenig aufregenden und reichlich unbeholfenen Melange aus Krimi und Rache-Drama zu tun, die außer den für das Genre typischen Merkmalen (Gangster, Gewalt, Drogen, Zuhälterei …) nicht wirklich viel zu bieten hat. Vielen mag das freilich völlig ausreichen und ein anspruchsloser Unterhaltungswert lässt sich nicht abstreiten – viele der entstandenen Nachzügler wussten die Zutaten jedoch weitaus besser zu nutzen.

Einer der Hauptgründe für den entstandenen Kult dürfte damit Pam Grier höchstpersönlich sein, das von den Fans fast schon ikonenhaft verehrte Aushängeschild des weiblichen schwarzen Selbstbewusstseins der 70er Jahre, dem selbst morgens nach dem Aufstehen nicht mal die kleinste Delle die ebenso gewaltige wie makellose Afrofrisur verunstaltet. Nun ist Grier nicht unbedingt mit enormem Schauspieltalent gesegnet, doch gibt sie tatsächlich noch die beste Figur ab in diesem von Knallchargen nicht armen Szenario und ist zum Glück auch unverklemmt genug, ab und zu mal ihre Brüste aus dem Dekolleté zu nehmen. Die restlichen Darsteller sind – vielleicht mit Ausnahme von Peter Brown [→ WEDDING PLANNER], der den smarten Drogenboss Steve überraschend klischeefrei verkörpert – kaum der Rede wert und neigen teilweise zu grandiosem Overacting. Besonders Hackfresse Antonio Fargas [→ CLEOPATRA JONES] legt als Foxys Bruder Link eine dermaßen derbe Sterbenummer aufs Parkett, dass es einem die Stulle vom Teller zieht. In einer Nebenrolle gefällt außerdem noch Juanita Brown als Claudia – eine wahre Bombe, die in puncto Sex Appeal Pam Grier locker in die Tasche steckt. Inzwischen freilich nicht mehr, denn die Gute verstarb bereits im Jahre 1981 im Alter von lächerlichen 30 Jahren.

Jack Hill, der Grier bereits als COFFY auf die Leinwand schickte, inszenierte die Sause zwar handwerklich sauber, aber ohne den leisesten Anflug von Innovation, während das hilflose Drehbuch ebenfalls keiner Belastungsprobe standhält: Die anfängliche Gesichtsoperation von Foxys Ehemann ist völlig unnütz, da er im Anschluss ohnehin erkannt wird (was kaum verwundert, da er seine Zeit nach wie vor an der Seite seiner Frau verbringt). Foxys Plan, sich als Prostituierte ins Drogenkartell einzuschleichen, funktioniert lachhaft reibungslos, obwohl er im Prinzip ein reines Selbstmordkommando ist – immerhin ist sie die Ehefrau eines vom Kartell erst kürzlich ermordeten FBI-Spitzels. Einer der Gangster gibt dann später sogar zu, sie bei dem Mord gesehen, aber hinterher dann nicht erkannt zu haben. Hat schon mehr Glück als Verstand, die Foxy! Die Heroinspritzen, die man ihr während ihrer Gefangenschaft verpasst, haben lustigerweise gar keine Wirkung – entweder ist die Frau also auf irgendeine Weise immun oder schlichtweg ständig auf Droge.

Die eklatanten Schwächen des Skripts kann die (gewiss auch aus Budgetgründen) rar gesäte Action kaum ausbügeln. Gibt es doch mal Prügel, keilen die Darsteller gut sichtbar meilenweit daneben – da man überwiegend auch noch auf die typischen Schlaggeräusche verzichtet hat, fällt das erst recht ins Auge. Ansonsten gibt es ein paar (auch blutige) Brutalitäten, die aufgrund der luschigen Machart jedoch nicht wirklich schocken können: Das böse Gangster-Gesocks schneidet Kehlen auf, foltert und vergewaltigt, und wird dafür von der schwarzen Rächerin entweder mittels gezieltem Kopfschuss außer Gefecht gesetzt, nach unfreiwilliger Benzindusche verkohlt oder per Flugzeugpropeller weggefetzt.

Ist die Komik meist unfreiwillig, werden einem zusätzlich immerhin auch ein paar beabsichtigte Kalauer serviert: So lässt ein korrupter Richter die Hosen runter, um sich per Beischlaf schmieren zu lassen, und überrascht die zu diesem Zwecke anwesenden Damen dabei mit drolliger Herzchen-Unterwäsche.

Mag FOXY BROWN nun auch kein Meisterstück sein, so punktet das reichlich unspektakuläre Werk immerhin mit dem für das Genre typischen Billig-Charme: Die Klamotten sind grellbunt, die Dialoge beknackt, die Score funkig. Selbst die eigentlich bedenkliche Selbstjustiz-Botschaft kommt dermaßen unbeholfen putzig daher, dass man ihr nicht mal im Ansatz böse sein kann. Zwar haben Foxys Kolleginnen wie TNT JACKSON später für besseren Stoff gesorgt, doch wirklich viel verkehrt macht man mit FOXY BROWN auch nicht – wenngleich einen der Konsum im Anschluss ähnlich unbeeindruckt lässt wie Foxy ihr Heroinfrühstück.

Laufzeit: 87 Min. / Freigabe: ab 18

Montag, 5. November 2012

SKYFALL


SKYFALL
GB, USA 2012

Regie:
Sam Mendes

Darsteller:
Daniel Craig,
Judi Dench,
Javier Bardem,
Ralph Fiennes,
Ben Whishaw,
Naomie Harris,
Albert Finney,
Ola Rapace


„So I wish I was James Bond, just for the day. Kissing all the girls, blow the bad guys away.“ [Scouting for Girls]


Inhalt:

James Bond [Daniel Craig] ist tot! Zumindest M [Judi Dench] glaubt das und verfasst auch schon mal nen Nachruf. Bei einem Einsatz in der Türkei wurde der beste Agent des MI6 angeschossen (von den eigenen Leuten – willkommen in unserem kompetenten Fachteam!) und im Fluss versenkt. Aber Bond hat überlebt (kein Wunder, sonst wäre der Vorspann der Abspann). Dennoch verschwindet er zunächst im Untergrund und liefert sich lebensgefährliche Trinkspiele mit den Einwohnern eines kleinen Dörfchens irgendwo im Nirgendwo. Doch als eine Explosion das Hauptquartier des MI6 erschüttert, meldet er sich zurück zum Dienst. Zwar besteht er nicht mal mehr den Tauglichkeitstest, doch M boxt Bond zurück in den Einsatz. In Shanghai soll er Jagd auf den Killer Patrice [Ola Rapace] machen. Dieser handelt im Auftrag eines Verbrechers, der dem Geheimdienst eine Liste mit Agentennamen entwendet hat (der MI6 ist auch nicht mehr das, was er mal war). Zwar überlebt Patrice die Konfrontation mit Bond nicht, doch ein Spielchip in seinem Gepäck führt auf die Fährte Raoul Silvas [Javier Bardem], eines ehemaligen MI6-Agenten, der ganz persönliche Gründe für eine Rache hegt. Die Festnahme des Bösewichts gelingt relativ reibungslos. Doch schon bald müssen MI6 und Bond feststellen, dass sie nur Marionetten in einem teuflischen Spiel Silvas sind.


Kritik:

Nein, das ist definitiv nicht mehr der James Bond der 1960er und 70er Jahre. Das ist nicht mehr der Bond, der sich mit Wrestlern mit tödlicher Kopfbedeckung prügelte. Das ist nicht mehr der Bond, der mit klobiger Laserkanone ins All flog. Und das ist auch nicht mehr der Bond, der sich mit Tarzan-Schrei durch den Dschungel hangelte. Mit den ebenso abstrusen wie unbeschwerten Nonsens-Abenteuern früherer Zeiten hat SKYFALL, der (zumindest nach offizieller Zählung) 23. James-Bond-Film und der dritte mit dem gewöhnungsbedürftigen Daniel Craig in der Rolle des Superagenten, inzwischen dermaßen wenig am Hut, dass es wohl ein Ding der Unmöglichkeit wäre, einen Uninformierten davon zu überzeugen, es mit ein und derselben Reihe zu tun zu haben.

Natürlich braucht Bond nun ernsthaft niemandem mehr vorgestellt zu werden. Den britischen Geheimagenten, der jeder noch so ausweglosen Situation entfleucht, jeden noch so geisteskranken Superschurken zur Strecke bringt, dabei aber immer noch genug Zeit findet, um Cocktails zu schlürfen und die schärfsten Tanten des Planeten zu beglücken, kennt wahrlich jedes Kind. Das hinderte die Autoren Neal Purvis, Robert Wade und John Logan jedoch nicht daran, es dennoch zu versuchen und bürdeten sich mit ihrem Skript die monumentale Aufgabe auf, den Menschen hinter dem Agenten sichtbar zu machen, seine Schwächen und Selbstzweifel. „Ich habe den Tod genossen“, antwortet Bond dann auch auf Ms Frage, warum er sein Überleben so lang geheim hielt. Und tatsächlich liegt eine unterschwellige Todessehnsucht in der Luft, eine unverarbeitete, tiefgründige Trauer lastet auf Ihrer Majestäts Superagenten. Freud wäre begeistert, führt ihn seine Selbstfindungsreise doch schließlich zurück an den Ort seiner Kindheit, wo er sich seinen verborgenen Dämonen stellen muss.

Aber nicht nur Bond hat Seelenkummer: Auch seine Vorgesetzte M (wie in den Vorgängern verkörpert von Judi Dench) befindet sich in einer Sinnkrise. Involviert wie noch nie zuvor, nimmt der Charakter hier aktiv am Geschehen teil und darf sich die Frage stellen, inwiefern getroffene Entscheidungen das Schicksal des Menschen beeinflussen. Brisanterweise ist die Entstehung des Schurken, gegen den Bond hier antreten muss, nämlich untrennbar mit einer von Ms Entscheidungen verbunden: Jarvier Bardem, der bereits in NO COUNTRY FOR OLD MEN als Killer mit Dachschaden und Bolzenschussgerät brillierte, liefert als entwurzelter Ex-MI6-Agent eine nachhaltig beeindruckende Leistung ab. Unter seinem tuckigen, rätselhaft unscheinbaren Auftreten mitsamt brüchiger Fistelstimme spürt man eine gefährliche Urgewalt brodeln, ein grenzenloser Wahnsinn, der jeden Augenblick herausbrechen könnte – sein schaurig-dämonischer Offenbarungseid im Ms Gegenwart hätte vermutlich selbst Hannibal Lecter zum Schlottern gebracht.
Und dennoch spielt Bardem keinen realitätsfernen Comic-Bösewicht, der aus reiner Bosheit agiert. Raoul Silva ist eine tragische Figur, ein von Menschenhand erschaffenes Monster, aufgrund von Folter und Entbehrungen in den Irrsinn getrieben, was seinen Wahn sogar nachvollziehbar macht:

Mutter! Sieh, was du erschaffen hast!“

Tod, Sterben, Schuld und Katharsis – Themen, die in SKYFALL nicht nur thematisiert werden, sondern zeitweise das Szenario sogar komplett beherrschen – und das in solch einem Ausmaß, dass man fast vergisst, es mit einem Agententhriller zu tun zu haben. Nun bestand nach 50 Jahren James Bond gewiss keine zwingende Notwendigkeit, das gewohnte (zudem bis zum Exzess auch von zahlreichen Plagiaten kopierte) Muster noch ein weiteres Mal treuherzig durchzuexerzieren; ob penetrante Ausflüge in die Welt der Tiefenpsychologie jedoch der Weisheit letzter Schluss war, um ein Flaggschiff wie 007 aufzupolieren, darüber könnte man vorzüglich bei einem Wodka Martini streiten. Fast paradox erscheint es da bei all dem Gemenschel, dass Bond mehr denn je zugleich als nahezu übermenschliches Wesen abgefeiert wird: Oft erst im Halbdunkel versteckt, tritt er schließlich wie der leibhaftige Messias ins Licht. Auf die Frage nach seinem Hobby antwortet er demzufolge auch: „Auferstehung!“

Nicht nur inhaltlich, auch visuell beschreitet man neue Wege: SKYFALL sieht schlichtweg umwerfend schön aus. Kameramann Roger Deakins kreierte berauschende Bilder von solch optischer Wucht, dass man sich jede zweite Szene als Poster an die Wand hängen könnte. Das nächtliche Shanghai erscheint so als märchenhafte Fantasiewelt, Bonds Kampf mit einem Kontrahenten als wirklichkeitsentrücktes Schattenspiel vor dem irrealen Hintergrund rotierender Lichter. So e
indrucksvoll das auch geriet, muss hier dennoch die Frage gestattet sein, ob man damit nicht ein wenig übers Ziel hinausgeschossen ist. Immerhin wurde James Bond nicht aufgrund ausgefeilter Bildästhetik zum Welterfolg (die ersten 007-Abenteuer, die den Erfolg begründeten, profitierten zwar von ihren exotischen Schauplätzen, waren in Sachen Inszenierung aber doch eher konservativ), sondern weil die Hauptfigur die quasi fleischgewordene männliche Allmachtsfantasie war, die in exotischer Umgebung ihre Maskulinität zelebrierte, die Gegner tötend, die Frauen betörend, aus sämtlichen Duellen actionreich als Sieger hervorgehend.

Action bietet SKYFALL freilich auch – richtig schnieke anzusehende sogar: Nicht zu rasant geschnitten, nicht zu übertrieben (vom anfänglichen geisteskranken Motorrad-Stunt mal abgesehen) und im archaischen Finale sogar richtig klassisch, wenn man sich in der kargen Landschaft Schottlands gegenseitig die blauen Bohnen um die Ohren pustet. Dennoch liegt der Fokus hier eindeutig auf Handlung und Charakterzeichnung, die kinetischen Exzesse ordnen sich brav unter, verkommen nicht zum Selbstzweck.

SKYFALL ist zwar kein ‚Reinfall‘, bürdet sich aber etwas zu viel auf: Obwohl sich in keiner Sekunde wie ein gewohntes 007-Abenteuer anfühlend, will er dennoch zugleich Hommage sein, als auch Vorgeschichte. Gespickt mit haufenweise Anspielungen auf die 'gute alte Zeit', muss man sich fragen, warum diese dann so krampfhaft zu verändern versucht wird. Die nahezu epische Herangehensweise, die ausladenden Bilder, die übertriebene Psychologisierung der Figuren und der apokalyptische Überzug von Todessehnsucht, Wiedergeburt und innerer Einkehr, das alles steht im Widerspruch zu den simplen Formeln, die die Reihe einst groß gemacht haben.

Oder, wie Raoul Silva so treffend fragt:

Ist noch irgendwas vom alten 007 übrig?“

Laufzeit: 143 Min. / Freigabe: ab 12

PS: Beachtet zu diesem Film auch die Kritik von Stuart Redman.