Eigene Forschungen

Samstag, 15. Juni 2024

RODAN


SORA NO DAIKAIJÛ RADON
Japan 1956

Regie:
Ishirō Honda

Darsteller:
Kenji Sahara,
Yumi Shirakawa,
Akihiko Hirata,
Akio Kobori,
Minosuke Yamada,
Yoshifumi Tajima,
Ichirō Chiba,
Kiyoharu Onaka



Inhalt:

Kyushu, ein kleines japanisches Bergwerks-Dorf, wird von einer Serie mysteriöser Todesfälle erschüttert. Erst steht ein vermisster Vorarbeiter unter Verdacht, etwas damit zu tun zu haben. Aber diese Annahme wird ad acta gelegt, als plötzlich menschgroße Monsterinsekten aus den Minenschächten kriechen und die Anwohner in Angst und Schrecken versetzen. Zwar scheint die Gefahr schnell gebannt, aber die zurückerlangte Sicherheit ist trügerisch: Die ekligen Riesenkrabbler dienten nämlich nur als Knabberkram für etwas viel Größeres, viel Grauenerregenderes, was immer noch unter Tage lauert und nun bereit ist, an die Oberfläche zu kommen: Rodan! Sogar zwei davon.

Kritik:

Rodan wird zwar mehrmals als Pteranodon bezeichnet, aber das stimmt eigentlich nicht so wirklich. Tatsächlich hat das flatternde Fabelwesen eher Ähnlichkeit mit einem etwas begriffstutzigen Riesenadler, der ständig guckt, als habe er gestern Nacht einen Sake zu viel im Tee gehabt. Das fliegende Ungeheuer ist nach dem atomar verstrahlten Supersaurier Godzilla die zweite große Schöpfung des Produktionsstudios Tōhō, das nach besagtem Überraschungserfolg wohl herausfinden wollte, ob das Publikum noch genug Lust auf weitere städtezerstörende Ungetüme hat. Kritiker werfen RODAN deshalb oft Einfallslosigkeit vor, das ertragreiche GODZILLA-Konzept, so heißt es, sei einfach nur kopiert worden. Allerdings stimmt das nur bei oberflächlicher Betrachtung, fühlen sich beide Werke doch grundlegend verschieden an. Allem voran fehlt es hier an der Gigantomanie des angeblichen Vorbilds, bei dem bekanntlich zu düsteren Klängen halb Tokio ausradiert wurde. Während es dort nur so wimmelte von modernen Großstädtern am Puls der Zeit, spielt RODAN überwiegend in weitaus beschaulicherer Kulisse, einer gemütlichen Dorfgemeinschaft zwischen Wäldern und Hügeln gelegen, mit bescheidenen, erdverbundenen Bürgern bevölkert, in der die Zeit stehengeblieben zu sein scheint.

Auch die anklagende Anti-Kriegs-Botschaft, die bei GODZILLA wie ein mahnendes Manifest über allem schwebte, ist hier gänzlich abwesend und damit einhergehend auch die drückende Düsterheit. Im Wortsinne, denn RODAN ist der erste Kaijū Eiga (=Riesenmonsterfilm), den Tōhō in Farbe produzieren ließ, weswegen die Flatterattacken nun in gloriosem Technicolor bei grellem Tageslicht passieren, was eine fundamental andere Wirkung hat. Nichtsdestotrotz gelingen dem bewährtem Regisseur Ishirō Honda ein paar wirklich gelungene Grusel-Momente, inklusive eines waschechten „Erschreckers“, als das erste Mal eines der ekligen Insektenmonster völlig unvermittelt zur Tür hereinkriecht und männlicher wie weiblicher Hauptrolle (Kenji Sahara [→ GORATH] und Yumi Shirakawa [→ LAST WAR]) dabei fast die noch so jungen Herzen stehenbleiben. Kein Wunder, sowas möchte man echt nicht bei sich im Wohnzimmer wissen. Obgleich die Umsetzung schon ihre Defizite hat: Spätestens auf den zweiten Blick wird klar, dass hier lediglich kostümierte Schauspieler angestrengt durch die Gegend krauchen. Hier rächt es sich ein wenig, dass man nicht erneut auf Schwarzweiß-Fotografie setzte, die einen beträchtlichen Teil der Künstlichkeit gewiss kaschiert hätte. Dennoch hinterlassen die Biester nachhaltigen Eindruck, zumal sie sich auch als ganz schön garstig erweisen und mit ihren krabbenartigen Scherenwerkzeugen schon mal ein paar Unglückliche höchst unsanft in die ewigen Jagdgründe schnippeln. Eigentlich sollen die „Meganulon“ genannten Missetäter übrigens riesige Libellenlarven sein. Aber mit Scherenhänden? Und lustigen Quiekgeräuschen?

Sei es drum, das Getier entpuppt sich ja ohnehin nur als Vorbote für viel größeres Unheil: die Rodans (ja, hier sind es tatsächlich zwei), die tief im Inneren des Berges darauf warten, endlich ins Freie zu dürfen. Bis das geschieht, gelingt es Honda auch weiterhin, eine unheimliche Atmosphäre zu kreieren, wenn die Arbeiter, auf der Suche nach der Wahrheit, immer tiefer in die Stollen dringen, in eine klaustrophobische Gefühle erweckende Welt aus Schemen, Schmutz und Schatten, in der in jedem Winkel weiteres Ungemach lauern könnte. Diese unheimlichen Expeditionen in die Tiefen der Schächte tragen viel dazu bei, dass RODAN als Gruselgebräu am Ende ziemlich gut funktioniert, mit einer alptraumartigen Sequenz als Gipfel des Grauens, in der Kenji Sahara schließlich in einem wunderbar gestalteten Horrorkabinett landet, wo er entsetzter Augenzeuge der Geburt neuer Schreckgestalten wird. Wenn die Flatterviecher final die Oberfläche erreichen und fleißig damit beginnen, Wohngebiete einzuebnen, ändert sich die Tonart erheblich und das Spektakel steht im Vordergrund. Dass die Ungeheuer nicht nur in dem japanischen Dörfchen wüten, in dem sie aus dem Boden brachen, sondern auch im Rest der Welt, wird indes lediglich per Nachrichtenübertragung behauptet und scheint doch reichlich hanebüchen. Wie weit und wie schnell können die beiden denn bitteschön fliegen und warum kehren sie nach ausgiebiger Zerstörungstour durch Singapur & Co. KG immer wieder in ihr ödes Heimatkaff zurück?

Tatsächlich ist sich das Drehbuch nicht zu schade, den Rodans die Fähigkeit zur Überschallgeschwindigkeit anzudichten. Darauf hätte man aus Gründen der Glaubwürdigkeit wohl besser verzichtet: Die träge durch die Gegend trampelnden Flugeumel haben sichtbare Schwierigkeiten, sich überhaupt in die Lüfte zu erheben oder – sofern doch erfolgreich damit – ihren Flügelschlag mit den restlichen Körperregungen zu synchronisieren. Völlig absurd, diesen unbeholfenen Trantüten zu unterstellen, in einem Duell gegen einen Kampfjet als Sieger vom Platz gehen (bzw. fliegen) zu können. Dass das dennoch passiert, sorgt immerhin für eine überraschend coole Szene, in der sich einer der Rodans mit seinem mechanischen Widersacher ein paar ziemlich geile Flugmanöver liefert, was dennoch wie ein Fremdkörper wirkt in diesem Szenario, das ansonsten mit Militär und Technik nur wenig am Hut hat. Selbst die obligatorischen Stadtdestruktionen wirken wie eine notwendige Pflichtübung, die zwar relativ kurz, dafür aber ungemein knackig abgearbeitet wird. Dafür begibt man sich nicht etwa nach Tokio, sondern nach Fukuoka, immerhin die achtgrößte Stadt Japans, in der es auch jede Menge kaputtzumachen gibt. Die Rodans sind dabei deutlich eingeschränkter in ihren Möglichkeiten als Kollege Riesenechse, können aber auch Häuser umpusten, Flutwellen verursachen, mit ihren umhangähnlichen Flügeln orkanartige Stürme erzeugen oder durch ihre „Überschallgeschwindigkeit“ gezielt Bauwerke im Mitleidenschaft ziehen.

Dabei wirken die Monster zwar angemessen mächtig, doch versäumte man es im Gegensatz zu Godzilla, ihnen auch glaubwürdiges Gebaren angedeihen zu lassen. Und so sind sie nun jederzeit erkennbar als das, was sie tatsächlich sind: menschliche Darsteller, die in klobigen Kostümen durch aufwändige Miniaturlandschaften taumeln. Fast scheint es, als habe man im Anschluss an diese große Desasterorgie keine rechte Lust mehr gehabt und wollte die Nummer schnellstmöglich eintüten. So ist es am Ende nicht etwa menschliche Geistesleistung, die die Giganten zu Fall bringt, nicht die Wissenschaft und auch nicht das Militär, obwohl es pünktlich zum Finale dann doch wieder auf der Matte steht. Nein, im Grunde ist es die Natur selbst, die ihre eigene Schöpfung wieder zurückruft, welche urplötzlich eine untröstliche Todessehnsucht entwickelt und sich unter schauerlichem Wehklagen quasi selbst das Leben nimmt. Das ist zwar alles andere als geschicktes Erzählen, hinterlässt aber durchaus Eindruck, weil es einerseits so ungewöhnlich für das Genre ist und sich andererseits tatsächlich prächtig in die erschaffene Stimmung einfügt, lag doch auf dem ganzen Szenario von Anfang an eine gewisse Art tiefgreifender Traurigkeit.

Obwohl RODAN filmisch betrachtet ein Einzelkind bleib, wurde er dennoch ungemein populär. Zwar entschied sich Tōhō gegen eine offizielle Fortsetzung, dafür wurde der Übelgeier später Dauergast in der GODZILLA-Reihe (wenn auch nur noch als Einzelexemplar und nicht mehr paarweise wie hier). Die Inhaltsarmut dieses ersten Auftritts lässt sich kaum leugnen, allerdings wurde diese ganz gut durch gelungene Gruselszenarien kaschiert. Atmosphärisch ist die Angelegenheit durchaus stimmig; die rurale Umgebung, in der das alles spielt, wirkt wie aus jeder Zeit gefallen und leicht verzaubert, einem folkloristischen Märchenfilm gleich. Und wenn Kenji Sahara und Yumi Shirakawa gemeinsam über saftig grüne Hügellandschaften springen, erwacht kurzzeitig gar urwüchsige Heimatfilmromantik. Dazwischen erlaubt man sich noch ein paar sehr kurze, aber fetzige Action-Sequenzen, wie erwähntes Jagdflieger-Duell oder der Moment, in dem Kenji Sahara ein Libellenmonster kurzerhand per waghalsiger Lorenfahrt zur Stecke bringt. Dabei ist alles noch schön erwachsen und weit entfernt von der Kindgerechtheit späterer Werke.

Die Effekte indes sind ein zweischneidiges Schwert; während man bei relativ einfach umzusetzenden Szenen gepatzt hat (wie beim Hineinkopieren eines Piloten in den Himmelshintergrund), sind komplexere Sachen dann sogar wieder ziemlich gut gelungen. Etwas nervig geriet die deutsche Fassung, die sich dazu entschied, die Ereignisse mit einem Off-Kommentar der Rolle Kenji Saharas auszustatten, was nicht nur reichlich redundant wirkt, sondern teils auch mit den Bildern nicht so wirklich harmonieren will. So behauptet er z. B. in einer Szene, einer der Arbeiter sei „wie ein Tier geschlachtet worden“, obwohl der dazu eingeblendete Leichnam aussieht, als würde er sich jeden Moment wieder erheben und seinen Morgenspaziergang fortsetzen. Auch schön, wenn Sahara zu Beginn erzählt, es sei ein stinknormaler Tag gewesen (Zitat: „… und alles verlief ganz normal.“), während man dazu sieht, wie sich ein paar Bergmänner gerade gegenseitig an die Gurgel gehen. Alles ganz normal! Das lässt RODAN im Endeffekt alberner wirken als er es eigentlich ist (wobei die Idee des manchmal nicht ganz treffsicheren Kommentators von der amerikanischen Version übernommen wurde und damit immerhin nicht allein auf deutschem Mist gewachsen ist).

Doch ob mit oder ohne Kommentierung: Für Freunde riesiger Fabelwesen ist der erste Auftritt Rodans quasi unverzichtbar - zumal die Titelfigur hier auch designspezifisch am gelungensten geriet (bei seinen späteren Einsätzen blickte Rodan meist deutlich dümmer aus der Wäsche). Trotz fehlender Tiefe - die der Minenschächte freilich ausgenommen - punktet das bizarre Monstermärchen mit seiner eigenwilligen Mischung aus Horror und ländlichem Charme. Fans fliegen drauf!

Laufzeit: 83 Min. / Freigabe: ungeprüft

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