Eigene Forschungen

Mittwoch, 18. Juni 2025

BALLERINA


BALLERINA
USA 2025

Regie:
Len Wiseman

Darsteller:
Ana de Armas,
Gabriel Byrne,
Anjelica Huston,
Ian McShane,
Lance Reddick,
Norman Reedus,
Keanu Reeves,
Sharon Duncan-Brewster



„Aus der Welt von John Wick“ prangt prominent auf dem Plakat zu BALLERINA, damit auch ja niemand übersieht, es mit einem Ableger der populären Profikiller-Reihe zu tun zu haben. Dabei hätten sich 2014, als Teil 1 an den Start ging, wohl selbst die Produzenten nicht träumen lassen, dass die brutale Ballerorgie JOHN WICK einmal in Blockbuster-Sphären vorstoßen und der Name zur Marke reifen würde. Aber die später zum überlangen Epos aufgeblasene Action-Saga ließ trotz hoher Freigaben und Verzichts auf Massenkompatibilität von Fortsetzung zu Fortsetzung immer lauter die Kassen klingeln und bescherte ihrem Hauptdarsteller Keanu Reeves als unkaputtbarem Auftragsmörder auf der Abschussliste einen respektablen Alterseinstand. Zwar wirkt die Verbindung zum Vorbild teils etwas forciert, aber Fans haben bei BALLERINA dennoch allen Grund zur Freude. Denn der „weibliche Wick“ ist kaum weniger mörderisch unterwegs als das Original und entfesselt – wortwörtlich – einen Feuersturm der Rache.

Inhalt:

Als Eve Macarro [Victoria Comte] ihren ersten Menschen tötet, ist sie noch ein Kind: Sie feuert eine Kugel in den Körper des Mannes, der kurz davor ist, ihren Vater umzubringen. Doch dieser kam nicht allein. Er war Teil eines Killer-Kommandos, das einen groß angelegten Überfall auf die prachtvolle Privatbehausung des Syndikatmitglieds unternimmt. Auf der Flucht vor weiteren Attentätern erliegt der Angegriffene schließlich dennoch der feindlichen Übermacht. Seine traumatisierte Tochter überlebt und findet Zuflucht in einem ganz besonderen Waisenhaus: der Ballettschule der „Direktorin“ [Anjelica Huston]. Hier lernen die Mädchen nicht nur das Tanzen – sondern auch das Töten. Jahre später arbeitet Eve [jetzt: Ana de Armas] als Auftragsmörderin. Bei einem ihrer Einsätze entdeckt sie an ihrem Opfer eine Tätowierung, die ihr arg bekannt vorkommt: Die Mörder ihres Vaters trugen dieses Zeichen ebenfalls. Getrieben von Neu- und neu entflammter Vergeltungsgier beginnt sie, Nachforschungen über die Hintergründe des Symbols anzustellen – und entfacht damit unversehens eine blutige Fehde zwischen zwei mächtigen Bruderschaften.

Kritik:

Dass Musikalität eine der Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Action-Szene bildet, ist nicht erst seit den Kung-Fu-Reigen der Shaw Brothers oder den Blei-Balletten eines John Woo bekannt. Taktung, Körperbeherrschung, Choreographie, all das muss sitzen wie auf dem Parkett des Wiener Opernballs. Daher ist die Idee, ausgerechnet eine Tänzerin zur Action-Heldin zu machen, eigentlich eine sehr naheliegende. Dass BALLERINA diesen Titel trägt, weil die Protagonistin tatsächlich eine ist, und nicht etwa deswegen, weil sie die meiste Zeit wie wild um sich ballert, könnte man zwischenzeitlich allerdings auch durchaus mal vergessen. Bezüge auf die entsprechende Ausbildung werden mit Beginn ihres Privatfeldzugs nämlich überwiegend in den Hintergrund gedrängt. Fabelhaft inszeniert sind sie freilich dennoch, die zahlreichen Action-Scharmützel, die vor verschlagenem Witz und visuellem Einfallsreichtum nur so sprühen und damit in jeder Hinsicht die Tradition der Hauptreihe weiterführen. Trotzdem unterscheidet sich Eve Macarro von John Wick, den das Publikum ja als bereits erwachsenen Mann kennenlernte, bevor Scheibchen für Scheibchen offenbart wurde, wer diese Person überhaupt ist. Bei Eve indes ist es bei der Killerwerdung quasi von Beginn an mit dabei und wird Zeuge, wie sie das System erst begreifen und ihren Platz in ihm finden muss.

Und dieses System ist ganz schön komplex. Denn nach dem vergleichsweise geerdeten Einstieg mit JOHN WICK im Jahre 2014 sprudelte der Erfindergeist der Macher regelrecht über. In den Fortsetzungen entstand so eine absurde Paralleldimension, die dem Fantasy-Genre näher steht als dem Action-Genre, eine Art „Wickiversum“, in dem etliche miteinander verfeindete Killer-Clans bizarren Regeln und Kodexen folgend in einem empfindlichen Gleichgewicht weltumspannend mit- und gegeneinander agieren. Der in JOHN WICK III eingeführte Clan der Ruska Roma dient hier als Bindeglied zur Hauptreihe, denn deren Mitglied ist nun „Ballerina“ Eve Macarro. Für weitere Anbindung sorgen Auftritte bekannter Figuren wie Hotelmanager Winston (Ian McShane), Concierge Charon (Lance Reddick), die (nach wie vor) namenlose Direktorin der Ballett- und Ballerschule (Anjelica Huston) – sowie Keanu Reeves als John Wick persönlich, der sogar stärker eingebunden wurde, als es nötig gewesen wäre. Da wollte man wohl – der Vermarktung wegen – auf dessen Zugkraft schlichtweg nicht verzichten. Dabei hätte Hauptdarstellerin Ana de Armas solch prominenten Beistand gar nicht nötig gehabt, denn BALLERINA wuppt sie ganz allein. Obwohl grundsätzlich eher zierlicher Natur, geht sie körperlich in die Vollen und erweckt ihre Figur als energiegeladenen Wirbelwind zu wuchtigem Leben, mit kleinen Momenten des Zauderns und Zweifelns zwar, doch stets von absolut glaubwürdiger Tödlichkeit. Action-Erfahrung sammelte die Darstellerin bereits 2019 als Anhängsel des berühmtesten Geheimagenten Ihrer Majestät in KEINE ZEIT ZU STERBEN. Hier jettet sie nun selbst wie Bond um die Welt und landet schließlich in einem österreichischen Bergdorf, in dem es zu einem Finale kommt, das ebenso grotesk wie gigantisch ist.

Auf inhaltlicher Ebene hat man sich für BALLERINA wahrlich kein Bein ausgerissen – es ist die typische Geschichte einer Person, die Rache will für den Tod eines Familienmitglieds. Nachdem Einführung und Ausbildung der Protagonistin abgeschlossen sind, findet sie zufällig eine Spur, folgt ein paar Hinweisen und arbeitet sich von Station zu Station weiter vor, bis sie dem Endgegner gegenübersteht. Ihren Reiz bezieht die ausgetretene Story in erster Linie durch ihre Implantierung in die wundersam-verschrobene Wick-Welt, deren Wiedersehen einem ein Lächeln auf die Lippen zaubert, als treffe man nach längerer Zeit einen alten Freund wieder. Das ist die Welt, in der man sich mitten auf der Tanzfläche einer gefüllten Diskothek ein waffenstarrendes Duell liefern und dem Gegner Äxte ins Fleisch treiben kann, ohne dass sich die übrigen Anwesenden in irgendeiner Form daran stören. Oder in der Kämpfe auf offener Straße ausgetragen werden, gerne auch mit Auto als Waffe, ohne dass man Gefahr liefe, in seinem Tun von irgendwem unterbrochen zu werden. Vor allem aber ist es die Welt, in der, obwohl eigentlich in der Gegenwart angesiedelt, von den Kartellen regelrecht vorsintflutliche Technik zur Kommunikation angewendet wird – was immerhin Arbeitsplätze schafft, weil die guten, alten Telefonistinnen nun endlich wieder was zu tun bekommen und kettenrauchend Steckverbindungen herstellen sowie auf klobigen Tasten herumhämmern dürfen. Und zur Ortung von Feinden verwendet die Organisation natürlich nicht etwa GPS oder Satelliten – wozu denn auch, wenn es doch Fernrohre gibt?

Das herrliche Understatement, mit dem all diese Paradoxien serviert werden, als seien sie vollkommen selbstverständlich, verleiht BALLERINA (ebenso wie der ursprünglichen Wick-Reihe) einen hintersinnigen Humor, der brüllend komisch ist, obwohl auf der Oberfläche de facto nicht ein einziger Scherz geschieht. Und wenn Eve sich einem Wirtshaus mit Messer, Gabel, Schere, Licht (und allem, was sonst noch gerade greifbar ist) gegen eine aberwitzige Anzahl von Angreifern erwehren muss und die launige Schunkelmusik im Hintergrund zu dem ganzen Hauen, Stechen und Schießen fröhlich weiternervt, dann hat das ebenfalls mehr Witzpotenzial als manch vermeintlich lustige Sprücheklopferei der Blockbuster-Konkurrenz. Einem der Vorbilder wird dabei auf fast schon zu plumpe Weise gehuldigt, flimmert doch auch einmal das Massaker begleitend Stummfilm-Star Buster Keaton über den Fernsehschirm, dessen akrobatischen Komik-Kapriolen ja auch stets von stoischen Gesichtsausdrücken begleitet waren. Zum Slapstick gesellt sich bei BALLERINA freilich noch eine zünftige Portion Splatter, wenn dem Schurken per durch den Raum geschleudertem Schlittschuh erst noch eine mehr als nur gründliche Rasur verpasst wird, bevor er lustig über das Geländer purzelt.

Obwohl der Härtegrad bei alledem prinzipiell recht hoch ist, wirken die Gewaltakte durch Übertreibungen wie diese eher cartoonig als wirklich brutal. Wie schon beim Vorbild JOHN WICK besteht die Action überwiegend aus kung-fu-ähnlichen Nahkämpfen und Schießereien, die oft fließend ineinander übergehen. Zwischendurch bemüht man sich jedoch immer wieder, etwas Neues, Originelles zu erschaffen. Genannt sei hier der Moment, in dem die Heldin sich in einem Gewölbe ihrer Gegner mittels mehrerer Granatenwürfe entledigt, während sie selbst immer wieder hinter Stahltüren und ähnlichem Gerät in Deckung springt. Wenngleich vom Skript in den Schatten John Wicks gedrängt (der, wie gesagt, etwas zu viel Spielraum bekommen hat), steht die „Ballerina“ am Ende doch auf eigenen Beinen und funktioniert auch als eigenständige Veranstaltung ganz ausgezeichnet. Zumal im Showdown dann endlich die brennende Frage geklärt wird, was denn nun eigentlich stärker ist: Flammenwerfer oder Feuerwehrschlauch? Eine Antwort bleibt man allerdings schuldig: Warum wird in allen Ballettschulen dieser Welt eigentlich immer nur „Schwanensee“ gespielt? Und warum sogar in der Welt von John Wick?

Laufzeit: 125 Min. / Freigabe: ab 18

Freitag, 13. Juni 2025

BROTHERS FROM THE WALLED CITY


SENG ZAAI CEOT LAI ZE
Hongkong 1982

Regie:
Lam Nai-Choi

Darsteller:
Chin Siu-Ho,
Phillip Ko Fei,
Johnny Wang Lung-Wei,
Liu Lai-Ling,
Wong Ching,
Kwan Hoi-San,
Pak Man-Biu,
So Hang-Suen



Shaw Brothers-Produktionen bringen die meisten wohl spontan mit aufwändigem Kung-Fu-Krawall in Verbindung, manch einer vielleicht auch noch mit Grusel-Gulasch oder Monster-Mumpitz. BROTHERS FROM THE WALLED CITY allerdings, obwohl vom Titel her eigentlich prädestiniert für eine weitere Heldenreise wackerer Kampfkunst-Recken, bespielt ein Genre, das in diesem Kontext wohl die wenigsten auf dem Zettel haben: das Großstadt-Drama. Gut, völlig neu ist die Thematik freilich nicht – immerhin begab man sich dafür ins Gangster-Milieu, in dem zuvor bereits viele Action-Auswüchse des Anbieters angesiedelt waren. Aber dieses von Regisseur Lam Nai-Choi auf den Weg gebrachte Werk verzichtet auf unrealistische körperbetonte Kinetik und setzt stattdessen auf eine stark dokumentarisch angehauchte, trockene Authentizität – nicht unähnlich der Idee des New Hollywoods, das mit seinen ambivalenten Enden, komplexen Charakteren und gesellschaftlichen Themen mit starren Konventionen brach. New Hongkong sozusagen.

Inhalt:

Xiao [Ha Wai-Hong] und Da [Lee Kim-Chung] wachsen unter prekären Bedingungen auf: In den Straßen der Walled City Kowloons verleben sie eine wilde Kindheit zwischen Chaos und Kriminalität. Ihre Welt gerät ins Wanken, als ihr Vater Chan [Kwan Hoi-San] von einem Drogensüchtigen eine Klinge in den Leib gestoßen bekommt und vor ihren Augen verstirbt. Als Heranwachsende kommen beide nicht mehr recht in die Spur. Trotz des Zuredens seines älteren Bruders, gerät vor allem Xiao [jetzt: Chin Siu-Ho] immer mehr außer Kontrolle, wagt gefährliche Mutproben und rebelliert gegen alle Regeln. Versehentlich legt er sich dabei auch mit dem Triadenmitglied Yi Ching [Wong Ching] an – ein Konflikt, der sich immer weiter zuspitzt. Als Xiaos Freundin Mei Ling [Liu Lai-Ling] schwanger wird, heizt ihr Vater, der jähzornige Officer Cheung [Johnny Wang Lung-Wei], die Situation noch weiter an. Verzweifelt versucht Da [jetzt: Phillip Ko Fei], die kommende Katastrophe abzuwenden.

Kritik:

Grob und ungeschliffen, fern der filigranen Kunstfertigkeit vieler anderer Shaw Brothers-Beiträge, gleicht BROTHERS FROM THE WALLED CITY einem düsteren Sozial-Krimi, der von entwurzelten Menschen erzählt, von ihrem Ringen darum, im Leben Fuß zu fassen, um am Ende doch nur Gefangene ihrer Welt zu bleiben, sei es durch äußere Umstände oder innere ZwängeXiao und Da, die beiden Brüder, die den Titel schmücken dürfen, fungieren als Symbolfiguren dieser Situation und werden daher vom Skript ausführlich beleuchtet. Der Prolog, in dem sie im Kindesalter ihren Vater verlieren, fällt dabei recht lang aus, bedenkt man, dass diese Ereignisse für den weiteren Verlauf eigentlich keine Rolle mehr spielen. Zugleich ist das auch der einzige Abschnitt, der tatsächlich in der Kowloon Walled City spielt, jenem von der Außenwelt abgeschotteten, von Gesetzlosigkeit beherrschten und dicht an dicht besiedelten Mikrokosmos, der noch bis in die 1990er-Jahre existierte. Eingemauert bleiben sie dennoch, die Titelhelden, auch im Erwachsenenalter, als ihnen – zumindest rein theoretisch – alle Türen offen stehen. Die These, dass Umfeld und Herkunft sowohl den Charakter prägen als auch den Lebensweg bestimmen, die Figuren also von Anfang an keine Chance haben, dem Strudel der Gewalt jemals zu entkommen, wird dabei zwar niemals explizit aufs Brot geschmiert, aber steht natürlich im Raum.

Vollends überzeugend wirkt diese Vermutung dabei freilich nicht, gefällt sich der jüngere Bruder, Xiao, als Heranwachsender doch überwiegend als infantiler Lausbube, der mit seinen Mitmenschen launige, teils auch schmerzhafte Scherze treibt, ohne dass dafür ein notwendiger Anlass erkennbar wäre. Da sich die Aktionen zwar nicht ganz, aber doch so ungefähr auf dem Niveau deutschen 1960er-Jahre-Pennäler-Klamauks befinden, konterkariert das doch einigermaßen mit der angestrebten Dramatik. Ausschlaggebend für die andauernde Abwärtsspirale ist dann, dass Xiao bei einer seiner Aktionen ein Triadenmitglied brüskiert, das diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen möchte. Kaum weniger unreif als sein Gegenüber, zettelt der Verunglimpfte daraufhin eine Retourkutsche an – der Beginn eines kleinkarierten Rache-Reigens, der sich so weit hochschaukelt, bis er alle Beteiligten in den Abgrund reißt. Das scheint in der Summe ein wenig bemüht: Warum sollte sich ein aufstrebender Gangster von einem Dumme-Jungen-Streich derart aus der Fassung bringen lassen, dass bald sein gesamter Alltag davon dominiert wird? Sonst keine Sorgen? Am Ende steht die Erkenntnis, dass wohl gar nichts Schlimmes passiert wäre, hätten sich alle Anwesenden einfach mal ein bisschen zivilisierter benommen – was dem postulierten Ansatz des Umweltdeterminismus dezent widerspricht. Auch wirkt vieles konstruiert und zurechtgebogen, um das Drama überhaupt erst in Gang zu bringen und halten zu können. Dazu gehört auch der fast schon übertrieben gehässig gezeichnete Officer Cheung (Wang Lung-Wei aus DER SHAOLIN-GIGANT), dessen Missgunst und Niedertracht nicht so recht nachvollziehbar erscheinen – immerhin ist er Polizist.

Nichtsdestotrotz: Fesselnd ist sie allemal, diese Großstadt-Fabel, die unterhaltsam zwischen Anspruch und Ausschlachtung sozialer Probleme pendelt – nicht in dem Sinne, dass man sich die Fingernägel zerkaut, aber Langeweile geht eben auch anders. Wer auf Action hofft (was aufgrund des Produktionsstudios gar nicht mal so wenige sein dürften), schaut etwas in die Röhre: BROTHERS FROM THE WALLED CITY spielt nicht in einer dieser Welten, in der jeder Hilfsarbeiter Kung-Fu beherrscht, sondern behält stets Bodenhaftung mit der Realität. Körperliche Auseinandersetzungen sind meist ein wüstes, unelegantes Raufen und in der Regel auch schnell vorbei. Niemand entwickelt Superkräfte, mutiert zum Rambo oder avanciert zum treffsicheren Western-Helden. Betrachtet man das Personal, ist es sogar einigermaßen erstaunlich, wie seriös es hier zugeht. Zum einen steht immerhin Phillip Ko auf der Besetzungsliste, der sich später als Darsteller, Regisseur und Produzent unzähliger Schrottschinken wie ULTRACOP 2000 einen zweifelhaften Ruf erarbeitete. Zum anderen geht die Inszenierung auf das Konto Lam Nai-Chois, der danach nicht nur das schmadderige Fantasy-Horror-Abenteuer-Gebräu THE SEVENTH CURSE zusammenrührte, sondern auch eines der groteskesten Werke verantwortete, die je gedreht wurden: die absurd brutale Manga-Verfilmung STORY OF RICKY. Dort werden Rasierklingen gefuttert, um sie dem Gegner ins Gesicht zu spucken, Kontrahenten mit ihrem eigenen Darm erdrosselt und garstige Gefängnisdirektoren in einer gigantischen Fleischfräse zu Mettgut verarbeitet.

All das könnte kaum weiter entfernt sein von der spröden Authentizitätsattitüde, die hier an den Tag gelegt wird. Allerdings hat Lam die Sache doch ziemlich gut im Griff und auch Herr Ko verkörpert den „vernünftigeren“ der beiden Brüder mit nahbarer Unverfälschtheit. Eine gewisse Groschenroman-Mentalität lässt sich zwar nicht leugnen, aber im Kern bleibt BROTHERS FROM THE WALLED CITY ein wütendes, nihilistisches Moralstück, das angenehm nach Straße schmeckt.

Laufzeit: 88 Min. / Freigabe: in Deutschland nicht erschienen

Samstag, 7. Juni 2025

DER KUNG-FU-FIGHTER VON CHINATOWN


TANG REN JIE XIAO ZI
Hongkong 1977

Regie:
Chang Cheh

Darsteller:
Alexander Fu Sheng,
Sun Chien,
Phillip Kwok Chun-Fung,
Lo Meng,
Jenny Tseng,
Shirley Yu Sha-Li,
Siu Yam-Yam,
Johnny Wang Lung-Wei



„Lieber ein lebendiger Versager als ein toter Held.“
(Tang Dongs Chef kennt die Regeln in Chinatown.)

Inhalt:

Tang Dong [Alexander Fu Sheng], ein einfacher Junge vom Land, hat nur einen Wunsch: ein besseres Leben für sich und seinen Großvater. Doch ohne Papiere ist das Überleben auf den Straßen Hongkongs ein täglicher Kampf. Als er sich mit dem zwielichtigen Geschäftsmann Xu Hao [Johnny Wang Lung-Wei] anlegt und von ihm hereingelegt wird, bleibt ihm nur die Flucht in die USA. In San Franciscos Chinatown bekommt er einen Job als Küchenhilfe und findet in seinem Kollegen, dem Studenten Yang Jian Wen [Sun Chien], einen neuen Freund. Doch Dong gerät erneut mit Kriminellen in Konflikt und wird unversehens Mitglied in der Weißer-Drache-Bande Siu Bak-Lungs [Phillip Kwok], wo er aufgrund seiner Kampfkünste schnell Karriere macht. Der naive Dong wird Teil eines Systems, das er nicht durchschaut – ohne zu erkennen, welchen Preis andere für seinen Aufstieg zahlen.

Kritik:

Obwohl CHINATOWN KID zur Zeit seiner Entstehung spielen soll, also um 1977 herum, macht er meist den Eindruck, seine Geschichte fände circa 40 Jahre früher statt. Viel zu altmodisch wirken Look und Setting dieser klassischen „Aufstieg und Fall eines Gangsters“-Story, die vom renommierten Regisseur Chang Cheh [→ ZEHN GELBE FÄUSTE FÜR DIE RACHE] im Auftrag der produzierenden Shaw Brothers entstand und überwiegend in den USA angesiedelt ist. Und genau da liegt vermutlich der Hase im Pfeffer. Denn gedreht wurde überwiegend offensichtlich nicht vor Ort, sondern in hauseigenen hongkonger Studiokulissen, die einen nur wenig authentischen und zudem stark anachronistischen Eindruck hinterlassen. Zwar wurden auch tatsächlich ein paar Szenen in San Francisco gedreht, an markanten Plätzen der realen Chinatown. Dem Vernehmen nach jedoch heimlich, still und leise, ohne wirkliche Drehgenehmigung, und auch nur, um wenigstens ein paar echte Amerika-Bilder integrieren zu können. Im Endprodukt sind die Übergänge zwischen real und künstlich alles andere als fließend und insgesamt eher rührender Natur. Die daraus resultierende Wirklichkeitsferne ist mitverantwortlich dafür, dass der Zuschauer die meiste Zeit über eher auf Distanz bleibt und das Geschehen nicht als ein Stück vom echten Leben begreift, sondern lediglich als (immerhin aufwändig arrangierte) Theatervorstellung.

Doch es ist nicht nur diese Artifizialität, die eine Einbindung erschwert. Das Drehbuch von Ni Kuang [→ DER PIRAT VON SHANTUNG], James Wong Jim [→ DANCING WARRIOR] und Chang Cheh selbst will viel zu viel, macht ein Fass nach dem anderen auf und setzt den Fokus dabei zu selten auf seine Figuren und ihre Facetten. Mit Tang Dong (Fu Sheng aus DER SCHREI DES GELBEN ADLERS) und Yang Jian Wen (Sun Chien aus DER GEHEIMBUND DER TODESKRALLE) werden gleich zu Beginn zwei zentrale Protagonisten eingeführt, die aus verschiedenen Gründen in die USA auswandern, bevor sie sich dort kennenlernen. Vor allem die Geschichte Tang Dongs ist dabei enorm ausladend und unnötig umständlich erzählt, obwohl sie kaum etwas zur späteren Entwicklung oder Charakterbildung beiträgt. Der Zuschauer wird zunächst Zeuge, wie er mit seinem ebenfalls bettelarmen Großvater durch die Straßen Hongkongs zieht, um eine anständige Arbeit zu finden. Da er jedoch keine Papiere hat, stellt ihn kein Unternehmen ein. So weit, so gut. Dann haben beide die Idee, an einem Stand Obstsaft zu verkaufen. Allerdings können sie sich keine Presse leisten. Doch Dong ist kräftig und kann Kung-Fu, was ihn befähigt, Orangen mit bloßer Hand auszuquetschen. Dadurch wird er zu einer Art Touristenattraktion und das Geschäft brummt. Trotzdem müssen sie regelmäßig vor der Polizei fliehen, denn eine Lizenz besitzen sie nach wie vor nicht.

Schon das ist eigentlich viel zu ausufernd erzählt, bedenkt man, dass diese Erlebnisse später keinerlei Relevanz mehr haben. Richtig kompliziert wird es aber erst, als Triadenboss Tsui Ho (Wang Lung-Wei aus BROTHERS FROM THE WALLED CITY) die Bühne betritt, der von Dongs Saftpresskunst so beeindruckt ist, dass er ihn gleich für seine Gang anwerben möchte. Es folgt eine Handvoll redundanter Einzel-Episödchen, aus denen man locker eigenständige Werke hätte weben können. So kommt es zu einem (vermeintlich freundschaftlichen) Zweikampf zwischen Dong und Xu, den Dong gewinnt, woraufhin Xu ziemlich impulsiv reagiert und ihn abstechen will, was dessen Frau allerdings verhindert. Diese spinnt dafür eine Intrige, die Dong glauben lässt, ihre Cousine befände sich in den Händen skrupelloser Entführer. Postwendend will Dong sie befreien – nur, um festzustellen, dass die vermeintliche Verwandte gar kein Familienmitglied ist, sondern von Xu und dessen Frau zur Prosititution gezwungen wird. Dass Dong die Dame ob dieser neuen Erkenntnis nun versteckt hält, erzürnt wiederum Xu, weswegen er Dong (auf sehr lachhafte Weise) Drogen untermogelt und die Polizei auf ihn aufmerksam macht. Nun endlich hat Dong so eine Art Grund, aus der Stadt zu fliehen – wobei die Entscheidung, gleich auch das ganze Land mit zu verlassen trotz dieser ellenlangen Herleitung nicht so wirklich plausibel erscheinen möchte.

Da nebenbei auch noch Yang Jian Wens Vorgeschichte erzählt wird, dauert es eine ganze Weile, bis Chinatown endlich zum zentralen Schauplatz wird. Das gehetzte Tempo der exorbitanten Exposition bleibt dabei weitgehend bestehen, sodass oft lediglich Anhaltspunkte gegeben werden, warum manche Dinge sich so entwickeln, wie sie es halt tun. Als einsame Ausnahme erweist sich die Beschreibung der beinahe bedingungslosen und nahezu aus dem Stegreif erfolgenden Freundschaft zwischen Tang Dong und Yang Jian Wen, die einfühlsam und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl auf die Leinwand gebracht wurde: Beide Männer bewerben sich gleichzeitig beim Restaurantbesitzer Chen (Yang Chi-Ching aus DER MANN MIT DER TIGERPRANKE), der allerdings nur einen Helfer in Lohn und Brot nehmen möchte. Bereitwillig verzichtet Dong auf einen Teil seines Gehalts, um Jian Wen ebenfalls seine Anstellung (und damit sein Studium) zu ermöglichen. Schlafen tun sie dann beide unter einem Dach – im Wortsinne, denn ihr knauseriger Chef lässt sie in einer winzigen Kammer direkt unter dem Giebel hausen, in der kaum genug Platz für eine einzige Person wäre. Nach Feierabend hocken sie dort regelmäßig zusammen und erzählen von ihren Leben, Hoffnungen und Träumen. Sie schuften für einen Hungerlohn, werden ausgiebig ausgenutzt, fristen ihr Dasein in einem kargen Verschlag – und scheinen doch glücklich, denn zuvor hatten sie noch weniger. Schon gar keine Perspektive. In einem charmanten Running Gag stoßen sie sich während ihrer Gespräche immer wieder den Kopf an der niedrigen Decke. Ein schönes Gleichnis: Die jungen Männer wollen hoch hinaus – und werden in ihrer Begeisterung immer wieder von ihrer beengten Lebensrealität gestoppt, die sie daran erinnert, dass es noch längst nicht so weit ist. Das Schlagen mit den Fäusten an die einzwängende Zimmerdecke wird zum symbolischen, später immer wieder aufgegriffenen Akt, zum Ausdruck des Wunsches nach Aufbruch und Entkommen aus bestehenden Verhältnissen.

Zumindest für Tang Dong ändern sich die Umstände dann bald auch schlagartig, wenn auch nicht unbedingt plausibel und reichlich konstruiert: Als er zu verhindern versucht, dass sein Chef Schutzgeld an die Triaden zahlen muss und zu diesem Zwecke ein paar anständige Nasenstüber in die doch recht überrascht dreinblickenden Eintreibervisagen verteilt, gerät er irgendwie zwischen Fronten zweier um die Vorherrschaft rivalisierender Verbrecherbanden. Als der feige Chen ihn auf die Straße setzt, um bei den Erpressern wieder lieb Kind zu machen, beginnt ein wilder Anwerbungsmarathon, denn jede der Banden möchte den Superkämpfer auf ihrer Gehaltsliste wissen. Am Ende dient Dong dem Anführer der „Weißen Drachen“ (Phillip Kwok aus DER TODESSCHREI DES GELBEN TIGERS) und das Drehbuch will dem Publikum Glauben machen, das arglose Chinatown Kid habe nicht die geringste Ahnung, dass sein Boss in halbseidene Geschäfte verwickelt ist. Trotzdem läuft Dong aus heiterem Himmel rum wie ein Zuhälter, flext wie Oskar durch sein Viertel und wundert sich, dass die Leute ihm gegenüber auf Distanz gehen. Als Zuschauer stellt man an dieser Stelle erneut fest, wie wenig greifbar die Figur Tang Dong doch eigentlich ist. Schon in der Anfangsszene verzehrt er sich nach einer sündhaft teuren Armbanduhr, die direkt vor ihm, doch in unerreichbarer Ferne im Schaufenster liegt. Später prügelt er sich mit Boss Tsui, weil dieser ihm im Falle des Sieges sein digitales Zeiteisen als Trophäe versprochen hat, das Dong auf Anhieb fasziniert hat. Logo, dass er nun, inzwischen selbst dem Reichtum anheim gefallen, ein eben solches Statussymbol mit sich spazieren trägt – nebst dekadentem Glimmstängel im Gesicht und lächerlichem Ludenkittel am Leib.

Woher seine Vorliebe für derlei oberflächliche Verlockungen rührt, wird nicht wirklich erklärt – ebensowenig wie die Arglosigkeit, mit welcher er durchs Leben stolpert und die ihn so korrumpierbar macht. Dong ist tatsächlich nie wirklich ein Gangster – anfangs ohnehin nicht, aber selbst dann nicht, als er zu den Herrschern der Stadt zählt. Die Konsequenzen seines neuen „Berufs“ erkennt er erst, als er seinen alten Freund und Kollegen Jian Wen wiedertrifft, der immer noch unter dem Dach des Restaurants wohnt und sich aufgrund der Doppelbelastung von Arbeit und Studium mittlerweile der Drogensucht ergeben hat. Das geht zu Herzen, in erster Linie deswegen, weil die gemeinsamen Szenen beider Charaktere zu den Höhepunkten CHINATOWN KIDs gehören, der ansonsten viele dramaturgische Schwächen hat. Die viel zu lange Herleitung gehört dazu, aber auch, dass Tang Dong erst im letzten Drittel zur Titelfigur wird und seine Unterweltkarriere daher gar nicht so richtig nachvollzogen werden kann. Von heute auf morgen ist er einfach der große Zampano. Jian Wen wird dafür, obwohl erst gleichberechtigt eingeführt, überwiegend vergessen, weil sich alles nur noch auf Tang Dong konzentriert. Da dieser aber nie wirklich lang an einer Station verweilt und es von Nebenfiguren, die alle irgendwie auch noch mitmischen, nur so wimmelt, kommt nie wirkliche Spannung auf. Besonders schwer erwischt es die Frauenrollen, die wirklich nur Alibifunktionen erfüllen. So bandelt Dong etwa mit der kessen Yvonne (Jenny Tseng aus DIE TÖDLICHE KOBRA) an, die sich später regelrecht in Luft auflöst. Dann hätte man das ja auch gleich lassen können.

CHINATOWN KID (dessen Titel für deutsche Plakate viel zu kurz war, weswegen er zu DER KUNG-FU-FIGHTER VON CHINATOWN aufgebrezelt wurde) ist zwar als Actionfilm deklariert, sieht sich selbst aber eher selten in dieser Funktion. Ja, es gibt ein paar Handgemenge hier und da und hin und wieder gerben sich ein paar Leute das Fell. Aber das artet niemals aus und ordnet sich brav der Handlung unter, die hauptsächlich vom Dialog vorangetrieben wird. „Gangster-Drama“ wäre daher die passendere Bezeichnung. Wird es doch mal rabiat, rückt man sich bevorzugt mit Faust, Flinte und Klinge zuleibe und hinterlässt dabei Blut, Schutt und Scherben. Wer hauptsächlich auf Kampf und Knochenbrecherei aus ist, wird hier jedoch kaum glücklich werden. Wer eine gut durchdachte Ereigniskette erwartet, allerdings ebenfalls nicht. Dazu ist das Drehbuch oft zu plump, zerfasert und undurchdacht. Punkten kann die Veranstaltung freilich durch ihre dichte Atmosphäre und ihren herrlichen 1970er-Jahre-Schwof, inklusive gigantischer Brillengestelle und Schnauzbärten des Todes. Am Ende ist CHINATOWN KID ein wenig wie sein Protagonist: etwas schrullig, etwas naiv – und trotz aller Defizite liebenswert. 

Laufzeit: 115 Min. / Freigabe: ungeprüft

Sonntag, 1. Juni 2025

KARATE KING


HAO KE
Hongkong 1973

Regie:
Chu-Got Ching-Wan,
Yang Ching-Chen

Darsteller:
Chin Han,
Shih Szu,
Yi Yuan,
Lung Fei,
Han Su,
Chin Tu,
Cheng Fu-Hung


„Für so'n mickriges Würstchen bist du ja ziemlich laut.“
(Lu Fu ist ein Mann vom Wurstfach.)

Inhalt:

China in den 1930ern: Nach fünf Jahren Gefängnis kehrt Lu Fu [Chin Han] in seine Heimat zurück. Die politische Lage ist angespannt: Der Einfluss der Japaner wächst bedrohlich; die Atmosphäre ist von Angst geprägt. Die größte Gefahr jedoch lauert nicht in der Fremde, sondern in der eigenen Familie: Lu Fus Bruder, Lu Te-Piao [Lung Fei], hat sich zwischenzeitlich die hauseigene Kohlemine unter den Nagel gerissen – und mit skrupellosen russischen Kollaborateuren ein dunkles Regime errichtet. Auf Lu Fu wartet daher kein Willkommensgruß, sondern ein Mordkommando. Nur mithilfe der kampferprobten Kung-Fu-Meisterin Ah Chu [Shih Szu] kann er seine Haut retten. In einem Akt der Verzweiflung wendet sich Lu Fu an den japanischen Geschäftsmann Nagata [Yi Yuan], der scheinbar bereit ist, ihm im Kampf gegen seinen Bruder beizustehen. Doch dieser hat eigene Pläne – er will die Mine selbst unter Kontrolle bringen. Der Beginn einer blutigen Schlacht.

Kritik:

Dass sich der Eastern und der Italo-Western stilistisch sehr gleichen, ist keine neue Erkenntnis. KARATE KING schickt sich an, einem diesen Sachverhalt mit Nachdruck zurück ins Gedächtnis zu prügeln. Trotz (überwiegendem) Verzicht auf Pulverdampf und Pferdegetrappel könnte die raue Rachemär nämlich ebenso gut im Land der Lassoschwinger und Revolverhelden stattfinden. Die ungastlichen Schauplätze, als da wären Knastmauern, Kohlemine oder karge Felsformationen, sind dabei ähnlich spartanisch wie die Handlung, die mehr schlecht als recht und zudem wenig plausibel von Station zu Station kriecht. Chin Han [→ DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN] als Protagonist Lu Fu macht gleich zu Beginn mächtig Eindruck – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Er malträtiert die steinernen Wände seiner Zelle per Fuß und hinterlässt dabei tiefe Spuren. Als der Wärter vorbeikommt und ihm verkündet, er habe seine Strafe nun abgesessen und dürfe den Bau daher verlassen, tritt Fu zum Abschied beherzt ein Loch in seine Zwangsbehausung und meint süffisant: „Ich hätte schon früher gehen können.“ Eine ziemlich coole Einführung der Figur, obwohl diese Power in den folgenden 80 Minuten kaum mehr erreicht wird. Im Gegenteil: Trotz seiner Kraft und Kampfkunst erweist sich Lu Fu als eher verletzlicher Charakter, der die Souveränität alles andere als gepachtet hat und im Laufe der Ereignisse viele Rückschläge einstecken muss.

Fu kehrt daraufhin zurück in seine Heimat – nur um feststellen zu müssen, dass seine Eltern nicht mehr am Leben sind. Mehr noch: Vor Ort herrscht ein Klima der Angst, deren Quelle ausgerechnet Fus eigener Bruder ist. Die Idee einer unter Tyrannenterror ächzenden Stadt, die von einem unerschrockenen Einzelkämpfer befreit werden muss, ist ebenfalls ein bekanntes Element zahlreicher Pferdeopern. Der Fakt, dass hier eine Familienfehde ins Spiel kommt, verleiht dem Stereotyp jedoch eine gewisse Sprengkraft. Wohl und Wehe aller Beteiligten scheinen sich hier am Besitz der Bergbaurechte zu entzünden. Was woanders die Weltherrschaft ist, ist bei KARATE KING die Kontrolle über die Kohlemine. Der Grund dafür geht über ein paar Andeutungen nicht hinaus, wie ohnehin alles ein bisschen vage bleibt. Auch Rang und Rolle der einzig relevanten Frauenfigur bleiben beispielsweise überwiegend im Nebel. Die von Shih Szu [→ DIE SIEBEN GOLDENEN VAMPIRE] verkörperte Ah Chu wird zunächst als resolute Rebellin eingeführt, die erst einmal fleißig Handkanten an Handlanger verteilt, bevor sie versucht, dem Despoten ins Gewissen zu reden. Dessen Vater war wohl ihr Lehrer – wie, wann und warum bleibt allerdings ebenso im Dunkeln wie ihre Motivation, Lu Fu beim Kampf gegen seinen brutalen Bruder zu unterstützen. So schlagkräftig ihr Einstand auch geriet: Einen gezielten Schurkenschlag später hockt sie erst einmal für eine nicht unerhebliche Weile in des Feindes Kellerloch.

Kompliziert wird es, als plötzlich auch noch japanische Gegenspieler auf den Plan treten, die zwar beim Helden zunächst einen auf gut Freund machen, aber natürlich Unheil im Schilde führen. Wann waren Besucher aus Nippon in einem Hongkong-Film dieser Zeit denn auch jemals wohlgesinnt? Dank ihres Zutuns wird der Bruderzwist circa ab Halbzeit der Handlung null und nichtig, weswegen sich der Fokus der ohnehin stark irrlichternden Story abermals verschiebt. Auch die Wildwest-Vibrationen schlagen dann wieder wüst um sich, wenn Lu Fu sehr unfein per Lore die Finger gebrochen werden – DJANGO lässt grüßen! Eine etwas klarere Linie hätte der Erzählung gewiss nicht geschadet, eine Zeit lang eiert das Skript doch ziemlich ziellos herum. Auch fragwürdige fremdenfeindliche Untertöne stoßen etwas sauer auf. Denn die Bedrohung, so der Tenor KARATE KINGs, kommt vorwiegend von außen. Selbst der verworfene Bruder steht unter der fatalen Einflussnahme russischer Interessengruppen und die Japaner sind natürlich ohnehin falsch und verschlagen bis ins Mark. Abgemildert werden diese zweifelhaften Tendenzen einerseits durch die Tatsache, dass sich diese Darstellung auch als legitime Kritik am Kolonialismus deuten lässt. Und andererseits durch die teils doch sehr albern geratene Umsetzung, die der Sache beträchtlich den Wind aus den Segeln nimmt. Die Japaner werden sichtbar von Chinesen gespielt und erfüllen so ziemlich jedes Klischee, das man sich vorstellen kann, inklusive schwertschwingender Amazone mit hochkonzentriertem Sauertopfblick. Und der Russe ist ein pummeliger Asiate (Cheng Fu-Hung, um genau zu sein, später unter anderem noch zu sehen in TAG DER BLUTIGEN RACHE), der sich ein Leopardenfell umgehängt hat und sich benimmt wie ein Urmensch.

KARATE KING ist international überwiegend als THE CHAMPION bekannt – beziehungsweise eigentlich eher nicht, denn die Popularität der Prügelarie hielt sich von jeher arg in Grenzen. Und das, obwohl die berühmten Shaw Brothers hinter der Sache stecken, was man ohne Weiteres gar nicht vermuten würde. Die üblichen Sets und Studiokulissen wurden hier nämlich verlassen, um die Ereignisse stattdessen in den schroffen Landschaften Taiwans abzulichten. Das Ergebnis ist von der Optik her überwiegend eher schäbiger Natur. Aber das ist vermutlich beabsichtigt und passt nahezu perfekt zur ruppigen Rhetorik. Dementsprechend fehlen auch die tänzerischen Kampf-Choreographien. Wenn hier geprügelt wird, dann gibt's ganz und gar unelegant aufs Fressbrett. Auffallend ist die höchst unterschiedliche Vermarktung in verschiedenen Breitengraden: Während in Deutschland die Rolle Chin Hans in den Vordergrund gerückt wird (und sogar zum Karate King ernannt wird, was natürlich Unsinn ist – Lu Fu kämpft mit Kung-Fu), findet sich im United Kingdom auch der Titel SHANGHAI LIL – THE QUEEN OF KUNG FU neben dem Bildnis der hufeschwingenden Shih Szu. Diese langt zwar zeitweilig tatsächlich ordentlich hin und mäht sich im furiosen Finale gemeinsam mit ihrem Kompagnon Lu Fu durch wahre Heerscharen an Gegnern. Eine Hauptrolle sieht dennoch definitiv anders aus. Immerhin gönnte man ihr zum Ausgleich ein sehr schönes Duell mit erwähnter Samurai-Kriegerin.

KARATE KING bietet kernige Kloppe in karger Kulisse und könnte allen gefallen, die es auch mal ne Nummer kleiner mögen. Große Mühen in eine funktionierende Dramaturgie investierte man offenbar nicht – vieles wirkt unausgereift und nicht zu Ende gedacht. Doch wer auf schroffe Eastern-Keile in staubigem Western-Ambiente steht, bekommt hier einen doch sehr launigen Leckerbissen serviert. Keine Königsklasse. Aber volksnah. 

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 27. Januar 2025

DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN


DA SHA SHOU
Hongkong 1971

Regie:
Chor Yuen

Darsteller:
Tsung Hua,
Chin Han,
Wang Ping,
Chiang Nan,
Ching Miao,
Yang Chi-Ching,
Ku Feng,
Cheng Kang-Yeh



Inhalt:

Anfang des 20. Jahrhunderts: In einer chinesischen Kleinstadt floriert der Opiumschmuggel. Wang Hsin-Tien [Ching Miao], Leiter der Kung-To-Kampfkunstschule, will dem illegalen Treiben ein Ende bereiten und stört die Geschäfte der Schmuggler erheblich. Bandenmitglied Chiao Tzu-Fei [Chiang Nan] will ihn daher beiseite schaffen und ersinnt einen sinistren Plan: Er schreibt einen Brief an seinen ehemaligen Vertrauten Hsieh Chun [Tsung Hua], der die Stadt vor über 10 Jahren verlassen hat. Hsieh, einst Messerwerfer im örtlichen Zirkus und bekannt für sein aufbrausendes Temperament, wird von Chiao mit einer Lüge in die Irre geführt: Wang und seine Schüler, so die Behauptung, würden die Gegend tyrannisieren. Unwissend, dass sein früherer Freund der wahre Feind ist, mischt Hsieh daraufhin die Schule auf und verletzt einen der Männer schwer. Doch dann trifft er überraschend seine ehemalige Zirkuskollegin Yu [Wang Ping] wieder, die ihm ins Gewissen redet. Mehr noch: Auch sein damaliger Gefährte Ma [Chin Han], einst ebenfalls in die Ferne gegangen, um Arbeit zu finden, taucht plötzlich wieder auf. Inzwischen hat er Karriere bei der Polizei gemacht und nur ein Ziel: den Drogenhandel in seiner alten Heimat zu zerschlagen. Als Chiao erkennt, dass sein Täuschungsmanöver aufzufliegen droht, heckt er einen noch perfideren Plan aus: Er lässt mehrere von Wangs Schülern ermorden und schiebt Hsieh die Schuld in die Schuhe. Die Intrige trägt Früchte: Es dauert nicht lang, da stehen sich die einstigen Brüder Hsieh und Ma als Feinde gegenüber.

Kritik:

Im Jahre 1971 drehte Chor Yuen [→ DAS TODESDUELL DER TIGERKRALLE] für die Shaw Brothers diesen kompliziert erzählten, im Kern jedoch sehr simplen Kung-Fu-Krimi, für dessen Umsetzung man die bewährten Studiohallen und -areale augenscheinlich nur selten verließ. Viel Mühe in eine plausible Story investierte man dabei nicht. Das Skript wurde offenbar mit heißer Nadel gestrickt und steht auf ziemlich wackeligen Beinen. Bereits die Prämisse erscheint recht seltsam, wird hier doch offenbar ein kompletter Ort ausschließlich von der örtlichen Kung-Fu-Schule verwaltet und kontrolliert. Würde die Geschichte gut 100 Jahre früher spielen, wäre das nicht einmal allzu weit hergeholt, aber für die abgebildete Zeit (vermutlich so um 1910 rum) erscheint die generelle Abwesenheit von Staat und Behörde nur wenig schlüssig. Aber weil das hier nun einmal der Fall ist, muss sich der örtliche Kung-Fu-Lehrer Wang höchstpersönlich um die Verbrechensbekämpfung bemühen. Direkt in der Eröffnungssequenz überfallen er und seine Schüler daher einen Drogentransport durch die Botanik, verteilen tüchtig Keile und verbrennen die heiße Ware noch an Ort und Stelle. Wie sinnvoll es ist, massenhaft Opium in Brand zu stecken, während man direkt danebensteht, wird bei der Gelegenheit leider nicht beantwortet.

Was dann folgt, ist dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass guter Wille allein kaum ausreicht, um die Konstruiertheit der Ereignisse ignorieren zu können. Denn die Idee, die der schurkische Schmuggler Chiao ausheckt, um Wang (buchstäblich) ans Messer zu liefern, ist schlichtweg hanebüchen: Er lockt seinen früheren Freund Hsieh in die Stadt, füttert ihn mit Falschinformationen, wonach Wang und seine Kung-Fu-Kollegen brutale Bösewichter sind, und hofft dann einfach darauf, dass dieser den Gegner aufgrund seines hitzigen Temperaments im Alleingang auslöscht. Ein einziges klärendes Gespräch mit dem vermeintlichen Feind hätte freilich schon ausgereicht, um das fragile Lügenkonstrukt in sich zusammenbrechen zu lassen, und in der Realität wäre es fraglos auch so gekommen. Aber in dieser Welt erlaubt das natürlich das Drehbuch nicht, weswegen Chiaos zweifelhafter Plan zunächst tatsächlich aufzugehen scheint. Als sich die Dinge dann doch anders entwickeln als erhofft, richtet Chiao ein Massaker an und schiebt Hsieh dafür die Schuld in die Schuhe. Das geschieht jedoch auf solch plumpe Weise, dass dabei auch noch das letzte bisschen Glaubwürdigkeit über Bord geht: Er lässt einfach Hsiehs Zeichen auf die Mordwerkzeuge gravieren, was als Beweis genügen soll (und es laut Skript auch tut). Wie ausgefuchst! Warum hat er nicht gleich noch dessen Visitenkarten nachgedruckt und den Leichen in die Taschen gesteckt?

Schluckt man diese haarsträubenden Ideen, dann funktioniert DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN allerdings ziemlich gut. Einen nicht erheblichen Anteil daran haben die stilsichere Inszenierung Chor Yuens und die energiegeladenen Kampfsequenzen. Für letztere war Yuen Wo-Ping [→ THE GRANDMASTER] verantwortlich, der damit eine seiner ersten Arbeiten ablieferte, viele Jahre, bevor er zum wohl bekanntesten Choreographen Asiens – vielleicht sogar der Welt – aufstieg. Von der späteren Perfektion ist er hier zwar noch entfernt, aber wenn sich die Kämpfer gegenseitig schwungvoll in und durch die Requisiten schleudern, besitzt das schon eine Menge destruktiver Wucht. Zwar gleichen sich die Bilder ziemlich und die Masche wird auch kaum variiert, aber unterhaltsam (und nicht zuletzt von allen Beteiligten gekonnt dargeboten) ist das Schauspiel allemal. Reichen die eigenen Extremitäten zur Verteidigung nicht mehr aus, werden überwiegend Messer gezückt. Das führt hin und wieder zu recht blutigen Ergebnissen, wobei diese nicht einmal ansatzweise so intensiv zelebriert werden wie z. B. bei DUELL OHNE GNADE oder DER PIRAT VON SHANTUNG, zwei weiteren Shaw Brothers-Werken mit leidenschaftlicher Messer-Macke. Die Wahl dieser Waffe ergibt in Anbetracht der Vergangenheit der Hauptfigur auch absolut Sinn, denn einst war Hsieh, mehrere Rückblicke verdeutlichen es, Messerwerfer der ansässigen Zirkusfamilie. Dementsprechend trägt er seine Wurfwerkzeuge nun wie Patronen am Gürtel mit sich herum, was schon ziemlich lässig rüberkommt. Dabei schleudert er seine Klingen überwiegend jedoch nicht, um seinen Gegnern das Lebenslicht auszupusten, sondern lediglich, um sie irgendwo festzunageln.

Die Qualitäten DIE BANDE DES GELBEN DRACHENs erschöpfen sich allerdings nicht allein in der Darbietung gewalttätiger Konfrontationen. Genaugenommen sind es gerade die leisen Zwischentöne, die das Interesse wecken und halten können. Denn hinter der harten Oberfläche schimmert dezent der zarte Zauber nostalgischer Wehmut. Ein sentimentaler Schleier schwebt über dem Geschehen, wenn der verlorene Sohn heimkehrt an die Stätte seiner Jugend, auf alte Weggefährten trifft und längst vergessen geglaubte Sorgen, Hoffnungen und Sehnsüchte neu erwachen. Durch böse manipulierende Mächte im Hintergrund droht die glückliche Zukunft des schließlich im Zentrum stehenden Dreiergespanns auf ewig zu zerbrechen und einstige Freundschaft zu Feindschaft zu werden. Geschickt wird dabei unterschwellig auf der Gefühlsklaviatur geklimpert, wenn Begegnungen und Aussprachen beispielsweise an Orten stattfinden, die sinnbildlich für die Vergangenheit stehen. Wie das Zirkuszelt, einst gemeinsames Domizil, mittlerweile alt, abgerockt und verlassen - ein Relikt verblichener Tage, wie die Figuren selbst. Oder wenn wiederkehrend die Seerose ins Bild gerückt wird, als Symbol für die Verbundenheit und unterdrückte Liebe zwischen Hsieh und Yu, die als einzige aus dem Trio in der Heimatstadt verblieb. Dass zwischen Hsieh und Ma, dem Dritten aus der Zirkusfamilie, ein latenter Wettbewerb um ihre Gunst besteht, wird dabei ebenfalls lediglich angedeutet, nie verbalisiert. Aber wenn die einstigen „Brüder“ sich am Ende, durch Lüge und Intrige aufeinandergehetzt, auf unterschiedlichen Seiten zum Duell gegenüberstehen, dann ist zu vermuten, dass sie auch durch eine verkappt schwelende Rivalität bezüglich der Zuneigung Yus angetrieben werden.

Der Umstand, dass genug Interpretationsspielraum gelassen wird und das Publikum nicht alles aufs Butterbrot geschmiert bekommt, ist eine der großen Stärken DIE BANDE DES GELBEN DRACHENs, der seine eingangs erwähnten Defizite gut auszugleichen versteht. Die Inszenierung ist durch und durch sauber, die Bilder sind prall gefüllt und die Sets werden stilsicher ins rechte Licht gerückt. Dazu wimmelt es von Statisten und ständig in der Luft hängender Rauch sorgt für eine stimmungsvolle Atmosphäre. Lediglich bei der Hafenkulisse war man ein wenig zu sorglos und ließ die Darsteller einfach vor einer einfarbigen Wand agieren, was nicht besonders überzeugend aussieht. Dass am Ende urplötzlich mit Schusswaffen hantiert wird und ein japanischer Strippenzieher die Bühne betritt, will auch nicht so recht ins Bild passen und soll Resultat einer kurzfristigen Planänderung sein. Grund dafür war angeblich der bahnbrechende Erfolg FIST OF FURYs, in dem es Knochenbrecher-Koryphäe Bruce Lee ebenfalls mit Scharlatanen aus Nippon zu tun bekam. Da dieses Feindbild deswegen gerade mächtig in Mode war, so heißt es, entschied man sich für Storyänderungen und Nachdrehs, die das ursprüngliche Konzept ein wenig auf den Kopf stellten. Das klingt zwar zunächst plausibel, zumal ein Stilwechsel zum Finale nicht zu leugnen ist und der Auftritt des schwertschwingenden Ku Fengs [ → DIE TÖDLICHEN ZWEI] als neuer Endgegner doch arg forciert wirkt. Allerdings scheint DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN das Licht der Leinwand doch ein paar Wochen früher erblickt zu haben als FIST OF FURY, was die Behauptung ein wenig widersprüchlich macht.

Als echtes Ärgernis entpuppt sich die deutsche Sprachfassung, welche Hintergründe und Motivationen der Figuren nach Lust und Laune umdeutet, was die ohnehin nicht sonderlich plausible Story endgültig ins tiefe Tal der Verwirrung führt. In dieser Version ist Hsieh nicht etwa ein Messerwerfer, der nach vielen Jahren an den Ort seiner Jugend zurückkehrt, sondern ein externer Auftragsmörder, der von Chiao extra engagiert wird, um dessen Feinde auszuschalten. Dass beide Männer sich eigentlich von früher kennen und ein altes Schuldverhältnis zwischen ihnen besteht, wird komplett unterschlagen, wie auch die Tatsache, dass die Ereignisse in Hsiehs alter Heimat stattfinden. So wirkt es nun, als laufe er seinen ganzen alten Freunden und Bekannten hier rein zufällig über den Weg. Auch verliert dadurch natürlich nahezu alles an Bedeutung, seien es die symbolträchtigen Orte, wie das zerfallene Zirkuszelt, oder die nun regelrecht zweckfreien Rückblenden in Hsiehs Schaustellervergangenheit. Warum Chiao, in der deutschen Version simpler Auftraggeber eines Attentats, seinem Bediensteten einen Bären bezüglich der Zielpersonen aufbindet, erscheint zudem ebenso nebulös wie der Umstand, dass Hsieh, angeblich ja ein Killer mit Mordmission im Gepäck, tatsächlich niemanden umbringt, sondern einfach nur ein wenig Wirbel veranstaltet. Da man in dieser Fassung außerdem versucht war, es so aussehen zu lassen, als habe die eigentlich unschuldige Kung-Fu-Schule tatsächlich irgendwie Dreck am Stecken, ergibt am Ende kaum noch etwas einen nachvollziehbaren Sinn.

Wenngleich auch im Original erzählerisch alles andere als stressresistent, punktet DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN am Ende mit seiner eleganten Mixtur aus Stil, Action und emotionaler Tiefe. Nicht jeder Wurf ist ein Treffer. Aber jeder Treffer sitzt.

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 20. Januar 2025

BOLO - VIER FÄUSTE IM WILDEN OSTEN


BAI MA HEI QI
Hongkong 1977

Regie:
Yeung Sze

Darsteller:
Yeung Sze/Bolo Yeung,
Pai Piao/Jason Pai,
Mi Lan,
Chin Yuet-Sang,
To Siu-Ming,
San Kuai,
Lau Yat-Fan,
Tsang Chi-Wai/Eric Tsang



Yeung Sze ist Kult! Und das, obwohl ihn keiner kennt. Gut, zumindest nicht unter diesem Namen. Auch Yang-Sze-, Yeung-Shut-, Yang-Szu-, Yeung-See-, Yang-Tze-, Yung-Sze-, Ywung-Sze-, Yang-Tse-, Young-Sy- oder Yang-Sa-Fans trifft man eher selten. Der Name des als 양사 in der chinesischen Provinz Guangdong geborenen Martial-Arts-Darstellers wurde auf alle erdenkliche (Schreib-)Weisen transkribiert. Berühmtheit erlangte er am Ende allerdings mit dem wohl am albernsten klingenden Pseudonym. Denn nachdem der Kampfkünstler und Gewichtheber nach zahlreichen Statistenrollen für die Shaw Brothers einen blutrünstigen Schurken im ersten amerikanischen Bruce-Lee-Brüller DER MANN MIT DER TODESKRALLE (1973) verkörperte, wurde er quasi über Nacht weltbekannt. Und da seine Figur im Film „Bolo“ hieß, was nicht nur einprägsam ist, sondern international auch gut von Lippe und Zunge geht, war das ab sofort sein Künstlername: Bolo Yeung.

Bruce Lee selbst starb noch, bevor er Teil seines eigenen Welterfolgs werden konnte. Als nach dessen frühen Tod eine ganze Wagenladung an Bruce-Lee-Imitatoren auf die Leinwände geschüttet wurde, gehörte auch Bolo Yeung zum Stammpersonal und festigte aufgrund seines außergewöhnlichen Erscheinungsbilds somit seine Popularität. Ob es ihn gestört hat, dabei fast ausschließlich auf die Rolle des brutalen Bösewichts festgenagelt worden zu sein? Möglich, denn sein erstes Werk unter eigener Regie präsentiert ihn beinahe gänzlich anders. Geblieben ist lediglich sein Name, der dieses Mal – Marketing ist die halbe Miete! – auch direkt als ganzer Titel herhalten darf: BOLO!

Inhalt:

In einem kleinen chinesischen Dorf ist das Amt des Sheriffs gleichbedeutend mit einem Todesurteil: Wer ernsthaft für Recht und Ordnung eintritt, wird schnell einen Kopf kürzer gemacht – was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Als den Zuständigen mal wieder ein Ordnungshüterhaupt vor die Füße kullert, wird beschlossen, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Denn wer kann Gangstern am besten Einhalt gebieten? Natürlich! Andere Gangster! Und so wird angeordnet, alle Knastinsassen Strohhalme ziehen zu lassen. Zwei Gewinner dürfen das Gefängnis verlassen und Gesetzeshüter werden. Das Schicksal entscheidet sich für den schlitzohrigen Sprücheklopfer Ma [Jason Pai Piao] sowie das grobschlächtige Muskelpaket Bolo [Bolo Yeung Sze], die bereits im Bau aneinandergeraten sind und sich nach Freilassung erst einmal ein Kung-Fu- und Artistik-Duell liefern, um die Fronten zu klären. Im Dorf angekommen, stellen sie fest, dass hier wirklich die Unmoral regiert. Sogar der Bürgermeister ist in Menschenhandel verwickelt und wer diesbezüglich auspacken will, endet aufgeknüpft an der Laterne. Ma und Bolo müssen sich im wahrsten Sinne zusammenraufen, um ihre Haut zu retten und der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen.

Kritik:

Obwohl der Titel eigentlich Bolo-Solo-Action verspricht, macht bereits der Beginn klar, dass man sich hier im Genre des Buddy-Movies bewegt, das zwei ungleiche Protagonisten zusammenschweißt, um sie durch dick und dünn gehen zu lassen. Dabei durchziehen von Beginn an (der deutsche Zusatztitel deutet es dezent an) signifikante Spencer-/Hill-Schwingungen das Szenario, sind Grundgerüst und Duktus doch eindeutig angelehnt an die Kassenerfolge des populären Prügel-Duos aus Italien. Während Jason Pai Piao [→ DER TODESSCHREI DES GELBEN TIGERS] als schlaksiger Charmeur durchaus passabel den asiatischen Kung-Fu-Hill mimt, ist Bolo Yeung als dessen Kompagnon und bud-spenceriger Kaventsmann kaum wiederzuerkennen. Seine Gesichtsbehaarung und das ebenso tumbe wie gutmütige Auftreten hat mit seinen früheren Rollen als furchteinflößender Knochenbrecher nichts mehr gemein. Zwar ist Yeung – im Gegensatz zu seinem offensichtlichen Vorbild und anders als im Dialog mehrmals behauptet – tatsächlich „nur“ kräftig und nicht dick. Aber diese bis dahin unbekannte Facette steht dem Berufsbösewicht doch erstaunlich gut und es ist genau dieses Gegen-das-Image-Agieren, aus dem BOLO seinen hauptsächlichen Reiz bezieht.

Das ist auch dringend notwendig, denn Reize, zumindest positiver Art, sind bei dieser Veranstaltung eher Mangelware. Man hatte zwar eine interessante Idee, aber offenbar keine Ahnung, was man aus ihr machen sollte. Schon die Prämisse ist freilich denkbar hanebüchen. Dass Knastvögel aus dem Bau herausrekrutiert werden, um aus ihnen ein Himmelfahrtskommando zu formieren, das kennt die Leinwand spätestens seit DAS DRECKIGE DUTZEND zur Genüge. Aber dass verurteilte Verbrecher freigelassen werden, um als Gesetzeshüter andere Verbrecher zur Strecke zu bringen (noch dazu mit der Ermahnung, bloß nicht Fersengeld zu geben), das hat schon eine ganz neue Quatsch-Qualität. Allerdings ist BOLO eine Komödie, da geht eine solch absurde Ausgangssituation durchaus klar. Viel ernüchternder ist es, wie wenig aus dieser Basis herausgeholt wurde, obwohl die Trümpfe doch eigentlich schon in der Hand lagen.

Denn was offenbar nicht in der Hand lag, war ein vernünftiges Drehbuch. Erzählerische Höchstleistungen erwartet sicherlich niemand, aber die Ereignisse BOLOs sind insgesamt so zusammenhanglos und sinnbefreit, dass es teils absurde Ausmaße annimmt. Bereits der Einstieg ist äußerst ungelenk, wenn Ma und Bolo (die ja eigentlich Sympathiefiguren sein sollen) einem blinden Mann sein Fahrzeug klauen – völlig grundlos übrigens, denn der Alte hatte sich längst dazu bereit erklärt, die beiden an ihr Ziel zu bringen. Im Dorf angekommen, gehen die Protagonisten als Erstes ins Bordell, das von Eric Tsang [→ SEVEN ASSASSINS] in Frauenkleidern geführt wird, der Bolo schließlich in einer viel zu langen Sequenz im albernen „Hühner-Stil“ attackiert, weil er glaubt, dieser wolle die Zeche prellen. Ma indes trifft vor Ort eine alte Bekannte aus früheren kriminellen Tagen und quetscht sie um den Verbleib mehrerer Goldbarren aus – vermutlich Beute aus Raubzügen, von der das Publikum an dieser Stelle auch zum ersten Mal hört. Ist das narrativ alles bereits arg fragmentarisch, wird es im weiteren Verlauf regelrecht chaotisch. Immer mehr seltsame Figuren bevölkern das Szenario, die so lang sonderbare Dinge tun und lassen, bis man schlichtweg aufgibt, nach Sinn und System zu suchen.

In einem Moment bittet eine Mutter den Titelhelden Bolo, kurz ihr Baby im Arm zu halten, um Wasser holen zu können, was er mit Freuden tut. Dann kommt die Frau zurück, rammt ihm ein Messer in den Bauch und kratzt mit Kind die Kurve. Daraufhin taumelt Bolo in eine Praxis, wo der Arzt ihn verbindet. Plötzlich befindet sich die Attentäterin aber im Nebenbett und Bolo merkt, dass der Arzt ihn auf ein Brett gefesselt hat. Dann kommt der Doktor zurück und beide liefern sich einen Kampf, den Bolo schließlich gewinnt, woraufhin der Besiegte sich ein weißes Pulver ins Gesicht schüttet – vermutlich, weil er in dem Krug, den er sich an den Mund setzte, etwas anderes erwartet hatte. Wenn man chinesische Schriftzeichen lesen könnte, wüsste man wohl auch, was. Dass sich einem dadurch auch der Sinn der ganzen Sequenz erschließt, darf jedoch bezweifelt werden. An anderer Stelle gerät ein Wirt mit seinem Gast in Streit, weil dieser gerade aus den USA zurückgekommen ist und nun lauter Zeug bestellt, das in China gar nicht auf der Karte steht. Darum legt der Kellner ihm nahe, zu verschwinden, was ebenfalls in einer minutenlangen Prügelei mündet, die nachfolgend wirklich gar keine Relevanz für irgendetwas hat. Später machen Ma und eine Frau dann noch ein Spiel, dessen Regeln wahrlich schleierhaft sind: Sie rufen scheinbar zufällig Zahlen in den Raum, halten dazu ihre Hände hoch und sagen zeitgleich noch ein Gedicht auf, bei dem sich (zumindest in der Synchronisation) überhaupt nichts reimt. 

Ein Erklärungsansatz für derlei Gaga-Momente ist, dass ein Großteil des Humors sich auf kulturelle Eigenheiten des Entstehungslandes bezieht und daher schlichtweg nicht übertragbar war. Begleitet wird die Show dabei stets von weiteren Elementen, die das komödiantische Hongkong-Kino weltweit berühmt-berüchtigt gemacht haben, wie wildes Grimassenschneiden, Schielen, Lispeln, Augenrollen und sonstige Attribute. Das sägt teils schon sehr an den Nerven. Zu allem Überfluss sind auch die Kampfszenen – also der in der Regel eigentliche Grund, weswegen man sich so etwas überhaupt ansieht – ausnehmend schlecht umgesetzt. Die beiden Hauptdarsteller selbst sorgten für die Choreographien und das Ergebnis ist alles andere als überzeugend. Nichts hier sieht nach echtem Schlagabtausch aus. So bleibt am Ende nicht mehr als eine Abfolge wirrer Szenen, bei der sich kaum etwas im Einklang befindet. Dazu passend ist die deutsche Synchronisation nicht nur technisch miserabel und vermutlich von Amateuren im Wohnzimmer zurechtgekloppt, sondern in Sachen Dialog oftmals ebenfalls ein Mysterium, bei dem die Wörter – sofern man sie denn überhaupt versteht – einfach nicht zusammenpassen wollen. Dennoch – und das mag nun verblüffen – vertreibt BOLO die Zeit doch einigermaßen passabel und ist nicht nur trotz, sondern auch dank aller Eigenarten ein angenehm-kauziger Blick in die teils absurden Elaborate des damaligen Bahnhofskinos. Hin und wieder muss so eine kleine Kuriosität am Rande einfach mal sein. Und Yeung Sze bleibt Kult!

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 13. Januar 2025

DRAKAPA, DAS MONSTER MIT DER KRALLENHAND


BEAST OF BLOOD
USA, Philippinen 1971

Regie:
Eddie Romero

Darsteller:
John Ashley,
Celeste Yarnall,
Eddie Garcia,
Liza Belmonte,
Alfonso Carvajal,
Bruno Punzalan,
Angel Buenaventura,
Beverly Miller



Wer im Deutschland der 1970er Jahre das Lichtspielhaus aufsuchte, um seinen Feierabend mit DRAKAPA, DAS MONSTER MIT DER KRALLENHAND zu verbringen, der hat sich während der Sichtung vielleicht gewundert, dass inhaltlich kaum etwas Sinn ergibt. Einerseits lag das natürlich daran, dass hier inhaltlich tatsächlich kaum etwas Sinn ergibt. Andererseits – und das dürfte eher weniger bekannt gewesen sein – hatte man es aber auch mit einer Fortsetzung zu tun, deren Vorgänger auf bundesdeutschen Leinwänden gar nicht zu sehen war. Zahlreiche Zusammenhänge konnten sich einem daher gar nicht oder nur teilweise erschließen. Über die Gründe des Verleihers, den ersten Teil auszusparen, kann man nur spekulieren. Vielleicht wollte oder konnte man nur für ein einziges Blutspektakel Lizenzen zahlen und hielt BEAST OF BLOOD, wie die drollige Monster-Horror-Abenteuer-Mixtur eigentlich heißt, schlichtweg für vorzeigbarer.

Das dereinst unterschlagene Schauerstück trägt den sehr diskreten Titel MAD DOCTOR OF BLOOD ISLAND – auf gut Deutsch also so viel wie: Der Kloppi-Dok von Helgoland - und handelt vom Pathologen Bill Foster, der auf eine Südsee-Insel reist, um Nachforschungen über eine seltsame Krankheit anzustellen. Vor Ort trifft er auf den sinistren Dr. Lorca, der in Amtsformularen bei „Beruf“ mit Sicherheit „verrückter Wissenschaftler“ einträgt. Aus Gründen, die man wohl nur versteht, wenn man selbst nen Doktortitel hat, verbringt Lorca den Großteil seiner Freizeit damit, Einheimische in blutrünstige Mensch-Pflanz-Mutanten zu verwandeln, die dann – wer will es ihnen verübeln? – bevorzugt barbusige Schönheiten vernaschen. Im Wortsinne, versteht sich.

Hüpfende Möpse, fliegende Körperteile, grüne Blutsuppe – für manch Connaisseur schamlosen Tandwerks klingt das gewiss nach einer anständigen Kirmes. Aber im Endeffekt regiert Ernüchterung: Die Schauwerte machen gut fünf Minuten aus und der Rest ist so öde, da bleiben sogar die Cocktails ungerührt. Final kehrt Foster, zusammen mit seiner neuen Flamme, ihrem Vater und einem weiteren Typen, von dem man schon während des Films vergessen hat, wer das eigentlich ist, zurück aufs Schiff, um die Blutinsel für immer zu verlassen. Doch wie das im Horror-Genre halt so ist: Eine der Schreckgestalten hat überlebt, befindet sich an Bord und streckt unheilvoll ihre Hand unter der Abdeckplane eines Rettungsboots hervor. ENDE!

Beziehungsweise Anfang, denn genau da geht BEAST OF BLOOD los: Das Monster schlüpft aus seinem Versteck und richtet an Deck zu fröhlicher Beat-Musik ein Massaker an. Dabei fängt das Schiff Feuer und versinkt in den Tiefen der See. Nur Foster kann sich retten. Dieser Auftakt ist zwar effektiv, aber die Fragezeichen über den Köpfen des (deutschen) Betrachters dürften gigantisch gewesen sein. Eine sinnvolle Erklärung, warum sich Foster nach diesem Ereignis abermals auf das unheilvolle Eiland begibt, bleibt man im Übrigen ebenfalls schuldig. Aber vermutlich sollte man solche Fragen gar nicht stellen. Teile der Antwort könnten das Publikum verunsichern.

Inhalt:

Dr. Foster [John Ashley] befindet sich (mal wieder) auf einem Schiff Richtung 'Blutinsel' im Südpazifik. An Bord ist auch die kesse Reporterin Myra Russell [Celeste Yarnall], die Fosters vorherige Erlebnisse unbedingt zu einer Story verarbeiten möchte und ihm daher nicht mehr von der Seite weicht. Als sie das Festland erreichen, erfährt Foster, dass immer noch regelmäßig Einheimische verschwinden. Er vermutet seinen alten Rivalen Dr. Lorca [Eddie Romero] dahinter. Dieser gilt zwar als tot, ist allerdings tatsächlich noch am Leben, haust in einem geheimen Labor und entführt immer wieder Menschen, um den passenden Körper zum Kopf seiner Kreatur ‚Drakapa‘ zu finden.

Kritik:

Letzte Zweifel können an dieser Stelle ausgeräumt werden: BEAST OF BLOOD ist billiges Bahnhofs- und Autokinomaterial, wie es im Buche steht, eine auf Zelluloid gegossene Jahrmarktsattraktion, die Sensationen verspricht und Kehricht kredenzt. Was im Erscheinungsjahr womöglich noch die eine oder andere sensible Seele erschreckt hat, macht mittlerweile kein Schulkind mehr nervös. Dabei lieferte Autor und Regisseur Eddie Romero [→ FRAUEN IN KETTEN] in gewisser Hinsicht sogar eine Art Blaupause für spätere italienische Matschfeste wie ZOMBIES UNTER KANNIBALEN (1979), deren Zutaten hier bereits vorhanden sind: ein durchgeknallter Eierkopf, der auf einer augenscheinlich idyllischen Insel grausame Experimente durchführt, eine rätselhafte Seuche, welche die Menschen dahinrafft, verängstigte Inselbewohner, die zu Versuchskaninchen werden, und natürlich ein ebenso wackerer wie wenig aufregender Held, der den Tag retten muss.

Bei BEAST OF BLOOD allerdings haben Blutlüstlinge das Nachsehen, denn mehr noch als MAD DOCTOR OF BLOOD ISLAND ist der Nachfolger tatsächlich eher Abenteuer- als Horrorfilm, der bis auf ein paar kurze härtere Nummern (wie das berühmte Aufgespießtwerden auf Holzpflöcke am Höhlenboden oder eine an Schweinefleisch durchgeführte OP) auch gefahrlos im Nachmittagsprogramm laufen könnte. So stolpern die Hauptfiguren mal mehr, mal weniger motiviert durch dichte Dschungellandschaften und erleben so allerhand Episödchen, die sich in der Regel recht hurtig auch schon wieder in Wohlgefallen auflösen. Wahnsinnig aufregend ist das sicherlich nicht. Aber doch irgendwie ganz nett: Schlingpflanzen, Treibsand, Todesfallen – das komplette Marlboro-Country-Programm für einen angenehmen Feierabend. Dass in erster Linie alles dazu dient, die hauchdünne Handlung auf Gedeih und Verderb in die Länge zu ziehen, ist in seiner Offensichtlichkeit beinahe rührend.

Deutlich zu kurz kommt dabei allerdings die titelgebende Kreatur, die auch gar nicht so richtig brutal sein darf. Das ist freilich den Umständen geschuldet, existiert das Monster nach dem einleitenden Massaker doch nur noch als Kopf, der aufgespießt in Dr. Lorcas Labor dahinvegetiert und missmutig mit den Augen rollt. Es hat schon etwas Komisches, wenn der Doktor seine Schöpfung permanent zutextet und sich dabei mehrmals beklagt, dass sie nicht ein einziges Wort mit ihm wechseln möchte. Worüber will er denn mit der ollen Monsterrübe überhaupt sprechen? Übers Wetter? Schlechte Manieren kann man dem wahnsinnigen Weißkittel jedenfalls nicht vorwerfen, immerhin siezt er das Ding sogar ganz höflich - schon erstaunlich, wie viel Respekt man so einem zermatschten Schädel entgegenbringen kann. Als Draki dann am Ende tatsächlich zu sprechen anfängt, klingt er zu allem Überfluss auch noch, als wäre er von Roberto Blanco vertont worden.

"Jääääätzt wääärrrden wirrr uns untäärrrhalten, Lorrrcaaa!"

Das Finale bäumt sich dann noch mal richtig auf und gibt artig Zunder. Das liegt zwar nicht an Drakapa (dessen Amoklauf dauert hochgerechnet gerade einmal zwei Minuten), aber dafür wird fleißig mit Feuerwaffen, Dynamit sowie Pfeil und Bogen hantiert, was für ein anständiges Rambazamba sorgt.

Überraschend ist das engagierte Spiel der Darsteller. Vor allem John Ashley [→ SAVAGE SISTERS] gibt sich in seiner Hauptrolle tapfer seriös, ganz so, als wäre das alles kein bisschen bescheuert. Und obwohl auch hier einmal kurz ein Paar Hupen gelüftet wird, sind die weiblichen Inselbewohner erstaunlich emanzipiert bei der Sache: Als Myra nach Ankunft die erstbeste Insulanerin ablichten will, schlägt diese die Kamera zur Seite und meint harsch: "Wenn ich ein Foto haben will, sag’ ich Bescheid!"

So ist BEAST OF BLOOD am Ende gemütliche Unterhaltung, die einmal mehr von ihrem exotischen Inselflair profitiert. Das versprochene Nervenzerren bleibt aus, sodass auch sensiblere Gemüter keine schlaflose Nacht erleben werden. Warum der Untertitel Das Monster mit der Krallenhand lautet, ist allerdings ein Rätsel – die Greifer sind eigentlich noch mit das Normalste an der Kreatur. Aber Das Monster mit der Matschbirne hätte vermutlich deutlich weniger Publikum angezogen.

Laufzeit: 87 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 6. Januar 2025

AN SEINEN STIEFELN KLEBTE BLUT


NAVAJO JOE
Italien, Spanien 1966

Regie:
Sergio Corbucci

Darsteller:
Burt Reynolds,
Aldo Sanbrell,
Nicoletta Machiavelli,
Fernando Rey,
Tanya Lopert,
Franca Polesello,
Lucia Modugno,
Peter Cross



Inhalt:

USA, zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: Die Tötung von Indianern ist mittlerweile verboten. Der skrupellose Duncan [Aldo Sambrell] und seine Banditenbande lassen sich davon allerdings nicht beeindrucken und machen weiterhin Jagd auf Ureinwohner-Skalps. Nachdem sie eine komplette Siedlung vernichtet haben, sinnt Joe [Burt Reynolds], einziger Überlebender des Massakers, auf Rache. Als Duncans Männer einen Zug mit Bargeld-Reserven überfallen, dezimiert Joe die Bande erheblich und bringt das Fahrzeug eigenhändig ans Ziel. Dort bietet er den verängstigen Dorfbewohnern an, Duncan und seine Männer unschädlich zu machen. Diese weigern sich zunächst, sehen jedoch bald ein, dass sie keine andere Wahl haben – denn die verbliebenen Banditen sind bereits auf dem Weg ins Dorf, um das Geld doch noch an sich zu bringen. Joe heftet sich den Sheriffstern an die Brust und verspricht den Anwesenden, sie zu beschützen. Nach seiner Ankunft stellt Duncan fest, dass Joe das Geld versteckt hat. Um den geheimen Ort herauszupressen, beginnt die Bande einen Terror gegen die Bürger, den Joe zunächst nicht verhindern kann – er unterliegt seinen Widersachern und wird gefoltert. Doch mithilfe zweier Huren kann er sich befreien und schlägt zurück.

Kritik:

Im selben Jahr, in dem Regisseur Sergio Corbucci mit dem wegweisenden, weil grandios dreckigen DJANGO das Bild des Wildwestfilms nachhaltig veränderte, inszenierte er noch ein weiteres von ähnlich nihilistischer Stimmung geprägtes Werk, das von den Kritikern häufiger mal vergessen wird: NAVAJO JOE! Gleichfalls als düstere Abkehr von den bis dahin gängigen, heroischen Pferdeopern konzipiert, bediente man sich auch hier später zum Standard gewordenen Genre-Zutaten: Wind pfeift durch karge Felslandschaften, Sand knirscht unter den Stiefeln und Pulverdampf schwängert die Luft – eine trostlose Welt, in der Sitte und Anstand sich größtenteils verabschiedet haben. Bereits der Auftakt stellt diesbezüglich die Weichen: In einer beschaulichen Indianersiedlung geht alles seinen gewohnten Gang. Die Sonne scheint, die Pferde trinken, die Menschen gehen ihren Alltagsgeschäften nach. So auch eine junge Indianerin, die am Fluss sitzt und Felle glättet. Da erscheint ein Reiter, ein weißer Mann mit Sombrero. Er steigt vom Pferd; die Frau lächelt ihn arglos an. Er erwidert die Geste, zieht seinen Colt und knallt sie kommentarlos über den Haufen. Während daraufhin eine Bande marodierender Männer das Dorf überfällt und ein Massaker anrichtet, zieht der Mann ein Messer und skalpiert sein soeben erlegtes Opfer.

Das ist zwar fraglos ziemlich plump und klischeehaft, aber eben auch enorm effektiv: Der harte Umschwung von idyllischer Eintracht zu barbarischer Brutalität schockiert und involviert zudem auf Anhieb das Publikum. Spätestens, wenn der gewissenlose Sombrero-Träger seiner Beute mit beinahe begeistertem Blick die Kopfhaut abtrennt und wie eine makabre Trophäe in die Höhe hält, während auf der Tonspur ein mehrstimmiger, verstörender Klagegesang anschwillt, der sich final zu einem mitreißenden, den Vorspann untermalenden Orchesterstück emporschwingt, dann ist der eigene Alltag völlig vergessen und man ist mit Haut und Haaren Teil dieser apokalyptischen Vision. Dabei ist NAVAJO JOE inhaltlich weder neu noch kreativ: Einmal mehr geht es um den Drang nach blutiger Vergeltung. Denn der einleitende Massenmord hinterlässt einen Überlebenden, Titelheld Joe, dem es nun gehörig nach Genugtuung dürstet. Doch anstatt einfach zur Tat zu schreiten und in Schurkenkreisen aufzuräumen, vereitelt er zunächst lediglich einen Raubzug der Bande und lässt sich dafür von den Bürgern eines kleinen Dorfes zum Sheriff ernennen. Somit darf er die Täter jetzt also sogar im Namen des Gesetzes zur Strecke bringen – denn die Ermordung von Indianern ist laut novelliertem amerikanischen Recht eine Straftat.

So wird aus der eigentlich obligatorischen Rachenummer ein originelles, ja, regelrecht rebellisches Stück Kino. Immerhin ist dies einer der ersten Western, in dem ein indigener Charakter die Hauptrolle verkörpert. War der „Indianer“ auf der Leinwand bis dahin meist als ruchloser Meuchler in Erscheinung getreten, der den armen weißen Mann drangsaliert, agiert er hier als moralische Instanz, während der gutbürgerliche Amerikaner als überwiegend rassistischer und geldgeiler Feigling porträtiert wird. Diesen Perspektivwechsel lotet das Skript geradezu genüsslich aus. Durchtränkt von bissigen Seitenhieben wird hier das pessimistische Bild eines Amerikas gezeichnet, in dem Dinge wie Fremdenhass, Vorurteile und gewissenloses Streben nach Reichtum eine Selbstverständlichkeit darstellen. Bösewicht Duncan und seine Bagage besitzen ohnehin kaum noch menschliche Züge, aber auch bei den vermeintlich so anständigen Dorfbewohnern trudelt der moralische Kompass gar mächtig. Als die Eisenbahn ankommt, mit Leichen gefüllt und von Blut getränkt, gilt ihre größte Sorge dem Panzerschrank inklusive der in ihm enthaltenden Barschaft. Erst, als sie diese an Ort und Stelle vorfinden, macht sich Erleichterung breit: „Es ist alles in Ordnung. Wir haben Glück gehabt!“ Von den Toten redet keiner.

Als Joe den Posten des Gesetzeshüters verlangt, fallen die Anwesenden wenig überraschend aus allen Wolken. „Völlig ausgeschlossen“, meint einer, „ein Indianer als Sheriff? Das amerikanische Gesetz muss von Amerikanern geschützt werden.“ Joe erklärt daraufhin: „Mein Vater wurde hier geboren. Der Vater meines Vaters ebenfalls, genauso der Vater vom Vater meines Vaters. Wo wurde dein Vater geboren?“ „In Schottland“, antwortet sein verdattertes Gegenüber. „Dann bist du kein Amerikaner“, entgegnet Joe und niemandem mehr fällt etwas Passendes ein. In emotional effektiver Manier verlangt Joe von den Dörflern schließlich für jeden Banditen, den er Strecke bringt, einen Dollar. Das ist eine wunderbar-perfide Umkehr früherer Verhältnisse: Ein Dollar, das war der Preis, den zuvor ein Indianer-Skalp einbrachte – der vermeintliche Wert eines indigenen Menschenlebens. Zwar mag die wütende Abrechnung mit der bigotten US-Politik, die Völkermord erst verurteilt, sobald sie keinen Nutzen mehr daraus zu ziehen vermag, teilweise etwas platt anmuten, doch verfehlt sie ihre Wirkung nicht. Ausgerechnet die Huren, die außerhalb der etablierten Gesellschaft stehen, sind dann auch diejenigen, die sich einen letzten Rest Anstand bewahrt haben.

Als Titelhelden sieht man Burt Reynolds in seiner ersten wirklichen Hauptrolle. Authentisch in Sachen Herkunft wirkt das zwar nicht gerade (womöglich auch deswegen, weil der Schauspieler vor allem aufgrund späterer Figuren bekannt ist, die wirklich rein gar nichts mit dieser hier zu tun haben), aber er verkörpert Joe mit einer sehr einnehmenden Lässigkeit und der nötigen ehrfurchtgebietenden Physis. Der Umstand, dass man Reynolds eigentlich mit ganz anderen Rollen assoziiert (nicht wenige davon aus dem Komödienbereich), passt im Nachhinein sogar zwar ungewollt, aber nichtsdestotrotz fabelhaft ins Konzept, geziemt sich das Gesamtwerk letztendlich doch ähnlich eigen wie dessen unkonventionelle Protagonistenbesetzung. Reynolds selbst allerdings fand keine guten Worte für sein Debüt, meinte sogar, es sei so miserabel, dass man es nur in Flugzeugen und Gefängnissen zeigen dürfe, weil man von dort nicht fliehen könne. Woher sein Unmut rührte, erschließt sich einem null, und niemals darf vergessen werden, dass dies derselbe Mann gesagt hat, der 1983 für DER RASENDE GOCKEL in ein Hühnerkostüm kroch und das für eine gute Idee hielt.

Als Antagonist agiert Aldo Sambrell [→ TÖTE, AMIGO] als wahrhaft hassenswerte Drecksau, dem ein Menschenleben nichts bedeutet. Bereits seine offensichtliche Verzückung beim Entfernen der Indianerkopfhaut in der Eingangssequenz macht klar, dass es ihm beim Skalpieren nur zweitrangig um die Belohnung geht: Duncan zieht Erfüllung aus dem Töten. Später ermordet er eigenhändig eine junge Mutter vor den Augen ihres Sohnes - vorgeblich, um eine Zeugin loszuwerden, in Wahrheit jedoch, so ist anzunehmen, aus purem Lustgewinn. „Meine Mutter war eine Indianerin, darum hasse ich die Indianer. Und ich hasse die Weißen, weil mein Vater einer war“, sagt er an einer Stelle, was impliziert, dass seine Mordlust aus reinem Selbsthass resultiert. Psychologisch erscheint das sehr simpel und es erklärt irgendwie auch nichts. So ist Duncans Figur wesentlich stereotypischer geraten, nicht zuletzt auch wegen des klischeehaften Spiels Sambrells. Dass seine deutsche Synchronstimme etwas unpassend ausgewählt wurde, dafür kann er ja nichts.

Apropos Deutsch: Aus irgendwelchen Gründen fürchteten sich die Verleiher der Bundesrepublik jahrelang vor dem Originaltitel. In den Kinos lief NAVAJO JOE zunächst als AN SEINEN STIEFELN KLEBTE BLUT, auf Videokassette nannte sich die Nummer dann plötzlich KOPFGELD: EIN DOLLAR. Beide Titel sind zwar passend, aber warum man sich bis zum digitalen Zeitalter um die originale Namensgebung herumdrückte, ist schon eine berechtigte Frage. Ganz gleich jedoch, unter welchem Banner man sie sich zu Gemüte führt: Corbuccis vor Wut schnaubende Rachemär ist ein schmutziges Glanzlicht, welches das Genre zwar nicht so beeinflusste wie DJANGO, sich aber keinesfalls hinter diesem zu verstecken braucht. Und der schmissige Titelsong von Ennio Morricone [→ TOP JOB] geht einmal mehr ins Ohr. Und bleibt auch dort.

Laufzeit: 92 Min. / Freigabe: ab 18