Eigene Forschungen

Sonntag, 19. Juli 2015

BROTHERHOOD OF BLADES


XIU CHUN DAO
China 2014

Regie:
Lu Yang

Darsteller:
Chang Chen,
Wang Qian-Yuan,
Liu Shishi,
Li Dong-Xue,
Zhu Dan,
Nie Yuan,
Zhou Yiwei,
Chin Shih-Chieh



Inhalt:

Peking, 1627: Kaiser Chongzhen [Ye Xiang Ming] entlässt den einflussreichen Eunuchen Wèi Zhōngxián [Chin Shih-Chieh], Oberbefehlshaber der Geheimpolizei, aus seinem Dienst. Dieser will die Schmach nicht hinnehmen und beginnt im Untergrund gegen den Kaiser zu intrigieren. Chongzhen fürchtet um seine Macht und befiehlt die Tötung des Mannes. Die Mission geht an den Attentäter Shen Lian [Chang Chen] und seine beiden ‚Schwertbrüder‘ Lu Jianxing [Wang Qian-Yuan] und Jin Yichan [Li Dong-Xue]. Zwar kann Shen den Mann erfolgreich stellen, doch dieser bietet ihm 400 Tael Gold, falls er ihn verschone – für den in Geldsorgen sich befindenden Hofdiener ein verlockendes Angebot. Die verbrannte Leiche, die Shen schließlich seinem Auftraggeber präsentiert, stammt dann auch nicht von Wèi. Der Betrug fliegt auf, als der vermeintlich Tote den neuen Anführer der Geheimpolizei, Zhao Jingzhong [Nie Yuan], aufsucht und ihn anweist, Shen zu töten, da dieser nun der einzige ist, der um sein Überleben weiß. Zhao lockt Shen und seine Gefährten in eine Falle und es kommt zu einem gewaltigen Massaker, aus dem die drei Männer nur mit Müh und Not mit heiler Haut davonkommen. Nun befinden sich Shen, Lu und Jin plötzlich zwischen allen Fronten und müssen nicht nur um ihr Überleben kämpfen, sondern auch um ihre Freundschaft.

Kritik:

Im Chinesischen bedeutet die Silbe 
 () ‚Kampf‘ (so in etwa) und die Silbe Xiá () ‚Ritter‘ (so in etwa). Setzt man beides zusammen, erhält man die Bezeichnung für eines der beliebtesten asiatischen Genres überhaupt: Der Wǔxiá, der uralte, fest in der chinesischen Kultur verankerte Mythos vom fahrenden Ritter auf Heldenreise, erlebt in regelmäßigen Abständen seine cineastische Reinkarnation und präsentiert seinem Publikum immer wieder wackere, von eherner Redlichkeit beseelte Schwertkämpfer, die Schlachten an historischen Schauplätzen schlagen und für die gerechte Sache ihr eigenes Leben gäben – und dies häufig auch tun. Da ihre Feinde seit jeher nicht selten auch in der verbeamteten oder herrschenden Obrigkeit zu finden waren, galt die Wǔxiá-Dichtung in ihrem Heimatland Anfang der 30er Jahre als staatsfeindlich und war daher über 20 Jahre lang verboten (was freilich tief blicken lässt!). Nach Aufhebung des Verbots war es vor allem das Studio der 'Shaw Brothers', das dem Genre ab den 60er Jahren mit blutgetränkten Epen wie DAS GOLDENE SCHWERT DES KÖNIGSTIGERS zu großer Popularität verhalf, während Regisseur King Hu das etwas intellektuellere Klientel bediente: Sein EIN HAUCH VON ZEN wurde auf den Filmfestspielen in Cannes preisgekrönt und verschaffte der Gattung eine gehörige Portion internationale Aufmerksamkeit. 

BROTHERHOOD OF BLADES ist von seinen Zutaten her geradezu ein Musterbeispiel für den Wǔxiá und hätte 40 Jahre früher mit ziemlicher Sicherheit als weitere Shaw-Brothers-Produktion das Licht der Leinwand erblickt: Drei Krieger, Brüder nicht nur an der Waffe, sondern auch im Geiste, werden Opfer von Verrat und Intrige, verbünden sich gegen das korrupte Ränkespiel ihrer Machthaber und nutzen ihre scheinbar übermenschlichen kämpferischen Fähigkeiten, um Recht und Ordnung wiederherzustellen – alles vor dem geschichtlichen Hintergrund der dahinsiechenden Ming-Dynastie und vorangetrieben von Emotion, Konflikt und Schicksal. Im Gegensatz zu manch anderem Beitrag jedoch verzichtete man in diesem Falle darauf, die Charaktere als tugendhafte Instanzen zu präsentieren, und zeichnete stattdessen das ambivalente Bild dreier Männer, die sich aus unterschiedlichen Gründen in finanziellen Nöten befinden und dementsprechend verführbar und bisweilen willensschwach sind: Shen Lian [Chang Chen] ist der Konkubine Zhou Miaotong [Cecilia Liu] verfallen, die er freikaufen will, obwohl sie jemand anderen liebt, Lu Jianxing [Wang Qian-Yuan] besticht seinen Vorgesetzten Zhang Ying [Qiao Lei], um befördert zu werden, und Jin Yichuan [Li Dong-Xue] wird von seinem ehemaligen Freund Ding Xiu [Zhou Yiwei] erpresst, der damit droht, ihre gemeinsame kriminelle Vergangenheit publik zu machen. 

Eine moralische Verfehlung Shen Lians setzt die nachfolgende Gewaltspirale schließlich überhaupt erst in Gang – auch wenn seine Motive zumindest zum Teil lauterer Natur waren. Das angewandte Ursache-Wirkungs-Prinzip funktioniert dabei zu Beginn ganz hervorragend, die aus Shens Tat resultierenden Ereignisse wirken logisch konstruiert und können in ausreichendem Maße Interesse wecken. Nach einer Weile jedoch wird die bis dahin recht geradlinige Erzählweise ein wenig verwässert, betreten doch immer neue Personen die Bildfläche, von denen nicht jede auch wirklich erforderlich erscheint – ganz zu schweigen davon, dass es zudem auch reichlich abstrus wird, ist doch plötzlich jeder irgendwie mit jedem verwandt. Das wirkt nicht nur stellenweise etwas weit hergeholt, sondern führt bisweilen auch zur Konfusion. Dass sich Jin Yichan so nebenbei auch noch in Zhang Yan [Marina Ye], die Tochter eines Arztes, verlieben darf, scheint zudem auch ohne jeden Belang, wird die Figur doch lediglich auf ihr schnuckeliges Äußeres reduziert und darf ansonsten weder Profil noch großartig Leinwand-Präsenz besitzen. So gelingt es BROTHERHOOD OF BLADES nicht, die anfängliche Dichte bis zum Schluss zu halten. Zwar kommt es auch fortlaufend immer mal wieder zu Spannungsmomenten, doch ein dramaturgischer Gesamtbogen bleibt letztendlich aus. Dazu passt dann auch, dass kurz vor Schluss aus heiterem Himmel noch die Mongolen als altbewährtes Feindbild aus der Mottenkiste geholt werden, um die Geschichte zumindest einigermaßen sinnvoll zu Ende bringen zu können. 

Mag es inhaltlich auch stellenweise etwas hapern, zumindest im Action-Segment gibt sich BROTHERHOOD OF BLADES keine Blöße. Die Kampfszenen, erneut mit viel Drahtseilunterstützung realisiert, sind erstklassig durchchoreographiert und sorgen für eine Flut intensiver Eindrücke und furioser Bilder. Vor allem das mörderische Massaker im Hofe Yan Peiweis [Hu Xiaoguang] nagelt einen in den Sitz. Regisseur Lu Yang, Kameramann Han Qiming und die Editors Yiran Tu und Li Yun Zhu machen keine Gefangenen und entfachen ein perfekt getimtes und konsequent durchgezogenes Inferno aus Regen, Feuer und Blut. Ohnehin ist die Cinematographie durchgehend exzellent und kreiert ikonische Momentaufnahmen, die sich ins Gedächtnis brennen. Das ist schon allein deswegen bemerkenswert, da es für die gesamte Crew quasi das erste Projekt dieser Größenordnung war. Von Unerfahrenheit oder Ähnlichem ist jedoch nicht das Geringste zu spüren: BROTHERHOOD OF BLADES ist absolut versiert in Szene gesetztes und kompetent gefertigtes Blockbuster-Entertainment ohne formale Schwächen. Als Ausführender Produzent agiert im Hintergrund noch Terence Chang, dessen Name vor allem aufgrund seiner Kollaborationen mit John Woo [→ IM KÖRPER DES FEINDES] ein Begriff ist.

Auch bei der Besetzung orientierte man sich eher an Unbekannterem, wenngleich man mit Chang Chen in der Hauptrolle immerhin ein echtes Schwergewicht bieten konnte: Der 1976 geborene Schauspieler war im Jahre 2000 in Ang Lee prächtigem Wǔxiá TIGER & DRAGON zu sehen, der zu einem internationalen Erfolg wurde, und konnte auch in den Folgejahren mit Auftritten in Historienfilmen wie RED CLIFF oder THE GRANDMASTER weiterhin von sich reden machen. Seine Mitstreiter Wang Qian-Yuan [→ THE CROSSING] und Li Dong-Xue [→ GEN-Y COPS] mögen etwas weniger bekannte Namen tragen, stehen ihm schauspielerisch jedoch in nichts nach. Besonderes Augenmerk verdient noch Chin Shih-Chieh [→ REIGN OF ASSASSINS] in der Rolle des intriganten Eunuchen Wèi Zhōngxián, der diesen als herrlich durchtriebenen alten Mann anlegt und dabei auf gewisse Weise an David Carradine in KILL BILL erinnert. Wèi Zhōngxián ist – neben Kaiser Chongzhen – die einzige Figur aus BROTHERHOOD OF BLADES, die historisch verbürgt ist und war der Überlieferung nach tatsächlich ein machthungriger Intrigant, der nach seiner Anstellung am Hofe begann, sich immer mehr Einfluss zu verschaffen, sich rücksichtslos bereicherte, Gegner beseitigen ließ und mit Hilfe der ihm unterstellten Geheimpolizei bald die gesamte Verwaltung Chinas kontrollierte. Nach dem Tode des Kaisers Tianqi wurde Wèi von dessen Nachfolger Chongzhen entmachtet, worauf dieser sich das Leben genommen haben soll. Das von Wèi hinterlassene wirtschaftliche und politische Chaos soll nicht unschuldig daran gewesen sein, dass die Ming-Dynastie kurz darauf unterging.

Sich mit der Frage beschäftigend, was wohl gewesen wäre, hätte Wèi Zhōngxián seinen Tod damals lediglich vorgetäuscht, erspinnt BROTHERHOOD OF BLADES ein hypothetisches und freilich völlig wirklichkeitsfernes Konstrukt, das Fakten und Fiktionen, historische Personen und erdachte nebeneinanderstellt, um daraus ein klassisches Kung-Fu-Epos zu weben, das trotz durchaus vorhandener Defizite in der ersten Liga spielt. Schwächen in der Dramaturgie werden ausgeglichen durch rasant komponierte, sich der Schwerkraft verweigernde Schwertkampf-Duelle und die imposanten Aufnahmen hinterlassen mächtig Eindruck. Lu Yang erschuf mit hohem Aufwand an Kostüm und Kulisse eine Welt aus Korruption und Chaos, Gewalt und Gier, Missgunst und Menschenverachtung, deren Protagonisten unaufhaltsam ihrem tragischen Ende entgegensteuern. Die Speerspitze wird zwar nicht erobert, aber Lus gekonnt und nicht ohne Anspruch arrangierte Action-Oper kann sich durchaus sehen lassen und bietet 
Wǔxiá- und Kampfkunst-Freunden eine vorzügliche zubereitete Zwischenmahlzeit.

Laufzeit: 106 Min. / Freigabe: ab 16

Sonntag, 12. Juli 2015

DIE LETZTE SCHLACHT AM TIGERBERG


ZHI QU WEI HU SHAN
China 2014

Regie:
Tsui Hark

Darsteller:
Tony Leung Ka-Fai,
Zhang Hanyu,
Lin Gengxin,
Yu Nan,
Tong Liya,
Han Geng,
Chen Xiao,
Tse Miu



Inhalt:

In den Wäldern Chinas, 1946: Die Volksbefreiungsarmee hat den Krieg gegen die Japaner gewonnen, doch an eine verdiente Ruhe ist nicht zu denken: Eine Räuberbande terrorisiert das Land und verbreitet Angst und Schrecken. Angeführt wird sie von einem berüchtigten Schurken mit dem simplen Namen 'Falke', der sich mit seinen blutrünstigen Mannen auf den als uneinnehmbar geltenden Tigerberg zurückgezogen hat. Hauptmann Shao Jianbo (alias Nummer 203)[Lin Gen-Xin] entwickelt einen riskanten Plan, um den Bösewichtern Einhalt zu gebieten: Er schleust sich als Bandit getarnt in die Truppe ein, um sich im Laufe der Zeit das Vertrauen des Anführers zu erschleichen, sie tatsächlich jedoch so weit zu schwächen, dass sie angreifbar wird. Um seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, bringt er ein Gastgeschenk mit: eine Karte, die strategisch wertvolle Ratschläge zur Kriegsführung liefert. Zunächst scheint sein Plan aufzugehen. Doch Shao muss feststellen, dass es oft nicht einfach ist, eine Tarnung aufrecht zu erhalten.

Kritik:

PEKING OPERA BLUES heißt das Werk, das den chinesischen Regisseur Tsui Hark im Jahre 1986 schlagartig auch im Westen bekannt machte. Die rasant geschnittene und üppig ausgestattete Kung-Fu-Komödie erntete in ihrer grellen Mischung aus Anspruch und Action viel Kritikerlob und holte das Hongkong-Kino endgültig aus der vermeintlichen Schundecke hinaus ans Licht der Öffentlichkeit. Von daher ist es nicht unamüsant, dass Harks THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN gut 30 Jahre später mit dem sarkastisch kommentierten Bild einer Peking-Oper beginnt. Allerdings basiert das pralle Historien-Epos auch auf einer eben solchen. Ab 1966, während der Kulturrevolution, entstanden - natürlich auf Druck Máo Zédōngs (und dessen Ehefrau Jiāng Qīng) – zahlreiche politisch motivierte Tanz- und Musikstücke, Modellopern genannt, von denen Mit taktischem Geschick den Tigerberg erobert zu einer der bekanntesten wurde. Als Grundlage diente der Roman mit dem englischen Titel TRACKS IN THE SNOWY FOREST des Autors Qu Bo, der in seiner Heimat immens populär wurde. Dass die Heldensaga, in der die chinesische Volksbefreiungsarmee während des Bürgerkrieges neben Hunger und Tod auch gegen eine berüchtigte Räuberbande kämpfen muss, tatsächlich, wie behauptet, auf einem wahren Ereignis beruht, kann man dabei entweder glauben, oder man lässt es eben bleiben.

Völlig unerwartet beginnt THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN zunächst im neuzeitlichen New York, das gerade vom wilden Trubel der Feierlichkeiten für den Wechsel ins Jahr 2015 bestimmt wird. Ein junger Chinese erhascht auf einer Party, kurz bevor er die Reise zu seiner in der Heimat wartenden Großmutter antritt, im Fernsehen eine Szene aus besagter Oper, worauf ihm - im Gegensatz zu seinen zechenden Freunden – ganz wehmütig ums Herz wird. Auf der Fahrt nach Hause holt er sein Tablet hervor und beginnt, die Darbietung komplett zu sichten. Erst dann springt die Handlung zurück ins Jahr 1946 und zeichnet das Bild einer tapferen Truppe verwegener Teufelskerle und -frauen, die sich, kurz nachdem sie die Japaner geschlagen hat, einem neuen Feind gegenübersieht: dem vom dämonischen Oberschurken 'Falke' befehligten Gaunerkollektiv, welches sich auf dem als uneinnehmbar geltenden Tigerberg verschanzt und das Land mit Tod und Terror überzieht. Dass das kein Dauerzustand bleiben wird, ist angesichts des Titels keine sonderlich große Überraschung, den Weg zum Ziel jedoch gestaltete Tsui Hark als ereignis- und attraktionsreichen Hindernisparcours mit wilder Radau-Attitüde und einer ganzen Wagenladung großartiger Schauwerte.

Mit dem mit dieser Thematik einhergehenden Hohelied auf Heldentum und Opferbereitschaft befindet man sich selbstverständlich voll und ganz auf Regierungskurs, nutzt die Staatsmacht das Kino Hongkongs doch seit Rückgabe der Metropole an China in erster Linie dazu, die Bürger nach eigenem Gusto zu erziehen und durch das Präsentieren proletarischer Pioniere Vaterlandsliebe zu erzeugen (was nicht selten einen bitteren Beigeschmack zur Folge hat). Doch die Drehbuchautoren (zu denen unter anderem auch Tsui Hark selbst gehörte) gaben sich in diesem Falle alle Mühe, THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN nicht zur platten Propaganda verkommen zu lassen - schon allein aufgrund dessen, dass eindeutige Realitätsbezüge überwiegend vermieden wurden. Stattdessen kreierten sie ein abgehobenes Abenteuer-Spektakel, das mehr mit einer ausgeflippten Achterbahnfahrt gemein hat als mit bodenständigem Geschichtsunterricht – was durch eine grandiose, an INDIANA JONES angelehnte Anschluss-Sequenz auf die Spitze getrieben wird (die freilich all jene verpassen werden, die bereits bei der ersten Stab-Einblendung aufspringen und das Weite suchen).

Somit gibt sich THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN bereits von Haus aus wie ein knalliger Comic-Strip, in dem Schwarz und Weiß klipp und klar voneinander getrennt und entsprechend überzeichnet sind. Die Guten sind von Grund auf edel, mutig und ehrenhaft, die Männer wie die Frauen, und niemand käme auch nur im Ansatz auf die Idee, dass hier der selbe Verein skizziert wird, der 1989 ein Massaker unter protestierenden Studenten angerichtet hat. Die Bösen hingegen sehen bereits aus wie grotesk verwachsene Missgestalten und glänzen in erster Linie durch grobschlächtige Aktionen und grunzende Artikulation. Gekrönt wird das durch einen unter seiner Maskerade kaum noch zu erkennenden Leung Ka-Fai [→ BODYGUARDS AND ASSASSINS] als Banditenkönig 'Falke', der eine frappierende Ähnlichkeit zu Danny DeVitos Pinguin aus BATMANS RÜCKKEHR aufweist und als schillernde Karikatur eines allmächtigen Super-Schurken den extravaganten Charakter des Werkes noch mal zusätzlich unterstreicht. Dazu gesellen sich heillos überzogene, Physik und Logik trotzende Action-Zelebrierungen (wie eine Schießerei auf Schiern oder eine waghalsige Abseilungsaktion zwischen zwei Bergmassiven), und ausgefallene, bisweilen bizarre Bilder wie der verbissene Kampf erst Mensch gegen Tiger, dann Tiger gegen Pferd – aus dem Rechner gezaubert, versteht sich, doch nicht nur für asiatische Verhältnisse verblüffend naturalistisch umgesetzt und von leicht surrealer Note umwabert.

Da Tsui Hark sein ausladendes Schlachtengemälde zudem für eine dreidimensionale Präsentation konzipierte, lies er es sich auch nicht nehmen, das Geschehen durch zahlreiche visuelle Taschenspielertricks tüchtig aufzumotzen. Dabei verfällt er zwar bisweilen – besonders zu Beginn – ein wenig in prahlerische Effekthascherei, lässt Messer, Granaten und sonstige Geschosse majestätisch durchs Bild gleiten (idealerweise dabei explodierend, damit man sie genüsslich und von allen Seiten im Funkenregen ablichten kann), aber Laune macht das dennoch – oder gerade deswegen. Bereits bei seinem Kostümschinken FLYING SWORDS OF DRAGON GATE experimentierte Hark mit 3D-Effekten und gab sich schon dort erstaunlich versiert. Hier legte er noch mal einen Zacken drauf und schöpfte die sich bietenden Möglichkeiten der seit AVATAR populären Technik optimal aus: Ungewöhnliche Kamerawinkel und ein geschicktes Spiel mit Raum und Perspektive erschaffen einen im wahrsten Sinne des Wortes ungemein vielschichtigen Kosmos, der zu leben und zu atmen scheint. Manchmal wirkt es, als habe Hark, einem großem Kinde gleich, einfach wild alles Mögliche ausprobiert, um dann nur die Ergebnisse behalten, die am meisten Eindruck geschunden hatten. Dazu passt auch, dass THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN, volle 15 Jahre nach MATRIX, wie selbstverständlich wieder die 'Bullet-Time' verwendet (also Kamerafahrten um in der Zeit eingefrorene Objekte herum) – nicht, weil es zufälligerweise gerade mal wieder im Trend läge, sondern einfach nur, weil es Spaß macht und gut aussieht.

Die Exposition scheint, wenn auch nicht langweilig, zunächst ein wenig ziellos und in erster Linie der Präsentationen optischer Sperenzchen zu dienen. Sobald jedoch Shaos Mission beginnt, entwickelt sich ein schnurstracks geradeaus marschierendes, mitreißendes Stück Kino, das eine im Grunde klassische Undercover-Story erzählt – nur, dass der Cop hier gegen einen Soldaten und die Drogenhändler gegen eine Horde Plünderer ausgetauscht wurden. Trotz einer Länge von auffallend über zwei Stunden herrscht dabei zu keinem Zeitpunkt Leerlauf oder Lethargie; im Gegenteil entpuppt sich THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN als wahres Füllhorn ergreifender Ereignisse und imposanter Impressionen und gipfelt in einem perfekt inszenierten orgiastischen Orkan atemberaubender Action, bei dem die Klang- und Pyrotechniker Überstunden schoben und es zeitlupenzerdehnte Kopfschüsse im Minutentakt hagelt. Der finale Sprung zurück in die Moderne schließt die erzählerische Klammer und veranschaulicht mit leiser Melancholie und nostalgischem Schwelgen, wie vergangene Taten Einfluss nehmen können auf das Leben und Wirken nachfolgender Generationen, bevor ein ebenso augenzwinkernder wie bombastischer Abschluss das Publikum wieder in die Wirklichkeit entlässt.

An Chinas Kinokasse war man damit geradezu umwerfend erfolgreich; bereits nach einer Woche spielte das Werk fast 52 Millionen US-Dollar ein. Das ist den Machern durchaus zu gönnen, nicht nur, weil man es hier mit einem vorzüglich produzierten Opus zu tun hat, sondern weil dieses vor allem auch die endgültige Rehabilitierung seines Regisseurs bedeutet, der nach fulminantem Karrierestart begann, seinen Ruf als talentierter Visionär mit Ramschware wie ZU WARRIORS oder BLACK MASK 2 [beide von 2001] brutal zu zersägen. THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN hingegen ist tatsächlich wieder ein hochambitioniertes Leinwand-Werk und bietet exzellente Unterhaltung, wie man sie sich wünscht: packend, aufregend und von umwerfender cineastischer Wucht. Historisches Kampfgetümmel trifft auf cartoonesk überzogenen Abenteuer-Esprit irgendwo zwischen Steven Spielberg und TIM UND STRUPPI; der selbstreferenzielle Charakter wirkt sympathisch und unverkrampft, und der stark romantisierte Hintergrund glättet sanft den unterschwelligen Lobgesang auf Pathos und Heldenkult. Tsui Hark hat nicht nur den Tigerberg zurückerobert, sondern auch den Kino-Olymp.

Laufzeit: 141 Min. / Freigabe: ab 16

Dienstag, 7. Juli 2015

TERMINATOR - GENISYS


TERMINATOR – GENISYS
USA 2015

Regie:
Alan Taylor

Darsteller:
Arnold Schwarzenegger,
Emilia Clarke,
Jai Courtney,
J.K. Simmons,
Jason Clarke,
Sandrine Holt,
Byung-hun Lee,
Courtney B. Vance



„Genisys ist Skynet.“


Inhalt:

2029: Die Maschinen haben die Herrschaft übernommen und die Menschheit versklavt. Die Rebellenarmee unter der Führung John Connors [Jason Clarke] wehrt sich dermaßen tapfer, dass die Gegner beschließen, einen Killerroboter, den 'Terminator', in das Jahr 1984 zu schicken, um Johns Mutter Sarah zu töten und somit dessen Existenz auszulöschen. Doch Connor schläft nicht und schickt einen seiner besten Männer hinterher: Kyle Reese [Jai Courtney] begibt sich ebenfalls auf Zeitreise und soll das Attentat verhindern. Doch als er in der Vergangenheit aufschlägt, staunt er nicht schlecht: Sarah Connor [Emilia Clarke] ist keine schutzbedürftige Mimose, sondern ein taffes Mädel, das bestens mit der Knarre umgehen kann. Das hat auch einen Grund: Ein zweiter Terminator [ebenfalls: Arnold Schwarzenegger], einer von der guten Art, ist schon vor vielen Jahren bei Sarah aufgetaucht, um sie über die düstere Zukunft der Menschheit und die Rolle, die sie darin spielt, aufzuklären. So befindet sich Kyle urplötzlich in einer alternativen Realität, in welcher nicht nur altbekannte, sondern auch neue Gegner auf ihn warten – und ein leicht zwielichtiges Betriebssystem namens Genisys, das die Menschheit quasi vollkommen miteinander vernetzt hat.

Kritik:

„Ich komme wieder!“ ist eines der bekanntesten Zitate der Filmgeschichte. Der österreichische Bodybuilder Arnold Schwarzenegger wurde als aus der Zukunft angereiste Killermaschine zu einer Kultfigur, deren 1984 von James Cameron inszeniertes Leinwand-Debüt zu einem Meilenstein und die sieben Jahre später unter selber Regie entstandene Fortsetzung zu einer weltweit gefeierten Schau wegweisender Spezial-Effekte. Seitdem stagnierte die Reihe: Die 2003 und 2009 realisierten Nachfolger konnten den Großteil des Publikums nicht überzeugen und auch die Fernseh-Variante SARAH CONNOR CHRONICLES verschwand schneller wieder von der Bildfläche, als es den Machern lieb war. Aber ein ehemals funktionierendes Konzept mit etabliertem Namen und weltweiter Fangemeinde einfach so aufzugeben, kam aus Produzentensicht selbstverständlich nicht in Frage. So durfte der Terminator sein zitiertes Versprechen sechs Jahre nach seinem letzten Auftritt ein weiteres Mal wahrmachen – zeitlich durchaus passend, da Arnold Schwarzenegger, unbestrittenes Zugpferd der Reihe und untrennbar mit deren Erfolg verknüpft, gerade aus seinem Ausflug in die Politik zurückkehrte und nach ein paar als großes Comeback geplanten Flops ebenfalls händeringend nach einem neuen Kassenschlager suchte.

Die Aufgabe an die Autoren war dann auch gewiss keine leichte: Die einst durchaus innovative Story vom zukünftigen Kampf Mensch gegen Maschine in Kombination mit hintergründiger Zeitreise-Thematik war mittlerweile dermaßen ausgelutscht, dass es für eine weitere Variation eigentlich kaum noch Spielraum gab. So versuchte man sich schließlich an einer recht mutigen Mischung aus 'Zurück zu den Wurzeln' und gleichzeitigem Umbruch, bezog sich dafür direkt auf das 84er-Original, um es im selben Augenblick in Stücke zu hacken und somit die Weichen für einen Neubeginn zu stellen. Stets in dem Wissen, dass der Zuschauer um die Ereignisse des ersten Teils Bescheid weiß, ergibt das ein durchaus reizvolles Spiel mit Erwartungshaltung und Genrekonventionen, wenn hier mehrere Szenen erst 1:1 nach-, dann auf den Kopf gestellt werden. Die Idee, eine alternative Zeitlinie zu entwerfen, inklusive veränderter Varianten bereits bekannter Figuren, ist zwar keine sonderlich originelle, letztendlich jedoch die einzig tatsächlich noch mögliche (zumal bereits das in sich geschlossene Original vor inhaltlichen Widersprüchen strotzte). Und wenn der eigentlich als Beschützer in die Vergangenheit geschickte Kyle Reese in Sarah Connor zunächst ein hilfloses Opfer erwartet (ebenso wie das Publikum, immerhin kennt es die Geschichte bereits aus Teil 1), dann allerdings auf eine gestählte Kampfamazone trifft, die zunächst einmal ihm die Haut rettet, dann scheucht einem das schon ein Schmunzeln auf die Lippen, ist es doch zugleich auch ein wunderbarer Rapport über das deutlich veränderte Frauenbild im Actionkino von den 80er Jahren bis ins neue Jahrtausend.

Völlig geistlos ist das Konzept also bei Weitem nicht. Ungelenk zwischen die Stühle setzte man sich damit trotzdem. Denn anders als beispielsweise die zeitnah entstandenen Wiedergeburten MAD MAX – FURY ROAD oder JURASSIC WORLD, denen es gelang, sowohl als verspätete Fortsetzung, als auch als Erstkontakt für jüngere Generationen zu funktionieren, ist TERMINATOR – GENISYS ein heilloses Durcheinander, das Neueinsteiger so sehr verwirrt wie es Fans der ersten Stunde verärgert, werden die Ursprünge der Saga doch überwiegend mit Füßen getreten. Dabei sind gute Ansätze genügend vorhanden und gerade zu Beginn auch viele Momente sehr gelungen. Die anfängliche Schlacht Fleisch gegen Stahl ist angenehm brachial, die Optik sehnervkitzelnd, der Sound betäubend schön. Die Überleitung zur etablierten TERMINATOR-Thematik, die Wiederholung und Wiedererkennung bekannter Bilder und Begebenheiten und die zunächst noch ansprechend erscheinende Modifikation vertrauter Elemente können durchaus gefallen. Doch dann verzettelten sich die Autoren dermaßen in ihrem wilden Wust aus Paralleluniversen, abweichenden Zeitrechnungen und multiplen Realitäten, dass man bald jeden Versuch, in ihm doch noch so etwas Ähnliches wie Nachvollziehbarkeit zu entdecken, erschöpft aufgibt.

Dabei hätte das Ganze mit einem etwas aufgeräumteren Skript und ein wenig mehr Feinjustierung durchaus funktioniert. Doch anstatt die vorhandenen Möglichkeiten philosophischer Gedankenspiele zu nutzen, hetzt man atemlos von Schauplatz zu Schauplatz und entfesselt dabei einen Sturm aus Action und Effekten, der zwar kompetent in Szene gesetzt wurde, jedoch sinnlos verpufft, da eine klare Linie schlichtweg nicht erkennbar ist. Die zwischenzeitlichen Ruhepausen gerieten hingegen entsetzlich verlabert und nerven mit halbgaren Erklärungsversuchen, die zwar Gewitztheit vorgaukeln, tatsächlich jedoch lachhaft banal bleiben. So ist man dann auch für jeden neuen Krawall-Moment dankbar, obwohl auch diese keine Ausgeburt an Einfallsreichtum darstellen und bis zum Finale kaum variiert wurden: Obwohl die Protagonisten bereits beim ersten Mal feststellen, dass stupides Dauerfeuer die aus Flüssigmetall bestehenden Roboter-Gegner nicht aufhalten kann, fällt ihnen trotzdem nichts Besseres ein, als auch bei jedem weiteren Angriff einfach nur stur draufzuhalten und die Munition aus allen verfügbaren Rohren zu rotzen.

Der Terminator selbst verkommt nach der eiskalten Mordmaschine des Jahres 1984 und dem kuscheligen Kinderfreund des Jahres 1991 hier nun endgültig zum schrulligen Onkel, zu einer Art Vater-Ersatz für Sarah Connor, die ihn liebevoll Pops nennt, und klopft dazu einen ganzen Strauss bemüht lustiger Sprüche, die nur durch die nach wie vor charmante Darbietung Arnold Schwarzeneggers nicht völlig der Peinlichkeit anheimfallen. Die ständige Beteuerung, dass er zwar alt sei, aber nicht nutzlos, wird in dem Zusammenhang reichlich überstrapaziert. Und dass der zur Sympathiefigur umprogrammierte Titelheld in einer Szene einen Tanklaster zur Explosion bringt, um seine Gegner aufzuhalten, ist innerhalb des Gesamtkonzepts schon ein ziemlicher Patzer. Der Härtegrad wurde insgesamt zwar deutlich heruntergefahren und die sichtbare Gewalt richtet sich fast ausschließlich nur noch gegen Maschinen, dennoch bietet auch GENISYS ein paar saftige Horrorszenarien und recht splatterige Augenblicke. Dass die Bedrohung für die Menschheit nun kein Produkt von Aufrüstung und Waffenfanatismus mehr ist, sondern stattdessen das von weltweiter Vernetzung, ist einer der besseren Einfälle und eine ebenso konsequente wie logische Weiterentwicklung des Ursprungsgedanken, welche die Paranoia-Ängste einer ganz neuen Generation aufgreift und sinnvoll ins TERMINATOR-Universum integriert.

Letztendlich jedoch vertut GENISYS seine Chance, der festgefahrenen Fabel neues Leben einzuhauchen. Imposanter Action, nettem Leitmotiv und einigen hübschen Referenzen stehen inhaltliches Chaos, hanebüchene Erklärungen und durchschnittliches Schauspiel gegenüber. Dass man sich trotzdem ziemlich selbstbewusst aus dem Fenster lehnt, macht die Sache nicht unbedingt besser. Er sei nun ein „Upgrade“ behauptet der mittlerweile extrem großväterlich wirkende Terminator am Ende. Das mag stimmen. Aber ein Upgrade ist nicht immer automatisch auch gelungen. GENISYS mag nicht alt sein. Aber nutzlos.

Laufzeit: 122 Min. / Freigabe: ab 12