Eigene Forschungen

Freitag, 4. September 2015

THE VISIT


THE VISIT
USA 2015

Regie:
M. Night Shyamalan

Darsteller:
Olivia DeJonge,
Ed Oxenbould,
Peter McRobbie,
Deanna Dunagan,
Kathryn Hahn,
Benjamin Kanes,
Erica Lynne Marszalek,
Jon Douglas Rainey



Der Besuch bei Oma und Opa kann für Kinder der Horror sein. Vom staubtrockenen Kuchengebäck bis zum obligatorischen „Du bist aber groß geworden!“-Wangenkniff sind der Schreckensskala nach oben hin kaum Grenzen gesetzt. Wie schlimm es aber tatsächlich werden kann, zeigt THE VISIT, ein kleiner, überaus gemeiner Schocker, in dem zwei jugendliche Geschwister erstmalig auf ihre Großeltern treffen und nach mehreren besorgniserregenden Begebenheiten schließlich anfangen müssen, um ihr Leben zu bangen.

Inhalt:

Die 15-jährige Becca [Olivia DeJonge] und ihr kleiner Bruder Tyler [Ed Oxenbould] fahren mit dem Zug aufs Land zur abgelegenen Farm ihrer Großeltern, um dort eine Woche Urlaub zu machen. Da ihre Mutter sich einst mit den etwas eigenbrötlerischen Sonderlingen zerstritt, begegnen sich die Generationen nun zum ersten Mal. Die beiden Alten entpuppen sich als ein zwar etwas tüdeliges, aber doch sehr freundliches Ehepaar. Lediglich die strengen Hausregeln überraschen die Kinder: Nach 21:30 Uhr darf das Zimmer nicht mehr verlassen werden. Als die Geschwister des Nachts unheimliche Geräusche vernehmen, werden sie jedoch neugierig und schleichen durchs Haus. Dabei werden sie Zeuge, wie ihre Oma sich sehr merkwürdig verhält. Es bleibt nicht bei dem einen Zwischenfall. Auch mit ihrem Opa scheint irgendetwas nicht zu stimmen. Nach und nach dämmert es den beiden Besuchern, dass sie schutzlos in der Falle sitzen.

Kritik:

THE VISIT ist vor allem eines: Die Rückkehr des Regisseurs M. Night Shyamalan, der 1999 mit THE SIXTH SENSE nicht nur einen Kassenfüller, sondern auch einen Meilenstein des Grusel-Thrillers schuf, dessen überraschende finale Wende die Mehrzahl der zuschauerlichen Kinnladen nach unten klappen ließ. In den Folgejahren blieb er – trotz zunehmend nachlassendem Erfolg – Stil und Genre treu, bevor er sich mit DIE LEGENDE VON AANG und AFTER EARTH dem Fantasy- und Science-Fiction-Bereich zuwandte. Speziell letzterer war nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein künstlerisches Debakel, das durchaus die Macht gehabt hätte, den guten Ruf des einst gefeierten Wunderkindes endgültig zu ruinieren. Doch Shyamalan tat das einzig Richtige: Fern großer Studiogelder und zweifelhafter Einflüsse schrieb, produzierte und inszenierte er im Anschluss einen kleinen, unabhängigen Nervenkitzler mit deutlicher persönlicher Note und vollkommenem Verzicht auf Sensationen und Dicktuerei. Keine Stars, keine Effekte, kein Trachten nach Revolution – THE VISIT glänzt mit sympathischem Understatement und liefert eine unaufdringliche, klug durchdachte und gewitzt erzählte Schauergeschichte, deren unprätentiöses Gebaren sie gerade eben zu richtig großem Kino werden lässt.

Einer der Gründe, warum THE VISIT so fabelhaft funktioniert, ist der, dass Shyamalan das Publikum die Ereignisse aus arglosen Kinderaugen betrachten lässt – nämlich aus denen der 15-jährigen Becca und ihres jüngeren Bruders Tyler, die beschlossen haben, den Besuch bei ihren Großeltern auf Video zu bannen. Dadurch, dass THE VISIT allein aus ihren Aufzeichnungen besteht, identifiziert man sich mit den beiden quasi von Anfang an – was auch nicht schwerfällt, wurden sie doch dermaßen liebenswert gezeichnet, dass man sie auf Anhieb ins Herz schließt. Der Ankunft bei ihren Verwandten, die zwar ihrem Alter entsprechend manchmal etwas sonderbar, aber nichtsdestoweniger großmütig erscheinen, und den ersten, noch fröhlichen Stunden, folgen bald erst nur ein paar, dann immer mehr seltsame Verhaltensweisen der beiden Senioren, die zunächst zwar alle noch irgendwie erklärbar sind, in der Summe jedoch ein ungutes Gefühl hinterlassen. Es ist diese geschickt eingesetzte Salamitaktik, die so grandios an der Spannungsschraube dreht: Die Merkwürdigkeiten mehren sich Stück für Stück, die Vorkommnisse werden immer rätselhafter, die Situation wirkt immer bedrohlicher. Und doch wird so manch unfassbar scheinende Begebenheit im nächsten Augenblick auf schlüssige und ziemlich banale Weise aufgelöst. Ebenso, wie die beiden jungen Hauptfiguren, beginnt auch der Zuschauer, sich zu fragen, ob hier tatsächlich etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, oder ob man überreagiert und es letztendlich doch einen plausiblen Grund für all das gibt.

Diese Ungewissheit um die tatsächlichen Hintergründe, das häppchenweise Servieren von Erkenntnissen und das stetige Vor-die-Füße-Werfen von neuen Mysterien und unheimlichen Zwischenfällen erzeugen eine sagenhaft dichte Atmosphäre, der man sich kaum entziehen kann. Umso erstaunlicher ist es, dass THE VISIT gleichzeitig auch auf einer ganz anderen Ebene punkten kann: Mal abgesehen davon, dass die gesamte Story ohnehin bereits von rabenschwarzem Humor durchzogen ist, bietet das Schauerstück aller Gänsehaut zum Trotze dermaßen viel Typen- und Situationskomik, dass es am Ende mit mehr Lachern ins Ziel kommt, als so manche Komödie. Das liegt in erster Linie an den beiden Jugendlichen, die fantastisch miteinander harmonieren, sich auf reizende Art und Weise gegenseitig aufziehen und die schrägen Begebenheiten zum Teil wunderbar sarkastisch in den Sucher kommentieren. Und wenn der 13-jährige Tyler zwischendurch mal beschließt, dass es angebracht wäre, in die Kamera zu rappen, dann wirkt das nicht etwa peinlich oder unpassend, sondern verleiht dem Ganzen eine Extra-Portion Charme und Herzlichkeit. Es ist verblüffend, wie unkompliziert und selbstverständlich es hier gelingt, waschechte Horror-Elemente mit warmherzigen bis brüllend komischen Humor-Einlagen zu kombinieren, ohne, dass sich etwas davon in irgendeiner Weise im Wege stehen würde.

Trotz des Found-Footage-Konzepts, also der seit BLAIR WITCH PROJECT beliebten Idee, angeblich „gefundene“ Videoaufzeichnungen statt einer als solchen erkennbaren Inszenierung zu präsentieren, wirkt THE VISIT sehr filmisch – was daran liegt, dass Shyamalan auch auf der Metaebene mit dem Thema spielt: Protagonistin Becca strebt eine Karriere als Regisseurin an und versucht daher, die Dokumentation ihres Besuches möglichst professionell zu arrangieren – ein großartiger Einfall, um die Vorteile des Found Footage-Genres nutzen zu können (wie Nähe und Authentizität), ohne dabei auf Mehrwerte wie Bildgestaltung oder Kamerafahrten verzichten zu müssen. Und auch sonst werden die gebotenen Möglichkeiten bestmöglich ausgeschöpft. So bittet Becca im Laufe der Geschehnisse jeden der Beteiligten einmal für ein kurzes Interview vor die Kamera: ihre Mutter, ihren Bruder, ihre Oma und ihren Opa. Was relativ banal klingt, erweist sich als Geniestreich: In ihren Statements lassen sich die Personen in die Seelen blicken – und plötzlich fühlt man sich ihnen näher oder entfernter als jemals zuvor. Und als Becca schließlich selbst vor die Linse tritt, um sich den Fragen ihres Bruders zu stellen, wird das zu einem unerwartet bewegenden, fast magischen Moment, in dem man für kurze Zeit alles andere vollkommen vergisst.

Erneut erweist sich hier die Kleinheit THE VISITs als seine größte Stärke: Die nahezu unbekannten, aber hinreißend authentisch agierenden Darsteller (das Lob gilt besonders der jüngeren Generation) geben einem das Gefühl, gerade echten Persönlichkeiten beizuwohnen. Mit einem Bruce Willis, einem Mel Gibson, einem Mark Wahlberg wäre das schlichtweg nicht möglich gewesen. Statt großer Namen bietet THE VISIT bereits in den ersten fünf Minuten mehr Spannung, Witz und Raffinesse als manch hochbudgetierter Blockbuster. Eines der zumindest in der Öffentlichkeit wahrgenommenen Markenzeichen Shyamalans, die überraschende Wendung am Schluss, gibt es freilich auch hier wieder. Sie ist nicht sensationell. Sie ist nicht noch niemals dagewesen. Sie wird die Welt nicht mehr in kollektives Erstaunen versetzen. Aber sie funktioniert. Und sie ist überaus effektiv. Nach AFTER EARTH ist THE VISIT wieder ein gehöriger Schritt zurück. Nach vorn. Zu den Wurzeln. Ein intelligentes Märchen mit Herz, Seele und Autorenkino-Flair. Sicherlich nicht der beste THE SIXTH SENSE-Nachfolger Shyamalans. Für seine Karriere aber gewiss mit Abstand der wichtigste. Ein kleines, feines Meisterstück, dessen Besuch sich mehr als lohnt.

Laufzeit: 94 Min. / Freigabe: ab 12

Mittwoch, 2. September 2015

SICARIO


SICARIO
USA 2015

Regie:
Denis Villeneuve

Darsteller:
Emily Blunt,
Benicio Del Toro,
Josh Brolin,
Daniel Kaluuya,
Jon Berthal,
Jeffrey Donovan,
Raoul Trujillo,
Sarah Minnich



Inhalt:

Bei einem Einsatz gegen die mexikanische Drogenmafia entdeckt das FBI in einem Haus in Arizona mehrere Dutzend Leichen. Obwohl Agentin Kate Macer [Emily Blunt] dieses Ereignis psychisch schwer zu schaffen macht, meldet sie sich freiwillig als Mitglied einer Sondereinheit unter dem Kommando ihres etwas undurchsichtigen Kollegen Matt Graves [Josh Brolin]: In El Paso will man - auf amerikanischem Boden – nach dem großen Boss des Kartells suchen. Doch Macer merkt bald, dass sie getäuscht wurde: Der Einsatz führt tatsächlich ins mexikanische Júarez, wo internationales Recht herrscht, was die Operation illegal macht. Schnell ist klar, dass dies nicht der einzige Regelverstoß bleiben wird: Matts Team missachtet alle Vorschriften und wendet rücksichtslos Gewalt an, um ans Ziel zu gelangen. Und dann ist da noch das undurchschaubare Mitglied Alejandro Medellín [Benicio Del Toro], das ebenfalls zweifelhafte Motive zu haben scheint. Für Macer wird der Einsatz mehr und mehr zum Alptraum.

Kritik:

Sicario ist ein mexikanischer Slang-Ausdruck und bedeutet so viel wie „Auftragsmörder“. So erklärt es die einführende Texteinblendung, bevor einen Denis Villeneuves [→ PRISONERS] so betitelter Drogen-Thriller ohne Umwege in ein fiebriges Höllenszenario wirft und eine elektrisierende Eröffnungssequenz präsentiert, die den Tenor der folgenden zwei Stunden maßgeblich bestimmen wird. Die brutale Aushebung eines Geheimverstecks der Drogenmafia, kumulierend im unerwarteten Fund eines grauenvollen Massengrabes, ist ein Musterbeispiel brillanten Regie-Handwerks und fesselt einen von der ersten Sekunde an in den Sitz. Die ausdrucksstarken Bilder Roger Deakins' [→ NO COUNTRY FOR OLD MEN] in Kombination mit dem pulsierenden, ins Mark dringenden Sound Jóhann Jóhannssons [→ SKYFALL] kreieren eine zum Schneiden dichte Atmosphäre, die einen regelrecht in sich hineinzieht und eine suggestive Spannung freisetzt, die bis zum Finale anhält. Denn die ganze Aktion ist nur der Vorläufer einer erbarmungslosen Reise in die Finsternis, welche die Hauptprotagonistin Kate Macer bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit führt.

Dabei bietet SICARIO auf inhaltlicher Ebene sogar nur wenig Innovatives: Dass die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, ist nun wahrlich kein neues Thema des politischen Thrillers, wurde jedoch selten so überzeugend umgesetzt wie hier. Das amerikanische Sondereinsatzkommando missachtet jede formelle und moralische Regel, agiert mit rücksichtsloser Härte und unterscheidet sich somit kaum von den Kartellen, die sie eigentlich bekämpfen. Macer verkommt währenddessen zur fast passiven Person, die fassungslos auf die Gräueltaten und Ungerechtigkeiten blickt und damit in erster Linie dem Publikum als Identifikation dient, dem es kaum anders ergeht. Bereits die erste Station, die Stadt Júarez, die ihre Besucher mit verstümmelten, von einer Brücke hängenden Leichen begrüßt und von einem Team-Mitglied wenig subtil als „Biest“ bezeichnet wird, gleicht einer Hölle auf Erden, in der menschliches Leben keinen Pfifferling mehr wert ist und die einem auf Anhieb klarmacht, dass jede Hoffnung auf Ausmerzung der Verbrechensherrschaft vergebens ist. Das Übel lässt sich nicht mehr bekämpfen - höchstens noch ein bisschen kontrollieren. Und um das zu erreichen, muss man selbst zum Übeltäter werden.

Die Männer in SICARIO wissen das; sie sind abgebrühte Haudegen, die ihre einstigen Ideale, falls sie denn jemals welche hatten, schon längst über Bord geworfen haben. Macer hingegen, die von Anfang an belogen, bisweilen sogar benutzt wird, begreift das erst nach und nach. Emily Blunt [→ LOOPER] gelingt es, alle Facetten dieses inneren Prozesses glaubwürdig abzubilden, ohne dabei in darstellerische Klischees zu verfallen. Ihr gegenüber steht (der zugegebenermaßen sehr wohl klischeehaft besetzte) Benicio Del Toro [→ SIN CITY] als zwielichtiger Alejandro Medellín, der eine entscheidende Rolle für den Verlauf der Ereignisse spielt, dessen Ziele jedoch lange Zeit unklar bleiben und der dadurch abwechselnd als Bedrohung und Verbündeter erscheint. Dazu gesellt sich Josh Brolin [→ GANGSTER SQUAD] als Einsatzleiter Matt Graves, der als zunächst recht sympathischer schräger Vogel auftritt, später jedoch in erster Linie durch seinen eiskalten Zynismus schockiert. Diese Konstellation mag nicht frei sein von gängigen Stereotypen, funktioniert jedoch bestens.

Den brillanten Darstellerleistungen zum Trotze wäre SICARIO allerdings nur halb so beeindruckend ohne seine exzellente Visualisierung, die in vielen Momenten in Sachen Look und Stil eher einem Kriegsfilm als einem Thriller gleicht. Und wenn die Karawanen des Sonderkommandos sich martialisch ihren Weg durch Wüstenlandschaften und Straßenlabyrinthe bahnen, fühlt man sich bisweilen auch an apokalyptische Endzeitszenarien der Marke MAD MAX erinnert. Auffällig ist dabei immer wieder eine ungemein starke Symbolik: Als Macer nach ihrem ersten Einsatz unter der Dusche steht und sich erschöpft das Blut vom Körper wäscht, dann beschreibt das ihre ganze Situation innerhalb nur weniger Sekunden und ist zugleich auch finsterer Vorbote aller schrecklichen Ereignisse, die noch folgen werden. Später steht sie dann auf einem Häuserdach, um sich ein „Feuerwerk“ anzusehen, und wird Zeuge, wie rot glühende Geschütze den Nachthimmel erhellen - eine eben so simple wie effektive Veranschaulichung der Tatsache, dass die Gewalt an diesem Teil der Erde nicht nur längst zum Alltag gehört, sondern sich bereits unauslöschlich etabliert hat.

Das Mittendrin statt nur dabei-Gefühl, das SICARIO vermittelt, ist beachtlich und erreicht seinen Höhepunkt in dem Moment, als das amerikanische Team an der Grenzstation von Júarez in einem Stau eingepfercht ist und plötzlich jeder Insasse der umliegenden Fahrzeuge eine Waffe auf die Männer zu richten scheint. Die Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt, jede falsche Bewegung könnte ein gewaltiges Massaker zur Folge haben. Die hier aufgebaute Dramatik ist von immenser Intensität, das in der Luft liegende Unheil förmlich greifbar und die Erregung der Protagonisten scheint auch der Zuschauer bis in die Haarspitzen zu spüren. Es sind Augenblicke wie dieser, die SICARIO zu einem Erlebnis machen, dessen Sogwirkung man sich kaum entziehen kann. Dass der Kreislauf aus Blut und Brutalität nicht zu durchbrechen ist, ist die Quintessenz, auf die schließlich alles hinauslaufen wird und die in einer nicht unbedingt erbaulichen, wenngleich großartigen Schlussszene auf den Punkt gebracht wird. „Du wirst hier nicht überleben“, heißt es am Ende, „denn du bist kein Wolf. Und dies ist jetzt das Land der Wölfe.“

Laufzeit: 121 Min. / Freigabe: ab 16

Sonntag, 23. August 2015

THE TRANSPORTER REFUELED


THE TRANSPORTER REFUELED
Frankreich, China 2015

Regie:
Camille Delamarre

Darsteller:
Ed Skrein,
Loan Chabanol,
Ray Stevenson,
Lenn Kudrjawizki,
Tatiana Pajkovic,
Radivoje Bukvic,
Mikael Buxton,
Cédric Chevalme



Inhalt:

Frankreichs Unterwelt kennt Frank Martin [Ed Skrein] nur als den „Transporter“. Er gilt als der beste Fahrer, den man für Geld bekommen kann; er erledigt illegale Lieferungen, an die sich sonst niemand herantraut. Seine neue Kundin ist die geheimnisvolle Anna [Loan Chabanol], die Rachegelüste mit sich herumträgt: Ein skrupelloser Bandenchef zwang sie seit ihrer Kindheit zur Prostitution. Nach vorgetäuschtem Tod befindet sie sich nun auf der Flucht und dürstet nach Vergeltung. Dabei hat sie ihre ganz eigenen Methoden, Frank zur Mitarbeit zu überreden: Sie entführt dessen Vater [Ray Stevenson] und injiziert ihm ein tödliches Gift. Frank hat keine Wahl und nimmt gemeinsam mit Anna und zwei weiteren Mitstreiterinnen den Kampf mit brutalen Menschenhändlern auf.

Kritik:

Als TRANSPORTER glückte dem Briten Jason Statham einst der Durchbruch. Das 2002 von Louis Leterrier inszeniere Action-Vehikel kreuzte Look und Dynamik des Hongkong-Kinos mit europäischem Flair und wurde in Kombination mit seinem charismatischen Hauptdarsteller überraschend zum Kassenschlager. Es folgten ein TV-Ableger und zwei Leinwand-Fortsetzungen, die der Marke eher schadeten als nutzten – wobei speziell der 2008 veröffentlichte, vollkommen an die Wand gefahrene dritte Teil den Nagel eigentlich schon dermaßen fest in den Sarg schlug, dass wohl niemand mehr ernsthaft mit einer Wiederkehr des prügelnden PS-Profis gerechnet hätte. Aber das ungeschriebene Gesetz, dass alles, was einmal Erfolg hatte, nicht ohne mindestens einen Reanimationsversuch zu Grabe getragen werden darf, gilt nicht nur in Hollywood, sondern auch in Frankreich. So durfte der Lieferheld sieben Jahre später tatsächlich noch ein weiteres Mal aufs Gaspedal treten, um Räubern wie Gendarmen gleichermaßen das Leben schwer zu machen. Da Jason Statham mittlerweile jedoch ebenfalls raus war aus der Nummer, war man gezwungen, ihm dafür ein neues Gesicht verpassen. Dieses fand man in dem des englischen Schauspielers und Rappers Ed Skrein [→ GAME OF THRONES], der damit fraglos ein schweres Erbe antrat. Kann ein „Transporter“ funktionieren ohne Jason Statham – ohne den Mann, für den diese Rolle Ruhm und Ehre bedeutete und der in eben dieser so prägend war, dass man ihn selbst Jahre später immer noch fast ausschließlich damit identifizierte?

„Refueled“ wurde der „Transporter“ also – neu aufgetankt – womit man das Vorhaben bereits im Titel verankerte: Die Sause heißt zwar noch gleich, aber die Füllung ist eine andere. Dass man zur Einführung des „neuen“ Transporters die Anfangsszene aus TRANSPORTER 2 nahezu 1:1 nachstellte, beißt sich hingegen sehr unsanft mit der selbst auferlegten Ambition und bietet letztendlich dann doch wieder nur Altbekanntes und Aufgewärmtes: Im Parkhaus klopft der Super-Kämpfer erst lästige Lümmel, dann lässige Sprüche und im Anschluss sich selbst das schnieke Sakko wieder zurecht, bevor er sich in sein Luxusgefährt schwingt und den Schauplatz unbeschadet verlässt. Kopie also statt Kreativität, Ideenmangel statt Innovation. Doch gerade aufgrund ihrer Ähnlichkeit zum Original taugt diese Szene natürlich bestens, um gleich auf Anhieb Vergleiche anstellen zu können. Und so ist auch schnell erkannt, dass Skrein seinem Vorgänger erwartungsgemäß nicht das Wasser reichen kann: Seine Coolness wirkt aufgesetzt, die Lockerheit erzwungen und den harten Kerl will man ihm trotz mehrerer Tage ausgebliebener Rasur auch nicht so recht abkaufen. Seine Kung-Fu-Einlagen absolviert er dank schneller Schnitte und fester Tritte zwar sehr anständig, seinen Milchbubi-Appeal jedoch kann er bis zum Schluss nicht wegknüppeln. Zweifelte man bei einem Jason Statham nicht eine Sekunde daran, dass er bei entsprechendem Missmut ganze Horden an Unholden auf die Bretter schicken konnte, wirkt die gleiche Aktion bei Skrein ebenso unglaubwürdig wie albern.

Schafft man es, zu akzeptieren, dass der neu aufgetankte TRANSPORTER keine Ausgeburt an Charisma mehr ist, können einem die folgenden 90 Minuten allerdings recht viel Freude bereiten – zumal einem nach gewisser Zeit so langsam, aber sicher bewusst wird, dass hier gar nicht so sehr der Titelheld im Mittelpunkt steht, sondern eher dessen Auftraggeberin. Tatsächlich erzählt REFUELED in erster Linie die Geschichte der flüchtigen Zwangs-Prostituierten Anna, die sich im großen Stil an ihrem Zuhälter rächen will und dafür mit ein paar Leidensgenossinnen einen hochkomplizierten Plan austüftelt, der zwar streckenweise absolut haarsträubend ist (wer versetzt schon eine ganze Diskothek in den Tiefschlaf, nur, um sich ein paar Informationen zu beschaffen?), aber die meiste Zeit doch angenehm bei Laune hält. Die Fokussierung auf den Vergeltungsschlag dreier Frauen rückt den Beitrag zeitweise sogar weg vom simplen Stunt- und Krawall-Kino der Vorgänger und dafür mehr in Richtung einer gemäßigten Exploitation-Variante der Marke Rape'n Revenge – in deutlich zahmerer Ausführung, versteht sich, aber dennoch nicht ohne Reiz. Dass Loan Chabanol [→ PLÖTZLICH GIGOLO] in der Rolle der Anna nicht einen Augenblick lang so wirkt, als habe sie ein Trauma hinter sich, ist nun wieder eine andere Sache. Und dass die Ausbeutung weiblicher Körper inhaltlich zwar verurteilt wird, die optischen Vorzüge der Damen aber dennoch immer wieder lüstern ins Bild geschoben werden, ebenfalls.

Nun kann man aber natürlich auch kein feministisches Manifest erwarten von einem Werk, dessen Kamera bereits während des Vorspanns in erotischer Verzückung über das funkelnde Blech eines Audis fährt. Denn selbstverständlich ist der „Transporter“ auch mit neuer Tankfüllung ein simpel gestricktes Unterhaltungs-Produkt, das stets an der Oberfläche bleibt. Fast exemplarisch dafür steht die Rolle von Frank Martins Vater, erstmals mit dabei und von Ray Stevenson [→ PUNISHER - WARZONE] als reichlich abgeschmackte Altherrenfantasie verkörpert, als alternder Dandy und Weiberheld, der es sich selbst als Entführungsopfer nicht nehmen lässt, bei seiner Kidnapperin auf Tuchfühlung zu gehen. Gleichzeitig raubt das plötzlich vorhandene Elternteil der Hauptfigur auch ihren Einzelkämpferstatus – noch einer der Gründe, warum man Ed Skrein bis zum Schluss nicht als autark operierende Persönlichkeit toleriert: Der einst einsame Kämpfer ist plötzlich ein ergebenes Vatersöhnchen, das mit seinem eitlen Erzeuger im permanenten Zwist liegt. Die daraus resultierenden Kabbeleien gemahnen ein wenig an Sean Connery und Harrison Ford in INDIANA JONES UND DER LETZTE KREUZZUG – freilich ohne dabei auch nur annähernd in der Nähe dieser Spritzigkeit zu sein.


Die Action ist insgesamt seltener geworden (speziell die Fahrkünste Frank Martins spielen gar keine allzu große Rolle mehr), wenn sie stattfindet, geht sie allerdings passabel über die Bühne – nicht zu übertrieben, nicht zu bodenständig, eine gesunde Mischung. Regisseur Camille Delamarre sammelte bereits im Schneideraum von Teil 3 und am Set der Fernseh-Adaption TRANSPORTER-Erfahrung und inszenierte sauber und ohne Mätzchen. Irgendwo zwischen Reboot (also kompletten Neustart) und verspäteter Fortsetzung erspinnt sich so eine abstruse Rache-Mär mit diversen Geschwindigkeits- und Kampfkunst-Intermezzos, die insgesamt sogar ziemlich gut goutierbar ist – die Maschine läuft gut geschmiert und kommt trotz leichtem Schlingerkurs gegen Ende souverän und ohne allzu großes Stottern ins Ziel. Das Rad wurde zwar nicht neu erfunden (höhö!), aber REFULED ist zumindest doch deutlich erträglicher als der letzte Beitrag der Original-Reihe. Lediglich Jason Statham fehlt. Aber man kann nicht alles haben.


Laufzeit: 97 Min. / Freigabe: ab 12

Mittwoch, 19. August 2015

HITMAN - AGENT 47


HITMAN – AGENT 47
USA 2014

Regie:
Aleksander Bach

Darsteller:
Rupert Friend,
Hannah Ware,
Zachary Quinto,
Ciarán Hinds,
Thomas Kretschmann,
Emilio Rivera,
Dan Bakkedahl,
Mona Pirzad



"640509-040147" [Strichcode von Agent 47]


Inhalt:

Die junge Katia van Dees [Hanna Ware] staunt nicht schlecht, als ihr plötzlich ein glatzköpfiger Mann [Rupert Friend] hinterhersteigt – allerdings kommt der nicht zum Kaffeetrinken vorbei, sondern offensichtlich eher, um sie mit ein paar Kugeln zu spicken. Mit Müh und Not kann sie dem Angreifer entkommen – nicht ohne Hilfe des aus dem Nichts auftauchenden John Smith [Zachary Quinto], der ihr erklärt, dass sie es mit einem gefährlichen Gegner zu tun hat: Der 'Hitman' ist ein im Genlabor gezüchtetes Killerwesen, ohne Emotion, ohne Gewissen, dafür aber mit übermenschlichen Fähigkeiten und unbändiger Tötungslust. Katias Vater [Ciarán Hinds] war in die Erschaffung einer ganzen Armee dieser Mordmaschinen verwickelt. Nun beginnt eine blei- und gewalthaltige Verfolgungsjagd, denn der Hitman hat eine Mission, von der noch niemand etwas ahnt.

Kritik:

'Reboot' ist des Produzenten Lieblingswort, wenn er der Meinung ist, einen potentiellen Kassenhit an der Angel zu haben, der seinen ersten Kinoeinsatz zwar bereits hinter sich hat, aus irgendeinem Grunde jedoch nicht in alter Form fortgesetzt werden kann – sei es aufgrund personeller Veränderungen, Knatsch hinter den Kulissen oder ganz einfach deswegen, weil sich die vermeintlich große Nummer am Ende dann doch als finanzieller Rohrkrepierer erwies. Das Vorgängerprojekt wird dann einfach ignoriert und das ganze Ding noch einmal komplett von vorn gestartet. Besonders Comic-Helden können ein Lied davon singen: Ob nun SUPERMAN, SPIDER-MAN oder BATMAN - kaum ein 'Man', dem nicht die Ehre eines Neubeginns zuteilwurde. Der HITMAN hingegen hat seine Wurzeln nicht in der Welt der Sprechblasen und Lautmalereien, sondern in der der Bits und Bytes und erblickte im Jahre 2000 als Titelfigur eines Computerspiels das Licht der Popkultur. Trotz (oder gerade auch wegen) der Vielzahl mahnender Kritikerstimmen, welche den hohen Gewaltpegel tadelten (und dabei überwiegend ignorierten, dass man auch ohne eine einzige Kugel abfeuern zu müssen ans Ziel gelangen konnte), wurde der im Labor gezüchtete Auftragskiller mit der markanten Glatze ein weltweiter Erfolg, der 2007 auch seinen Weg auf die Leinwand fand.

Dort allerdings konnte er keinen Treffer landen und erntete überwiegend Verrisse – besonders die gegenüber der Vorlage stark abgeänderte Vorgeschichte des Killers stieß vielen Fans sauer auf. Der HITMAN floppte und die geplante Fortsetzung war vom Tisch. Da man jedoch trotzdem nicht gewillt war, die Flinte einfach so ins Korn zu werfen, entschied man sich für einen kompletten Neuanfang und schickte die Tötungsmaschine acht Jahre später ein zweites Mal in den Kampf um die Publikumsgunst. Und tatsächlich durfte der Titelheld dieses Mal auch wirklich ein Produkt von Genmanipulation sein und dem Reagenzglas entspringen, wie einem das Intro in Hypergeschwindigkeit erklärt. Dass Nähe zur Vorlage jedoch nicht alles ist, worauf es ankommt, machen einem die folgenden 90 Minuten dann nur allzu schmerzhaft bewusst – AGENT 47 mag zwar originalgetreuer sein als der Vorgänger, besser ist er deswegen noch lange nicht. Und nicht nur, dass er im direkten Vergleich den Kürzeren zieht – das Reboot entpuppt sich auch generell als fast schon desaströses Debakel, das selbst geringsten Ansprüchen nicht gerecht werden kann, was angesichts des gewiss vorhandenen Engagements, dieses Mal wirklich einen Treffer abzuliefern, eigentlich kaum erklärbar ist.

Die nur rudimentär vorhandene Story ist dabei nicht einmal das Problem - inhaltlicher Minimalismus kann für anständige Action-Unterhaltung unter Umständen ein wahrer Segen sein. Dass man sich frei von dramaturgischem Zusammenhang salopp von Szene zu Szene hangelt, ist hingegen schon weitaus gravierender. Falls jemals so etwas Ähnliches wie ein die Ereignisse verbindender Spannungsbogen vorhanden war – spätestens der hektische, ohne Fingerspitzengefühl gesetzte Schnitt hat ihn ins Nirwana befördert. Dabei sind gute Ansätze durchaus vorhanden. So liegt der Fokus zu Beginn nicht auf dem Hitman, sondern stattdessen auf der Protagonistin Katia van Dees [Hannah Ware], die offenbar ein Geheimnis hütet und deshalb aus zunächst unerfindlichen Gründen vom Titelgeber gejagt wird. Unterstützung bei der Flucht gewährt ihr dabei der aus heiterem Himmel auftauchende John Smith [Zachary Quinto], der sich ihrer annimmt und sie um die Absichten des kahlköpfigen Killers aufklärt. So entwickelt sich zunächst eine zwar nicht unbedingt originelle, aber durchaus brauchbare TERMINATOR-Variante, die lange Zeit von der Frage lebt, wer Freund und wer Feind ist. Doch spätestens, nachdem die Fronten geklärt sind, geht es endgültig den Bach runter. AGENT 47 springt ziellos von einem Schauplatz zum nächsten, streut unüberlegte Action-Sequenzen dazwischen und erstickt damit jeden Anflug von Ambition und Atmosphäre bereits im Keim.

Die unmotivierten Schlag- und Schusswechsel, eigentlich das Herzstück eines derartigen Genre-Beitrags, mögen teilweise nett konzipiert sein, sind jedoch dermaßen unübersichtlich geraten, dass sie keine Freude mehr bereiten: Zwar verteilt der Hitman eifrig Blei in gegnerische Köpfe und Körper, doch die Kamera wirbelt dabei so unstet durch das Szenario, dass man, in Kombination mit dem nervösen Schnitt, davon höchstens noch etwas erahnen kann. Verzweifelt wünscht man da die Ruhe und Entspanntheit eines JOHN WICK herbei, dessen durchaus vergleichbares Tagwerk selbst im größten Trubel stets noch strukturiert und nachvollziehbar blieb. Besonders bedauerlich ist das in Momenten, in welchen es einem immerhin dämmert, wie viel Potential hier eigentlich verschleudert wurde: Wenn der Retorten-Killer gegen Ende seine Widersacher in einer viel zu kurzen Szene in klinisch reiner, strahlend weißer Umgebung mit Patronen spickt und die daraus resultierenden Blutfontänen bizarre Muster auf dem blitzeblank polierten Untergrund hinterlassen, dann ist das genau die Mischung aus roher Gewalt und künstlerischem Anspruch, die man sich gern dauerhaft erbeten hätte.

Die zur Unterstützung der Massaker herangezogenen Digital-Effekte sind derweil für eine Kino-Produktion des Jahres 2015 schon beinahe blamabel und wirken, als wären sie mindestens 20 Jahre früher entstanden - umso erstaunlicher, dass sich die renommierte Schmiede 'ILM' dafür verantwortlich zeichnete. Das Niveau der permanenten Pixelei ist dabei durchgehend dermaßen tief angesiedelt, dass man diesen Umstand schon fast wieder als gewolltes Stilmittel anerkennen könnte. Im Sinne des Erfinders dürfte das wohl allerdings eher nicht sein. Zu allem Überfluss scheinen auch die Darsteller noch reichlich hilflos in ihren Rollen, obwohl sie zumindest rein theoretisch nicht vollkommen verkehrt besetzt sind. Nach Timothy Olyphant entledigte sich hier Rupert Friend [→ DIE LETZTE LEGION] seiner Haarpracht, um mit finsterer Miene den emotionslosen Super-Killer zu geben. Er müht sich redlich, wirft sich alle naslang in lachhaft-coole Posen, doch so recht will man ihm den harten Kerl dann doch nicht abkaufen. Hannah Ware [→ OLDBOY] wirkt als Fräulein auf der Flucht fast schon amateurhaft und auch Zachary Quinto [→ STAR TREK] scheint irgendwie gar nicht so richtig zu wissen, was genau er eigentlich tun soll. Lediglich der alte Schauspiel-Hase Ciarán Hinds [→ ROAD TO PERDITION] strahlt bei seinem Kurzauftritt eine souveräne Würde aus, obwohl er insgesamt natürlich sträflich unterfordert ist.

Dass das produzierende Studio tatsächlich die Hoffnung hegte, mit einem derartigen Produkt eine neue Erfolgsreihe auf den Weg schicken zu können, nimmt Wunder – zumal man mit Aleksander Bach auch noch einen Debütanten auf dem Regiestuhl parkte, der mit einem Projekt dieser Größenordnung merklich überfordert war. AGENT 47 wirkt phasenweise reichlich unbeholfen und erweckt den Anschein, als hätte eine im Fahrwasser des Erstlings entstandene Videopremiere Jahre später auf Umwegen doch noch irgendwie den Weg ins Kino gefunden. Der 2007er HITMAN mag nicht unbedingt dem Original entsprechen, war jedoch lupenrein inszeniertes, konsequent und kompetent in Szene gesetztes Actionkino. Der Neustart hingegen ist eine zerfahrene Ruine ohne Stil, Stimmung und sichtbares Konzept. Dass die deutsche Filmförderung das Projekt auch noch finanzkräftig unterstützte (eben dieselbe Filmförderung, die niemals auf die Idee käme, einem rein deutschen Action-Projekt auch nur einen müden Heller zuzuschanzen), macht betroffen, sorgt aber immerhin für den attraktiven Schauplatz Berlin und ein paar Gastauftritte gern gesehener heimischer Schauspieler. Retten kann das freilich nichts. AGENT 47 ist und bleibt ein Rohrkrepierer allererster Kajüte. Eliminieren! Jetzt! 

Laufzeit: 97 Min. / Freigabe: ab 16

Sonntag, 16. August 2015

CODENAME U.N.C.L.E.


THE MAN FROM U.N.C.L.E.
GB 2015

Regie:
Guy Ritchie

Darsteller:
Henry Cavill,
Armie Hammer,
Alicia Vikander,
Jared Harris,
Elizabeth Debicki,
Christian Berkel,
Sylvester Groth,
Hugh Grant



Inhalt:

1960: Der Kalte Krieg befindet sich auf dem Höhepunkt; die USA und Russland sind bis aufs Blut verfeindet. Inmitten dieser angespannten Situation werden CIA-Agent Napoleon Solo [Henry Cavill] und KGB-Agent Illya Kuryakin [Armie Hammer] gezwungen, zusammenarbeiten: Sie sollen eine von Altnazis unterwanderte Verbrecherorganisation ausfindig machen, die in den Besitz einer Atombombe gelangt ist. Das Gleichgewicht der Mächte steht auf dem Spiel! Vermutlich soll der als tot geltende deutsche Wissenschaftler Udo Teller [Christian Berkel] dazu gezwungen werden, die Bombe zusammenbauen. Solo und Kuryakin suchen in Ost-Berlin dessen Tochter, die taffe Automechanikerin Gaby Teller [Alicia Vikander], auf, um an ihn herankommen. Tatsächlich gelingt es ihnen, die junge Frau zur Zusammenarbeit zu bewegen. Die Spur führt nach Italien zu Gabys Onkel Rudi [Sylvester Groth]. Dieser scheint nicht ganz so harmlos zu sein, wie er tut …

Kritik:

SOLO FÜR O.N.K.E.L. lautet der Titel der Agentenserie, die in den 60er Jahren als amerikanisches Pendant zu James Bond entworfen wurde und sich schon bald als Straßenfeger erwies. Die Ähnlichkeit zum großen Vorbild hatte dabei nicht ausschließlich kommerzielle Gründe: Bond-Erfinder Ian Fleming selbst war an der Konzeption beteiligt und erdachte die Figur des Napoleon Solo, der im Auftrage der titelgebenden Organisation erst um die Welt jettet, um sie im Anschluss dann vorschriftsmäßig zu retten. Noch bevor er damit auch die deutschen Fernsehschirme erreichte, brachte er es hierzulande in mehreren Zusammenschnitten sogar zu Kinoehren und konnte dort im Fahrwasser seines britischen Kollegen trotz deutlich kostengünstigerer Machart beachtliche Erfolge einheimsen. Am Anfang noch um Seriosität bemüht, verließ die Serie diesen Pfad im Laufe der Zeit und wurde nach und nach zur schrillen Selbstpersiflage. So dient THE MAN FROM U.N.C.L.E., wie der Spaß im Original heißt, nun in erster Linie als Dokumentation der ausgelassenen Attitüde der Swingin' Sixties, an deren knalliger Übertreibung von Kitsch und Klischee wohl auch Austin Powers seine helle Freude gehabt hätte. Ungewöhnlich für damalige Verhältnisse war dabei der Umstand, dass der Hauptfigur ein russischer Partner zur Seite gestellt wurde, der – nach etwas vorsichtig-zaghaftem Einstieg – bald gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit dem Amerikaner agieren durfte, was zu Zeiten des Kalten Krieges schon ein ziemliches Novum darstellte.

Eben diese Idee griff das Team um Regisseur Guy Ritchie auf, als man sich fast 50 Jahre nach Einstellung der Serie an eine Kino-Neuauflage wagte. Dabei versetzte man die Ereignisse nicht etwa in die Moderne, sondern verortete sie abermals in den 60er Jahren, als sich die Feindschaft zwischen Russen und Amerikanern auf ihrem Höhepunkt befand. Ein ernsthaftes Zeitdokument ist das natürlich trotzdem nicht: Der historische Hintergrund wurde lediglich dazu genutzt, einen amüsierten Blick auf damalige Zustände zu werfen und auf dieser Basis eine launige Kumpel-Komödie zu kreieren, die sich der bewährten Genre-Formel bedient: Zwei vollkommen verschiedene Charaktere treffen aufeinander, kabbeln sich um die Wette und werden nach Überwindung äußerer und innerer Widerstände schließlich ein Herz und eine Seele. CODENAME U.N.C.L.E. erzählt somit strenggenommen die Vorgeschichte zur Serie, wenn berichtet wird, wie Napoleon Solo und Illya Kuryakin zum ersten Male aufeinandertreffen und sich erst zu einem Team zusammenraufen müssen – zumindest theoretisch, denn mit den Originalen haben diese beiden Figuren fast nur noch die Namen gemein. So machte man den in der Vorlage eine blütenreine Weste spazierentragenden Solo zum Ex-Kriminellen und -Knastbruder und seinen Kollegen Kuryakin zum traumatisierten Waisenkind mit leicht psychotischen Zügen.

Allerdings hätte eine schlichte 1:1-Umsetzung wohl auch kaum funktioniert, waren die einstigen Titelhelden doch reichlich konturlose Gestalten, die, außer, dass sie jede noch so gefährliche Situation mit einem Achselzucken und einem flotten Spruch zu kommentieren wussten, keine besonderen Merkmale vorzuweisen hatten. Henry Cavill [→ KRIEG DER GÖTTER] und Armie Hammer [→ LONE RANGER] sind in den Rollen deutlich verwundbarer und liefern sich, wenn auch keine sonderlich innovativen, so doch durchaus amüsante Machtspielchen, die angenehm bei Laune halten können. Ergänzt werden sie dabei von Alicia Vikander [→ SEVENTH SON], die für die unverzichtbare weibliche Note sorgt und ihre Rolle als Gaby Teller mit einnehmendem Charme absolviert. Woran es hingegen mangelt, ist ein wirklich ernstzunehmender Gegner: Kämpfte man in der Serie noch pro Folge gegen ein meist größenwahnsinniges Verbrechergenie mit sinistren, der Realität enthobenen Vernichtungs- und Beherrschungsplänen, präsentiert man hier gleich eine ganze Handvoll Finstermänner und -frauen, die für sich genommen zwar reizvoll sind, in ihrer Vielzahl jedoch unnötig verschenkt wirken.

Ohnehin ist es etwas betrüblich, dass man bei der Neuauflage, obwohl ein durchaus beträchtliches Fass an Ironie und schwarzem Humor geöffnet wurde, insgesamt doch eher auf dem Teppich blieb, betrachtet man die völlig verrückten Ausschweifungen, die das Original zum Teil einst betrieb. CODENAME U.N.C.L.E. verzichtet auf die Möglichkeit zur Rundum-Satire, was die Vorlage mit all ihrer Hemmungslosigkeit und ihrem arglosen Sexismus fast zur größeren Komödie macht. Ritchies Werk gibt sich im Vergleich eher zurückhaltend und suhlt sich stattdessen im attraktiven Retro-Look, der allerdings so gut gelungen ist, dass letztendlich auch das nicht sonderlich originelle Drehbuch hinter ihm zurückstecken muss. Wirklich aufregend ist die ausgelutschte Story vom Kampf gegen eine atomar bestückte Schurken-Organisation nämlich beileibe nicht. Dafür beweist Ritchie abermals sein Talent und serviert elegantes, bisweilen sogar meisterhaft komponiertes Nostalgie-Kino mit zum Teil hervorragenden darstellerischen Leistungen. Exemplarisch dafür sei die Szene genannt, in welcher einer der Protagonisten seine Maske fallenlässt und zur fröhlichen Folterstunde einlädt: Die großartige Regie entfacht, in Kombination mit grandiosem Schauspiel, ein alptraumhaft angehauchtes Szenario, das einem, obwohl immer noch ironisch gebrochen, einen wohligen Schauer über den Rücken jagt, bevor es schließlich in einer überaus makabren, doch befreienden Pointe gipfelt.

Trotz aller inszenatorischer Brillanz wurde auf allzu viele Extravaganzen verzichtet. Anders, als bei SHERLOCK HOLMES, dem Guy Ritchie 2009 auf ähnliche Art und Weise eine erfolgreiche Wiederbelebung spendierte, geriet die Darbietung hier weitaus weniger verspielt und, ganz im Sinne der Vorlage, beinahe schon klassisch - so sehr, dass eine im aufgeregten Split-Screen erzählte Aktion in der Mitte fast schon ein wenig fehl am Platze wirkt. Dass es dabei durchgehend nur so sprüht vor Stil, Esprit und Leichtigkeit, gereicht nicht zum Schaden und ist zudem ein erfrischender Kontrast zur einstigen Blaupause James Bond, welcher spätestens seit SKYFALL mit nie zuvor erlebter Schwermut operiert. Der Mann von U.N.C.L.E. hat sich somit endgültig von seinem Vorbild emanzipiert und empfiehlt sich als amüsante, augenzwinkernde Alternative zum überwiegend freudlosen Agentenalltag der Konkurrenz – ein knallbunter Rückwärts-durch-die-Zeit-Trip mit etwas Action, viel Humor und einer gehörigen Portion Schwung und Schick. Nicht nur für Onkel. Auch für Tante.

Laufzeit: 116 Min. / Freigabe: ab 12

Sonntag, 19. Juli 2015

BROTHERHOOD OF BLADES


XIU CHUN DAO
China 2014

Regie:
Lu Yang

Darsteller:
Chang Chen,
Wang Qian-Yuan,
Liu Shishi,
Li Dong-Xue,
Zhu Dan,
Nie Yuan,
Zhou Yiwei,
Chin Shih-Chieh



Inhalt:

Peking, 1627: Kaiser Chongzhen [Ye Xiang Ming] entlässt den einflussreichen Eunuchen Wèi Zhōngxián [Chin Shih-Chieh], Oberbefehlshaber der Geheimpolizei, aus seinem Dienst. Dieser will die Schmach nicht hinnehmen und beginnt im Untergrund gegen den Kaiser zu intrigieren. Chongzhen fürchtet um seine Macht und befiehlt die Tötung des Mannes. Die Mission geht an den Attentäter Shen Lian [Chang Chen] und seine beiden ‚Schwertbrüder‘ Lu Jianxing [Wang Qian-Yuan] und Jin Yichan [Li Dong-Xue]. Zwar kann Shen den Mann erfolgreich stellen, doch dieser bietet ihm 400 Tael Gold, falls er ihn verschone – für den in Geldsorgen sich befindenden Hofdiener ein verlockendes Angebot. Die verbrannte Leiche, die Shen schließlich seinem Auftraggeber präsentiert, stammt dann auch nicht von Wèi. Der Betrug fliegt auf, als der vermeintlich Tote den neuen Anführer der Geheimpolizei, Zhao Jingzhong [Nie Yuan], aufsucht und ihn anweist, Shen zu töten, da dieser nun der einzige ist, der um sein Überleben weiß. Zhao lockt Shen und seine Gefährten in eine Falle und es kommt zu einem gewaltigen Massaker, aus dem die drei Männer nur mit Müh und Not mit heiler Haut davonkommen. Nun befinden sich Shen, Lu und Jin plötzlich zwischen allen Fronten und müssen nicht nur um ihr Überleben kämpfen, sondern auch um ihre Freundschaft.

Kritik:

Im Chinesischen bedeutet die Silbe 
 () ‚Kampf‘ (so in etwa) und die Silbe Xiá () ‚Ritter‘ (so in etwa). Setzt man beides zusammen, erhält man die Bezeichnung für eines der beliebtesten asiatischen Genres überhaupt: Der Wǔxiá, der uralte, fest in der chinesischen Kultur verankerte Mythos vom fahrenden Ritter auf Heldenreise, erlebt in regelmäßigen Abständen seine cineastische Reinkarnation und präsentiert seinem Publikum immer wieder wackere, von eherner Redlichkeit beseelte Schwertkämpfer, die Schlachten an historischen Schauplätzen schlagen und für die gerechte Sache ihr eigenes Leben gäben – und dies häufig auch tun. Da ihre Feinde seit jeher nicht selten auch in der verbeamteten oder herrschenden Obrigkeit zu finden waren, galt die Wǔxiá-Dichtung in ihrem Heimatland Anfang der 30er Jahre als staatsfeindlich und war daher über 20 Jahre lang verboten (was freilich tief blicken lässt!). Nach Aufhebung des Verbots war es vor allem das Studio der 'Shaw Brothers', das dem Genre ab den 60er Jahren mit blutgetränkten Epen wie DAS GOLDENE SCHWERT DES KÖNIGSTIGERS zu großer Popularität verhalf, während Regisseur King Hu das etwas intellektuellere Klientel bediente: Sein EIN HAUCH VON ZEN wurde auf den Filmfestspielen in Cannes preisgekrönt und verschaffte der Gattung eine gehörige Portion internationale Aufmerksamkeit. 

BROTHERHOOD OF BLADES ist von seinen Zutaten her geradezu ein Musterbeispiel für den Wǔxiá und hätte 40 Jahre früher mit ziemlicher Sicherheit als weitere Shaw-Brothers-Produktion das Licht der Leinwand erblickt: Drei Krieger, Brüder nicht nur an der Waffe, sondern auch im Geiste, werden Opfer von Verrat und Intrige, verbünden sich gegen das korrupte Ränkespiel ihrer Machthaber und nutzen ihre scheinbar übermenschlichen kämpferischen Fähigkeiten, um Recht und Ordnung wiederherzustellen – alles vor dem geschichtlichen Hintergrund der dahinsiechenden Ming-Dynastie und vorangetrieben von Emotion, Konflikt und Schicksal. Im Gegensatz zu manch anderem Beitrag jedoch verzichtete man in diesem Falle darauf, die Charaktere als tugendhafte Instanzen zu präsentieren, und zeichnete stattdessen das ambivalente Bild dreier Männer, die sich aus unterschiedlichen Gründen in finanziellen Nöten befinden und dementsprechend verführbar und bisweilen willensschwach sind: Shen Lian [Chang Chen] ist der Konkubine Zhou Miaotong [Cecilia Liu] verfallen, die er freikaufen will, obwohl sie jemand anderen liebt, Lu Jianxing [Wang Qian-Yuan] besticht seinen Vorgesetzten Zhang Ying [Qiao Lei], um befördert zu werden, und Jin Yichuan [Li Dong-Xue] wird von seinem ehemaligen Freund Ding Xiu [Zhou Yiwei] erpresst, der damit droht, ihre gemeinsame kriminelle Vergangenheit publik zu machen. 

Eine moralische Verfehlung Shen Lians setzt die nachfolgende Gewaltspirale schließlich überhaupt erst in Gang – auch wenn seine Motive zumindest zum Teil lauterer Natur waren. Das angewandte Ursache-Wirkungs-Prinzip funktioniert dabei zu Beginn ganz hervorragend, die aus Shens Tat resultierenden Ereignisse wirken logisch konstruiert und können in ausreichendem Maße Interesse wecken. Nach einer Weile jedoch wird die bis dahin recht geradlinige Erzählweise ein wenig verwässert, betreten doch immer neue Personen die Bildfläche, von denen nicht jede auch wirklich erforderlich erscheint – ganz zu schweigen davon, dass es zudem auch reichlich abstrus wird, ist doch plötzlich jeder irgendwie mit jedem verwandt. Das wirkt nicht nur stellenweise etwas weit hergeholt, sondern führt bisweilen auch zur Konfusion. Dass sich Jin Yichan so nebenbei auch noch in Zhang Yan [Marina Ye], die Tochter eines Arztes, verlieben darf, scheint zudem auch ohne jeden Belang, wird die Figur doch lediglich auf ihr schnuckeliges Äußeres reduziert und darf ansonsten weder Profil noch großartig Leinwand-Präsenz besitzen. So gelingt es BROTHERHOOD OF BLADES nicht, die anfängliche Dichte bis zum Schluss zu halten. Zwar kommt es auch fortlaufend immer mal wieder zu Spannungsmomenten, doch ein dramaturgischer Gesamtbogen bleibt letztendlich aus. Dazu passt dann auch, dass kurz vor Schluss aus heiterem Himmel noch die Mongolen als altbewährtes Feindbild aus der Mottenkiste geholt werden, um die Geschichte zumindest einigermaßen sinnvoll zu Ende bringen zu können. 

Mag es inhaltlich auch stellenweise etwas hapern, zumindest im Action-Segment gibt sich BROTHERHOOD OF BLADES keine Blöße. Die Kampfszenen, erneut mit viel Drahtseilunterstützung realisiert, sind erstklassig durchchoreographiert und sorgen für eine Flut intensiver Eindrücke und furioser Bilder. Vor allem das mörderische Massaker im Hofe Yan Peiweis [Hu Xiaoguang] nagelt einen in den Sitz. Regisseur Lu Yang, Kameramann Han Qiming und die Editors Yiran Tu und Li Yun Zhu machen keine Gefangenen und entfachen ein perfekt getimtes und konsequent durchgezogenes Inferno aus Regen, Feuer und Blut. Ohnehin ist die Cinematographie durchgehend exzellent und kreiert ikonische Momentaufnahmen, die sich ins Gedächtnis brennen. Das ist schon allein deswegen bemerkenswert, da es für die gesamte Crew quasi das erste Projekt dieser Größenordnung war. Von Unerfahrenheit oder Ähnlichem ist jedoch nicht das Geringste zu spüren: BROTHERHOOD OF BLADES ist absolut versiert in Szene gesetztes und kompetent gefertigtes Blockbuster-Entertainment ohne formale Schwächen. Als Ausführender Produzent agiert im Hintergrund noch Terence Chang, dessen Name vor allem aufgrund seiner Kollaborationen mit John Woo [→ IM KÖRPER DES FEINDES] ein Begriff ist.

Auch bei der Besetzung orientierte man sich eher an Unbekannterem, wenngleich man mit Chang Chen in der Hauptrolle immerhin ein echtes Schwergewicht bieten konnte: Der 1976 geborene Schauspieler war im Jahre 2000 in Ang Lee prächtigem Wǔxiá TIGER & DRAGON zu sehen, der zu einem internationalen Erfolg wurde, und konnte auch in den Folgejahren mit Auftritten in Historienfilmen wie RED CLIFF oder THE GRANDMASTER weiterhin von sich reden machen. Seine Mitstreiter Wang Qian-Yuan [→ THE CROSSING] und Li Dong-Xue [→ GEN-Y COPS] mögen etwas weniger bekannte Namen tragen, stehen ihm schauspielerisch jedoch in nichts nach. Besonderes Augenmerk verdient noch Chin Shih-Chieh [→ REIGN OF ASSASSINS] in der Rolle des intriganten Eunuchen Wèi Zhōngxián, der diesen als herrlich durchtriebenen alten Mann anlegt und dabei auf gewisse Weise an David Carradine in KILL BILL erinnert. Wèi Zhōngxián ist – neben Kaiser Chongzhen – die einzige Figur aus BROTHERHOOD OF BLADES, die historisch verbürgt ist und war der Überlieferung nach tatsächlich ein machthungriger Intrigant, der nach seiner Anstellung am Hofe begann, sich immer mehr Einfluss zu verschaffen, sich rücksichtslos bereicherte, Gegner beseitigen ließ und mit Hilfe der ihm unterstellten Geheimpolizei bald die gesamte Verwaltung Chinas kontrollierte. Nach dem Tode des Kaisers Tianqi wurde Wèi von dessen Nachfolger Chongzhen entmachtet, worauf dieser sich das Leben genommen haben soll. Das von Wèi hinterlassene wirtschaftliche und politische Chaos soll nicht unschuldig daran gewesen sein, dass die Ming-Dynastie kurz darauf unterging.

Sich mit der Frage beschäftigend, was wohl gewesen wäre, hätte Wèi Zhōngxián seinen Tod damals lediglich vorgetäuscht, erspinnt BROTHERHOOD OF BLADES ein hypothetisches und freilich völlig wirklichkeitsfernes Konstrukt, das Fakten und Fiktionen, historische Personen und erdachte nebeneinanderstellt, um daraus ein klassisches Kung-Fu-Epos zu weben, das trotz durchaus vorhandener Defizite in der ersten Liga spielt. Schwächen in der Dramaturgie werden ausgeglichen durch rasant komponierte, sich der Schwerkraft verweigernde Schwertkampf-Duelle und die imposanten Aufnahmen hinterlassen mächtig Eindruck. Lu Yang erschuf mit hohem Aufwand an Kostüm und Kulisse eine Welt aus Korruption und Chaos, Gewalt und Gier, Missgunst und Menschenverachtung, deren Protagonisten unaufhaltsam ihrem tragischen Ende entgegensteuern. Die Speerspitze wird zwar nicht erobert, aber Lus gekonnt und nicht ohne Anspruch arrangierte Action-Oper kann sich durchaus sehen lassen und bietet 
Wǔxiá- und Kampfkunst-Freunden eine vorzügliche zubereitete Zwischenmahlzeit.

Laufzeit: 106 Min. / Freigabe: ab 16

Sonntag, 12. Juli 2015

DIE LETZTE SCHLACHT AM TIGERBERG


ZHI QU WEI HU SHAN
China 2014

Regie:
Tsui Hark

Darsteller:
Tony Leung Ka-Fai,
Zhang Hanyu,
Lin Gengxin,
Yu Nan,
Tong Liya,
Han Geng,
Chen Xiao,
Tse Miu



Inhalt:

In den Wäldern Chinas, 1946: Die Volksbefreiungsarmee hat den Krieg gegen die Japaner gewonnen, doch an eine verdiente Ruhe ist nicht zu denken: Eine Räuberbande terrorisiert das Land und verbreitet Angst und Schrecken. Angeführt wird sie von einem berüchtigten Schurken mit dem simplen Namen 'Falke', der sich mit seinen blutrünstigen Mannen auf den als uneinnehmbar geltenden Tigerberg zurückgezogen hat. Hauptmann Shao Jianbo (alias Nummer 203)[Lin Gen-Xin] entwickelt einen riskanten Plan, um den Bösewichtern Einhalt zu gebieten: Er schleust sich als Bandit getarnt in die Truppe ein, um sich im Laufe der Zeit das Vertrauen des Anführers zu erschleichen, sie tatsächlich jedoch so weit zu schwächen, dass sie angreifbar wird. Um seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, bringt er ein Gastgeschenk mit: eine Karte, die strategisch wertvolle Ratschläge zur Kriegsführung liefert. Zunächst scheint sein Plan aufzugehen. Doch Shao muss feststellen, dass es oft nicht einfach ist, eine Tarnung aufrecht zu erhalten.

Kritik:

PEKING OPERA BLUES heißt das Werk, das den chinesischen Regisseur Tsui Hark im Jahre 1986 schlagartig auch im Westen bekannt machte. Die rasant geschnittene und üppig ausgestattete Kung-Fu-Komödie erntete in ihrer grellen Mischung aus Anspruch und Action viel Kritikerlob und holte das Hongkong-Kino endgültig aus der vermeintlichen Schundecke hinaus ans Licht der Öffentlichkeit. Von daher ist es nicht unamüsant, dass Harks THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN gut 30 Jahre später mit dem sarkastisch kommentierten Bild einer Peking-Oper beginnt. Allerdings basiert das pralle Historien-Epos auch auf einer eben solchen. Ab 1966, während der Kulturrevolution, entstanden - natürlich auf Druck Máo Zédōngs (und dessen Ehefrau Jiāng Qīng) – zahlreiche politisch motivierte Tanz- und Musikstücke, Modellopern genannt, von denen Mit taktischem Geschick den Tigerberg erobert zu einer der bekanntesten wurde. Als Grundlage diente der Roman mit dem englischen Titel TRACKS IN THE SNOWY FOREST des Autors Qu Bo, der in seiner Heimat immens populär wurde. Dass die Heldensaga, in der die chinesische Volksbefreiungsarmee während des Bürgerkrieges neben Hunger und Tod auch gegen eine berüchtigte Räuberbande kämpfen muss, tatsächlich, wie behauptet, auf einem wahren Ereignis beruht, kann man dabei entweder glauben, oder man lässt es eben bleiben.

Völlig unerwartet beginnt THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN zunächst im neuzeitlichen New York, das gerade vom wilden Trubel der Feierlichkeiten für den Wechsel ins Jahr 2015 bestimmt wird. Ein junger Chinese erhascht auf einer Party, kurz bevor er die Reise zu seiner in der Heimat wartenden Großmutter antritt, im Fernsehen eine Szene aus besagter Oper, worauf ihm - im Gegensatz zu seinen zechenden Freunden – ganz wehmütig ums Herz wird. Auf der Fahrt nach Hause holt er sein Tablet hervor und beginnt, die Darbietung komplett zu sichten. Erst dann springt die Handlung zurück ins Jahr 1946 und zeichnet das Bild einer tapferen Truppe verwegener Teufelskerle und -frauen, die sich, kurz nachdem sie die Japaner geschlagen hat, einem neuen Feind gegenübersieht: dem vom dämonischen Oberschurken 'Falke' befehligten Gaunerkollektiv, welches sich auf dem als uneinnehmbar geltenden Tigerberg verschanzt und das Land mit Tod und Terror überzieht. Dass das kein Dauerzustand bleiben wird, ist angesichts des Titels keine sonderlich große Überraschung, den Weg zum Ziel jedoch gestaltete Tsui Hark als ereignis- und attraktionsreichen Hindernisparcours mit wilder Radau-Attitüde und einer ganzen Wagenladung großartiger Schauwerte.

Mit dem mit dieser Thematik einhergehenden Hohelied auf Heldentum und Opferbereitschaft befindet man sich selbstverständlich voll und ganz auf Regierungskurs, nutzt die Staatsmacht das Kino Hongkongs doch seit Rückgabe der Metropole an China in erster Linie dazu, die Bürger nach eigenem Gusto zu erziehen und durch das Präsentieren proletarischer Pioniere Vaterlandsliebe zu erzeugen (was nicht selten einen bitteren Beigeschmack zur Folge hat). Doch die Drehbuchautoren (zu denen unter anderem auch Tsui Hark selbst gehörte) gaben sich in diesem Falle alle Mühe, THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN nicht zur platten Propaganda verkommen zu lassen - schon allein aufgrund dessen, dass eindeutige Realitätsbezüge überwiegend vermieden wurden. Stattdessen kreierten sie ein abgehobenes Abenteuer-Spektakel, das mehr mit einer ausgeflippten Achterbahnfahrt gemein hat als mit bodenständigem Geschichtsunterricht – was durch eine grandiose, an INDIANA JONES angelehnte Anschluss-Sequenz auf die Spitze getrieben wird (die freilich all jene verpassen werden, die bereits bei der ersten Stab-Einblendung aufspringen und das Weite suchen).

Somit gibt sich THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN bereits von Haus aus wie ein knalliger Comic-Strip, in dem Schwarz und Weiß klipp und klar voneinander getrennt und entsprechend überzeichnet sind. Die Guten sind von Grund auf edel, mutig und ehrenhaft, die Männer wie die Frauen, und niemand käme auch nur im Ansatz auf die Idee, dass hier der selbe Verein skizziert wird, der 1989 ein Massaker unter protestierenden Studenten angerichtet hat. Die Bösen hingegen sehen bereits aus wie grotesk verwachsene Missgestalten und glänzen in erster Linie durch grobschlächtige Aktionen und grunzende Artikulation. Gekrönt wird das durch einen unter seiner Maskerade kaum noch zu erkennenden Leung Ka-Fai [→ BODYGUARDS AND ASSASSINS] als Banditenkönig 'Falke', der eine frappierende Ähnlichkeit zu Danny DeVitos Pinguin aus BATMANS RÜCKKEHR aufweist und als schillernde Karikatur eines allmächtigen Super-Schurken den extravaganten Charakter des Werkes noch mal zusätzlich unterstreicht. Dazu gesellen sich heillos überzogene, Physik und Logik trotzende Action-Zelebrierungen (wie eine Schießerei auf Schiern oder eine waghalsige Abseilungsaktion zwischen zwei Bergmassiven), und ausgefallene, bisweilen bizarre Bilder wie der verbissene Kampf erst Mensch gegen Tiger, dann Tiger gegen Pferd – aus dem Rechner gezaubert, versteht sich, doch nicht nur für asiatische Verhältnisse verblüffend naturalistisch umgesetzt und von leicht surrealer Note umwabert.

Da Tsui Hark sein ausladendes Schlachtengemälde zudem für eine dreidimensionale Präsentation konzipierte, lies er es sich auch nicht nehmen, das Geschehen durch zahlreiche visuelle Taschenspielertricks tüchtig aufzumotzen. Dabei verfällt er zwar bisweilen – besonders zu Beginn – ein wenig in prahlerische Effekthascherei, lässt Messer, Granaten und sonstige Geschosse majestätisch durchs Bild gleiten (idealerweise dabei explodierend, damit man sie genüsslich und von allen Seiten im Funkenregen ablichten kann), aber Laune macht das dennoch – oder gerade deswegen. Bereits bei seinem Kostümschinken FLYING SWORDS OF DRAGON GATE experimentierte Hark mit 3D-Effekten und gab sich schon dort erstaunlich versiert. Hier legte er noch mal einen Zacken drauf und schöpfte die sich bietenden Möglichkeiten der seit AVATAR populären Technik optimal aus: Ungewöhnliche Kamerawinkel und ein geschicktes Spiel mit Raum und Perspektive erschaffen einen im wahrsten Sinne des Wortes ungemein vielschichtigen Kosmos, der zu leben und zu atmen scheint. Manchmal wirkt es, als habe Hark, einem großem Kinde gleich, einfach wild alles Mögliche ausprobiert, um dann nur die Ergebnisse behalten, die am meisten Eindruck geschunden hatten. Dazu passt auch, dass THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN, volle 15 Jahre nach MATRIX, wie selbstverständlich wieder die 'Bullet-Time' verwendet (also Kamerafahrten um in der Zeit eingefrorene Objekte herum) – nicht, weil es zufälligerweise gerade mal wieder im Trend läge, sondern einfach nur, weil es Spaß macht und gut aussieht.

Die Exposition scheint, wenn auch nicht langweilig, zunächst ein wenig ziellos und in erster Linie der Präsentationen optischer Sperenzchen zu dienen. Sobald jedoch Shaos Mission beginnt, entwickelt sich ein schnurstracks geradeaus marschierendes, mitreißendes Stück Kino, das eine im Grunde klassische Undercover-Story erzählt – nur, dass der Cop hier gegen einen Soldaten und die Drogenhändler gegen eine Horde Plünderer ausgetauscht wurden. Trotz einer Länge von auffallend über zwei Stunden herrscht dabei zu keinem Zeitpunkt Leerlauf oder Lethargie; im Gegenteil entpuppt sich THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN als wahres Füllhorn ergreifender Ereignisse und imposanter Impressionen und gipfelt in einem perfekt inszenierten orgiastischen Orkan atemberaubender Action, bei dem die Klang- und Pyrotechniker Überstunden schoben und es zeitlupenzerdehnte Kopfschüsse im Minutentakt hagelt. Der finale Sprung zurück in die Moderne schließt die erzählerische Klammer und veranschaulicht mit leiser Melancholie und nostalgischem Schwelgen, wie vergangene Taten Einfluss nehmen können auf das Leben und Wirken nachfolgender Generationen, bevor ein ebenso augenzwinkernder wie bombastischer Abschluss das Publikum wieder in die Wirklichkeit entlässt.

An Chinas Kinokasse war man damit geradezu umwerfend erfolgreich; bereits nach einer Woche spielte das Werk fast 52 Millionen US-Dollar ein. Das ist den Machern durchaus zu gönnen, nicht nur, weil man es hier mit einem vorzüglich produzierten Opus zu tun hat, sondern weil dieses vor allem auch die endgültige Rehabilitierung seines Regisseurs bedeutet, der nach fulminantem Karrierestart begann, seinen Ruf als talentierter Visionär mit Ramschware wie ZU WARRIORS oder BLACK MASK 2 [beide von 2001] brutal zu zersägen. THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN hingegen ist tatsächlich wieder ein hochambitioniertes Leinwand-Werk und bietet exzellente Unterhaltung, wie man sie sich wünscht: packend, aufregend und von umwerfender cineastischer Wucht. Historisches Kampfgetümmel trifft auf cartoonesk überzogenen Abenteuer-Esprit irgendwo zwischen Steven Spielberg und TIM UND STRUPPI; der selbstreferenzielle Charakter wirkt sympathisch und unverkrampft, und der stark romantisierte Hintergrund glättet sanft den unterschwelligen Lobgesang auf Pathos und Heldenkult. Tsui Hark hat nicht nur den Tigerberg zurückerobert, sondern auch den Kino-Olymp.

Laufzeit: 141 Min. / Freigabe: ab 16

Dienstag, 7. Juli 2015

TERMINATOR - GENISYS


TERMINATOR – GENISYS
USA 2015

Regie:
Alan Taylor

Darsteller:
Arnold Schwarzenegger,
Emilia Clarke,
Jai Courtney,
J.K. Simmons,
Jason Clarke,
Sandrine Holt,
Byung-hun Lee,
Courtney B. Vance



„Genisys ist Skynet.“


Inhalt:

2029: Die Maschinen haben die Herrschaft übernommen und die Menschheit versklavt. Die Rebellenarmee unter der Führung John Connors [Jason Clarke] wehrt sich dermaßen tapfer, dass die Gegner beschließen, einen Killerroboter, den 'Terminator', in das Jahr 1984 zu schicken, um Johns Mutter Sarah zu töten und somit dessen Existenz auszulöschen. Doch Connor schläft nicht und schickt einen seiner besten Männer hinterher: Kyle Reese [Jai Courtney] begibt sich ebenfalls auf Zeitreise und soll das Attentat verhindern. Doch als er in der Vergangenheit aufschlägt, staunt er nicht schlecht: Sarah Connor [Emilia Clarke] ist keine schutzbedürftige Mimose, sondern ein taffes Mädel, das bestens mit der Knarre umgehen kann. Das hat auch einen Grund: Ein zweiter Terminator [ebenfalls: Arnold Schwarzenegger], einer von der guten Art, ist schon vor vielen Jahren bei Sarah aufgetaucht, um sie über die düstere Zukunft der Menschheit und die Rolle, die sie darin spielt, aufzuklären. So befindet sich Kyle urplötzlich in einer alternativen Realität, in welcher nicht nur altbekannte, sondern auch neue Gegner auf ihn warten – und ein leicht zwielichtiges Betriebssystem namens Genisys, das die Menschheit quasi vollkommen miteinander vernetzt hat.

Kritik:

„Ich komme wieder!“ ist eines der bekanntesten Zitate der Filmgeschichte. Der österreichische Bodybuilder Arnold Schwarzenegger wurde als aus der Zukunft angereiste Killermaschine zu einer Kultfigur, deren 1984 von James Cameron inszeniertes Leinwand-Debüt zu einem Meilenstein und die sieben Jahre später unter selber Regie entstandene Fortsetzung zu einer weltweit gefeierten Schau wegweisender Spezial-Effekte. Seitdem stagnierte die Reihe: Die 2003 und 2009 realisierten Nachfolger konnten den Großteil des Publikums nicht überzeugen und auch die Fernseh-Variante SARAH CONNOR CHRONICLES verschwand schneller wieder von der Bildfläche, als es den Machern lieb war. Aber ein ehemals funktionierendes Konzept mit etabliertem Namen und weltweiter Fangemeinde einfach so aufzugeben, kam aus Produzentensicht selbstverständlich nicht in Frage. So durfte der Terminator sein zitiertes Versprechen sechs Jahre nach seinem letzten Auftritt ein weiteres Mal wahrmachen – zeitlich durchaus passend, da Arnold Schwarzenegger, unbestrittenes Zugpferd der Reihe und untrennbar mit deren Erfolg verknüpft, gerade aus seinem Ausflug in die Politik zurückkehrte und nach ein paar als großes Comeback geplanten Flops ebenfalls händeringend nach einem neuen Kassenschlager suchte.

Die Aufgabe an die Autoren war dann auch gewiss keine leichte: Die einst durchaus innovative Story vom zukünftigen Kampf Mensch gegen Maschine in Kombination mit hintergründiger Zeitreise-Thematik war mittlerweile dermaßen ausgelutscht, dass es für eine weitere Variation eigentlich kaum noch Spielraum gab. So versuchte man sich schließlich an einer recht mutigen Mischung aus 'Zurück zu den Wurzeln' und gleichzeitigem Umbruch, bezog sich dafür direkt auf das 84er-Original, um es im selben Augenblick in Stücke zu hacken und somit die Weichen für einen Neubeginn zu stellen. Stets in dem Wissen, dass der Zuschauer um die Ereignisse des ersten Teils Bescheid weiß, ergibt das ein durchaus reizvolles Spiel mit Erwartungshaltung und Genrekonventionen, wenn hier mehrere Szenen erst 1:1 nach-, dann auf den Kopf gestellt werden. Die Idee, eine alternative Zeitlinie zu entwerfen, inklusive veränderter Varianten bereits bekannter Figuren, ist zwar keine sonderlich originelle, letztendlich jedoch die einzig tatsächlich noch mögliche (zumal bereits das in sich geschlossene Original vor inhaltlichen Widersprüchen strotzte). Und wenn der eigentlich als Beschützer in die Vergangenheit geschickte Kyle Reese in Sarah Connor zunächst ein hilfloses Opfer erwartet (ebenso wie das Publikum, immerhin kennt es die Geschichte bereits aus Teil 1), dann allerdings auf eine gestählte Kampfamazone trifft, die zunächst einmal ihm die Haut rettet, dann scheucht einem das schon ein Schmunzeln auf die Lippen, ist es doch zugleich auch ein wunderbarer Rapport über das deutlich veränderte Frauenbild im Actionkino von den 80er Jahren bis ins neue Jahrtausend.

Völlig geistlos ist das Konzept also bei Weitem nicht. Ungelenk zwischen die Stühle setzte man sich damit trotzdem. Denn anders als beispielsweise die zeitnah entstandenen Wiedergeburten MAD MAX – FURY ROAD oder JURASSIC WORLD, denen es gelang, sowohl als verspätete Fortsetzung, als auch als Erstkontakt für jüngere Generationen zu funktionieren, ist TERMINATOR – GENISYS ein heilloses Durcheinander, das Neueinsteiger so sehr verwirrt wie es Fans der ersten Stunde verärgert, werden die Ursprünge der Saga doch überwiegend mit Füßen getreten. Dabei sind gute Ansätze genügend vorhanden und gerade zu Beginn auch viele Momente sehr gelungen. Die anfängliche Schlacht Fleisch gegen Stahl ist angenehm brachial, die Optik sehnervkitzelnd, der Sound betäubend schön. Die Überleitung zur etablierten TERMINATOR-Thematik, die Wiederholung und Wiedererkennung bekannter Bilder und Begebenheiten und die zunächst noch ansprechend erscheinende Modifikation vertrauter Elemente können durchaus gefallen. Doch dann verzettelten sich die Autoren dermaßen in ihrem wilden Wust aus Paralleluniversen, abweichenden Zeitrechnungen und multiplen Realitäten, dass man bald jeden Versuch, in ihm doch noch so etwas Ähnliches wie Nachvollziehbarkeit zu entdecken, erschöpft aufgibt.

Dabei hätte das Ganze mit einem etwas aufgeräumteren Skript und ein wenig mehr Feinjustierung durchaus funktioniert. Doch anstatt die vorhandenen Möglichkeiten philosophischer Gedankenspiele zu nutzen, hetzt man atemlos von Schauplatz zu Schauplatz und entfesselt dabei einen Sturm aus Action und Effekten, der zwar kompetent in Szene gesetzt wurde, jedoch sinnlos verpufft, da eine klare Linie schlichtweg nicht erkennbar ist. Die zwischenzeitlichen Ruhepausen gerieten hingegen entsetzlich verlabert und nerven mit halbgaren Erklärungsversuchen, die zwar Gewitztheit vorgaukeln, tatsächlich jedoch lachhaft banal bleiben. So ist man dann auch für jeden neuen Krawall-Moment dankbar, obwohl auch diese keine Ausgeburt an Einfallsreichtum darstellen und bis zum Finale kaum variiert wurden: Obwohl die Protagonisten bereits beim ersten Mal feststellen, dass stupides Dauerfeuer die aus Flüssigmetall bestehenden Roboter-Gegner nicht aufhalten kann, fällt ihnen trotzdem nichts Besseres ein, als auch bei jedem weiteren Angriff einfach nur stur draufzuhalten und die Munition aus allen verfügbaren Rohren zu rotzen.

Der Terminator selbst verkommt nach der eiskalten Mordmaschine des Jahres 1984 und dem kuscheligen Kinderfreund des Jahres 1991 hier nun endgültig zum schrulligen Onkel, zu einer Art Vater-Ersatz für Sarah Connor, die ihn liebevoll Pops nennt, und klopft dazu einen ganzen Strauss bemüht lustiger Sprüche, die nur durch die nach wie vor charmante Darbietung Arnold Schwarzeneggers nicht völlig der Peinlichkeit anheimfallen. Die ständige Beteuerung, dass er zwar alt sei, aber nicht nutzlos, wird in dem Zusammenhang reichlich überstrapaziert. Und dass der zur Sympathiefigur umprogrammierte Titelheld in einer Szene einen Tanklaster zur Explosion bringt, um seine Gegner aufzuhalten, ist innerhalb des Gesamtkonzepts schon ein ziemlicher Patzer. Der Härtegrad wurde insgesamt zwar deutlich heruntergefahren und die sichtbare Gewalt richtet sich fast ausschließlich nur noch gegen Maschinen, dennoch bietet auch GENISYS ein paar saftige Horrorszenarien und recht splatterige Augenblicke. Dass die Bedrohung für die Menschheit nun kein Produkt von Aufrüstung und Waffenfanatismus mehr ist, sondern stattdessen das von weltweiter Vernetzung, ist einer der besseren Einfälle und eine ebenso konsequente wie logische Weiterentwicklung des Ursprungsgedanken, welche die Paranoia-Ängste einer ganz neuen Generation aufgreift und sinnvoll ins TERMINATOR-Universum integriert.

Letztendlich jedoch vertut GENISYS seine Chance, der festgefahrenen Fabel neues Leben einzuhauchen. Imposanter Action, nettem Leitmotiv und einigen hübschen Referenzen stehen inhaltliches Chaos, hanebüchene Erklärungen und durchschnittliches Schauspiel gegenüber. Dass man sich trotzdem ziemlich selbstbewusst aus dem Fenster lehnt, macht die Sache nicht unbedingt besser. Er sei nun ein „Upgrade“ behauptet der mittlerweile extrem großväterlich wirkende Terminator am Ende. Das mag stimmen. Aber ein Upgrade ist nicht immer automatisch auch gelungen. GENISYS mag nicht alt sein. Aber nutzlos.

Laufzeit: 122 Min. / Freigabe: ab 12