Eigene Forschungen

Montag, 23. Januar 2017

LAUF UM DEIN LEBEN


CORRI, UOMO, CORRI
Italien, Frankreich 1968

Regie:
Sergio Sollima

Darsteller:
Tomas Milian,
Donald O'Brien,
John Ireland,
Linda Veras,
Marco Guglielmi,
José Torres,
Luciano Rossi,
Nello Pazzafini



„Bring sie um! Mit Herz und Gefühl von mir aus. Aber möglichst viele!“


Inhalt:

Als der sympathische Tagedieb Cuchillo [Tomas Milian] nach einer nervenzehrenden Hatz durch die Sierra Nevada nach Hause zurückkehrt, hat er gleich schon wieder Pech und landet erneut schuldlos hinter Gittern. Dort trifft er den Revolutionsführer Ramirez [José Torres], der ihn bittet, ihn aus dem Gefängnis zu befreien. 100 Dollar winken dafür als Belohnung. Das lässt sich Cuchillo natürlich nicht zweimal sagen, und tatsächlich gelingt den Beiden trickreich die Flucht. Im Lager der Revolutionäre allerdings wartet schon der Bandit Riza [Nello Pazzafini] auf die Männer. Er ist auf das Gold scharf, das Ramirez zur Finanzierung der Revolution gegen den Diktator Diaz an einem geheimen Ort bunkerte. Es kommt zu einem Gefecht, in dem Ramirez getötet wird. Vorher jedoch überreicht er Cuchillo noch einen Zeitungsartikel, der Hinweise auf das Versteck enthält, und bittet ihn, das Gold vor den anderen Parteien in Sicherheit zu bringen. Und schon befindet sich Cuchillo wieder auf der Flucht, denn neben dem Banditen Riza sind nun auch noch der geheimnisvolle Ex-Sheriff Cassidy [Donald O'Brien] sowie die beiden französischen Killer Savigny [Marco Guglielmi] und Jean-Paul [Luciano Rossi] hinter ihm her.

Kritik:

In der überaus erklecklichen Masse an Italo-Western, die ab Mitte der 60er Jahre die Lichtspielhäuser befiel, befand sich fraglos auch jede Menge Mist und Mittelmaß. Brachte das Genre hingegen Höhepunkte hervor, dann waren es nicht selten absolute Hochkaräter, die Kritiker und Konsumenten gleichermaßen in die Hände klatschen ließen. Zu den besagten Glanzlichtern zählen ohne jede Frage die Beiträge von Regisseur Sergio Sollima, der mit DER GEHETZTE DER SIERRA MADRE [1966] und VON ANGESICHT ZU ANGESICHT [1967] zwei überragende Abenteuerepen schuf und dabei seiner Fabulierlust freien Lauf ließ. Bevor Sollima sich von den Revolverhelden abwandte, um stattdessen Killer und Piraten auf die Leinwand loszulassen, sollte der 1968 auf den Weg gebrachte LAUF UM DEIN LEBEN die Wildwest-Trilogie komplettieren. Zu diesem Zwecke griff er die Figur des Cuchillo wieder auf, der zwei Jahre zuvor von Lee van Cleef durch die Sierra Madre gehetzt wurde, und kreierte eine Handvoll neuer Herausforderungen für den herzlichen Halunken, der natürlich abermals in Gestalt seines Spezis Tomas Milian auftritt. Dieser mauschelt sich auch in der Fortsetzung des Kassenerfolgs in gewohnter Spitzbübigkeit durch das Geschehen und entkommt mal mit Glück, mal mit Verstand, überwiegend aber mit geschicktem Messerwurf jeder noch so lebensbedrohlichen Bredouille. Das macht zwar überwiegend Laune, die Klasse des grandiosen Vorgängers allerdings wird dabei dennoch nicht erreicht.

Die Gründe dafür sind gar nicht mal so einfach zu eruieren. Immerhin bietet Sollima auch hier wieder die volle Bandbreite an großen Panoramen, fetzigem Posaunenklang und revolutionärem Pulverdampf. Woran es hingegen mangelt, ist die erzählerische Dichte, welche die Vorgeschichte noch so ungemein packend werden ließ. LAUF UM DEIN LEBEN zerfällt dafür in mehrere Einzel-Episoden, die zwar stets durch die (fast schon obligatorische) Goldschatz-Hatz brauchbar zusammengekittet werden, auf Dauer aber ein wenig beliebig ums Eck kommen. Zudem fehlt es dieses Mal entschieden an einem kompetenten Kontrahenten. Milian spielt richtig gut, keine Frage, aber wirklich zur Geltung kommt sein Spiel eigentlich immer erst dann, wenn er es gegen einen würdigen Nebenbuhler einsetzen kann – eben einen wie den von Lee van Cleef verkörperten Kopfgeldjäger Jonathan Corbett, der ihn zwei Jahre zuvor noch durch die Berge scheuchen durfte. Hier heftete man Cuchillo zwar gleich einen ganzen Trupp an zwielichtigem Personal auf die Fersen, wirklich ernsthafte Konkurrenz ist für ihn allerdings nicht dabei. Nello Pazzifini [→ VIER FÄUSTE SCHLAGEN WIEDER ZU] als grobschlächtiger Bandit Riza erscheint als Klischee-Schurke von der Stange nicht wirklich gefährlich, und die beiden französischen Killer Jean-Paul [Luciano Rossi (→ DJANGO – UNBARMHERZIG WIE DIE SONNE)] und Michel [Marco Guglielmi (→ DER TEPPICH DES GRAUENS)] treten viel zu selten in Erscheinung, als das sie als ernstzunehmende Gegner gelten dürften. Am ehesten anfreunden kann man sich daher noch mit dem geheimnisvollen Ex-Gesetzeshüter Cassidy [Donald O'Brien (→ KEOMA)], der Cuchillo immer wieder mal über den Weg läuft und ihm auch einige Male (nämlich immer genau dann, wenn dem Drehbuch absolut nichts Besseres mehr einfällt) den mexikanischen Hintern retten darf.

Zudem geriet LAUF UM DEIN LEBEN insgesamt ein bisschen zu verspielt. Zwar besaß auch der Vorgänger eine nicht zu leugnende humorige Note, so leichtfüßig wie hier ging es nun allerdings auch wieder nicht zu. Wie sehr Scherz und Schrecken hier Hand in Hand gehen, verdeutlicht bereits eine Szene zu Beginn, als Cuchillo erst etwas Essbares aus einem Haus stibitzt, gemütlich kauend vor die Türe tritt, plötzlich bemerkt, dass er mitten in eine Exekution geplatzt ist und infolgedessen schleunigst die Beine in die Hand nimmt. Auch im weiteren Verlauf wird der amüsierte Grundton beibehalten. Nach Ankunft bei seiner Geliebten fängt sich Cuchillo erst einmal eine saftige Ohrfeige, bevor er verspricht, ihr ein schönes Begrüßungsgeschenk zu machen (das er allerdings erst noch stehlen muss). Und als der wegen seiner Erfolgsquote beim Messern von allen nur „Stechmücke“ genannte Tunichtgut seine Waffen ablegen soll, um gesiebte Luft atmen zu dürfen, gehen den Beamten angesichts der Fülle der zu Tage geförderten Klingen fast die Augen über. Selbst das Foltern verkommt hier zur launigen Schelmerei, wenn Cuchillo an einen Windmühlenflügel gefesselt ein paar unfreiwillige Runden drehen darf und immer, wenn er unten angekommen ist, gleich auch noch eine Schelle verpasst bekommt. Hin und wieder blitzen zwar mal leise Kapitalismuskritik oder sanfter Tadel an Staatswillkür und Machtmissbrauch auf (Geld und Gold verderben auch hier den Charakter, und die Beamten sind erneut inkompetent und korrupt), insgesamt jedoch beugen sich politische Stellungnahmen dieses Mal brav dem Spaß an der Freud.

Aber das ist ja auch gar nicht schlimm, denn Cuchillos zweite Hatz unterhält auch jenseits jeder Botschaft ganz und gar prächtig. Für zusätzliche Komik (und etwas sexy Salz in der Suppe) sorgen die beiden weiblichen Sidekicks, die zwar zugegebenermaßen ein wenig frauenfeindlich gezeichnet wurden, was aber bei der ganzen permanenten Augenzwinkerei nun nicht wirklich negativ ins Gewicht fällt. Als heißblütige Dolores sieht man Chelo Alonso [→ ZWEI GLORREICHE HALUNKEN], die Cuchillo um jeden Preis ehelichen möchte, ihm aber zwischen ihren Liebesschwüren eine Maulschelle nach der nächsten verabreicht und in bester Sadomaso-Manier erst dann wieder gefügig wird, wenn dieser gepflegt zurückscheuert. An ihrer Seite erlebt man Linda Veras [→ SABATA] als strenggläubige Heilsarmee-Angehörige Penny, die Cuchillo quasi vom Wegesrand weg als neuen Assistenten engagiert (den alten verscharrte sie bei ihrer ersten Begegnung gerade im Sand) und aufgrund ihrer übertriebenen Prüderie und Naivität einige Lacher einheimsen kann.

LAUF UM DEIN LEBEN endet nach einem wunderbaren Showdown mit reichlich Schuss- und Stichwaffengebrauch mit einem wohlvertrauten Bild: Cuchillo ist frei, aber wieder auf der Flucht. Offenbar hielt man sich die Option für ein weiteres Abenteuer offen. Dass es nie dazu kam, bietet durchaus Anlass zum Bedauern. Denn auch, wenn Cuchillos zweiter Auftritt hinter seinem Debüt zurückstecken muss und die Regie Sollimas hier deutlich weniger ambitioniert daherkommt, so bleibt die ganze Angelegenheit doch eine überaus gelungene Veranstaltung mit Pfiff, Schliff und gern gesehenen Genre-Gesichtern. Kein Grund zum Weglaufen!

Laufzeit: 115 Min. / Freigabe: ab 12