Eigene Forschungen

Freitag, 12. Dezember 2014

DER HOBBIT - DIE SCHLACHT DER FÜNF HEERE


THE HOBBIT – THE BATTLE OF THE FIVE ARMIES
USA, Neuseeland 2014

Regie:
Peter Jackson

Darsteller:
Martin Freeman,
Richard Armitage,
Orlando Bloom,
Lee Pace,
Benedict Cumberbatch,
Luke Evans,
Evangeline Lilly,
Aidan Turner



Inhalt:

Der Hobbit Bilbo Beutlin [Martin Freeman] hat gemeinsam mit Thorin Eichenschild [Richard Armitage] und seiner Schar von Zwergen den Einsamen Berg erreicht und den sagenumwobenen Goldschatz seines Volkes zurückerobern können. Doch erzürnten sie dabei den gefährlichen Drachen Smaug [Benedict Cumberbatch], welcher nun in Richtung Seestadt fliegt, um sich an den Menschen zu rächen und alles in Schutt und Asche zu legen. Unter der Führung des tapferen Fährmanns Bard [Luke Evans] flieht das Volk der Menschen in die Berge. Währenddessen formiert sich eine Elbenarmee, um von Thorin einen Teil des Schatzes zu forden. Obwohl dieser einst sein Ehrenwort gab, verfällt er dem Goldfieber und wird seinem Versprechen untreu. Stattdessen sucht Thorin wie besessen den legendären Arkenstein, einen der wertvollsten Juwelen überhaupt. Der Stein jedoch befindet sich im Besitz Bilbos. Während sich die Elben zum Krieg rüsten, versucht Bilbo mithilfe eines geschickten Handels das große Blutvergießen zu verhindern.

Kritik: 

Nachdem für den Hobbit Bilbo Beutlin EINE UNERWARTETE REISE begonnen hatte, die ihn unter anderem auch durch SMAUGS EINÖDE führte, findet er sich schließlich in der SCHLACHT DER FÜNF HEERE wieder, die das finale Kapitel der HOBBIT-Trilogie einläutet und die in den Vorgängern so lustvoll ausfabulierte Geschichte in überlangem brachialem Kampfgedonner kulminieren lässt. Das führt zu jeder Menge Krach und strotzt nur so vor aberwitzigen Momenten, führt einem im selben Augenblick jedoch auch noch mal deutlich vor Augen, wie sehr man aus einer Buchmücke einen Kinoelefanten gemacht hat. Die größtmögliche Auswalzung einer in der literarischen Vorlage doch sehr überschaubaren Geschichte auf drei überlange, durch ihren verschachtelten Aufbau, theatralischen Dialog und Hang zur großen Geste stets Tiefsinnigkeit behauptende Leinwand-Epen zollt nun ihren Tribut, läuft letztendlich doch alles auf eine höchst banale Schlusspointe hinaus: Alles haut sich auf die Goschn, bis keiner mehr steht.

Um dieses möglichst ausladend zelebrieren zu können, wird zunächst der in Teil 2 in konzentrierter Akribie aufgestaute Konflikt mit dem Drachen Smaug [Benedict Cumberbatch] auf fast schon grotesk anmutende Weise in einer simplen Fußnote abgehandelt und klärt sich dermaßen hurtig, dass er bereits bei Titeleinblendung kein Thema mehr ist. Bedenkt man, wie sehr dieser Charakter und die angeblich von ihm ausgehende Gefahr den Vorgänger dominierten, ist dieser Umstand doch zumindest irritierend. Der Rest der Spielzeit beschreibt die unaufhaltsame Zuspitzung einer kriegerischen Kollision, die schließlich in dem titelgebenden Großereignis mündet. Dieses ist dann auch erwartungsgemäß von ausufernder Gigantomanie und fackelt ein aberwitziges Feuerwerk absurder Situationen ab, oft gefährlich nah an der Grenze zur Selbstpersiflage, manchmal auch deutlich darüber hinaus – eine pompöse, kaum enden wollende Pixel-Parade mit Cartoon-Charakter und ohne Scheu vor Übertreibung und Exzess.

Dass ein solches Massenspektakel seinen kolossalen, sich über zwei ausladende (wenn auch großartig inszenierte) Kinoabenteuer erstreckenden Vorbau eigentlich gar nicht nötig gehabt hätte, darf kaum bezweifelt werden. Umso ernüchternder ist es da, dass einem nach zwei Vorläufern auch die in die Schlacht verwickelten Charaktere größtenteils noch immer gleichgültig sind. Wer den Löffel reicht oder mit heiler Haut davonkommt, interessiert kaum; die Protagonisten bleiben belanglose Schießbudenfiguren. Lediglich Zwergenkönig Thorin Eichenschild erhält so etwas Ähnliches wie Profil, droht er doch angesichts angehäufter Reichtümer auf die böse Seite gezogen zu werden. Aber auch dieser Konflikt löst sich alsbald ebenso schnell wieder in Rauch auf, wie er gekommen ist, ohne, dass es großartig Konsequenzen hätte. Ähnlich verhält es sich mit dem im Vorgänger begonnenen, ohnehin reichlich unmotivierten Liebesgeplänkel zwischen der Elbin Tauriel [Evangeline Lilly] und dem Zwerg Kili [Aidan Turner], dessen Auflösung sich schließlich als ärgerliche Banalität am Rande der Lächerlichkeit entpuppt.

Bilbo Beutlin, immerhin Namensgeber der Trilogie, verkommt indes dermaßen zur Randfigur, dass man schon beinahe überrascht ist, wenn er sich mal wieder ins Bild schiebt. Martin Freeman, obwohl quasi perfekt besetzt, bekommt somit auch abermals kaum Gelegenheit, sein Potential voll auszuspielen, bleibt stattdessen eine zwar ulkige, doch auffallend unterentwickelte Nebenrolle, von der man am Ende schlichtweg gern mehr gesehen hätte. Der Epilog, in dem er schließlich in sein Heimatdorf zurückkehrt, wirkt nach der vorhergehenden stundenlangen Schlachtplatte daher auch merkwürdig fehl am Platze und mag sich nicht so recht ins Gesamtbild einfügen. Die Auftritte der übrigen bekannten Charaktere, allen voran Saruman [Christopher Lee], Elrond [Hugo Weaving] und Galadriel [Cate Blanchett], erwecken derweil den Eindruck einer reinen Pflichtabhandlung, inhaltlich nicht unbedingt zwingend notwendig, oftmals lediglich vorhanden, um Querverbindungen zum aufgebauten Universum herzustellen oder simplen Fan-Service zu betreiben.

Hat man jedoch erst einmal akzeptiert, dass man es hier nicht mit einem zweiten DER HERR DER RINGE zu tun hat, bereitet der Abschluss der HOBBIT-Trilogie allen Defiziten zum Trotze doch ausnehmend viel Vergnügen. Da sich offenbar wohl auch die Macher im Klaren darüber waren, hier kein keinen neuen Meilenstein in die Filmgeschichte zementieren zu können, würzten sie ihren finalen Schlag mit einer gehörigen Portion Selbstironie, die das brachiale Geschehen ausreichend auflockert und über weite Strecken angenehm bei Laune hält. Den Rest besorgen die zweifellos überragenden Schauwerte, welche allein schon die bombastgeschwängerte Abschlussepisode zur sehnervkitzelnden Feierlichkeit werden lassen. Dramaturgisch insgesamt sicherlich schon allein aufgrund der Inkompatibilität innerhalb des Gesamtkonzepts gescheitert, erzählerisch gleichzeitig vor jeder Raffinesse kapitulierend, reiht DIE SCHLACHT DER FÜNF HEERE stattdessen in tricktechnischer Vollendung Attraktion an Attraktion, um sein Publikum als Wiedergutmachung für mangelnde Substanz zumindest mit eminentem Pomp erschlagen zu können, und ist dabei auf fast schon unverschämte Art und Weise enorm unterhaltsam.

Ein deutlich erhöhter Trash-Gehalt und endgültig eingezogene Trivialität lassen sich kaum leugnen; in visueller und tricktechnischer Hinsicht ist das abschließende HOBBIT-Abenteuer jedoch nach wie vor überragend und spielt außerhalb jeder Konkurrenz. Die ausschweifenden Prachtpanoramen erfreuen das Auge, das tollkühne Kampfgetümmel sättigt die Sensationslust, und der bildgewordene Wahnwitz macht mächtig Laune. Ob man ein 300-Seiten-Buch auf insgesamt ungefähr 500 Filmminuten hätte ausdehnen müssen? Gewiss nicht. Aber großartig geschadet hat es eigentlich auch nicht.

Laufzeit: 144 Min. / Freigabe: ab 12

Samstag, 18. Oktober 2014

LIEBE UND TOD IM GARTEN DER GÖTTER


AMORE E MORTE NEL GIARDINO DEGLI DEI
Italien 1972

Regie:
Sauro Scavolini

Darsteller:
Erica Blanc,
Peter Lee Lawrence,
Franz von Treuberg,
Ezio Marano,
Orchidea de Santis,
Rosario Borelli,
Vittorio Duse,
Bruno Boschetti



Inhalt:

Ein alternder Vogelkundler [Franz von Treuberg] mietet sich in einer abgelegenen Villa ein, um im angeschlossenen Garten nach seltenen Vogelarten forschen zu können. Bei einem Spaziergang im Wald findet er eines Tages zufällig ein paar alte Tonbänder, die er mit ins Haus nimmt, reinigt und schließlich abhört. Auf den Bändern befindet sich die Aufzeichnung der psychoanalytischen Sitzung einer Frau names Azzurra [Erica Blanc], die mit ihrem Arzt über ihren erfolgten Selbstmordversuch spricht. Er wird faszinierter Zuhörer einer Geschichte über die inzestiöse Hassliebe zwischen ihr und ihrem Bruder Manfredi [Peter Lee Lawrence] und das ebenfalls gestörte Verhältnis zu ihrem Ehemann Timothy [Rosario Borelli], die schließlich in Tod und Verderben gipfelt, in deren Ende der Professor selbst verwickelt sein wird.

Kritik:

LIEBE UND TOD IM GARTEN DER GÖTTER – das ist ein Titel, den man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen muss und der bereits im Vorfeld abenteuerlichste Assoziationen zu wecken vermag. Von ähnlich rätselhafter Poesie ist dann auch das Werk an sich, das, stets schwankend zwischen Anmut und Abgrund, von verhängnisvollen Liaisons und unerfüllten Leidenschaften berichtet, freilich ohne es seinem Publikum dabei allzu einfach zu machen. Die von Regisseur Sauro Scavolini (der ansonsten überwiegend als Autor in Erscheinung trat) höchst nonkonform komponierte und präsentierte Erzählung verweigert sich gewohnten Schablonen, bedient sich psychoanalytischer Ideen, kombiniert sie auf verschrobene Art und Weise mit unterschwelligen Abhandlungen über Faschismus und Machtmissbrauch und schmeckt sie ab mit einer gehörigen Portion extravagantem Eigensinn. Mit dem, was in Deutschland für gemeinhin als 'Giallo' bezeichnet wird, teilt sie sich somit am Ende im Prinzip lediglich noch eines der Kernelemente: den menschlichen Sexualtrieb als Initiator blutiger Ereignisse. Stilistisch und narrativ hingegen fällt sie nahezu völlig aus bekanntem Rahmen.

So gestaltet sich die Zuordnung, käme man denn in die Verlegenheit, das Werk wirklich in eine bestimmte Schublade drücken zu müssen, auch denkbar schwierig. Wer 
‚Giallo‘ sagt, befindet sich nun nicht vollkommen im Unrecht, doch liegt der Fokus insgesamt dermaßen selten auf der Kriminalkomponente, dass sie zeitweise fast dem Vergessen anheimfällt. Wer ‚Drama‘ sagt, der liegt auch nicht komplett daneben, wird dem komplexen psychologischen Hintergrund damit jedoch kaum gerecht. Und wer ‚Psychothriller‘ sagt, ist vermutlich noch am dichtesten dran an der Wahrheit, trifft den Kern allerdings auch nicht so wirklich. Denn LIEBE UND TOD IM GARTEN DER GÖTTER ist eben auch kein Nervenzerrer, der einen vor Spannung vibrieren lässt, sondern vielmehr eine morbide Reise in die menschliche Seele, deren grundsätzlicher Verzicht auf klassische Spannungsdramaturgie einem einiges an Geduld abverlangt.

„Freudianisch“ ist ein Wort, das einmal innerhalb eines Dialoges fällt und geradezu dazu prädestiniert ist, auch als Stempel auf dem Gesamtprodukt zu prangen. Doch werden die populären Theorien der Psychoanalyse dabei nicht etwa ausschließlich als banale Mordmotiverklärungen genutzt wie bei vielen zeitnah entstandenen Beiträgen aus dem Krimi-Bereich, sondern als Aufhänger für eine tiefschürfende Seelenreise, deren Rätsel erst noch entschlüsselt werden müssen und deren flirrende Inszenierung zu permanenter Irritation und unterschwelliger Unruhe führt. Im einen Augenblick unstet und nervös zuckend per Handkamera gefilmt, im nächsten dann wieder starr, geerdet und von fast schon quälender Statik, erspinnt Scavolini ein intelligent verschachteltes (alp-)traumartiges Mosaik miteinander verknüpfter Einzelschicksale, das auf drei verschieden Ebenen (der gehörten, der erzählten und der erlebten) scheinbar mühelos durch Zeit und Raum springt und Vergangenheit und Gegenwart sich im ständigen Wechsel begegnen lässt.

Dazu gesellt sich allerlei visueller Schabernack in Form von ungewöhnlichen Kameraperspektiven (z. B. von oben oder durch einen Spiegel), subjektiver Sicht (ein weiteres Überbleibsel des klassischen Giallo) und Parallelmontagen, bei denen Bewegung und Stillstand sich die Hände reichen. Und doch wird das Werk trotz allem zweifelsfrei vorhandenem künstlerischen Anspruch zu keinem Zeitpunkt unangenehm prätentiös, herrscht doch ganz im Gegenteil trotz aller filmischer Raffinessen ein geradezu trister, dokumentarischer Stil, der auf unnötige Arrangements vollkommen zu verzichten scheint. Dazu passt dann auch, dass selbst die dezenten Spuren von Erotik und Nacktheit niemals voyeuristisch ausgeschlachtet, sondern vielmehr wie eine zwingend notwendige Komponente wirken.

Auch die Akteure passen sich den zeitweise fast schon naturalistischen Bedingungen an: Die Darsteller agieren hier nicht, sie sind. Hier gibt es keine Schauspieler, so scheint es, nur echte Menschen, die sich ziellos durch ein unterkühltes, humorfreies Szenario bewegen. Diese Menschen hören in zentralen Funktionen auf die Namen Erica Blanc [→ DAS GEHEIMNIS DER BLONDEN KATZE], die gleichwohl als hilfloses Opfer wie auch als mörderisches Biest auftreten muss und – zumindest in manchen Augenblicken – auch als angsteinflößende geisterhafte Schreckgestalt erscheint, sowie Peter Lee Lawrence [→ EIN COLT FÜR HUNDERT SÄRGE], der in Deutschland als Karl Otto Hirenbach geboren wurde und hauptsächlich in Italo-Western zu sehen war, wofür er aufgrund seines jungenhaften Äußeren häufig belächelt wurde. Tatsächlich könnte man sich einen steileren Kontrast zu seinen Heldenrollen kaum vorstellen, den in hilfloser Verzweiflung gefangenen Strauchler spielt er sagenhaft authentisch.

Eine deutsche Sprachfassung blieb Scavolinis Werk verwehrt; die hiesigen Verleiher interessierten sich seinerzeit nicht für den schwerfälligen Bastard, der zu viel Hirnschmalz erforderte und zu wenig marktschreierisches Potenzial bot. Überraschend ist das kaum: In Zeiten, in denen längst DER KILLER VON WIEN und DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE in wesentlich reißerischer Aufmachung mit Handschuh und Rasiermesser durch die Kinosäle tobten, dürfte für eine verkopfte Auseinandersetzung über Trieb und Wahn kaum Platz gewesen sein. Da hätte es auch nicht geholfen, dass gegen Ende durchaus blutig auf eine von rohen Gewaltmomenten durchzogene Klimax zugesteuert wird. LIEBE UND TOD IM GARTEN DER GÖTTER bleibt ein sperriges, ein befremdliches, ein verstörendes Kunstwerk, das immer wieder mit Erwartungen spielt, um sie dann wieder zu unterlaufen, das hier und da immer wieder kleine Schocks verteilt, um einen nachfolgend wieder in vermeintlicher Alltagssicherheit zu wiegen. Das ist auf Dauer in seiner normkonträren Art durchaus faszinierend, doch lässt einen im gleichen Maße auch seltsam leer und unbefriedigt zurück.

Der Gang durch den Garten der Götter empfiehlt sich daher in erster Linie für Interessenten des ungewöhnlichen Euro-Kinos der 70er Jahre sowie ausgemachte Freunde der Psychoanalyse.

Laufzeit: 86 Min. / Freigabe: ab 16

Dienstag, 14. Oktober 2014

47 RONIN


47 RONIN
USA 2013

Regie:
Carl Rinsch

Darsteller:
Keanu Reeves,
Hiroyuki Sanada,
Tadanobu Asano,
Rinko Kikuchi,
Cary-Hiroyuki Tagawa,
Rick Genest,
Yorick van Wageningen,
Haruka Abe


„Wo hast du kämpfen gelernt?“ - “Bei Dämonen.“


Inhalt:

Im feudalen Japan wird das jugendliche Halbblut Kai [Daniel Barber] vom gütigen Fürst Asano [Min Tanaka] vor dem Tode gerettet und in seinen Hofstaat aufgenommen. Dort wächst er zum Mann heran [nun: Keanu Reeves], der wie besessen um seinen Status als echter Samurai kämpft, von den anderen aufgrund seiner Herkunft jedoch nicht akzeptiert wird. Als Fürst Asano einer Intrige des feindlichen Fürsten Kira [Tadanobu Asano] zum Opfer fällt und hingerichtet wird, reißt dieser die Macht an sich und degradiert Asanos treue Samurai zu herrenlosen Kriegern, den Rōnin. Ziellos ziehen diese nun durch die Wälder, bis sie, unter der Führung des tapferen Ôishi [Hiroyuki Sanada] beschließen, den Tod Asanos zu rächen. Doch die Geliebte des bösen Kiras, die Zauberin Mizuki [Rinko Kikuchi], ist ihnen stets auf den Fersen. Für Kai schlägt nun die Stunde der Bewährung.

Kritik:

2013 frönte der ewige MATRIX-Star Keanu Reeves völlig unverfroren seiner Liebe zu asiatischen Stoffen und brachte innerhalb kürzester Zeit zwei hochambitionierte Projekte östlicher Prägung auf die Leinwand. Das eine war sein durchaus beachtliches Regiedebüt MAN OF TAI CHI, das gerade durch seine unaufgeregte Präsentation und Bescheidenheit überzeugen konnte, und das andere eben 47 RONIN, die CGI-geschwängerte Aufarbeitung eines uralten japanischen Mythos', in welcher er allerdings keine Führungsposition übernahm, sondern lediglich als Darsteller und somit Zugpferd für das westliche Publikum agierte.

„Wer die Geschichte der 47 Rōnin kennt, kennt die Geschichte Japans“, verkündet die Tonspur während der von mystisch angehauchten Bildern untermalten und epische Breite versprechenden Einleitung in verheißungsvollem Überschwang. Nun mag das womöglich durchaus der Wahrheit entsprechen, als Referenz für Regisseur Carl Rinschs Kinodebüt allerdings taugt diese Aussage herzlich wenig. Gut zwei Stunden und mehrere Schwertkampfszenarien später nämlich ist klar, dass man weder über die herrenlose Samurai-Truppe, noch über das Land der aufgehenden Sonne ernsthaft etwas dazugelernt hat. Der Umstand, dass die Ereignisse um die militante Rächer-Brigade mit reichlich Fantasy-Elementen angereichert wurden, disqualifiziert 47 RONIN natürlich ohnehin als seriöse Geschichtslektion, obwohl eine solch realitätskonträre Aufbrezelung im Prinzip gar nicht nötig gewesen wäre: Die historisch verbürgte Geschichte der 47 Krieger, die mit List und Tücke den Tod ihres Fürsten vergelten, bietet bereits von sich aus alle notwendigen Zutaten für anständiges Kinofutter.

In ihrem Heimatland ist die Erzählung wohlbekannt und gilt als Inbegriff für nationale Tugenden wie Ehre und Treue: Im Jahre 1701 demütigte Zeremonienmeister Kira den Fürsten Asano so lang in aller Öffentlichkeit, bis dieser sich per Gewaltandrohung zur Wehr setzte - ein Vergehen, dass am Hofe der Burg Edo mit dem Tode geahndet wurde. Asano beging mit offizieller Genehmigung Seppuku, den rituellen Ehrentod, seine Samurai wurden zu herrenlosen Rōnin degradiert. Doch 47 von ihnen verschworen sich unter der Führung Ōishi Kuranosukes in einem Rachegelübde und firmierten sich mit dem Ziel, den an der Misere schuldigen Kira zu ermorden. Durch geschickte Täuschungsmanöver verschleierten sie die Gefahr, die von ihnen ausging, gaben sich unfähig und harmlos, während sie heimlich trainierten, Waffen produzierten und Angriffspläne austüftelten. Ihr Überfall auf die streng bewachte Festung Kiras schließlich erfolgte dann ebenso überraschend wie präzise durchorganisiert und lieferte den Feind erfolgreich ans Messer.

Der Hauptgrund für die spätere Legendenverklärung war dabei weniger die Tat an sich, als vielmehr der Umstand, dass die Männer von Anfang an dazu bereit waren, sich nach Ausführung des Plans freiwillig dem Shōgunat zu stellen. Da ihnen die Blutrache verboten war, stand das Urteil bereits von vornherein fest - der eigene Tod wurde als zwingend notwendiger Preis für die Vergeltung ihres Herren in Kauf genommen. Die offiziellen Stellen befanden sich nun im Zwiespalt, denn einerseits wurde gegen das Gesetz verstoßen, andererseits wurde aber auch der Bushidō befolgt, der Verhaltenskodex des Militäradels, der die Rache am Tode des eigenen Fürsten legitimierte. So starben die Rōnin schließlich, wie ihr Herr, als Ehrenmänner durch die eigene Hand und wurden in Würden zu Grabe getragen.

Bereits diese Zusammenfassung verdeutlicht die Komplexität des Themas, die für westliche Gemüter oft nur schwerlich zu begreifen ist. Die japanische Angst vor dem Gesichtsverlust, die psychologisch kompliziert verschachtelten Prinzipien von Ehre und Treue, das alles erntet in nichtasiatischen Gefilden oftmals bloß stirnrunzelndes Unverständnis. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist es dann doch wieder gar nicht so sehr verwunderlich, dass 47 RONIN die Geschichte durch den Phantastikfleischwolf drehte und die Grundprämisse durch eine deutliche simplere Gut-Böse-Schablone ersetzte. So wird der feindliche Kira hier vom Zeremonienmeister zum intriganten Fürsten, zu einer denkbar banalen Schurkenfigur, deren Motiv sich bereits im Besitz- und Machtstreben erschöpft.

Doch auch die Beweggründe der titelgebenden Rōnin bleiben überwiegend im Verborgenen. Welchen Preis sie für ihre Rache zu zahlen bereit sind und aus welchen Gründen sie sich dafür freiwillig einem solchen Risiko aussetzen, das alles wird doch eher unzureichend ausgearbeitet, so dass die tiefere Bedeutung des Geschehens hinter den blitzeblank polierten Prachtpanoramen verschwindet. Denn mag 47 RONIN auch an der Aufgabe scheitern, dem Publikum die Hintergründe einer japanischen Legende überzeugend zu vermitteln, sauberes Abenteuerkino mit Hang zur ausschweifenden Opulenz bleibt er dennoch. Stets am Look der asiatischen Vorlagen orientiert, erschuf das Team um Kameramann John Mathieson [→ GLADIATOR] glanzvolle, in ausladenden Landschaftsaufnahmen und aufwändiger Ausstattung schwelgende Bilder und kreierte auf diese Weise, tatkräftig unterstützt von einer üppigen Ladung visueller Effekte, eine märchenhafte Traumwelt voller Monster und Magie.

Und so stromern die titelgebenden Protagonisten durch verwunschene Wälder oder eine aus miteinander vertauten Schiffen bestehende Wasserstadt, um außer gegen den bösen Fürsten Kira auch gegen Dämonen, Hexen und Drachen zu kämpfen. Das führt zwar nie zum großen Nägelknabbern, besitzt jedoch einigen Unterhaltungswert, auch wenn die Kampfsequenzen zugegebenermaßen keine wirklich durchdachte Choreographie und aufgrund einer offenbar angestrebten Familientauglichkeit auch wenig blutige Resultate erkennen lassen. Die Fantasy-Einschübe indes funktionieren erstaunlich gut, zumal sie stets auch sinnbildliche Interpretationen zulassen: Hexe Mizukis Fähigkeiten zur Verzauberung sind somit eine Metapher für ihre Verführungskunst, Kais Ringen mit einer riesigen Waldbestie gilt tatsächlich der Zähmung seiner inneren Wut und sein späterer Kampf gegen leibhaftige Dämonen ist in Wahrheit der gegen seine eigenen.

Die Rolle des Halbbluts Kai wurde der Handlung natürlich lediglich hinzugefügt, um dem Zuschauer ein bekanntes Gesicht bieten zu können, in diesem Falle das von Keanu Reeves [→ IM AUFTRAG DES TEUFELS]. Auch, wenn es bei genauerer Betrachtung ein wenig vermessen erscheinen mag, einen der damaligen Rōnin ohne Not durch einen Hollywood-Star zu ersetzen, wurde die Figur glaubwürdig integriert und trägt zur Entwicklung bei: Kais Streben nach Anerkennung und Akzeptanz als echter Samurai seiner Herkunft zum Trotze, seine zarten, doch unerlaubten Liebesbande zur Tochter des Fürsten Asano und seine Identitätskrise nach der Aberkennung seines Status' dienen als zwar stereotype, doch funktionierende Aufhänger zur Identifikation mit dem Publikum. Daran, dass Reeves selbst mit wildem Bartwuchs und zerzauselter Haarpracht immer noch aussieht wie gerade frisch aus dem Ei gepellt, hat man sich inzwischen gewöhnt.

Dass die restlichen Rollen tatsächlich mit asiatischen Darstellern besetzt wurden, stellt ein durchaus mutiges Zugeständnis dar, auch wenn deren Gesichter im Hollywood-Kino überwiegend keine vollkommen unbekannten mehr sind. Tadanobu Asano [→ BATTLESHIP] gibt den Bösewicht reichlich klischeehaft, böse bis ins Mark und stets mit höhnischem Grinsen auf den Lippen. Hiroyuki Sanada [→ LAST SAMURAI] verkörpert Ôishi, den Anführer des Verschwörer-Vereins, der laut Drehbuch eine Zeit lang mit Keanu Reeves im Clinch liegen darf. Rinko Kikuchi [→ PACIFIC RIM] ist als manipulierende Zauberin Mizuki so zuckersüß, dass akute Kariesgefahr besteht. In einer weiteren Rolle als richtenden Shogun Tsunayoshi sieht man Cary-Hiroyuki Tagawa, der sonst überwiegend in B-Ware wie KICKBOXER II unterwegs ist.

47 RONIN scheitert zwar an seiner eigentlichen Ambition, kann in bescheidenerem Maße jedoch durchaus überzeugen. Der optisch überaus reizvolle Ausflug in eine magische Parallelwelt geriet zu einer gesunden Mischung aus asiatischen und amerikanischen Ideen und nötigt einem in seiner doch sehr konsequenten und risikobereiten Zielsetzung einigen Respekt ab. Dass die Computertricksereien dabei nicht restlos überzeugen können, ist gar nicht so tragisch, unterstützt dieses doch, wenn auch vermutlich eher ungewollt, den abstrakten Comicstil. Dass das Projekt jedoch rund 200 Millionen Dollar verschlungen haben soll, lässt jeden kompetenten Kalkulationsplaner mit den Knien schlottern. So ist es keine Überraschung, dass das Werk an den Kassen brutalen Schiffbruch erlitt – noch zuverlässiger lässt sich ein Flop eigentlich kaum programmieren.

Wer die Geschichte der 47 Rōnin kennt, kennt die Geschichte Japans. Interessierte sollten daher zu einschlägiger Literatur greifen. Wer 47 RONIN kennt, kennt immerhin eine weitere Geschichte Hollywoods. Und gar nicht mal die schlechteste.

Laufzeit: 114 Min. / Freigabe: ab 12

Montag, 29. September 2014

TI LUNG - DUELL OHNE GNADE


DA JUE DOU
Hongkong 1971

Regie:
Chang Cheh

Darsteller:
Ti Lung,
David Chiang,
Ku Feng,
Yang Chi-Ching,
Cheng Kang-Yeh,
Chuan Yuan,
Yue Wai,
Wang Ping



Inhalt:

Der alternde Gangsterboss Shen Tian Hung [Yeung Chi-Hing] genießt höchstes Ansehen, und zwar nicht nur das seiner Söhne Tang Ren Jie [Ti Lung], Tang Ren Lin [Ku Feng] und Gan Wen Bin [Chuen Yuen]. Als ein vernichtender Schlag gegen den verfeindeten Liu-Clan geplant ist, holt Wen Bin zur Unterstützung den Kämpfer Jian Nan [David Chiang] hinzu. Ren Jie misstraut diesem zwar von Anfang an, doch Nan erhält den Segen seines Vaters. Der Plan gelingt – lediglich Liu Shou Yi [Hoh Ban], der Boss der gegnerischen Bande, kann dem Gemetzel entkommen. Als Shen bei der anschließenden Siegesfeier seinen Rückzug bekannt gibt, wird das Gasthaus von einer von Shou Yi engagierten Killerhorde überfallen. Zwar können die Angreifer besiegt werden, doch Boss Shen bezahlt mit seinem Leben. Um die Behörden ruhig zu stellen, beschließt man, dass jemand die Verantwortung für das Massaker übernehmen muss. Die Wahl fällt auf Ren Jie – dieser soll für drei Jahre die Stadt verlassen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Ren Jie macht er sich auf den Weg und lässt nicht nur seine Familie, sondern auch seine Verlobte Hu Di [Wang Ping] zurück. In der Ferne nimmt er eine neue Arbeit an, muss sich jedoch plötzlich gegen eine Handvoll Killer erwehren. Sein neuer Boss ist offenbar in das Komplott verstrickt – nach einer Tracht Prügel erfährt er von ihm, dass der Mordauftrag von Wen Bin kam. Fassungslos über den Verrat seines eigenen Bruders kehrt er in die Heimat zurück. Dort ist Wen Bin mittlerweile zum neuen Boss aufgestiegen und beherrscht die ganze Gegend. Ren Lin, welcher von Wen Bin mit falschen Anschuldigungen ins Gefängnis gebracht wurde, ist nur noch eine Schnapsleiche, seine Verlobte Hu Di wurde ins Bordell verfrachtet. Ren Jie sinnt auf Rache. Doch welche Rolle spielt der geheimnisvolle Jian Nan, der ihm immer wieder über den Weg läuft?

Kritik:

Heidewitzka, hier geht so richtig die Post ab! Die Shaw Brothers machen mal wieder ein richtig großes Fass auf und lassen eine derartige Megasause vom Stapel, dass selbst der Katze vom ollen Schmidt dabei die Puste ausgeht. Dem Titel darf an dieser Stelle ruhig Glauben geschenkt werden, denn wenn Zugpferd Ti Lung sich mit übergroßen Messern, Beilen und Äxten ins brutale Gefecht stürzt, um seine Feinde gleich reihenweise niederzumähen, dann fliegen buchstäblich die Fetzen: Unermüdlich werden die gewaltigen Klingen ins Fleisch gehackt, kein Leib bleibt ungeschoren bei dem infernalen Gemetzel, das Blut suppt wie blöde, die Leichenberge wachsen ins Unermessliche, und alle fünf Minuten gibt es wieder einen neuen guten Grund, die Klingen zu wetzen und sich gegenseitig die Eingeweide rauszuschnetzeln.

Das alles geriet so rasant, so mitreißend und berauschend gewalttätig, dass sich die eigentliche Handlung dabei des häufigeren schon mal hinten anstellen muss. Zwar ist diese generell auch eher simplerer Natur, überzeugt jedoch durch ihren archaischen Minimalismus: DUELL OHNE GNADE gebärdet sich wie die asiatische Metzelversion einer großen griechischen Tragödie und legt los wie Shakespeare auf Speed. Dabei wurde auch an Zynismus beileibe nicht gespart: So gibt Ti Lungs Figur mitten in wüstestem Kampfgetümmel seinem Mitstreiter auch noch Tipps zur effektiveren Tötung: „Wenn du auf den Bauch zielst, kann es passieren, dass du den Mann nicht mal tötest. Du musst nach oben zielen. Sieh mal: So!“ Und zack, schon ist ne weitere Gurgel aufgeschlitzt.

Angesichts dieses enormen Härtegrades ist es kaum verwunderlich, dass die deutsche Sittenwacht, die die Eastern-Welle ohnehin von Anfang an mit sehr kritischen Augen betrachtete, nicht nur aufgrund des vielen Flüssiggewebes Rot sah. DUELL OHNE GNADE wurde zum Präzedenzfall, wurde quasi noch aus dem Kino heraus beschlagnahmt und ähnlich massakerartig zerschnitten wie Ti Lungs bedauernswerte Opfer, bevor er als völlig sinnentstellter Torso wieder das Publikum beglücken durfte. Die eindeutigen filmischen Qualitäten wurden dabei natürlich mal wieder geflissentlich außer Acht gelassen, und es musste erst einige Zeit vergehen, bis Chang Chehs apokalyptische Schlachtplatte auch hierzulande wieder in voller Länge zu bestaunen war.

Ti Lung [→ DAS BLUTIGE SCHWERT DER RACHE], dessen Name es hier sogar in den deutschen Titel schaffte, war eines der Aushängeschilder der Shaw-Brothers-Studios, die in den 60er und 70er Jahren die Speerspitze für aufwändiges und perfekt inszeniertes Kampfkunstkino darstellten. Als einer der wenigen damaligen Stars schaffte er es, auch nach Ende der großen Kung-Fu-Film-Welle noch im Geschäft zu bleiben und war bis ins hohe Alter immer wieder gern gesehener Gast, nicht nur in asiatischen Produktionen. Stand er zu Shaw-Zeiten meistens noch im Schatten seines Leinwand-Partners David Chiang, durfte er in DUELL OHNE GNADE dafür ordentlich vom Leder ziehen – und nutzte das richtig aus. Fast möchte man ihm Dauerbeifall klatschen; in unfassbarer Coolness beherrscht er jede seiner Szenen und lässt kaum eine Heldenpose aus. David Chiang [→ DIE TÖDLICHEN ZWEI], der zweite große Star der Shaw Brothers, der oft gemeinsam mit Ti Lung zu sehen war, spielt hier ausnahmsweise die deutlich kleinere Rolle. Da sein Charakter sich laut Drehbuch nicht wirklich entscheiden kann, ob er auf guter oder böser Seite steht, verbringt er die meiste Zeit damit, geheimnisvoll in die Gegend zu grinsen.

Anders als bei den meisten Beiträgen des Studios, spielt die Handlung nicht etwa vor dem historischen Hintergrund der Qing-Dynastie, sondern in der damaligen Gegenwart, was eine willkommene Abwechslung zu den immer gleichen Kostümen und Kulissen darstellt und zudem die Möglichkeit bietet, auch modernere Schusswaffen in den Kampfszenen unterzubringen. Einmal mehr findet Regisseur Chang Cheh, der für Shaw auch die großartigen, ähnlich gelagerten Streifen KUAN – DER UNERBITTLICHE RÄCHER sowie DER PIRAT VON SHANTUNG in Szene setzte, dabei die perfekte Balance aus räudiger Exploitation (da werden schon mal Gesichter mit dem Bunsenbrenner bearbeitet) und künstlerischem Anspruch (die Bildkompositionen besonders im Finale sind großartig). Ein paar wenige formale Schwächen (wie die manchmal etwas zu holprigen Musikübergänge) sind zu vernachlässigen, wird einem doch insgesamt kaum eine Verschnaufpause gegönnt.

Ist der Actionanteil ohnehin schon enorm, bäumt sich das Finale dann nochmal so richtig auf: Von Kopf bis Fuß überströmt mit Schweiß, Tränen und Lebenssaft wälzen sich die Kämpfer durch den Schlamm, in allerschönster Zeitlupen-Ästhetik zelebriert und zur überlebensgroßen Blut-Oper hochgezüchtet. Dass die verwendeten Stilmittel nicht selten an die späteren Meisterwerke John Woos erinnern, ist kein Zufall: Chang Cheh war einer seiner Lehrmeister, und den Einfluss merkt man deutlich. Somit ist DUELL OHNE GNADE ein sehr früher Vertreter des Heroic-Bloodshed-Genres, ein gekonnt durchkomponiertes, nur selten pausierendes Blutbad, das für alle Freunde hochstilisierter Gewaltästhetik ein wahres Freudenfest darstellen sollte. 

Laufzeit: 105 Min. / Freigabe: ab 18

Sonntag, 28. September 2014

LAILA - VAMPIR DER LUST


MANTIS IN LACE
USA 1968

Regie:
William Rotsler

Darsteller:
Susan Stewart,
Steve Vincent,
M.K. Evans,
Vic Lance,
Pat Barrington,
Janu Wine,
Stuart Lancaster,
John Caroll



Nein, trotz des deutschen Titels hat man es hier nicht etwa mit Draculas rolliger Tochter zu tun. Der „Vampir“ ist hier wohl eher symbolisch zu verstehen und soll verdeutlichen, dass sich die titelgebende Dame auf nahezu unersättliche Art und Weise auf der Suche nach sexuellen Ausschweifungen befindet. Da LAILA – VAMPIR DER LUST aber gleichzeitig auch als ernsthafte Mahnung vor dem Drogenkonsum verstanden werden möchte, kommen zur Präsentation des gewährt-klassischen Kopulationsmoments auch noch eine gehörige Portion Rauschmittelmissbrauch und daraus resultierend einiges blutiges Schandwerk hinzu. Jede Menge großartiges Zeug also, das einem da versprochen wird, und dermaßen angelockt haben ihrerzeit bestimmt nicht wenige Schaulustige den Gang ins Lichtspielhaus gewagt.

Doch gar seltsam fängt es an: In einem stockdusteren Raum hockt irgendein Heiopei auf einem Stuhl und hat dabei ne Maske auf (und dabei liegt noch nicht mal irgendwo Stroh rum). Noch bevor man sich allzusehr wundern kann, was hier eigentlich gerade los ist, schiebt sich plötzlich ein bebrillter, bekrawatteter und auch ansonsten ungemein seriös aussehender älterer Herr aus der Finsternis ins Bild, der mit bierernster Miene verkündet, dass sich der anwesende Maskenhoschi gerade unter LSD-Einfluss befände und er ihm nun einige Fragen zu dieser Droge stellen werde - „um das Publikum aufzuklären“. Ach, so ist das also! Das Ganze ist eine Dokumentation. Wie schön, etwas Bildung schadet ja nie. Das folgende Interview ist dann auch wahrlich knüppelhart und sprüht nur so vor investigativem Journalismus:

„Wann haben Sie das erste Mal LSD genommen?“ - „Vor etwa zwei Jahren.“ - „Wann alt waren Sie damals?“ - „25.“ - „Wie alt sind Sie jetzt?“ - „27.“

Großartig! Und ähnlich brillant geht es auch weiter; der findige Reporter entlockt seinem Gegenüber so manch erhellende Aussage dazu, warum es sich so richtig lohne, den ganzen lieben langen Tag völlig verstrahlt zu verbringen: LSD habe ihm geholfen, sich besser zu verstehen und außerdem seine Gehirnfunktionen verbessert. Plötzlich könne er in Räume seines Lebensgebäudes gehen, die er zuvor nicht habe betreten können. Einmal habe ihm ein Mädchen vorgetanzt und unter LSD-Einfluss habe sie viel „eindringlicher“ gewirkt, viel „schöner“ und „graziöser“ (Mensch, da hätten ein paar Kännchen Gerstensaft doch auch schon gereicht).

An diesem Punkt der hochbrisanten Enthüllungsreportage wird übrigens ohne verstärkten Grund auf eine tanzende, sich dabei langsam entblätternde Dame geblendet, von der dann bis zum Schluss des lauschigen Zwiegesprächs der beiden Männer in dem dunklen Raum auch nicht wieder weggeblendet wird. Die beiden salbalbern dann auch fröhlich weiter, wobei man unter anderem erfährt, dass das Gehirn bei jedem Menschen verschieden ist und LSD den Zugang zum Unterbewusstsein erleichtert. Irgendwann werden dann auch noch in staubtrockener Begeisterung Statistiken heruntergebetet, die besagen, dass 20,7 % der amerikanischen Jugend aus den Bereichen der Colleges und Universitäten (also Studentenpack) schon mal LSD genommen haben oder innerhalb der nächsten sechs Wochen nehmen werden. Woher diese doch sehr genaue Zeitangabe mit den sechs Wochen stammt, wäre dann tatsächlich mal eine sehr interessante Frage gewesen, allerdings interessiert es zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon niemanden mehr, was der Nachrichtenheini da so alles von sich gibt, denn die holde Tänzerin ist jetzt bereits seit einigen Minuten doch ziemlich entblößt und die Kamera wird nicht müßig, ihre wippenden Hüften in Nahaufnahme und aus allen möglichen Perspektiven abzulichten. Wie war das? 20,7 %? Ja ja, schockierend das alles!

„LSD ist gefährlich!“ schimpft die Stimme dann plötzlich in mahnendem Oberlehrerton, gerade in dem Augenblick, in dem die Hüften so richtig wunderbar herumkreisen und das Bild der Tänzerin aufgrund einer optischen Kameraspielerei sogar schon anfängt, sich zu vervielfachen, „gefährlicher, als sich die meisten Menschen vergegenwärtigen.“ Schade, dabei klang das doch bis dahin eigentlich alles ziemlich geil, das mit den Räumen und den Gehirnfunktionen und so. Und die Alte im Bild sieht doch jetzt schon scharf aus, nun stelle man sich das ganze Geschlängel doch nur mal im LSD-Modus vor. Tja, so ziemlich an der Intention vorbeigeschrammt, möchte man meinen. Selbstverständlich nicht wirklich, denn diese war natürlich von Anfang an nur vorgeschoben. LAILA – VAMPIR DER LUST ist Bahnhofskinoplunder, der unter dem Deckmantel der Aufklärung und Warnung gerade versuchte, sein Publikum mit der Neugierde auf illegale Substanzen zu ködern, von denen der brave und gefrustete Familienpapa zwar fasziniert war, aber in der Regel doch ehrfurchtsvoll die Griffel lies.

„Schon in kleinen Dosierungen kann es Nervenzusammenbrüche und Selbstmorde herbeiführen“
, wird man weiter aufgeklärt, um schließlich eine elegante Überleitung zum eigentlichen Hauptprogramm herbeizufaseln. „Wir verfolgen in diesem Film die Lebensgeschichte eines Mädchens, Laila, das außer seiner nymphomanen Veranlagung als normal anzusprechen ist.“ Ach so, nur ein wenig nymphoman, das geht ja noch. Ansonsten aber alles in Butter, ja? Puh, Glück gehabt! „Normal anzusprechen“ ist, nebenbei bemerkt, auch eine richtig knorke Formulierung. Sollte das nicht eher „anzusehen“ heißen? Oder kann man die gute Laila auch unnormal ansprechen, in einer Bar zum Beispiel? Fragen über Fragen, die geklärt werden müssen. Vielleicht ja sogar von dem nun folgenden, so überaus eloquent angekündigten Zelluloid-Opus, das entgegen der Ankündigung doch nicht die Lebensgeschichte der nymphomanen, ansonsten jedoch völlig gesunden Laila erzählt, sondern nur einen kleinen Abschnitt daraus. Die Geburt und die ersten ca. 25 Jahre danach hat man sich nämlich kurzerhand gespart und ihre Geschichte beginnt nun, wie jede gute Geschichte, ganz traditionell auf der Tanzfläche einer Striptease-Bar. Vorhang auf:

Laila [Susan Stewart] ist Tänzerin in einer Striptease-Bar. Eines Tages nimmt sie das erste Mal LSD. Danach beginnt sie damit, Männer zu verführen und sie während des Geschlechtsaktes umzubringen. Das passiert drei Mal hintereinander. Beim dritten Male allerdings wird sie verhaftet. Ende.

Tja, das war sie auch schon, die „Lebensgeschichte“ der armen Laila und gleichzeitig auch die komplette Handlung dieses innovativen Meisterstücks. Mehr passiert hier nämlich tatsächlich nicht. LAILA – VAMPIR DER LUST ist ein wahnsinnig billiger Schundstreifen, der in seiner reißerischen Aufmachung zwar jede Menge Sensationen versprach, letztendlich jedoch kaum etwas davon zu halten vermochte. So funktionierte sie eben, die damalige Bahnhofskino-Masche, und man war damit – aufgrund der sagenhaft kostengünstigen Herstellung der Streifen – auch sehr erfolgreich. In diesem Zusammenhang hat man bei MANTIS IN LACE (wie das Teil fast schon edel im Original heißt) auch so ziemlich alles richtig gemacht, mehr noch: Die inhaltliche Nullnummer taugt geradezu als perfektes Anschauungsprojekt für die Mechanismen des frühen Exploitationkinos, das mit üblichen Zutaten auf Kundenfang ging und dabei gerademal für'n Appel und'n Ei in Szene gesetzt wurde.

Möglich, dass LAILA – VAMPIR DER LUST Ende der 60er Jahre sogar tatsächlich noch ein paar Leute befriedigen konnte. Rein formal wurden die Versprechen, namentlich Sex, Gewalt und Drogen, ja tatsächlich eingelöst. Aus späterer Sicht kann man mit der Umsetzung des Ganzen jedoch nicht mal mehr die eigene Großmutter erschrecken. So beschränkt sich der 'Sex' (wenn man ihn denn spaßeshalber mal so nennen möchte) auf das Räkeln halbnackter (und meistens auch nur halbhübscher) Damen im puffigen Dämmerlicht, die Gewalt auf auf- und niedersausende Mordinstrumente und ab und an ein wenig Kunstblut (war wohl ziemlich teuer, das Zeug, durfte man also nicht allzu oft verwenden) und der Drogenpart auf... nun ja,... kleine Pillen im Champagnerglas.

Produzent des Schmierstücks war Harry H. Novak, der von Anfang der 60er Jahre bis Mitte der 70er eine ganze Wagenladung ähnlicher Heuler auf die Leinwände hiefte: Immer viel nackte Haut, manchmal etwas Gewalt dazu und konsequent handlungsbefreit, um das Publikum nicht zu verwirren. 1968 drehte er zudem die Pseudo-Dokumentation MONDO MOD, aus welcher die beschriebene anfängliche Interview-Szene stammt, die speziell für die deutsche Fassung vor den Hauptfilm gesetzt wurde (das konnte man machen, da MONDO MOD in Deutschland nicht zu sehen war). Selbstverständlich (und eigentlich ist es unnötig, das zu erwähnen) ist die Szene gestellt. Der Mann hinter der Maske ist tatsächlich niemand anders als William Rotsler – der Regisseur von LAILA – VAMPIR DER LUST.

Die deutsche Fassung unterscheidet sich nicht nur aufgrund dieses hinzugefügten Intros von der Originalversion: Quasi alle Szenen, in denen nackte Brüste in Nahaufnahme zu sehen sind, wurden entfernt, darunter auch auch eine komplette und sehr merkwürdige Sex-Szene (merkwürdig deshalb, weil der Herr und die Dame, welche diese bestreiten, bis dahin niemals irgendwo im Film vorkamen und es auch danach nie wieder tun). Dafür enthält die deutsche Fassung jedoch wieder ein paar zusätzliche Szenen, bei denen es sehr rätselhaft ist, woher die überhaupt stammen, unter anderen eine sehr schräge Drogenpartyszene. Insgesamt ist die deutsche Fassung dadurch wesentlich konsumierbarer, da viel straffer geworden. Das Original hingegen versuchte, das inhaltliche Nichts zwischen Schäferstündchen, Tötungsdelikten und polizeilicher Ermittlungsarbeit mit schier endlosen Striptease-Nummern in die Länge zu zerren, was auf Dauer sehr an den Nerven sägt.

Ein großer Nachteil der deutschen Version allerdings ist, dass auch die Mordsequenzen zum Teil drastisch verkürzt wurden. Diese sind nämlich das eigentliche Highlight und der einzige Grund, warum LAILA trotz grassierender Ödnis doch noch sehenswert geriet. So beginnt die arme Lila (im Original wird sie ohne „a“ geschrieben) aufgrund ihrer LSD-Nascherei immer, wenn sie sich mit einem ihrer zahlreichen Freier vergnügt, nach ein paar Minuten heftigst zu halluzinieren. Das totale Lichtinferno entbrennt vor ihrem inneren Auge, bevor sie beginnt, wie von Sinnen mit Schraubendrehern und ähnlichem Handwerkszeug auf ihre Besteiger einzustechen. Diese Szenen sind tatsächlich hervorragend gemacht: Die Gesichter der Männer werden von bizarren Lichtspielen beleuchtet, der Sound wabert unheilvoll, die Schnitte zwischen der Realität und Lilas Horrortrips erfolgen so rasant, dass einem schwindelig wird – denn während Lila die Körper ihrer schreienden Opfer zerhackt, sieht sie sich selbst lediglich auf Kissen oder Kuscheltiere einstechen, was für herrlich surreale Bilder sorgt.

In diesen Momenten entwickelt LAILA – VAMPIR DER LUST gerade aufgrund seiner finanziellen Knappheit seine ganz eigene schäbige Poesie. Doch auch andere Dinge darf man ohne jede Reue positiv hervorheben: So sieht Susan Stewart in der Hauptrolle nicht nur passabel aus, sondern spielt ihre Rolle auch ziemlich gut (und zwar vor allem auch gerade dann, wenn sie die hysterische Tötungsmaschine gibt). Und das verträumt-verruchte Titellied von Vic Lance (der später dann auch die Rolle als Lilas erstes Opfer innehat) ist sogar ohne jede Einschränkung großartig und spukt einem Stunden später noch im Kopf herum.

Erwähnenswert ist noch, dass sich hinter der Kamera ein gewisser László Kovács befand, der später die Karriereleiter emporsteig und bei Kultfilmen wie EASY RIDER oder GHOSTBUSTERS für die Bilder sorgen durfte, bevor er dann am Ende für richtige Horrorfilme wie MISS UNDERCOVER arbeitete. MANTIS IN LACE hingegen will und wollte nie mehr sein, als das, was er auch wirklich ist: Sensationsheischende Marktschreierei mit perfider Doppelmoral, die ihre Entstehungskosten im Idealfall schon beim ersten Besucher wieder einspielt. So bietet das interessante Zeitdokument trotz seiner offensichtlichen Defizite allen Freunden leicht abseitigen Entertainments ohne Scheu vor Schäbigkeit ein durchaus erfreuliches Futter und gefällt als durchgehend unterhaltsamer, von
psychedelischen Szenen und wabernden Klangteppichen begleiteter Trip in abstruse Kinogefilde. Doch, doch... Auch ohne Substanzen ein sehr 'lustiger' Film.

Laufzeit: 83 Min. / Freigabe: ungeprüft

Freitag, 26. September 2014

PANIK IM TOKIO-EXPRESS


SHINKANSEN DAIBAKUHA
Japan 1975

Regie:
Jun'ya Satô

Darsteller:
Ken Takakura,
Ken Utsui,
Sonny Chiba,
Eiji Gô,
Etsuko Shihomi,
Takashi Shimura,
Yoshifumi Tajima,
Tetsurô Tanba



Inhalt:

Der „Hikeri 109“ verkehrt zwischen Tokio und Hakata und ist einer der schnellsten Züge der Welt. Eines Vormittags geht bei der Bahngesellschaft ein Anruf ein. Der bankrotte Geschäftsmann Tetsuo Okita [Ken Takakura] verkündet, dass, sollte die Geschwindigkeit des sich bereits in voller Fahrt befindlichen Zuges unter 80 Stundenkilometer fallen, eine an Bord platzierte Bombe in die Luft gehen werde. 500 Millionen Dollar verlangt er, dann werde er verraten, wo sich der Sprengsatz befindet und wie er entschärft werden kann. Um die Ernsthaftigkeit seines Anliegens zu demonstrieren, lässt der Erpresser zunächst einen Güterzug explodieren. Es bleiben nur wenige Stunden. Für Bahnpersonal, Rettungskräfte und die 1500 Passagiere beginnt ein hochstrapaziöser Nervenkrieg, aber auch für die Erpresser läuft nicht alles so, wie sie es geplant hatten.

Kritik:

Im Ausland gelten die Deutschen als ausgesprochen akkurat und überpünktlich. Dieser Eindruck jedoch dürfte in der Regel revidiert sein, sobald man als Tourist einmal gezwungen war, mit der Deutschen Bahn zu reisen. In Japan hingegen sieht die Sache schon ein wenig anders aus: Eine einzige Minute Abweichung vom Fahrplan gilt dort bereits als Unpünktlichkeit und Verspätungen passieren dermaßen selten, dass sie es bei Vorkommen sogar in die Hauptnachrichten schaffen. In ganz besonderem Maße gilt das für die sogenannten Shinkansen, die Hochgeschwindigkeitszüge. Seitdem sie 1964 erstmals vom Stapel gelassen wurden, erarbeiteten sich die stählernen Geschosse einen legendären Ruf und gelten als eines der pünktlichsten und sichersten Verkehrsmittel der ganzen Welt. Selbst, als es im Jahre 2004 zu einem Erdbeben kam und erstmalig einer der Züge entgleiste, kam es zu keinem einzigen Personenschaden. Auf diese Weise wurde der Shinkansen zu einem Symbol für die technische Überlegenheit der Nation.

Grund genug für Japans Filmproduktionfirma Toei, der Bevölkerung doch mal ein bisschen Angst einzujagen. Eindeutig im Fahrwasser der amerikanischen Katastrophenfilmwelle à la AIRPORT entstand somit im Jahre 1975 das ausladende Action-Vehikel PANIK IM TOKIO-EXPRESS (im Original: 'Die große Shinkansen-Explosion'), in welcher ein vollbesetzter Hochgeschwindigkeitszug zum Instrument einer großangelegten Erpressung wird. Mit aus dem Off erschallender Erklärbär-Stimme über den Alltag und die technischen Gegebenheiten des Bahnbetriebs beginnen die Ereignisse fast schon dokumentarisch, bevor das Pedal bis zum Anschlag durchgetreten wird. Bereits die Grundidee einer sich an Bord des Zuges befindlichen Bombe, die detoniert, sobald ein gewisses Tempo unterschritten wird, spielt mit einem der Kernelemente des Actionfilms: der ungebremsten Geschwindigkeit – ein Einfall, der 1994 für den Hollywood-Erfolg SPEED wieder aufgegriffen wurde.

Während man sich gut 20 Jahre später der Prämisse von PANIK IM TOKIO-EXPRESS bediente, fällt bei diesem ebenfalls die hohe Ähnlichkeit zu einem anderen Werk auf: STOPPT DIE TODESFAHRT DER U-BAHN 123 heißt der nur kurz zuvor entstandene amerikanische Thriller, in dem es Walter Matthau als Sicherheitschef mit einer Bande von U-Bahn-Entführern aufnimmt. Aufgrund der zeitlichen Nähe könnte die Ähnlichkeit zugegebenermaßen auch ohne Weiteres dem Zufall geschuldet sein; dennoch folgt Regisseur Jun'ya Satô (der auch am Drehbuch mitschrieb) in dramaturgischer Hinsicht überwiegend westlichen Vorbildern, versäumt es dabei allerdings nicht, dem Geschehen auch einen asiatischen Stempel aufzudrücken. So beleuchtet der Reißer abseits seines Katastrophenszenarios auch die wirtschaftliche Situation des Landes, wenn in Rückblenden die zum Teil fatalen gesellschaftlichen Verhältnisse geschildert werden, welche die Bombenleger erst in ihre verzweifelte Lage brachten.

Die Zeichnung des Anführers, des insolventen Unternehmers Tetsuo Okita, geriet dann auch überraschend vielschichtig: Von der Rezession aus der Bahn geworfen, von der Ehefrau verlassen, sieht er in seinem Erpressungsplan schließlich den einzigen Ausweg aus seiner finanziellen Misere. Seine Mitstreiter, den politischen Aktivisten Koga und den jugendlichen Kleinkriminellen Fujio, hat er ebenfalls aus der Unterschicht rekrutiert. Gemeinsam bilden sie eine verschworene Gemeinschaft, geeint vom Traum, ihrem verhassten Leben am sozialen Minimum zu entkommen. Vor allem Ken Takakura [→ BLACK RAIN] überzeugt dabei als ambivalenter Kopf der Bande, der abwägend zugleich skrupellos wie nachsichtig agieren muss, denn tatsächlich hat er trotz seiner gefährlichen Aktion nicht wirklich vor, nachhaltigen Schaden anzurichten.

Den leisen Anklängen des Sozialdramas stehen die verzweifelten Maßnahmen im Führerhaus des Schnellzugs und im Kommandozentrum der Bahnzentrale gegenüber, wo in ständiger Atemlosigkeit versucht wird, der schwierigen Situation Herr zu werden. Vor allem Ken Utsui [→ DER GROSSE WALL] als Streckenleiter Kuramochi schält sich dabei schnell als Sympathiefigur heraus, wenn er versucht, mittels klugen Kopfes und trotz aller Panik besonnener Taktiken Schlimmeres, wie den drohenden Aufprall mit einem auf gleicher Strecke nahendem Zug, zu verhindern. Auch die Polizeiarbeit kommt bei alledem nicht zu kurz, wenn die Beamten sich redlich mühen, die Lösegeldübergabe abzuwickeln, um sich dadurch auf die Spur der Verbrecher setzen zu können. Und als besonderes Bonbon sitzt Karate-Ass Sonny Chiba [→ DER UNERBITTLICHE VOLLSTRECKER], der normalerweise ganzen Heerscharen von Bösbuben den Hintern malträtiert, schwitzend und bebend im Führerhaus und zittert herzzerreißend um sein Leben.

Darauf, dem Publikum, wie im amerikanischen Kino üblich, vor Eintreten des Desasters ein paar Identifikationsfiguren zu präsentieren, mit denen man nachfolgend mitleiden und -zittern kann, wurde hingegen verzichtet. Die Passagiere des Unglückszuges bleiben im Großen und Ganzen eine anonyme Masse. Stattdessen setzt man überwiegend auf Temporausch, Panikzustände und verzweifelte Krisengespräche. Zur Ruhe kommen die Protagonisten dabei selten, wobei man zugeben muss, dass die Erregung dabei nicht unbedingt auf das Publikum überspringt. Zum einen liegt das an der Gewissheit, dass ein ungebremster Schnellzug auf den Gleisen im Prinzip nur wenig Schaden anrichten kann, zum anderen daran, dass die Actionszenen sehr auffällig mit Miniaturen getrickst wurden. Nun sind Modelleffekte im Prinzip immer ein sehr willkommene Angelegenheit, aber in solch einem auf Realismus angelegten Sensationsstück kann das der Illusion, Zeuge einer ernsthaften Bedrohung zu werden, doch schon relativ abträglich sein.

Zudem hält das Drehbuch auch noch ein paar Merkwürdigkeiten bereit, wenn beispielsweise mitten in der Lösegeldübergabe aus heiterem Himmel eine dauerlaufende Karate-Truppe auftaucht und sich nach lauten Zurufen seitens der Polizei in das Geschehen einmischt (das ergibt schon allein deswegen keinen Sinn, weil es der Polizei eigentlich daran gelegen war, die Aktion reibungslos über die Bühne gehen zu lassen). Und die einfach mal fesch ins Blaue geratene Maßnahme zur Entschärfung der Bombe darf auch gut und gern mit einem sanften Kopfschütteln quittiert werden. Ein paar arg überkonstruierte Un- und Zufälle sägen zusätzlich an der angestrebten Glaubwürdigkeit, während das Verhalten mancher Protagonisten auch so manches Rätsel aufgibt. Aber diese kleineren Unpässlichkeiten verschmerzt das engagierte Desaster-Epos locker, um am Ende doch sehr souverän in den Zielbahnhof zu fahren (nicht zuletzt, da der tragisch-symbolträchtige Schluss sich noch mal als zusätzliche Trumpfkarte erweist).

Dem deutschen Verleih war das alles viel zu ausufernd. Die zugegebenermaßen nicht gerade kurz und bündig gehaltene Terror-Reise wurde um gut eine Stunde (!) Material erleichtert. Trotz des deutschen Titels blieb von der Panik der Besatzung so gut wie gar nichts mehr übrig, und auch die Hintergründe für die Tat fielen quasi komplett der Schere zum Opfer. Um der Aktion zumindest so etwas Ähnliches wie einen Grund zu geben, legte die deutsche Synchronisation den Erpressern daher auch immer mal wieder einen Plan vom „perfekten Verbrechen“ auf die Lippen – was als Begründung für solch einen Coup doch etwas sehr dürftig daherkommt. Lediglich dem engagierten Label ‚Subkultur Entertainment‘ ist es zu verdanken, dass PANIK IM TOKIO-EXPRESS das Schicksal, als unattraktiver Torso im Billigregal zu verschimmeln, schließlich doch noch verwehrt wurde und seit 2013 auch in Deutschland in voller Pracht und Länge begutachtet werden darf.

Ein bisschen Patina hat der Tokio-Express fraglos angesetzt. Manche Dinge, die man dem technikunerfahrenen Publikum in den 70er Jahren noch vorsetzen konnte, wirken aus zeitlicher Distanz doch etwas hanebüchen, und die Tricks sind auf zwar liebenswürdige, doch illusionsverlustigende Art und Weise durchschaubar. Freunde des zünftigen Katastrophenkrachers und unverhohlene Zeitgeistsympathisanten dürften sich bei dieser Fahrt dennoch (oder gerade auch deswegen) pudelwohl fühlen. Alle Mann an Bord! 


Laufzeit: 146 Min. / Freigabe: ungeprüft

Dienstag, 23. September 2014

SIN CITY 2 - A DAME TO KILL FOR


SIN CITY – A DAME TO KILL FOR
USA 2014

Regie:
Robert Rodriguez,
Frank Miller

Darsteller:
Mickey Rourke,
Josh Brolin,
Eva Green,
Jessica Alba,
Powers Boothe,
Joseph Gordon-Levitt,
Bruce Willis



Inhalt:

Basin City, von allen nur Sin City genannt, ist ein Hort der Sünde, in dem sich Nacht für Nacht unfassbare Geschichten abspielen:

Ein stinknormaler Samstagabend:
Der ehemalige Sträfling Marv [Mickey Rourke] erwacht ohne Bewusstsein neben zwei Leichen und einem Autowrack. Verzweifelt versucht er, die Ereignisse der letzten Stunden zu rekonstruieren.

Eine Braut, für die man mordet:
Privatdetektiv Dwight McCarthy [Josh Brolin] erhält einen Anruf von seiner ehemaligen Geliebten Ava [Eva Green], die ihn um Hilfe bittet. Ihr neuer Liebhaber, der Multimillionär Damien Lord [Morton Csokas], quält sie regelmäßig und sein Chauffeur Manute [Dennis Haysbert] überwacht sie auf Schritt und Tritt. Trotz der Skepsis um den Wahrheitsgehalt ihrer Erzählung erliegt er den Reizen der schönen Frau und lässt sich auf ein riskantes Spiel ein.

Eine lange böse Nacht:
Dem übermütigen Glücksspieler Johnny [Joseph Gordon-Levitt] gelingt es, den korrupten Senator Roark [Powers Boothe] beim Pokern zu besiegen und ihn somit bis auf die Knochen zu blamieren. Das kann der stolze Mann nicht hinnehmen: Er lässt Johnny foltern und bricht ihm dabei die Finger. Doch Johnny gibt nicht auf und stellt sich dem Mann ein zweites Mal.

Nancys letzter Tanz:
Die Stripperin Nancy Callahan [Jessica Alba] will Rache: Einst erschoss sich ihr Beschützer, der Polizist John Hartigan [Bruce Willis], um sie vor Senator Roark in Sicherheit zu wissen. Nancy kauft sich einen Revolver, doch bringt es nicht übers Herz, den Senator zu erschießen. Sie sucht sich Unterstützung beim Ex-Sträfling Marv.

Kritik: 

Neun Jahre können eine lange Zeit sein, wenn man auf etwas wartet. Im Falle von SIN CITY vielleicht sogar ein wenig zu lang. Das wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass A DAME TO KILL FOR, die späte Fortsetzung der zu ihrer Zeit phänomenal erfolgreichen Graphic-Novel-Adaption, an den Kinokassen so ernüchternd gescheitert ist. Und das, obwohl Regisseur Robert Rodriguez [→ DESPERADO] seiner schwarz-weiß-bunten Extravaganz bis in die Haarspitzen treu geblieben ist. Dass beide Werke von fast einem Jahrzehnt getrennt werden, merkt man tatsächlich nicht eine einzige Sekunde. Aber vielleicht lag der Misserfolg auch gerade darin begründet: In Zeiten von immer brachialeren Comic-Adaptionen der Marke AVENGERS oder AMAZING SPIDER-MAN wirkte der seinerzeit bahnbrechende visuelle Stil SIN CITYs fast schon ein wenig altbacken.

Sicher, die rebellische filmische Frische ist passé; hier wird nicht neu erschaffen, hier wird aufgekocht. Doch gerade deswegen dürfte Fans des Originals die etwas verwirrend verschachtelte Fort-, Vor- und Zwischensetzung sehr angenehm in den Magen gehen: Der Besuch in SIN CITY 2 wirkt wie ein Wiedersehen mit alten Bekannten – auch, wenn diese nun teilweise andere Gesichter tragen. Von Josh Brolin [→ NO COUNTRY FOR OLD MEN] abgesehen, der die Rolle des Dwight McCarthy von Clive Owen übernahm, fällt dieses jedoch kaum ins Gewicht und geschieht eher dezent im Hintergrund – nicht zuletzt auch deshalb, weil Mickey Rourke [→ THE EXPENDABLES] in seiner wiederkehrenden Rolle als übermenschliche Killermaschine Marv ohnehin jegliche Aufmerksamkeit auf sich zieht. Bereits die von ihm aus dem Off kommentierte Exposition ist ein Feuerwerk an Witz und Wahn und stimmt vorzüglich ein auf den nun folgenden Sumpf der Niedertracht.

Erneut folgen die mehreren einander überlappenden Rache-Geschichten sowohl stilistisch als auch inhaltlich den großen Vorbildern des Film Noir und treiben dessen Elemente dabei dermaßen auf die Spitze, dass SIN CITY 2 zu seiner eigenen Persiflage wird: Jeglicher Rest von Anstand oder Moral scheint von der Welt getilgt; es herrschen Laster, Gewalt und Gier. Die Frauen sind Huren, die Männer bei aller körperlichen Stärke innerlich schwach und psychisch gebrochen. Verbitterung, Korruption und Niedertracht beherrschen das trostlose Leben in den labyrinthartigen Straßenschluchten, wer den Fehler macht, anderen Menschen Vertrauen zu schenken, beißt früher oder später ins Gras. Und mittendrin agiert Eva Green [→ CASINO ROYALE] als verhängnisvolle Super-Femme-Fatale, die in eiskalter Berechnung ihre eigenen Ziele verfolgt und die Herren der Schöpfung gleich dutzendfach ins Verderben stürzen lässt.

Abermals scheint es, als sei die von Frank Miller erschaffene Comic-Welt direkt vom Papier gesprungen und zu übergroßem Leinwandleben erwacht (auch, wenn es dieses Mal nicht für jede Story eine gezeichnete Vorlage gab). Rodriguez zelebriert ein exzessives Spiel aus Licht und Schatten, zwar künstlich bis ins Mark, doch durch die realen Darsteller gleichzeitig auch auf irrationale Weise plausibel. Immer wieder wird die edle Schwarz-Weiß-Optik dabei durch leichte Farbschimmer aufgebrochen: Feuerrote Lippen oder gleißend blondes Haar künden von leisen Momenten der Hoffnung, von einem Hauch von Zuversicht in einer Welt der Finsternis. Doch am Ende zerschmettert die raue Wirklichkeit jede optimistische Gefühlsregung wie Kampfmaschine Marv die Köpfe seiner Gegner.

Wenn man SIN CITY 2 etwas zum Vorwurf machen möchte, dann könnte man freilich bemerken, dass die hier erzählten Episoden deutlich hinter denen des Originals zurückfallen und in ihrer Entwicklung auch überwiegend überraschungsfrei geraten sind. Man könnte erwähnen, dass ein paar der neu aufgegriffenen Handlungsstränge nach hochtrabendem Beginn ohne besondere Raffinessen wieder im Sande verlaufen, was einen ein wenig unbefriedigt zurücklässt. Und man könnte anführen, dass die emotionale Einbindung des Betrachters, wie beim Vorgänger noch vorhanden, dieses Mal nahezu komplett ausbleibt. Man schaut zu, man amüsiert sich, man ergötzt sich an den visuellen Spielereien, doch wirklich involvieren kann einen das Geschehen kaum. Man spürt, dass die alten Geschichten im Prinzip bereits abgeschlossen waren und die neuen lediglich ein Aufguss der bekannten Motive sind, dass man es letztendlich „nur“ mit einem gut gemeinten Nachklapp zu tun hat, der überwiegend Fan-Service betreibt.

Aber dennoch kann man sich unverschämt wohlfühlen in diesem kuriosen Kosmos der Sünden und Sakrilegien, dessen eigentlich beachtlicher Härtegrad durch den entfremdeten Comic-Stil nicht nur verharmlost, sondern sogar zu einem hemmungslosen Vergnügen wird. Das liegt nicht zuletzt auch an den vorzüglichen Darstellern, welche die surrealen Charaktere mit echtem Leben füllen. Neben Mickey Rourke, der als Marv quasi im Alleingang den Großteil A DAME TO KILL FORs auf seinen breiten Schultern trägt und zudem in drei von vier Episoden involviert ist, gefällt vor allem Powers Boothe [→ AUSGELÖSCHT], der hier als fieser Senator so richtig auftrumpfen und das widerliche Scheusal raushängen lassen darf, während er in Teil 1 quasi nur einen Gastauftritt absolvierte. Jessica Alba [→ DIE KILLERHAND] kehrt zurück als Stripperin Nancy, tanzt dabei allerdings besser, als dass sie schauspielert – den von Hass zerfressenen Racheengel nimmt man ihr nicht wirklich ab. Und der Auftritt von Bruce Willis [→ DAS FÜNFTE ELEMENT] als Detective Hartigan kann man eigentlich auch nur als 'pro forma' bezeichnen und dürfte innerhalb von ein paar Stunden absolviert worden sein.

Die entscheidenden neuen Figuren sind der leicht überhebliche Spieler Johnny, der von Joseph Gordon-Levitt [→ LOOPER] zwar nicht überragend, aber ausreichend souverän verkörpert wird, sowie die bereits erwähnte Eva Green als Ava Lord, die es sich wohl auf die Fahnen geschrieben hatte, alle Kino-Verführerinnen der Vorjahre zu toppen und sich am Set hoffentlich nicht erkältet hat. Bedauerlich ist der kurze Auftritt von Vorzeige-Ekelpaket Ray Liotta [→ FLUCHT AUS ABSOLOM], der als betrügender und mordaffiner Ehemann eine für ihn typische Paraderolle ergattern konnte, welche die Handlung allerdings viel zu schnell wieder verlässt.

Im direkten Vergleich muss sich SIN CITY 2 seinem Vorgänger geschlagen geben. Etwas zu stark sexualisiert auf der einen Seite, ein bisschen zu schlicht in der Auflösung seiner Fäden auf der anderen, wird die narrative Perfektion des Originals kein zweites Mal erreicht. Als durchaus willkommene Ergänzung hingegen taugt die betont lässige, angenehm-verruchte Sündensause allemal. Handwerklich nach wie vor makellos, bis unters Dach mit rabenschwarzem Humor befüllt und von nahezu ungebremster Fabulierlust – ein Mord lohnt sich dafür nicht, aber etwas mehr als 90 Minuten Lebenszeit ist das durchaus wert. 

Laufzeit: 102 Min. / Freigabe: ab 18

Samstag, 20. September 2014

TÖTE, AMIGO


¿QUIEN SABE?
Italien 1967

Regie:
Damiano Damiani

Darsteller:
Gian Maria Volonté,
Lou Castel,
Klaus Kinski,
Martine Beswick,
Andrea Checchi,
Spartaco Conversi,
Jaime Fernández,
Joaquín Parra



„Gefällt es dir in Mexiko?“ - „Überhaupt nicht.“


Inhalt:

Mexiko zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Die Revolution ist in vollem Gange. Das Volk lehnt sich mit blutigen Mitteln gegen die Staatsmacht auf. Einer der gefürchtetsten Aufständischen ist El Chuncho [Gian Maria Volenté], der überall für seine Grausamkeit berüchtigt ist. Als er und seine Bande einen Waffentransport der mexikanischen Armee überfallen, erhält er unerwartet Hilfe von dem sich an Bord des Zuges befindlichen Amerikaner Ben Tate [Lou Castel]. Trotz seiner Jugend und seines feinen Outfits wird er in die Bande aufgenommen, nachdem er verspricht, die Aufständischen zu unterstützen, obwohl er von Anfang an deutlich macht, dass es ihm lediglich um das dabei zu erntende Geld geht. Die nun folgende Reise wird zu einer Probe für die Ideale aller Parteien.

Kritik:

Western sind nun nicht unbedingt das, was man von Damiano Damiani grundsätzlich erwarten würde. Der linksliberale Regisseur verdankt seinen Ruhm in erster Linie seinen anklagenden Politthrillern mit solch schlanken Titeln wie GESTÄNDNIS EINES POLIZEIKOMMISSARS VOR DEM STAATSANWALT DER REPUBLIK oder WARUM MUSSTE STAATSANWALT TRAINI STERBEN?, die meist die Verflechtung von Politik und Verbrechen zum Thema haben. Wer jedoch genauer hinsieht, merkt schnell, dass sich TÖTE, AMIGO doch gar nicht so sehr von seinen späteren Werken unterscheidet und seine kritische Botschaft lediglich durch seinen historischen Hintergrund ein wenig vernebelt. Denn obwohl der Regisseur bestritt, er habe mit seinem grimmigen Revolutionsepos die damalige US-Außenpolitik kritisieren wollen, sind die Parallelen zu zeitgenössischen Ereignissen eigentlich unübersehbar.

Damals befand sich der Vietnamkrieg in einer Hochphase. Unter dem Vorwand, lediglich den Einheimischen zu Hilfe kommen zu wollen, trug die amerikanische Regierung auf fremdem Gebiet einen auf eigenen Vorteil bedachten Stellvertreterkrieg aus. Genau zu dieser Zeit erschien TÖTE, AMIGO und erzählte die Geschichte eines arrogant gezeichneten Amerikaners, der die mexikanischen Aufständischen im Kampf gegen ihre eigenen Landsleute unterstützt, dabei jedoch stets den eigenen Nutzen vor Augen hat. Ganz gleich, ob man diesen Umstand nun als gesellschaftliches Statement begreifen möchte oder nicht, fest steht: Selbst, wenn man den politischen Aspekt völlig außer Acht lässt (was auch durchaus möglich ist), bietet die ambitionierte Schlachtplatte durchgehend packende Unterhaltung, die bis zum Schluss in Atem hält und trotz der stringenten Erzählweise nicht mit Überraschungen geizt.

Grund dafür ist in der Hauptsache die tadellos funktionierende Figurenkonstellation, die von grandios besetzten Darstellern getragen wird. Gian Maria Volonté, der bereits in Sergio Leones Meilensteinen FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR sowie FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR als Schurke fungieren durfte, glänzt als ungeschliffener Revoluzzer El Chuncho, der in erster Linie für seine Ideale kämpft. Dabei begeht das Drehbuch keineswegs den Fehler, ihn zum erhabenen Helden zu stilisieren. Ganz im Gegenteil wird er als ziemlich skrupelloser und nicht übermäßig intelligenter Geselle gezeichnet, dessen Kaltblütigkeit einen das ein oder andere Mal sprachlos zurücklässt: Ohne jedes emotionale Problem lässt er bereits restlos besiegte oder flüchtige Soldaten über die Klinge springen; ein Unterschied zu den Gewaltakten der Gegenseite ist kaum erkennbar. Es ist daher kein Zufall, dass TÖTE, AMIGO zunächst aus Sicht der überfallenen Soldaten beginnt: El Chuncho hat einen Offizier als lebendes Hindernis auf den Gleisen fixiert; jeder, der den Zug verlässt, um dem Mann zu Hilfe zu eilen, wird gnadenlos über den Haufen geschossen. Als Zuschauer erlebt man mit den zusammengepferchten, um ihr Leben zitternden Männern El Chunchos Grausamkeit quasi höchstpersönlich mit, noch bevor die Figur überhaupt ein einziges Mal auf der Bildfläche erschienen ist.

Noch während dieses bluttriefenden Beginns wird der zweite wichtige Charakter eingeführt: Der Amerikaner Bill Tate, der sich als Gefangener mit an Bord befindet und sich an der Tötung des Zugpersonals kurzerhand beteiligt, ist ein jungenhaftes Milchgesicht und sieht aus wie frisch aus dem Ei gepellt. In feinstem Zwirn unterwegs und sich gewählt artikulierend, könnte der Kontrast zum grobschlächtigen El Chuncho größer kaum sein. Aber dennoch (oder gerade deswegen?) imponiert der junge Mann dem Bandenchef so sehr, dass er ihn quasi vom Fleck weg in seine Truppe integriert. Von Anfang an werden dabei die gegensätzlichen Beweggründe beider Partien wortlastig in den Fokus gerückt: El Chuncho geht es um die Befreiung des Landes, Tate, folgend nur noch „El Niño“, das Kind, genannt, interessiert sich für die materiellen Werte, für das Geld, das es dabei zu verdienen gibt.

Dem schwedisch-italienischen Darsteller Lou Castel [→ MÖGEN SIE IN FRIEDEN RUHEN], der diese Rolle interpretiert, wird dabei oftmals ein zu distanziertes Spiel vorgeworfen, doch genau das passt zu dieser Figur wie die berühmte Faust aufs Auge: Tate umgibt eine geheimnisvolle, eine unnahbare Aura, die seine eigentlichen Intentionen stets mysteriös und ungreifbar erscheinen lassen. Weltlichen Genüssen scheint er nicht oder nur selten zu erliegen; während seine Kumpanen feiern, saufen und den Frauen hinterhersteigen, beobachtet er abschätzend und aus Entfernung das Treiben der Menschen, die ihn umgeben. Eine innere Ruhe scheint in ihm zu wohnen, ein Geheimnis ihn zu umgeben. Die Beziehung zwischen ihm und dem Banditen mündet in einer kaum konkret ausgesprochenen, doch unterschwelligen verqueren Freundschaft, die ihren Höhepunkt in dem Moment findet, in welchem El Chuncho einen seiner eigenen Männer über den Haufen schießt, um Tate zu beschützen.

Es ist dieses ungewöhnliche Verhältnis der beiden Protagonisten zueinander, dieses glaubwürdig beschriebene Aufeinanderprallen zweier von Grund auf verschiedener Charaktere, das TÖTE, AMIGO zu so viel explosiver Spannung verhilft und dafür sorgt, dass man interessiert am Ball bleibt, obwohl im Prinzip keine einzige positive Identifikationsfigur existiert: El Chuncho erscheint viel zu naiv und menschenverachtend, als dass man Sympathie für ihn empfinden könnte, während Tate bis zum Schluss viel zu arrogant und auf fast schon unmenschliche Weise emotionslos bleibt, um als Held zu taugen. Exemplarisch dafür ist der Moment, als El Chuncho den reichen Gutsbesitzer Don Filipo töten lassen will, um sich für die Ausbeutung der Arbeiter zu rächen. Seinem Gerechtigkeitsempfinden nach erscheint es dabei völlig legitim, außerdem auch dessen Frau vergewaltigen zu lassen. Nur Tate ist dagegen – nicht aber etwa aus moralischen Gründen. Eine Vergewaltigung ist für ihn schlicht und einfach Zeitverschwendung. Das Schicksal der Frau ist ihm dabei freilich vollkommen gleichgültig.

Es sind also ganz eindeutig keine klassischen Helden in den Hauptrollen, mit denen man sich gleichsetzen könnte. Und dennoch bleibt man bis zum Schluss an ihren Schicksalen interessiert, spürt man doch schon von Beginn an, dass diese kuriose Konstellation in einem gewaltigen Konflikt gipfeln wird. Der Rest der Belegschaft gerät dabei schon fast ein wenig ins Hintertreffen, auch wenn mit Klaus Kinski [→ JACK THE RIPPER] als mordender Priester schon ein sehr starkes Geschütz aufgefahren wird. Vollkommen in seinem Element schleudert er seine Sprengsätze „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, und sorgt für explosive Abgänge gleich im Dutzend-Pack. Die auf Jamaika zur Welt gekommene Martine Beswick, die in LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU und FEUERBALL bereits James Bond Gesellschaft leistete, sorgt als Adelita für die weibliche Note, sieht recht feurig aus, ist für die ansonsten recht männerdominierte Handlung nicht unwichtig und spielt auch überzeugend, klingt in der deutschen Fassung allerdings wie Karl-Heinz. Die übrigen Charaktere bleiben kaum im Gedächtnis, zu sehr konzentriert sich das Drehbuch auf die Hauptfiguren.

Die Stärke TÖTE, AMIGOs liegt darin, dass er kaum Stellung bezieht. Er zeigt Figuren, die unmoralisch, die verwerflich handeln, doch weder verurteilt er dafür die Protagonisten, noch die Situation, in der sie sich befinden. Nüchtern und authentisch wirkend verzichtet er auf Gut-Böse-Klischees, zeichnet ein ambivalentes Bild aller Parteien und beschreibt das blutige Chaos des Umbruchs mit all seinen Paradoxa. Während der deutsche Titel versucht, das Werk erneut in die Baller-Baller-Schiene des typischen Italo-Westerns zu rücken, lautet der Originaltitel (zugegeben: wenig verkaufsfördernd) „Wer weiß?“, was in der Schlussszene seine Entsprechung findet. Dieser Moment schließlich ist dann auch der letzte, bindende Faktor, der in seiner Konsequenz und Aussagekraft ¿QUIEN SABE? zu einem echten Höhepunkt werden lässt. Doch trotz dieser deutlichen Autorenfilmelemente darf jeder, der nun eine kopflastige Intellektuellenkiste erwartet, beruhigt sein: TÖTE, AMIGO ist trotz seines zu Grunde liegenden Anspruchs ein packendes, mit feuriger Action verziertes Stück Kino geworden, mit dem sich jeder anfreunden kann. Wer das weiß, hat Glück.

Laufzeit: 113 Min. / Freigabe: ab 18