Italien 1973
Regie:
Enzo G. Castellari
Darsteller:
Franco Nero,
James Whitmore,
Delia Boccardo,
Fernando Rey,
Duilio Del Prete,
Silvano Tranquilli,
Ely Galleani,
Daniel Martín
„Dieses
Mal werden Sie sich auf die Polizei nicht verlassen können. Wenn sie
Sie nicht kriegen können, kriegen sie die, die Ihnen nahe stehen,
die Sie lieben.“
Inhalt:
In
Genua ist die libanesische Drogenmafia auf dem Vormarsch. Kommissar
Belli [Franco Nero] ermittelt energisch gegen die Hintermänner. Sein
Objekt der Begierde ist der „Libanese“, der sich als Kurier für
das Syndikat verdingt und der Polizei daher wertvolle Informationen
liefern könnte. Endlich, nach monatelanger Planung, kann Belli den
Mann nach einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd festnehmen. Doch
die Freude über den Erfolg währt nicht lang: Noch bevor das
Polizeiauto samt Gefangenem das Revier erreicht, wird es in die Luft
gesprengt. Belli selbst entkommt dem Flammentod dabei nur durch puren
Zufall. Mehr denn je legt er es nun darauf an, an die Drahtzieher
heranzukommen und redet energisch auf seinen Vorgesetzten Scavio
[James Whitmore] ein. Dieser hat über Jahre hinweg wichtige
Informationen gesammelt, die er allerdings gezielt zurückhält, bis
die Beweise zum großen Gegenschlag ausreichen. Auf Bellis Drängen
hin beschließt er, die Akten vorzeitig freizugeben. Sein
Todesurteil! Scavio wird auf offener Straßen ermordet, die Beweise
werden gestohlen. Zwar gelingt es Belli, den Attentäter ausfindig zu
machen, doch damit bringt er nun seine Familie in Gefahr. Es beginnt
ein Kampf und Leben und Tod.
Kritik:
In
den 70er Jahren entwickelte sich der italienische Polizeifilm quasi zu
einem eigenen Genre. Inspiriert von Don Siegels Reißer DIRTY HARRY
sowie realen Ereignissen (blutige Ausschreitungen auf offener Straße
standen, vor allem in Palermo, damals an der Tagesordnung) ersannen
die Drehbuchautoren einen ganzen Bau voller skrupelloser
Selbstjustiz-Bullen, die sich mit ganzer Härte und vollem
Körpereinsatz gegen das grassierende Unrecht zur Wehr setzten –
und damit ironischerweise selbst zu einem Rädchen im Gewalt-Getriebe
wurden. Der 1973 fertiggestellte TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT gehört
noch zu den früheren Vertretern dieser Gattung, was man ihm
rückwirkend auch anmerkt, bleibt man hier inhaltlich doch
überwiegend auf dem Teppich. Wo ein Maurizio Merli später in
vollkommen überspitzten Gassenhauern wie DIE GEWALT BIN ICH bereits
Maulschellen verteilte, bevor er überhaupt „Guten Tag“ gesagt
hatte, erscheint Franco Neros Kommissar Belli noch ausreichend
bodenständig und gesetzeskonform, um nicht zu einer Karikatur zu
verkommen. Trotz des nicht zu leugnenden Schwerpunkts auf Kinetik und
Krawall schafft das rüde Spektakel daher dennoch den schwierigen
Spagat zwischen Action und Anspruch und besticht durch eine
geerdetere und realistischere Herangehensweise. Autor und Regisseur
Enzo G. Castellani [→
TÖTE ALLE UND KEHR ALLEIN ZURÜCK] verband publikumswirksame, zum Teil freilich nicht
unspekulativ ausgeschlachtete Sensationseffekte mit der anklagenden
Attitüde eines Damiano Damiani, der zeitgleich versuchte, mit
gesellschaftskritischen Thrillern wie DER CLAN, DER SEINE FEINDE
LEBENDIG EINMAUERT (1971, ebenfalls mit Franco Nero in der
Hauptrolle) wachzurütteln.
Dass
es dabei nicht gerade zimperlich zugeht, liegt in der Natur der
Sache. TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT portraitiert die Mafia nicht
romantisch-verklärt, wie viele Mitbewerber, sondern als völlig
außer Kontrolle geratene Bande vollkommen skrupel- und ehrloser
Berserker, die ohne Rücksicht auf Verluste rumholzen, dass sich die
Balken biegen. Da wird aus nichtigstem Anlass lieber mal einer zu
viel zur Hölle geschickt als einer zu wenig und der Tod kleiner
Kinder dabei achselzuckend unter Kollateralschaden verbucht. Es
werden keine raffinierten Pläne mehr ausgetüftelt, sondern der Weg
des geringsten Widerstandes gewählt. Da werden Sprengsätze gelegt
oder Widersacher auf offener Straße wahlweise erschossen oder
überrollt. Ein effektiver Schutz scheint ob dieser Ruchlosigkeit
schlichtweg nicht mehr existent. In einer noch recht frühen Szene
besucht der gebeutelte Kommissar Belli den alternden Mafiaboss
Cafiero (klischeehaft, aber effektiv verkörpert von Fernando Rey),
der sich mittlerweile aus dem Geschäft zurückgezogen hat, um seinen
Lebensabend der Blumenzucht zu widmen. Dieser warnt den Kommissar,
dass die Regeln sich geändert und längst neue Leute die Bühne des
Organisierten Verbrechens betreten haben, deren Brutalität alles
bisher Bekannte übersteigt.
Spätestens
hier wird auch dem Publikum klar, dass ein rechtsstaatlicher Weg, das
Unheil auszuräumen, nicht funktionieren kann. Dass Kommissar Belli am Ende dennoch nicht, wie es vielleicht zu erwarten wäre, zur
Charles-Bronson-artigen Kampfmaschine mutiert, die sich ohne
Rücksicht auf Verluste durch seine Gegner pflügt, beweist, dass es
Castellari nicht daran gelegen war, lediglich eine simple Jahrmarktsattraktion abzuliefern, sondern durchaus das nötige Maß an Frustration und Wut
in seine Arbeit legte. Dass im Finale dennoch ordentlich die Fetzen
fliegen, freut den gemeinen Actionfreund natürlich. Überhaupt legt
TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT ein enormes Tempo vor und beglückt den
Zuschauer bereits in der Eröffnung mit einer zünftigen
Verfolgungsjagd. Zwar weiß man zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht
genau, worum es eigentlich geht, der Puls wird nichtsdestotrotz
anständig in die Höhe getrieben. Die gebotenen
Hetzjagden und Bleigewitter sind allesamt auf der Höhe ihrer
Zeit und müssen sich hinter ihren mit mächtig Budget realisierten
amerikanischen Pendants wahrlich nicht verstecken. Dazu gesellt sich
die bewährte italienische Radikalität, die das Geschehen immer
wieder mit kleinen Sadismen würzt (die man aus der damaligen
deutschen Kinofassung dann pflichtbewusst auch gleich wieder entfernt
hat). So werden auch mal durchaus wertvolle Körperteile entfernt
oder Schürhaken effektiv zweckentfremdet, um den Gegner das Fürchten
zu lehren.
Ausfälle
erlaubt sich TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT kaum. Franco Nero kratzt mit
seinem Spiel zwar hin und wieder mal an der Grenze zur Übertreibung,
aber hier hat man es halt mit großem Kino zu tun, da gehört ein
bisschen Theatralik eben auch dazu. Und dass ein Kommissar aus
Italien quasi auch mühelos durch Genua und Marseille toben darf,
ohne dabei irgendwelche Kompetenzen zu überschreiten, kauft man da
ebenfalls gleich mit, zumal die verschiedenen Schauplätze auch für
ein angenehmes internationales Flair sorgen. Auch an der Besetzung
gibt es nichts zu kritteln. Natürlich wird das Szenario ohne jede
Frage von Franco Nero beherrscht (der hier nur zufällig denselben Namen trägt wie in seiner Rolle als zwielichtiger Bulle in DIE KLETTE), aber auch die kleineren Rollen sind
wunderbar besetzt. Fernando Rey als pensionierten Paten zu besetzen war
eine ebenso raffinierte wie effektive Idee, war seine Darstellung als
hassenswerter Antagonist in dem Action-Meilenstein FRENCH CONNECTION damals doch noch allzu gut im Gedächtnis. Und als vielleicht bester
Casting-Coup erweist sich James Whitmore [→ DIE VERURTEILTEN], der
als Bellis Vorgesetzter Scavio, stets zwischen Pflichtbewusstsein,
Furcht und Verzweiflung pendelnd, eine Glanzleistung aufs Parkett
legt. Das weibliche Personal hat, wie so oft im italienischen
Machokino, eher das Nachsehen und darf keine großen Akzente setzen.
Als Kommissar Bellis Freundin sieht man Delia Boccardo [→
DIE KILLERMAFIA], die nicht viel zu tun hat, das dafür aber gut
macht, und deren gemeinsamen Nachwuchs gibt die Regisseurstochter
Stefania Girolami Goodwin [→ THE RIFFS], die aufgrund ihrer
Plietschigkeit (und deutschen Synchronstimme) ein wenig nervig
rüberkommt, aber das ist mehr oder minder schnell vorbei.
Summa
summarum ist TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT ein echtes Brett. Zwar hat man
es hier wider Erwarten nicht mit einem amoklaufenden Franco Nero zu
tun, sondern eher mit einem, der aus lauter Verzweiflung über seine
Impotenz im Angesicht des Verbrechens fast vor die Hunde geht,
Freunde ruppiger Action kommen dennoch voll und ganz auf ihre Kosten.
Castellari kreierte eine gesunde Mischung aus Gesellschaftskritik und reißerischen Effekten und schafft es somit, gleich mehrere
Parteien zufriedenzustellen. Da ist man gern Zeuge.
Laufzeit: 102 Min. / Freigabe: ab 18
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