Italien 1969
Regie:
Romolo Guerrieri
Darsteller:
Franco Nero,
Florinda Bolkan,
Adolfo Celi,
Delia Boccardo,
Susanna Martinková,
Renzo Palmer,
Roberto Bisacco,
Maurizio Bonuglia
„Ein
in der Wahl seiner Methoden unverfrorener Detektiv klärt in Rom
mehrere Morde auf. Schablonenhafter Kriminalfilm.“
[Das Lexikon
des Internationalen Films lässt mal wieder keine Fragen offen.]
Inhalt:
Kommissar
Stefano Belli [Franco Nero] arbeitet bei der Fremdenpolizei, bessert
seine Kasse allerdings hin und wieder mit nicht immer ganz astreinen
Privataufträgen auf. Eines Tages bittet ihn Rechtsanwalt Avvocato
Fontana [Adolfo Celi] um zwei vermeintlich einfache Gefallen: Zum
einen soll Belli das britische Fotomodell Sandy Bronson [Delia
Boccardo], die aktuelle Bettgespielin seines Sohnes Mino [Maurizio
Bonuglia], außer Landes weisen, da diese ihm ein Dorn im Auge ist,
und zum anderen die Integrität des Musikproduzenten Romanis [Marino
Masé] überprüfen, in den Fontanas Gattin Vera [Florinda Bolkan]
eine Stange Geld zu investieren gedenkt. Nachdem Belli zunächst
Bronson einen Besuch abgestattet hat (die daran scheiterte, ihn mit
Aussicht auf horizontales Vergnügen von seinem Vorhaben
abzubringen), macht er sich als nächstes auf zu Romanis. Dieser befindet sich zwar auch in der Horizontalen, ist aber leider tot. Erschossen. Urplötzlich wird der scheinbar
so simple Nebenjob zu einem gefährlichen Spiel, denn Kommissar Baldo
[Renzo Palmer] von der Mordkommission ist plötzlich ebenfalls vor
Ort und Belli gerät unter Verdacht, etwas mit dem Verbrechen zu tun
zu haben. Um seine Unschuld zu beweisen und seine Bestechlichkeit zu
vertuschen, stellt Belli eigene Ermittlungen an und erfährt mit
Verblüffung, wer die Wohnung des Opfers als letztes verlassen hat:
Sandy Bronson. Belli beginnt mit der Suche nach den Hintergründen
und verfängt sich in einem Netz aus Lügen und Intrigen.
Kritik:
Humphrey
Bogart machte es vor, Franco Nero macht es nach. Zwar stammt DIE
KLETTE unübersehbar nicht aus der Heimat der Schwarzen Serie, den in
schickes Schwarzweiß getauchten Vereinigten Staaten, sondern aus dem
sonnigen Italien, ist aber dennoch ein lupenreiner Film Noir mit
allem, was was dazugehört: abgebrühte Ermittler, verhängnisvolle Frauen (hier gleich mehrere an der Zahl) und miese Morde, dazu jede Menge Lug und Trug und Niedertracht. Strahlende
Helden gibt es hier ebenso wenig wie Anstand oder Moral. Auch Franco
Neros Kommissar Belli, ohne jede Frage die Hauptfigur in diesem
rücksichtslosen Ränkespiel, beugt das Recht, wie es ihm passt, und
hat hauptsächlich den schnellen Taler im Sinn. Dabei geht er alles
andere als zimperlich zur Sache, und die Antwort auf die Frage, wie viele
Maulschellen er hier verteilt, lautet schlicht und ergreifend: Alle! Tatsächlich gibt es kaum einen Besuch
Bellis, der für den Besuchten nicht mit einer zünftigen Ohrfeige oder der Zerstörung des Mobiliars oder beidem endet. Fast könnte man
ein Trinkspiel daraus machen: Wer sich traut, sich jedes Mal,
wenn die „Klette“ wieder Backenfutter verteilt, einen zur Brust
zu nehmen, der dürfte das Ende nicht mehr in vollem Bewusstsein
miterleben. Allzu tragisch wäre das nun allerdings nicht, das
ist eh ein wenig seltsam (wobei offenbar mehrere Varianten davon
existieren). Zudem verliert man ohnehin spätestens ab der Hälfte den Faden, da einen der ganze Bau voller Intrigen, die das Drehbuch
im Laufe der Zeit so zusammenspinnt, irgendwann nicht mehr so recht
interessieren will.
Das
soll nun allerdings nicht etwa heißen, dass DIE KLETTE nichts taugt. Freunde gediegener Krimi- und Noir-Unterhaltung erleben hier
sogar ein kleines Fest und Fans üppiger Dekors werden in manchen
Szenen ebenso begeistert in die Hände klatschen wie Franco Nero in
fremde Gesichter. Übrig bleibt davon am Ende zwar wenig, wenn die
„Klette“ mal wieder eskaliert und ihre Umgebung fachmännisch in
ihre Einzelteile zerlegt, eine Augenweide bleibt es dennoch. Viel
schwieriger als die Suche nach attraktivem Interieur gestaltet sich
hingegen die nach einer geeigneten Identifikationsfigur. Zwar ist man
als Zuschauer aufgrund der Erzählstruktur zwangsläufig irgendwie
auf Kommissar Bellis Seite, wirkliche Sympathien allerdings empfindet man für den reichlich ruchlosen Schnüffler nicht. Belli macht von Anfang an keinen Hehl daraus, sich
hauptsächlich für den schnöden Mammon zu interessieren und macht
auch im weiteren Verlauf keine nennenswerte charakterliche
Entwicklung durch. Auch seine Gewalt- und Zerstörungsorgien ordnen
ihn eher in die Kategorie des Psychopathen ein, was seinen Höhepunkt
in der Sequenz findet, in welcher er mit dem Auto eine
selbstmörderische Amokfahrt unternimmt, um seine Beifahrerin zu
einem Geständnis zu bewegen. Dass er dabei andere Verkehrsteilnehmer
gefährdet und einige sogar tatsächlich vom Bock holt, scheint ihm
völlig egal sein.
Trotz
allem ist die Figur des Kommissar Belli allerdings noch weit entfernt
von dem DIRTY HARRY-artigen Selbstjustiz-Cop, wie er von Franco Nero
(zumindest ansatzweise) ein wenig später in TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT
portraitiert wurde. Zwar nimmt Belli bereits gewisse Grundzüge
vorweg (wie die bewusste Übertretung von Dienstvorschriften oder das
rabiate Erzwingen von Geständnissen), insgesamt jedoch agiert er
noch viel zu betulich und auf eigenen Vorteil bedacht, um z. B. mit
einem Maurizio Merli verglichen zu werden, der später in Italien zum
rachsüchtigen Prügel-Polizisten wurde. Das weibliche Geschlecht ist
hier zwar ausnahmslos attraktiv und verführerisch, wird aber
entweder von eiskalten Biestern vertreten oder von zumindest
scheinbar naiven Schönheiten, denen schlichtweg nicht über den Weg
zu trauen ist. „It's a man's world“, singt James Brown während
des Vorspanns (wobei wohl auch da unterschiedliche Varianten
existieren), aber die Wahrheit sieht anders aus. Zwar frönen Belli
und seine Kollegen dem gemeinen Machismus bis in die letzte
Haarspitze (man beachte die Szene, in der sie in völliger
Selbstverständlichkeit mit Glimmstengel zwischen den Fingern im
Krankenhauskorridor stehen und bei der vorbeilaufenden Schwester
einen Kaffee bestellen), tatsächlich jedoch sind sie hilflose Opfer
durchtriebener Weiblichkeit.
Auf
keinen Fall sollte man den Fehler begehen, hier ein spektakuläres
Action-Vehikel mit jeder Menge Schlag- und Schussabtausch zu erwarten,
wie es Franco Nero in späteren Jahren in seine Vita aufnahm. Trotz
besagter Autojagd-Sequenz ist DIE KLETTE nämlich ganz im Gegenteil
ein in fast schon klassischer Langsamkeit erzählter Detektivfilm,
der zudem auch auf ausgespielte Brutalitäten verzichtet. Fans des
charismatischen Schauspielers kommen dennoch voll und ganz auf ihre
Kosten. Franco Nero ist in so gut wie jeder Szene zugegen, sieht ohne
seinen später üblichen Schnauzbart Terence Hill allerdings fast
ähnlicher als sich selbst. Dazu gesellen sich Renzo Palmer [→ DIE
GEWALT BIN ICH] als gegen Belli ermittelnder, aber ihm irgendwie auch
verbundener Kommissar Baldo, und Adolfo Celi [→ DER MAFIABOSS] als
stinkreicher und schon allein dadurch zwielichtiger Anwalt. Die
feminine Fraktion besteht unter anderem aus Delia Boccardo [→ DIE KILLERMAFIA] als verführerisches Fotomodell, der in Brasilien
geborenen Florinda Bolkan [→ JUNGE MÄDCHEN ZUR LIEBE GEZWUNGEN] als geheimnisvolle Anwaltsgattin und der in
Prag zur Welt gekommenen Susanna Martinková [→ DJANGO, DER BASTARD] als wahrhaft schnuckelige Sängerin, die hier drollige Sätze sagen darf
wie: „Ich bin mal mit ihm ins Bett gegangen. Es war nachmittags.“
Die Inszenierung geriet dazu sehr schick und vor allem die originelle
Bild- und Tonmontage gefällt (man beachte die ungewöhnlich
aufgelöste Eröffnungssequenz des die Ereignisse in Gang setzenden Mordes).
Warum
sich der eigentlich sonst so gewitzt auftretende Kommissar Belli am
Ende dann anstellt wie ein blutiger Anfänger, ist vermutlich das größte
Geheimnis, das es in DIE KLETTE zu lösen gilt. Sei es drum! Romolo
Guerrieris [→ 10.000 BLUTIGE DOLLAR] stilsichere Fingerübung ist,
trotz mittiger Spannungs- und Stimmungsschwankungen, am Ende dennoch
lohnende Unterhaltung für all jene, die dem klassischen Kriminalkino
etwas abgewinnen können und ein Faible dafür haben, wenn zwischen Kippendunst und
Alkoholfahne gemeuchelt, ermittelt und verführt wird. Wer was
anderes behauptet, dem stattet die „Klette“ einen Hausbesuch ab.
Und dann kippt wieder der Watschenbaum um. It's a man's world.
Laufzeit: 101 Min. / Freigabe: ab 18
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