Eigene Forschungen

Mittwoch, 18. Juni 2025

BALLERINA


BALLERINA
USA 2025

Regie:
Len Wiseman

Darsteller:
Ana de Armas,
Gabriel Byrne,
Anjelica Huston,
Ian McShane,
Lance Reddick,
Norman Reedus,
Keanu Reeves,
Sharon Duncan-Brewster



„Aus der Welt von John Wick“ prangt prominent auf dem Plakat zu BALLERINA, damit auch ja niemand übersieht, es mit einem Ableger der populären Profikiller-Reihe zu tun zu haben. Dabei hätten sich 2014, als Teil 1 an den Start ging, wohl selbst die Produzenten nicht träumen lassen, dass die brutale Ballerorgie JOHN WICK einmal in Blockbuster-Sphären vorstoßen und der Name zur Marke reifen würde. Aber die später zum überlangen Epos aufgeblasene Action-Saga ließ trotz hoher Freigaben und Verzichts auf Massenkompatibilität von Fortsetzung zu Fortsetzung immer lauter die Kassen klingeln und bescherte ihrem Hauptdarsteller Keanu Reeves als unkaputtbarem Auftragsmörder auf der Abschussliste einen respektablen Alterseinstand. Zwar wirkt die Verbindung zum Vorbild teils etwas forciert, aber Fans haben bei BALLERINA dennoch allen Grund zur Freude. Denn der „weibliche Wick“ ist kaum weniger mörderisch unterwegs als das Original und entfesselt – wortwörtlich – einen Feuersturm der Rache.

Inhalt:

Als Eve Macarro [Victoria Comte] ihren ersten Menschen tötet, ist sie noch ein Kind: Sie feuert eine Kugel in den Körper des Mannes, der kurz davor ist, ihren Vater umzubringen. Doch dieser kam nicht allein. Er war Teil eines Killer-Kommandos, das einen groß angelegten Überfall auf die prachtvolle Privatbehausung des Syndikatmitglieds unternimmt. Auf der Flucht vor weiteren Attentätern erliegt der Angegriffene schließlich dennoch der feindlichen Übermacht. Seine traumatisierte Tochter überlebt und findet Zuflucht in einem ganz besonderen Waisenhaus: der Ballettschule der „Direktorin“ [Anjelica Huston]. Hier lernen die Mädchen nicht nur das Tanzen – sondern auch das Töten. Jahre später arbeitet Eve [jetzt: Ana de Armas] als Auftragsmörderin. Bei einem ihrer Einsätze entdeckt sie an ihrem Opfer eine Tätowierung, die ihr arg bekannt vorkommt: Die Mörder ihres Vaters trugen dieses Zeichen ebenfalls. Getrieben von Neu- und neu entflammter Vergeltungsgier beginnt sie, Nachforschungen über die Hintergründe des Symbols anzustellen – und entfacht damit unversehens eine blutige Fehde zwischen zwei mächtigen Bruderschaften.

Kritik:

Dass Musikalität eine der Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Action-Szene bildet, ist nicht erst seit den Kung-Fu-Reigen der Shaw Brothers oder den Blei-Balletten eines John Woo bekannt. Taktung, Körperbeherrschung, Choreographie, all das muss sitzen wie auf dem Parkett des Wiener Opernballs. Daher ist die Idee, ausgerechnet eine Tänzerin zur Action-Heldin zu machen, eigentlich eine sehr naheliegende. Dass BALLERINA diesen Titel trägt, weil die Protagonistin tatsächlich eine ist, und nicht etwa deswegen, weil sie die meiste Zeit wie wild um sich ballert, könnte man zwischenzeitlich allerdings auch durchaus mal vergessen. Bezüge auf die entsprechende Ausbildung werden mit Beginn ihres Privatfeldzugs nämlich überwiegend in den Hintergrund gedrängt. Fabelhaft inszeniert sind sie freilich dennoch, die zahlreichen Action-Scharmützel, die vor verschlagenem Witz und visuellem Einfallsreichtum nur so sprühen und damit in jeder Hinsicht die Tradition der Hauptreihe weiterführen. Trotzdem unterscheidet sich Eve Macarro von John Wick, den das Publikum ja als bereits erwachsenen Mann kennenlernte, bevor Scheibchen für Scheibchen offenbart wurde, wer diese Person überhaupt ist. Bei Eve indes ist es bei der Killerwerdung quasi von Beginn an mit dabei und wird Zeuge, wie sie das System erst begreifen und ihren Platz in ihm finden muss.

Und dieses System ist ganz schön komplex. Denn nach dem vergleichsweise geerdeten Einstieg mit JOHN WICK im Jahre 2014 sprudelte der Erfindergeist der Macher regelrecht über. In den Fortsetzungen entstand so eine absurde Paralleldimension, die dem Fantasy-Genre näher steht als dem Action-Genre, eine Art „Wickiversum“, in dem etliche miteinander verfeindete Killer-Clans bizarren Regeln und Kodexen folgend in einem empfindlichen Gleichgewicht weltumspannend mit- und gegeneinander agieren. Der in JOHN WICK III eingeführte Clan der Ruska Roma dient hier als Bindeglied zur Hauptreihe, denn deren Mitglied ist nun „Ballerina“ Eve Macarro. Für weitere Anbindung sorgen Auftritte bekannter Figuren wie Hotelmanager Winston (Ian McShane), Concierge Charon (Lance Reddick), die (nach wie vor) namenlose Direktorin der Ballett- und Ballerschule (Anjelica Huston) – sowie Keanu Reeves als John Wick persönlich, der sogar stärker eingebunden wurde, als es nötig gewesen wäre. Da wollte man wohl – der Vermarktung wegen – auf dessen Zugkraft schlichtweg nicht verzichten. Dabei hätte Hauptdarstellerin Ana de Armas solch prominenten Beistand gar nicht nötig gehabt, denn BALLERINA wuppt sie ganz allein. Obwohl grundsätzlich eher zierlicher Natur, geht sie körperlich in die Vollen und erweckt ihre Figur als energiegeladenen Wirbelwind zu wuchtigem Leben, mit kleinen Momenten des Zauderns und Zweifelns zwar, doch stets von absolut glaubwürdiger Tödlichkeit. Action-Erfahrung sammelte die Darstellerin bereits 2019 als Anhängsel des berühmtesten Geheimagenten Ihrer Majestät in KEINE ZEIT ZU STERBEN. Hier jettet sie nun selbst wie Bond um die Welt und landet schließlich in einem österreichischen Bergdorf, in dem es zu einem Finale kommt, das ebenso grotesk wie gigantisch ist.

Auf inhaltlicher Ebene hat man sich für BALLERINA wahrlich kein Bein ausgerissen – es ist die typische Geschichte einer Person, die Rache will für den Tod eines Familienmitglieds. Nachdem Einführung und Ausbildung der Protagonistin abgeschlossen sind, findet sie zufällig eine Spur, folgt ein paar Hinweisen und arbeitet sich von Station zu Station weiter vor, bis sie dem Endgegner gegenübersteht. Ihren Reiz bezieht die ausgetretene Story in erster Linie durch ihre Implantierung in die wundersam-verschrobene Wick-Welt, deren Wiedersehen einem ein Lächeln auf die Lippen zaubert, als treffe man nach längerer Zeit einen alten Freund wieder. Das ist die Welt, in der man sich mitten auf der Tanzfläche einer gefüllten Diskothek ein waffenstarrendes Duell liefern und dem Gegner Äxte ins Fleisch treiben kann, ohne dass sich die übrigen Anwesenden in irgendeiner Form daran stören. Oder in der Kämpfe auf offener Straße ausgetragen werden, gerne auch mit Auto als Waffe, ohne dass man Gefahr liefe, in seinem Tun von irgendwem unterbrochen zu werden. Vor allem aber ist es die Welt, in der, obwohl eigentlich in der Gegenwart angesiedelt, von den Kartellen regelrecht vorsintflutliche Technik zur Kommunikation angewendet wird – was immerhin Arbeitsplätze schafft, weil die guten, alten Telefonistinnen nun endlich wieder was zu tun bekommen und kettenrauchend Steckverbindungen herstellen sowie auf klobigen Tasten herumhämmern dürfen. Und zur Ortung von Feinden verwendet die Organisation natürlich nicht etwa GPS oder Satelliten – wozu denn auch, wenn es doch Fernrohre gibt?

Das herrliche Understatement, mit dem all diese Paradoxien serviert werden, als seien sie vollkommen selbstverständlich, verleiht BALLERINA (ebenso wie der ursprünglichen Wick-Reihe) einen hintersinnigen Humor, der brüllend komisch ist, obwohl auf der Oberfläche de facto nicht ein einziger Scherz geschieht. Und wenn Eve sich einem Wirtshaus mit Messer, Gabel, Schere, Licht (und allem, was sonst noch gerade greifbar ist) gegen eine aberwitzige Anzahl von Angreifern erwehren muss und die launige Schunkelmusik im Hintergrund zu dem ganzen Hauen, Stechen und Schießen fröhlich weiternervt, dann hat das ebenfalls mehr Witzpotenzial als manch vermeintlich lustige Sprücheklopferei der Blockbuster-Konkurrenz. Einem der Vorbilder wird dabei auf fast schon zu plumpe Weise gehuldigt, flimmert doch auch einmal das Massaker begleitend Stummfilm-Star Buster Keaton über den Fernsehschirm, dessen akrobatischen Komik-Kapriolen ja auch stets von stoischen Gesichtsausdrücken begleitet waren. Zum Slapstick gesellt sich bei BALLERINA freilich noch eine zünftige Portion Splatter, wenn dem Schurken per durch den Raum geschleudertem Schlittschuh erst noch eine mehr als nur gründliche Rasur verpasst wird, bevor er lustig über das Geländer purzelt.

Obwohl der Härtegrad bei alledem prinzipiell recht hoch ist, wirken die Gewaltakte durch Übertreibungen wie diese eher cartoonig als wirklich brutal. Wie schon beim Vorbild JOHN WICK besteht die Action überwiegend aus kung-fu-ähnlichen Nahkämpfen und Schießereien, die oft fließend ineinander übergehen. Zwischendurch bemüht man sich jedoch immer wieder, etwas Neues, Originelles zu erschaffen. Genannt sei hier der Moment, in dem die Heldin sich in einem Gewölbe ihrer Gegner mittels mehrerer Granatenwürfe entledigt, während sie selbst immer wieder hinter Stahltüren und ähnlichem Gerät in Deckung springt. Wenngleich vom Skript in den Schatten John Wicks gedrängt (der, wie gesagt, etwas zu viel Spielraum bekommen hat), steht die „Ballerina“ am Ende doch auf eigenen Beinen und funktioniert auch als eigenständige Veranstaltung ganz ausgezeichnet. Zumal im Showdown dann endlich die brennende Frage geklärt wird, was denn nun eigentlich stärker ist: Flammenwerfer oder Feuerwehrschlauch? Eine Antwort bleibt man allerdings schuldig: Warum wird in allen Ballettschulen dieser Welt eigentlich immer nur „Schwanensee“ gespielt? Und warum sogar in der Welt von John Wick?

Laufzeit: 125 Min. / Freigabe: ab 18

Freitag, 13. Juni 2025

BROTHERS FROM THE WALLED CITY


SENG ZAAI CEOT LAI ZE
Hongkong 1982

Regie:
Lam Nai-Choi

Darsteller:
Chin Siu-Ho,
Phillip Ko Fei,
Johnny Wang Lung-Wei,
Liu Lai-Ling,
Wong Ching,
Kwan Hoi-San,
Pak Man-Biu,
So Hang-Suen



Shaw Brothers-Produktionen bringen die meisten wohl spontan mit aufwändigem Kung-Fu-Krawall in Verbindung, manch einer vielleicht auch noch mit Grusel-Gulasch oder Monster-Mumpitz. BROTHERS FROM THE WALLED CITY allerdings, obwohl vom Titel her eigentlich prädestiniert für eine weitere Heldenreise wackerer Kampfkunst-Recken, bespielt ein Genre, das in diesem Kontext wohl die wenigsten auf dem Zettel haben: das Großstadt-Drama. Gut, völlig neu ist die Thematik freilich nicht – immerhin begab man sich dafür ins Gangster-Milieu, in dem zuvor bereits viele Action-Auswüchse des Anbieters angesiedelt waren. Aber dieses von Regisseur Lam Nai-Choi auf den Weg gebrachte Werk verzichtet auf unrealistische körperbetonte Kinetik und setzt stattdessen auf eine stark dokumentarisch angehauchte, trockene Authentizität – nicht unähnlich der Idee des New Hollywoods, das mit seinen ambivalenten Enden, komplexen Charakteren und gesellschaftlichen Themen mit starren Konventionen brach. New Hongkong sozusagen.

Inhalt:

Xiao [Ha Wai-Hong] und Da [Lee Kim-Chung] wachsen unter prekären Bedingungen auf: In den Straßen der Walled City Kowloons verleben sie eine wilde Kindheit zwischen Chaos und Kriminalität. Ihre Welt gerät ins Wanken, als ihr Vater Chan [Kwan Hoi-San] von einem Drogensüchtigen eine Klinge in den Leib gestoßen bekommt und vor ihren Augen verstirbt. Als Heranwachsende kommen beide nicht mehr recht in die Spur. Trotz des Zuredens seines älteren Bruders, gerät vor allem Xiao [jetzt: Chin Siu-Ho] immer mehr außer Kontrolle, wagt gefährliche Mutproben und rebelliert gegen alle Regeln. Versehentlich legt er sich dabei auch mit dem Triadenmitglied Yi Ching [Wong Ching] an – ein Konflikt, der sich immer weiter zuspitzt. Als Xiaos Freundin Mei Ling [Liu Lai-Ling] schwanger wird, heizt ihr Vater, der jähzornige Officer Cheung [Johnny Wang Lung-Wei], die Situation noch weiter an. Verzweifelt versucht Da [jetzt: Phillip Ko Fei], die kommende Katastrophe abzuwenden.

Kritik:

Grob und ungeschliffen, fern der filigranen Kunstfertigkeit vieler anderer Shaw Brothers-Beiträge, gleicht BROTHERS FROM THE WALLED CITY einem düsteren Sozial-Krimi, der von entwurzelten Menschen erzählt, von ihrem Ringen darum, im Leben Fuß zu fassen, um am Ende doch nur Gefangene ihrer Welt zu bleiben, sei es durch äußere Umstände oder innere ZwängeXiao und Da, die beiden Brüder, die den Titel schmücken dürfen, fungieren als Symbolfiguren dieser Situation und werden daher vom Skript ausführlich beleuchtet. Der Prolog, in dem sie im Kindesalter ihren Vater verlieren, fällt dabei recht lang aus, bedenkt man, dass diese Ereignisse für den weiteren Verlauf eigentlich keine Rolle mehr spielen. Zugleich ist das auch der einzige Abschnitt, der tatsächlich in der Kowloon Walled City spielt, jenem von der Außenwelt abgeschotteten, von Gesetzlosigkeit beherrschten und dicht an dicht besiedelten Mikrokosmos, der noch bis in die 1990er-Jahre existierte. Eingemauert bleiben sie dennoch, die Titelhelden, auch im Erwachsenenalter, als ihnen – zumindest rein theoretisch – alle Türen offen stehen. Die These, dass Umfeld und Herkunft sowohl den Charakter prägen als auch den Lebensweg bestimmen, die Figuren also von Anfang an keine Chance haben, dem Strudel der Gewalt jemals zu entkommen, wird dabei zwar niemals explizit aufs Brot geschmiert, aber steht natürlich im Raum.

Vollends überzeugend wirkt diese Vermutung dabei freilich nicht, gefällt sich der jüngere Bruder, Xiao, als Heranwachsender doch überwiegend als infantiler Lausbube, der mit seinen Mitmenschen launige, teils auch schmerzhafte Scherze treibt, ohne dass dafür ein notwendiger Anlass erkennbar wäre. Da sich die Aktionen zwar nicht ganz, aber doch so ungefähr auf dem Niveau deutschen 1960er-Jahre-Pennäler-Klamauks befinden, konterkariert das doch einigermaßen mit der angestrebten Dramatik. Ausschlaggebend für die andauernde Abwärtsspirale ist dann, dass Xiao bei einer seiner Aktionen ein Triadenmitglied brüskiert, das diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen möchte. Kaum weniger unreif als sein Gegenüber, zettelt der Verunglimpfte daraufhin eine Retourkutsche an – der Beginn eines kleinkarierten Rache-Reigens, der sich so weit hochschaukelt, bis er alle Beteiligten in den Abgrund reißt. Das scheint in der Summe ein wenig bemüht: Warum sollte sich ein aufstrebender Gangster von einem Dumme-Jungen-Streich derart aus der Fassung bringen lassen, dass bald sein gesamter Alltag davon dominiert wird? Sonst keine Sorgen? Am Ende steht die Erkenntnis, dass wohl gar nichts Schlimmes passiert wäre, hätten sich alle Anwesenden einfach mal ein bisschen zivilisierter benommen – was dem postulierten Ansatz des Umweltdeterminismus dezent widerspricht. Auch wirkt vieles konstruiert und zurechtgebogen, um das Drama überhaupt erst in Gang zu bringen und halten zu können. Dazu gehört auch der fast schon übertrieben gehässig gezeichnete Officer Cheung (Wang Lung-Wei aus DER SHAOLIN-GIGANT), dessen Missgunst und Niedertracht nicht so recht nachvollziehbar erscheinen – immerhin ist er Polizist.

Nichtsdestotrotz: Fesselnd ist sie allemal, diese Großstadt-Fabel, die unterhaltsam zwischen Anspruch und Ausschlachtung sozialer Probleme pendelt – nicht in dem Sinne, dass man sich die Fingernägel zerkaut, aber Langeweile geht eben auch anders. Wer auf Action hofft (was aufgrund des Produktionsstudios gar nicht mal so wenige sein dürften), schaut etwas in die Röhre: BROTHERS FROM THE WALLED CITY spielt nicht in einer dieser Welten, in der jeder Hilfsarbeiter Kung-Fu beherrscht, sondern behält stets Bodenhaftung mit der Realität. Körperliche Auseinandersetzungen sind meist ein wüstes, unelegantes Raufen und in der Regel auch schnell vorbei. Niemand entwickelt Superkräfte, mutiert zum Rambo oder avanciert zum treffsicheren Western-Helden. Betrachtet man das Personal, ist es sogar einigermaßen erstaunlich, wie seriös es hier zugeht. Zum einen steht immerhin Phillip Ko auf der Besetzungsliste, der sich später als Darsteller, Regisseur und Produzent unzähliger Schrottschinken wie ULTRACOP 2000 einen zweifelhaften Ruf erarbeitete. Zum anderen geht die Inszenierung auf das Konto Lam Nai-Chois, der danach nicht nur das schmadderige Fantasy-Horror-Abenteuer-Gebräu THE SEVENTH CURSE zusammenrührte, sondern auch eines der groteskesten Werke verantwortete, die je gedreht wurden: die absurd brutale Manga-Verfilmung STORY OF RICKY. Dort werden Rasierklingen gefuttert, um sie dem Gegner ins Gesicht zu spucken, Kontrahenten mit ihrem eigenen Darm erdrosselt und garstige Gefängnisdirektoren in einer gigantischen Fleischfräse zu Mettgut verarbeitet.

All das könnte kaum weiter entfernt sein von der spröden Authentizitätsattitüde, die hier an den Tag gelegt wird. Allerdings hat Lam die Sache doch ziemlich gut im Griff und auch Herr Ko verkörpert den „vernünftigeren“ der beiden Brüder mit nahbarer Unverfälschtheit. Eine gewisse Groschenroman-Mentalität lässt sich zwar nicht leugnen, aber im Kern bleibt BROTHERS FROM THE WALLED CITY ein wütendes, nihilistisches Moralstück, das angenehm nach Straße schmeckt.

Laufzeit: 88 Min. / Freigabe: in Deutschland nicht erschienen

Samstag, 7. Juni 2025

DER KUNG-FU-FIGHTER VON CHINATOWN


TANG REN JIE XIAO ZI
Hongkong 1977

Regie:
Chang Cheh

Darsteller:
Alexander Fu Sheng,
Sun Chien,
Phillip Kwok Chun-Fung,
Lo Meng,
Jenny Tseng,
Shirley Yu Sha-Li,
Siu Yam-Yam,
Johnny Wang Lung-Wei



„Lieber ein lebendiger Versager als ein toter Held.“
(Tang Dongs Chef kennt die Regeln in Chinatown.)

Inhalt:

Tang Dong [Alexander Fu Sheng], ein einfacher Junge vom Land, hat nur einen Wunsch: ein besseres Leben für sich und seinen Großvater. Doch ohne Papiere ist das Überleben auf den Straßen Hongkongs ein täglicher Kampf. Als er sich mit dem zwielichtigen Geschäftsmann Xu Hao [Johnny Wang Lung-Wei] anlegt und von ihm hereingelegt wird, bleibt ihm nur die Flucht in die USA. In San Franciscos Chinatown bekommt er einen Job als Küchenhilfe und findet in seinem Kollegen, dem Studenten Yang Jian Wen [Sun Chien], einen neuen Freund. Doch Dong gerät erneut mit Kriminellen in Konflikt und wird unversehens Mitglied in der Weißer-Drache-Bande Siu Bak-Lungs [Phillip Kwok], wo er aufgrund seiner Kampfkünste schnell Karriere macht. Der naive Dong wird Teil eines Systems, das er nicht durchschaut – ohne zu erkennen, welchen Preis andere für seinen Aufstieg zahlen.

Kritik:

Obwohl CHINATOWN KID zur Zeit seiner Entstehung spielen soll, also um 1977 herum, macht er meist den Eindruck, seine Geschichte fände circa 40 Jahre früher statt. Viel zu altmodisch wirken Look und Setting dieser klassischen „Aufstieg und Fall eines Gangsters“-Story, die vom renommierten Regisseur Chang Cheh [→ ZEHN GELBE FÄUSTE FÜR DIE RACHE] im Auftrag der produzierenden Shaw Brothers entstand und überwiegend in den USA angesiedelt ist. Und genau da liegt vermutlich der Hase im Pfeffer. Denn gedreht wurde überwiegend offensichtlich nicht vor Ort, sondern in hauseigenen hongkonger Studiokulissen, die einen nur wenig authentischen und zudem stark anachronistischen Eindruck hinterlassen. Zwar wurden auch tatsächlich ein paar Szenen in San Francisco gedreht, an markanten Plätzen der realen Chinatown. Dem Vernehmen nach jedoch heimlich, still und leise, ohne wirkliche Drehgenehmigung, und auch nur, um wenigstens ein paar echte Amerika-Bilder integrieren zu können. Im Endprodukt sind die Übergänge zwischen real und künstlich alles andere als fließend und insgesamt eher rührender Natur. Die daraus resultierende Wirklichkeitsferne ist mitverantwortlich dafür, dass der Zuschauer die meiste Zeit über eher auf Distanz bleibt und das Geschehen nicht als ein Stück vom echten Leben begreift, sondern lediglich als (immerhin aufwändig arrangierte) Theatervorstellung.

Doch es ist nicht nur diese Artifizialität, die eine Einbindung erschwert. Das Drehbuch von Ni Kuang [→ DER PIRAT VON SHANTUNG], James Wong Jim [→ DANCING WARRIOR] und Chang Cheh selbst will viel zu viel, macht ein Fass nach dem anderen auf und setzt den Fokus dabei zu selten auf seine Figuren und ihre Facetten. Mit Tang Dong (Fu Sheng aus DER SCHREI DES GELBEN ADLERS) und Yang Jian Wen (Sun Chien aus DER GEHEIMBUND DER TODESKRALLE) werden gleich zu Beginn zwei zentrale Protagonisten eingeführt, die aus verschiedenen Gründen in die USA auswandern, bevor sie sich dort kennenlernen. Vor allem die Geschichte Tang Dongs ist dabei enorm ausladend und unnötig umständlich erzählt, obwohl sie kaum etwas zur späteren Entwicklung oder Charakterbildung beiträgt. Der Zuschauer wird zunächst Zeuge, wie er mit seinem ebenfalls bettelarmen Großvater durch die Straßen Hongkongs zieht, um eine anständige Arbeit zu finden. Da er jedoch keine Papiere hat, stellt ihn kein Unternehmen ein. So weit, so gut. Dann haben beide die Idee, an einem Stand Obstsaft zu verkaufen. Allerdings können sie sich keine Presse leisten. Doch Dong ist kräftig und kann Kung-Fu, was ihn befähigt, Orangen mit bloßer Hand auszuquetschen. Dadurch wird er zu einer Art Touristenattraktion und das Geschäft brummt. Trotzdem müssen sie regelmäßig vor der Polizei fliehen, denn eine Lizenz besitzen sie nach wie vor nicht.

Schon das ist eigentlich viel zu ausufernd erzählt, bedenkt man, dass diese Erlebnisse später keinerlei Relevanz mehr haben. Richtig kompliziert wird es aber erst, als Triadenboss Tsui Ho (Wang Lung-Wei aus BROTHERS FROM THE WALLED CITY) die Bühne betritt, der von Dongs Saftpresskunst so beeindruckt ist, dass er ihn gleich für seine Gang anwerben möchte. Es folgt eine Handvoll redundanter Einzel-Episödchen, aus denen man locker eigenständige Werke hätte weben können. So kommt es zu einem (vermeintlich freundschaftlichen) Zweikampf zwischen Dong und Xu, den Dong gewinnt, woraufhin Xu ziemlich impulsiv reagiert und ihn abstechen will, was dessen Frau allerdings verhindert. Diese spinnt dafür eine Intrige, die Dong glauben lässt, ihre Cousine befände sich in den Händen skrupelloser Entführer. Postwendend will Dong sie befreien – nur, um festzustellen, dass die vermeintliche Verwandte gar kein Familienmitglied ist, sondern von Xu und dessen Frau zur Prosititution gezwungen wird. Dass Dong die Dame ob dieser neuen Erkenntnis nun versteckt hält, erzürnt wiederum Xu, weswegen er Dong (auf sehr lachhafte Weise) Drogen untermogelt und die Polizei auf ihn aufmerksam macht. Nun endlich hat Dong so eine Art Grund, aus der Stadt zu fliehen – wobei die Entscheidung, gleich auch das ganze Land mit zu verlassen trotz dieser ellenlangen Herleitung nicht so wirklich plausibel erscheinen möchte.

Da nebenbei auch noch Yang Jian Wens Vorgeschichte erzählt wird, dauert es eine ganze Weile, bis Chinatown endlich zum zentralen Schauplatz wird. Das gehetzte Tempo der exorbitanten Exposition bleibt dabei weitgehend bestehen, sodass oft lediglich Anhaltspunkte gegeben werden, warum manche Dinge sich so entwickeln, wie sie es halt tun. Als einsame Ausnahme erweist sich die Beschreibung der beinahe bedingungslosen und nahezu aus dem Stegreif erfolgenden Freundschaft zwischen Tang Dong und Yang Jian Wen, die einfühlsam und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl auf die Leinwand gebracht wurde: Beide Männer bewerben sich gleichzeitig beim Restaurantbesitzer Chen (Yang Chi-Ching aus DER MANN MIT DER TIGERPRANKE), der allerdings nur einen Helfer in Lohn und Brot nehmen möchte. Bereitwillig verzichtet Dong auf einen Teil seines Gehalts, um Jian Wen ebenfalls seine Anstellung (und damit sein Studium) zu ermöglichen. Schlafen tun sie dann beide unter einem Dach – im Wortsinne, denn ihr knauseriger Chef lässt sie in einer winzigen Kammer direkt unter dem Giebel hausen, in der kaum genug Platz für eine einzige Person wäre. Nach Feierabend hocken sie dort regelmäßig zusammen und erzählen von ihren Leben, Hoffnungen und Träumen. Sie schuften für einen Hungerlohn, werden ausgiebig ausgenutzt, fristen ihr Dasein in einem kargen Verschlag – und scheinen doch glücklich, denn zuvor hatten sie noch weniger. Schon gar keine Perspektive. In einem charmanten Running Gag stoßen sie sich während ihrer Gespräche immer wieder den Kopf an der niedrigen Decke. Ein schönes Gleichnis: Die jungen Männer wollen hoch hinaus – und werden in ihrer Begeisterung immer wieder von ihrer beengten Lebensrealität gestoppt, die sie daran erinnert, dass es noch längst nicht so weit ist. Das Schlagen mit den Fäusten an die einzwängende Zimmerdecke wird zum symbolischen, später immer wieder aufgegriffenen Akt, zum Ausdruck des Wunsches nach Aufbruch und Entkommen aus bestehenden Verhältnissen.

Zumindest für Tang Dong ändern sich die Umstände dann bald auch schlagartig, wenn auch nicht unbedingt plausibel und reichlich konstruiert: Als er zu verhindern versucht, dass sein Chef Schutzgeld an die Triaden zahlen muss und zu diesem Zwecke ein paar anständige Nasenstüber in die doch recht überrascht dreinblickenden Eintreibervisagen verteilt, gerät er irgendwie zwischen Fronten zweier um die Vorherrschaft rivalisierender Verbrecherbanden. Als der feige Chen ihn auf die Straße setzt, um bei den Erpressern wieder lieb Kind zu machen, beginnt ein wilder Anwerbungsmarathon, denn jede der Banden möchte den Superkämpfer auf ihrer Gehaltsliste wissen. Am Ende dient Dong dem Anführer der „Weißen Drachen“ (Phillip Kwok aus DER TODESSCHREI DES GELBEN TIGERS) und das Drehbuch will dem Publikum Glauben machen, das arglose Chinatown Kid habe nicht die geringste Ahnung, dass sein Boss in halbseidene Geschäfte verwickelt ist. Trotzdem läuft Dong aus heiterem Himmel rum wie ein Zuhälter, flext wie Oskar durch sein Viertel und wundert sich, dass die Leute ihm gegenüber auf Distanz gehen. Als Zuschauer stellt man an dieser Stelle erneut fest, wie wenig greifbar die Figur Tang Dong doch eigentlich ist. Schon in der Anfangsszene verzehrt er sich nach einer sündhaft teuren Armbanduhr, die direkt vor ihm, doch in unerreichbarer Ferne im Schaufenster liegt. Später prügelt er sich mit Boss Tsui, weil dieser ihm im Falle des Sieges sein digitales Zeiteisen als Trophäe versprochen hat, das Dong auf Anhieb fasziniert hat. Logo, dass er nun, inzwischen selbst dem Reichtum anheim gefallen, ein eben solches Statussymbol mit sich spazieren trägt – nebst dekadentem Glimmstängel im Gesicht und lächerlichem Ludenkittel am Leib.

Woher seine Vorliebe für derlei oberflächliche Verlockungen rührt, wird nicht wirklich erklärt – ebensowenig wie die Arglosigkeit, mit welcher er durchs Leben stolpert und die ihn so korrumpierbar macht. Dong ist tatsächlich nie wirklich ein Gangster – anfangs ohnehin nicht, aber selbst dann nicht, als er zu den Herrschern der Stadt zählt. Die Konsequenzen seines neuen „Berufs“ erkennt er erst, als er seinen alten Freund und Kollegen Jian Wen wiedertrifft, der immer noch unter dem Dach des Restaurants wohnt und sich aufgrund der Doppelbelastung von Arbeit und Studium mittlerweile der Drogensucht ergeben hat. Das geht zu Herzen, in erster Linie deswegen, weil die gemeinsamen Szenen beider Charaktere zu den Höhepunkten CHINATOWN KIDs gehören, der ansonsten viele dramaturgische Schwächen hat. Die viel zu lange Herleitung gehört dazu, aber auch, dass Tang Dong erst im letzten Drittel zur Titelfigur wird und seine Unterweltkarriere daher gar nicht so richtig nachvollzogen werden kann. Von heute auf morgen ist er einfach der große Zampano. Jian Wen wird dafür, obwohl erst gleichberechtigt eingeführt, überwiegend vergessen, weil sich alles nur noch auf Tang Dong konzentriert. Da dieser aber nie wirklich lang an einer Station verweilt und es von Nebenfiguren, die alle irgendwie auch noch mitmischen, nur so wimmelt, kommt nie wirkliche Spannung auf. Besonders schwer erwischt es die Frauenrollen, die wirklich nur Alibifunktionen erfüllen. So bandelt Dong etwa mit der kessen Yvonne (Jenny Tseng aus DIE TÖDLICHE KOBRA) an, die sich später regelrecht in Luft auflöst. Dann hätte man das ja auch gleich lassen können.

CHINATOWN KID (dessen Titel für deutsche Plakate viel zu kurz war, weswegen er zu DER KUNG-FU-FIGHTER VON CHINATOWN aufgebrezelt wurde) ist zwar als Actionfilm deklariert, sieht sich selbst aber eher selten in dieser Funktion. Ja, es gibt ein paar Handgemenge hier und da und hin und wieder gerben sich ein paar Leute das Fell. Aber das artet niemals aus und ordnet sich brav der Handlung unter, die hauptsächlich vom Dialog vorangetrieben wird. „Gangster-Drama“ wäre daher die passendere Bezeichnung. Wird es doch mal rabiat, rückt man sich bevorzugt mit Faust, Flinte und Klinge zuleibe und hinterlässt dabei Blut, Schutt und Scherben. Wer hauptsächlich auf Kampf und Knochenbrecherei aus ist, wird hier jedoch kaum glücklich werden. Wer eine gut durchdachte Ereigniskette erwartet, allerdings ebenfalls nicht. Dazu ist das Drehbuch oft zu plump, zerfasert und undurchdacht. Punkten kann die Veranstaltung freilich durch ihre dichte Atmosphäre und ihren herrlichen 1970er-Jahre-Schwof, inklusive gigantischer Brillengestelle und Schnauzbärten des Todes. Am Ende ist CHINATOWN KID ein wenig wie sein Protagonist: etwas schrullig, etwas naiv – und trotz aller Defizite liebenswert. 

Laufzeit: 115 Min. / Freigabe: ungeprüft

Sonntag, 1. Juni 2025

KARATE KING


HAO KE
Hongkong 1973

Regie:
Chu-Got Ching-Wan,
Yang Ching-Chen

Darsteller:
Chin Han,
Shih Szu,
Yi Yuan,
Lung Fei,
Han Su,
Chin Tu,
Cheng Fu-Hung


„Für so'n mickriges Würstchen bist du ja ziemlich laut.“
(Lu Fu ist ein Mann vom Wurstfach.)

Inhalt:

China in den 1930ern: Nach fünf Jahren Gefängnis kehrt Lu Fu [Chin Han] in seine Heimat zurück. Die politische Lage ist angespannt: Der Einfluss der Japaner wächst bedrohlich; die Atmosphäre ist von Angst geprägt. Die größte Gefahr jedoch lauert nicht in der Fremde, sondern in der eigenen Familie: Lu Fus Bruder, Lu Te-Piao [Lung Fei], hat sich zwischenzeitlich die hauseigene Kohlemine unter den Nagel gerissen – und mit skrupellosen russischen Kollaborateuren ein dunkles Regime errichtet. Auf Lu Fu wartet daher kein Willkommensgruß, sondern ein Mordkommando. Nur mithilfe der kampferprobten Kung-Fu-Meisterin Ah Chu [Shih Szu] kann er seine Haut retten. In einem Akt der Verzweiflung wendet sich Lu Fu an den japanischen Geschäftsmann Nagata [Yi Yuan], der scheinbar bereit ist, ihm im Kampf gegen seinen Bruder beizustehen. Doch dieser hat eigene Pläne – er will die Mine selbst unter Kontrolle bringen. Der Beginn einer blutigen Schlacht.

Kritik:

Dass sich der Eastern und der Italo-Western stilistisch sehr gleichen, ist keine neue Erkenntnis. KARATE KING schickt sich an, einem diesen Sachverhalt mit Nachdruck zurück ins Gedächtnis zu prügeln. Trotz (überwiegendem) Verzicht auf Pulverdampf und Pferdegetrappel könnte die raue Rachemär nämlich ebenso gut im Land der Lassoschwinger und Revolverhelden stattfinden. Die ungastlichen Schauplätze, als da wären Knastmauern, Kohlemine oder karge Felsformationen, sind dabei ähnlich spartanisch wie die Handlung, die mehr schlecht als recht und zudem wenig plausibel von Station zu Station kriecht. Chin Han [→ DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN] als Protagonist Lu Fu macht gleich zu Beginn mächtig Eindruck – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Er malträtiert die steinernen Wände seiner Zelle per Fuß und hinterlässt dabei tiefe Spuren. Als der Wärter vorbeikommt und ihm verkündet, er habe seine Strafe nun abgesessen und dürfe den Bau daher verlassen, tritt Fu zum Abschied beherzt ein Loch in seine Zwangsbehausung und meint süffisant: „Ich hätte schon früher gehen können.“ Eine ziemlich coole Einführung der Figur, obwohl diese Power in den folgenden 80 Minuten kaum mehr erreicht wird. Im Gegenteil: Trotz seiner Kraft und Kampfkunst erweist sich Lu Fu als eher verletzlicher Charakter, der die Souveränität alles andere als gepachtet hat und im Laufe der Ereignisse viele Rückschläge einstecken muss.

Fu kehrt daraufhin zurück in seine Heimat – nur um feststellen zu müssen, dass seine Eltern nicht mehr am Leben sind. Mehr noch: Vor Ort herrscht ein Klima der Angst, deren Quelle ausgerechnet Fus eigener Bruder ist. Die Idee einer unter Tyrannenterror ächzenden Stadt, die von einem unerschrockenen Einzelkämpfer befreit werden muss, ist ebenfalls ein bekanntes Element zahlreicher Pferdeopern. Der Fakt, dass hier eine Familienfehde ins Spiel kommt, verleiht dem Stereotyp jedoch eine gewisse Sprengkraft. Wohl und Wehe aller Beteiligten scheinen sich hier am Besitz der Bergbaurechte zu entzünden. Was woanders die Weltherrschaft ist, ist bei KARATE KING die Kontrolle über die Kohlemine. Der Grund dafür geht über ein paar Andeutungen nicht hinaus, wie ohnehin alles ein bisschen vage bleibt. Auch Rang und Rolle der einzig relevanten Frauenfigur bleiben beispielsweise überwiegend im Nebel. Die von Shih Szu [→ DIE SIEBEN GOLDENEN VAMPIRE] verkörperte Ah Chu wird zunächst als resolute Rebellin eingeführt, die erst einmal fleißig Handkanten an Handlanger verteilt, bevor sie versucht, dem Despoten ins Gewissen zu reden. Dessen Vater war wohl ihr Lehrer – wie, wann und warum bleibt allerdings ebenso im Dunkeln wie ihre Motivation, Lu Fu beim Kampf gegen seinen brutalen Bruder zu unterstützen. So schlagkräftig ihr Einstand auch geriet: Einen gezielten Schurkenschlag später hockt sie erst einmal für eine nicht unerhebliche Weile in des Feindes Kellerloch.

Kompliziert wird es, als plötzlich auch noch japanische Gegenspieler auf den Plan treten, die zwar beim Helden zunächst einen auf gut Freund machen, aber natürlich Unheil im Schilde führen. Wann waren Besucher aus Nippon in einem Hongkong-Film dieser Zeit denn auch jemals wohlgesinnt? Dank ihres Zutuns wird der Bruderzwist circa ab Halbzeit der Handlung null und nichtig, weswegen sich der Fokus der ohnehin stark irrlichternden Story abermals verschiebt. Auch die Wildwest-Vibrationen schlagen dann wieder wüst um sich, wenn Lu Fu sehr unfein per Lore die Finger gebrochen werden – DJANGO lässt grüßen! Eine etwas klarere Linie hätte der Erzählung gewiss nicht geschadet, eine Zeit lang eiert das Skript doch ziemlich ziellos herum. Auch fragwürdige fremdenfeindliche Untertöne stoßen etwas sauer auf. Denn die Bedrohung, so der Tenor KARATE KINGs, kommt vorwiegend von außen. Selbst der verworfene Bruder steht unter der fatalen Einflussnahme russischer Interessengruppen und die Japaner sind natürlich ohnehin falsch und verschlagen bis ins Mark. Abgemildert werden diese zweifelhaften Tendenzen einerseits durch die Tatsache, dass sich diese Darstellung auch als legitime Kritik am Kolonialismus deuten lässt. Und andererseits durch die teils doch sehr albern geratene Umsetzung, die der Sache beträchtlich den Wind aus den Segeln nimmt. Die Japaner werden sichtbar von Chinesen gespielt und erfüllen so ziemlich jedes Klischee, das man sich vorstellen kann, inklusive schwertschwingender Amazone mit hochkonzentriertem Sauertopfblick. Und der Russe ist ein pummeliger Asiate (Cheng Fu-Hung, um genau zu sein, später unter anderem noch zu sehen in TAG DER BLUTIGEN RACHE), der sich ein Leopardenfell umgehängt hat und sich benimmt wie ein Urmensch.

KARATE KING ist international überwiegend als THE CHAMPION bekannt – beziehungsweise eigentlich eher nicht, denn die Popularität der Prügelarie hielt sich von jeher arg in Grenzen. Und das, obwohl die berühmten Shaw Brothers hinter der Sache stecken, was man ohne Weiteres gar nicht vermuten würde. Die üblichen Sets und Studiokulissen wurden hier nämlich verlassen, um die Ereignisse stattdessen in den schroffen Landschaften Taiwans abzulichten. Das Ergebnis ist von der Optik her überwiegend eher schäbiger Natur. Aber das ist vermutlich beabsichtigt und passt nahezu perfekt zur ruppigen Rhetorik. Dementsprechend fehlen auch die tänzerischen Kampf-Choreographien. Wenn hier geprügelt wird, dann gibt's ganz und gar unelegant aufs Fressbrett. Auffallend ist die höchst unterschiedliche Vermarktung in verschiedenen Breitengraden: Während in Deutschland die Rolle Chin Hans in den Vordergrund gerückt wird (und sogar zum Karate King ernannt wird, was natürlich Unsinn ist – Lu Fu kämpft mit Kung-Fu), findet sich im United Kingdom auch der Titel SHANGHAI LIL – THE QUEEN OF KUNG FU neben dem Bildnis der hufeschwingenden Shih Szu. Diese langt zwar zeitweilig tatsächlich ordentlich hin und mäht sich im furiosen Finale gemeinsam mit ihrem Kompagnon Lu Fu durch wahre Heerscharen an Gegnern. Eine Hauptrolle sieht dennoch definitiv anders aus. Immerhin gönnte man ihr zum Ausgleich ein sehr schönes Duell mit erwähnter Samurai-Kriegerin.

KARATE KING bietet kernige Kloppe in karger Kulisse und könnte allen gefallen, die es auch mal ne Nummer kleiner mögen. Große Mühen in eine funktionierende Dramaturgie investierte man offenbar nicht – vieles wirkt unausgereift und nicht zu Ende gedacht. Doch wer auf schroffe Eastern-Keile in staubigem Western-Ambiente steht, bekommt hier einen doch sehr launigen Leckerbissen serviert. Keine Königsklasse. Aber volksnah. 

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft