Eigene Forschungen

Mittwoch, 27. September 2023

DER SCHWARZE SKORPION


CIFRATO SPECIALE
Frankreich, Italien, Spanien 1966

Regie:
Pino Mercanti

Darsteller:
Lang Jeffries,
José Greci,
Helga Liné,
George Rigaud,
Andrea Scotti,
Philippe Hersent,
Janine Reynaud,
Umberto Raho


„Du bist ein amerikanischer Agent. Für nen echten Russen bist du mir viel zu russisch.“ [Aufgeflogen! „Ivan“ hätte bei Johnny wohl doch keinen Wodka bestellen sollen.]


Nachdem "James Bond" im Jahre 1962 erstmals die Leinwand betreten hatte, war die Welt in sicheren Händen. Bei den ganzen „Geheimagenten“, die in den Folgejahren wie Pilze aus dem Boden sprossen, dürfte es dem globalen Ganoventum nämlich nicht einmal mehr gelungen sein, sich rechtswidrig ein Wurstbrot einzuverleiben. Da es die lernresistente Schurkenschaft dennoch immer wieder darauf anlegte, die Menschheit zu malträtieren, durfte in den 1960ern so ziemlich jedes Herrenmoden-Modell einmal den Connery kopieren und ein bisschen Spion spielen. So auch der 1930 in Kanada geborene Lang Jeffries, der 1966 für die italienisch-französisch-spanische Co-Produktion CIFRATO SPECIALE vor die Kamera trat, um das zu tun, was ein anständiger Abendlandretter eben so tun muss.

Inhalt:

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs versenken die Nazis noch flugs zwei Kisten mit geheimnisvollem Inhalt vor der Küste Istanbuls. 20 Jahre später: Die britische Regierung findet in einem alten Bunker eine Video-Aufzeichnung, die beweist, dass der deutschen Landesführung einst ein sensationelles Experiment gelang: die zeitweilige Aufhebung der Schwerkraft. Die Formel zu diesem Bravourstück befindet sich offenbar - neben ein paar Goldbarren - in einer der beiden Kisten, die immer noch auf dem Meeresgrund liegen. Geheimagent Johnny Miller [Lang Jeffries] wird beauftragt, diesen Schatz sicherzustellen, bevor feindliche Mächte es tun. In der Türkei gelingt es ihm, den steinreichen Mr. Hoover [George Rigaud] für die Such- und Bergungsaktion anzuwerben. Schon bald gerät Miller ins Visir mehrerer Partien, die ihm ans Leder wollen. Aber auch Hoover scheint eigentlich eigene Pläne zu verfolgen.

Kritik:

Ein Bein ausgerissen hat man sich gewiss nicht, um diese Posse zu Papier zu bringen. Die absurd anmutende Anti-Gravitations-Formel ist für die Handlung völlig irrelevant, ein gegenstandsloses Gimmick, nur erdacht, damit die Meute auch etwas zum Hinterherjagen hat. Schnell wird es dabei unübersichtlich und vor allem unkonkret: Wer Johnny Millers Gegner eigentlich sind und welches Interesse sie ihrerseits an der Beute haben, kommt an keiner Stelle zur Sprache. Dabei hätten andere Parteien ja im Prinzip auch nicht weniger Anrecht darauf, sich das begehrte Zielobjekt unter den Nagel zu reißen, als der Held der Show. Aber da derlei Spitzfindigkeiten hier keine Rolle spielen, drückt man natürlich automatisch dem hauptrollenden James Bond-Verschnitt die Daumen, der in puncto Status und Persönlichkeit eindeutig zur „guten“ Fraktion gehört.

Während besagter Johnny Miller nicht einen Hauch Ambivalenz innehat, wird kaum ein Zweifel daran gelassen, dass sein angeworbener Kompagnon Hoover (der von Miller übrigens meistens „Huber“ genannt wird, was diesen aber nicht zu stören scheint) alles andere als ein integrer Geschäftsmann ist, sondern vielmehr ein skrupelloser Gangster, der notfalls über Leichen geht (War im Agenten-Genre eigentlich jemals ein Milliardär ganz koscher?). Die Folge ist eine zerbrechliche Zweckgemeinschaft, da zumindest eine Zeit lang keiner das Ziel ohne den anderen erreichen kann: Miller verfügt über relevante Informationen und Geheimdienst-Befugnisse, Hoover besitzt die für die Mission nötigen Moneten, Männer und Maschinen. Doch das Zerwürfnis hängt wie ein Damokles-Schwert über dem behelfsmäßigen Bündnis; hinter der gönnerhaften Freundlichkeit und den flapsigen Bromance-Sprüchen stecken gegenseitiges Belauern und gepflegtes Misstrauen. Hoover, das scheint sicher, wird Miller abservieren, sobald sich die Vorteilsverhältnisse zu seinen Gunsten verschoben haben. Dabei macht er aus seiner Gefährlichkeit keinen Hehl und liefert gleich zu Beginn eine unmissverständliche Botschaft: Als Miller Anstalten macht, sich von der Gegenseite abwerben zu lassen, findet er sich unversehens und gut verschnürt in Hoovers privatem Hobbykeller wieder und wird nach ein paar Stunden Spezialbehandlung fürs Erste wohl nur noch gebückt auf den Gemüsemarkt gehen können.

Aus der Frage, ob und – falls ja – wann Hoovers Unterstützung in Verrat und Vernichtung umkippen wird, bezieht CIFRATO SPECIALE den Großteil seiner Spannung. Der Rest ist gediegene Funterhaltung von der Spionage-Stange: Miller (der im Original eigentlich Curd heißt, aber das klang für Germany wohl nicht cool genug) stolziert strotzend vor Stolz und Selbstvertrauen durch Stadt und Land, während irgendwelche Leute fortwährend versuchen, ihm die Lichter auszupusten. Ob auf offener Straße, im Skilift oder in der Geisterbahn (ja, tatsächlich!): Überall warten bereits dunkle Gestalten mit schwerem Gerät auf ihn. Zum Glück sind die Gauner meist nett genug, selbst aus kurzer Distanz noch daneben zu schießen, ansonsten wäre der Fall nämlich schon recht schnell zu den Akten gewandert. So jedoch zieht sich die Sache ganz schön hin und verkommt zeitweilen zu einer bloßen Aneinanderreihung missglückter Attentatsversuche, was nun nicht gerade der Kreativität letzter Schluss ist.

Für etwas Abwechslung sorgt dabei lediglich die Anwesenheit holder Weiblichkeit, denn natürlich bleibt so ein waschechter Geheimagent nicht lang allein. Dabei bandelt Miller mehr oder minder gleich mit zwei Grazien an, wobei das Kennenlernen mit der ersten, Luanna, gespielt von Helga Liné [→ SARTANA – NOCH WARM UND SCHON SAND DRAUF], schon enorm spezialgelagert daherkommt: Völlig ohne Erklärung, was er dort macht oder wie er dort hin kam, stromert Miller da nämlich den Felsenstrand entlang, bevor er aus unbekannten Gründen von unbekannten Personen aus dem Hinterhalt beschossen wird (natürlich mal wieder nicht besonders zielsicher). Miller springt auf ein bereitstehendes Motorrad samt Beiwagen (Gehört es ihm? Wer weiß … ?), kratzt damit die Kurve, bollert die Straße entlang, bevor nun wiederum auf das Gefährt geschossen wird, das infolgedessen explodierend über eine Klippe fliegt, während Miller abspringt und über den Boden kullert, direkt vor das Automobil von Luanna, die seine Situation mit einem kecken Spruch kommentiert, bevor er – ebenfalls mit launigem Scherz auf den Lippen - in völliger Selbstverständlichkeit auf dem Beifahrersitz platznimmt und sich von ihr in trauter Eintracht und wie mit einer alten Bekannten plaudernd durch die Stadt kutschieren lässt. Diese Sequenz (die gleichzeitig auch der Einführung der Hauptfigur dient) ist so sinnbefreit und ohne jeden Bezug zum Rest, das geht schon fast als Absurdes Theater durch. Dass sich Luanna dann später ausgerechnet als Schwester einer Person entpuppt, mit der es Miller im Laufe seiner Mission ebenfalls zufälligerweise zu tun bekommt, akzeptiert man da auch einfach mal achselzuckend.

Als weitere Zerstreuung gesellt sich José Greci [→ OPIUM CONNECTION] dazu, die als Hoovers Assistentin dem Agenten schöne Augen machen darf, wobei ihre Rolle natürlich bewusst zwielichtig angelegt ist, da sie den Helden womöglich lediglich in die Falle locken will. Interessant ist auch hier ihr erster Auftritt: Da steht sie nämlich nur leicht beschürzt hinter einem Vorhang verborgen, wobei Miller schnell Wind von der heimlichen Beobachterin bekommt. Kein Wunder, denn der obligatorische Saxophon-Schmuse-Sound, der bei Werken wie diesen immer zuverlässig beim Auftritt einer weiblichen Schönheit eingespielt wird, ertönt hier schon, bevor sie überhaupt im Bild ist. Nun wirkt es so, als wüsste Miller lediglich aufgrund der aus heiterem Himmel einsetzenden Kuschel-Musik, dass da eine junge Dame hinter der Gardine steht. Positiv ist anzumerken, dass Frau Greci im weiteren Verlauf alles andere als die übliche hilflose Staffage ist, sondern sich ihrer Haut auch sehr gut ohne männliches Zutun zu erwehren weiß – zumindest legt sie einen bemesserten Schergen doch sehr souverän auf die Bretter.

Davon abgesehen mangelt es wenig überraschend weder an Klischees noch Albernheiten. So erkennt man Schurken in der Regel daran, dass sie Sonnenbrille tragen, im Zweifelsfalle auch Nachts. Bemerkenswert ist es zudem, wie Miller es schafft, durch das Überziehen einer Gummimaske nicht nur seine Gesichtszüge, sondern auch seine Stimme und Statur komplett zu verändern. In erster Linie in Erinnerung bleibt aber seine bemerkenswerte Methode, den ersten Kontakt mit dem eigentlich als unerreichbar geltenden Mr. Hoover herzustellen: Miller läuft einfach durch die Stadt, kauft die teuersten Läden leer und sagt zu den Verkäufern im Anschluss lapidar: „Schicken Sie die Rechnung an Mr. Hoover!“ Das geht so lang gut, bis Hoovers Gorillas bei ihm auftauchen, um ihm den Konsumrausch per körperlicher Ermahnung nachhaltig auszutreiben. Doch selbstverständlich werden die Handlanger entgegen deren eigentlichen Plänen von Miller fachgerecht frikassiert und zwar so lang, bis sie ihn schließlich zu ihrem Boss bringen. Was für ein Plan! Hätte es ne Brieftaube nicht auch getan?

Lang Jeffries [→ PERRY RHODAN – SOS AUS DEM WELTALL] macht bei alledem eine wirklich gute Figur, agiert weltmännisch-souverän und legt sich auch bei den Action-Szenen mächtig ins Zeug. In der deutschen Fassung erhält er durch seinen Synchronsprecher noch zusätzliche Autorität (natürlich mal wieder: Gert Günther Hoffmann, damals quasi die Agentenstimme schlechthin). Zu den Höhepunkten zählt seine hervorragende Interaktion mit dem argentinisch-stämmigen George Rigaud [→ FRISS ODER STIRB], der den zwielichtigen Mr. Hoover fabelhaft verkörpert. Hinter seiner freundlichen Fassade, das spürt man, liegt stets eine unschwellige Bösartigkeit, die sich jeder Zeit von der Leine reißen könnte. Dass Hoover in einer längeren Kostümball-Sequenz zeitweilen mit einer doch recht lächerlichen Dagobert Duck-Maske auftritt, was der Autoritäts-Aura nun wieder ziemlich schadet, war hingegen eine eher weniger gelungene Idee der Macher. Auf Hoovers Figur geht auch der deutsche Titel zurück, nennt man den halbseidenen Anzugträger auf den Straßen Istanbuls eben den Schwarzen Skorpion. Da Skorpione generell die Angewohnheit haben, schwarz zu sein, ist der Name freilich ungefähr so sinnvoll wie Der gelbe Bagger oder Der hetzende Höcke. Aber immerhin gab es ja auch schon einen Superhelden, der es für eine gute Idee hielt, sich Schwarze Fledermaus zu nennen (Nein, nicht Batman, sondern sein weitaus unbekannterer Kollege Black Bat).

Am Ende gehört DER SCHWARZE SKORPION trotz kleinerer Durststrecken und der gängigen Mischung aus Klischees und Kokolores zu den besseren Bond-Reproduktionen, zumal er auch im schicken Gewand daherkommt (Drehgenehmigungen für Türkei, Italien und Spanien wollen schließlich ausgereizt werden). Etwas unglücklich nur, dass ausgerechnet die finalen Unterwasser-Szenen, die vermutlich als Höhepunkt geplant waren, tatsächlich eine echte Anti-Klimax bilden. Per Tauchroboter, Mini-U-Boot oder klassisch via Flosse, Flasche und Schnorchel begibt man sich da in die Tiefe, und auch, wenn die grollende Klangkulisse permanenten Nervenkitzel zu suggerieren versucht, tritt die Spannung hier auf der Stelle, zumal selbst bei den Zweikämpfen im Neoprenanzug gar nicht mehr ersichtlich ist, wer denn hier eigentlich gerade wen vermöbelt. Der Schlussakt bietet dann noch mal einen echten Lacher, wenn der Held lediglich den weiblichen Schurken vor dem Tode rettet, während der Rest ruhig elendig krepieren darf. Amnestie wegen Attraktivität. Dass die beiden danach miteinander anbandeln und händchenhaltend in eine glückliche Zukunft schlendern, als sei zuvor nichts geschehen, versteht sich von selbst.

Am Ende ist dann plötzlich ein Tanzbär im Bild. Warum? Dieses Rätsel könnte nicht einmal Johnny Miller lösen.

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ab 16

Mittwoch, 20. September 2023

SPIRITS OF DEATH


UN BIANCO VESTITO PER MARIALÉ
Italien 1972

Regie:
Romano Scavolini

Darsteller:
Ida Galli,
Ivan Rassimov,
Luigi Pistilli,
Pilar Velázquez,
Ezio Marano,
Giancarlo Bonuglia,
Gianni Dei,
Edilio Kim



Inhalt:

Auf saftigem Grün, durch Baum und Busch vor Blicken verborgen, zelebriert ein Paar die Zärtlichkeit. Doch das Vergnügen findet sein jähes Ende: Ein Mann nähert sich den einander Zugetanen mit einer Pistole im Gepäck. Kurze Zeit später liegen drei Leichen im Gras: Die Liebenden wurden vom unerwarteten Gast per Kugel niedergestreckt, er selbst richtete sich im Anschluss selbst. Es war der Ehemann der Frau, die nun freilich nie wieder fremdgehen wird. Doch das Drama blieb nicht unbeobachtet: Zwei vor Schreck geweitete Kinderaugen waren Zeuge der blutigen Tat. Sie gehören Marialé. Der Racheengel war ihr Vater. Viele Jahre später ist das Mädchen erwachsen und fristet sein Dasein auf einem abgelegenen Schloss. Ihrem Gatten Paolo [Luigi Pistilli] gelingt es, die Frau erfolgreich von der Außenwelt abzuschirmen. Trotzdem stehen eines Tages Gäste vor dem Tor: Einige frühere Freunde des Ehepaares beharren darauf, eine Einladung erhalten zu haben und bestehen auf Einlass. Paolo kann sich das nicht erklären, lässt die Besucher aber widerwillig passieren. Ein Fehler. Zwar freut sich Marialé [nun: Ida Galli], ihre Bekannten von damals wiederzusehen und veranstaltet mit ihnen eine rauschende Party. Doch dann geschieht ein grausamer Mord. Es wird nicht der letzte bleiben.

Kritik:

Angeblich drehte Regisseur Romano Scavolini SPIRITS OF DEATH lediglich aus finanzieller Not heraus als relativ unwillkommene Auftragsarbeit. Das klingt nicht unbedingt nach guten Voraussetzungen für einen packenden Krimi-Abend und lässt leidenschaftslos abgefilmten Dienst nach Vorschrift erwarten. Dass dem nicht so ist, wird zum Glück schnell klar, denn UN BIANCO VESTITO PER MARIALÉ, so der deutlich sperrigere Originaltitel, eröffnet sein Spiel gleich mit einem Knalleffekt (ja, im Wortsinne) und hat allein dadurch bereits auf Anhieb alle Blicke auf sich - wenn danach auch erst einmal wieder einen Gang runtergeschaltet wird. Stattdessen beherrschen nun zarte Agatha-Christie-Schwingungen das Szenario gemischt mit etwas gotischem Grusel, wenn eine bunt zusammengewürfelte Gastgesellschaft (man fragt sich, wie solch unterschiedliche Figuren sich denselben Freundeskreis teilen können) sich zum Stelldichein auf dem ungewöhnlichen Wohnsitz der stets leicht der Realität entrückt scheinenden Marialé versammelt. Hier quillt dann vor allem die Atmo aus jeder Ritze, denn der Schauplatz Schloss ist umgeben von verzaubert scheinenden Gärten und verziert mit ausladend dekadenter Dekoration.

Natürlich kommt es dann, wie es meistens kommt: Die Besucher sind sich spinnefeind und die Luft ist erfüllt von Spannungen jedweder Art. So weit, so gewohnt. Doch dann wird es unversehens extravagant: In einer (alp-)traumartigen Sequenz steigt die bunte Runde die Kellertreppe hinab und tappst zwischen Massen an Spinnweben wie lobotomiert durch ein Kabinett aus steinernen Masken, menschgroßen Stoffpuppen, altertümlichen Kostümen und weiterem schaurigen Schnickschnack, während sich um sie herum das Tor zur Hölle zu öffnen scheint und ein Inferno aus Blitz, Sturm und Donner urplötzlich den Raum erfüllt. Sich einen Reim auf diese sonderbaren Bilder zu machen, ist freilich nichts, was mal eben zwischen Tür und Angel passieren sollte. Aber geht man davon aus, dass das gesamte Schloss eine Metapher ist für die angeschlagene Psyche der Hauptfigur Marialé, so symbolisieren dessen Mauern ihr Gefängnis, ist der Gang ins unterirdische Gewölbe ein Sinnbild für das Eindringen in die tief verborgenen Geheimnisse ihrer Seele und der unvermittelte (eigentlich unmögliche) Wetterumschwung eine Allegorie auf die Unruhe, die dieser Einblick in ihrem Gemüt verursacht. Dazu passt, dass Marialé hier unten im Dunkel das weiße Kleid wiederfindet, das ihre Mutter einst im Augenblick ihrer Ermordung trug. Die verdrängte Vergangenheit holt sie nicht nur ein, sie ergreift regelrecht Besitz von ihr, da sie sich das unheilvolle Kleidungsstück überwirft und bis zum Ende auch nicht mehr ablegen wird.

Ohnehin bricht sich der Wahn ab hier genüsslich Bahn. Denn das Auffinden ausgefallener Gewänder nimmt die Gemeinschaft zum Anlass, sich neu in Schale zu schmeißen, um im Anschluss eine simpel als „Spiel“ bezeichnete Super-Orgie vom Zaun zu brechen, die überdeutlich Assoziationen zu spätrömischer Dekadenz zulässt. Kaum kostümiert und die Antlitze hinter bunter Schminke verborgen entladen sich die bis dahin so angestrengt zurückgehaltenen Alterationen aller Anwesenden bei einem rauschartigen, von psychedelischer Beat-Musik begleiteten Fest der Völlerei, das die Teilnehmer offenkundig auf einen anderen Stern katapultiert. Da wird im närrischen Federkleid durch den Saal gehopst, die Peitsche geschwungen und Backenfutter verteilt. Hemmungen fallen, Hüllen ebenfalls, Triebe gewinnen die Oberhand. Man wird beleidigend, rassistisch, übergriffig. Das Tragen der Masken scheint die Menge zu demaskieren. Nach der großen Sause, als die Realität langsam wieder anfängt zu kicken, stehen sie dann alle da wie begossene Pudel, außer Atem und albern im Anblick. Und da das Krimi-Karussell irgendwann einmal anfangen muss zu rotieren, kommt nun, nach fast genau einer Stunde Laufzeit, der Hammer.

Im Wortsinne versteht sich, denn der erste extern herbeigeführte Exitus endet für den unfreiwilligen Rezipienten mit zerschmettertem Schädel. Ab jetzt bringt der Tod tüchtig Leben in die Bude, denn die Zahl der Gäste schwindet von nun an rapide. Der Mörder begann sein Werk zwar spät, scheint aber trotzdem pünktlich Feierabend machen zu wollen. Die Tötungen sind garstig, blutig und nicht selten experimentell und aus ungewöhnlichen Winkeln gefilmt. Die Identität des Täters liegt dabei so offenkundig auf der Hand, dass man sich fragt, ob das überhaupt als Geheimnis intendiert war. Zwar bleibt der Meuchler bei Ausübung seiner Taten stets fürs Publikum unerkannt, aber die „überraschende“ Enthüllung am Ende geriet so asketisch abgefrühstückt, dass man annehmen muss, der Regie war die obligatorische Rätselratenummer schlichtweg gleichgültig. Und obgleich ein Paukenschlag zum Abschied die Sache noch etwas runder hätte machen können, funktioniert sie auch ohne finalen Aha-Effekt. SPIRITS OF DEATH ist nämlich selbst nur kostümiert und hüllt die Studie einer geschundenen Seele in das Kleid eines Krimis. Zeitweise erzählerisch etwas unausgewogen (so wird anfangs etwas zu lang und dabei etwas zu ereignislos lediglich durch den Schauplatz geirrt, während die Mordserie im letzten Drittel dann kaum zum Luftholen kommt), aber stets von morbider Faszination, entfaltet sich ein durchaus fesselndes Kammerspiel.

Dass die dabei präsentierte Weltsicht eher pessimistisch geprägt ist und einem kaum Identifikationsfiguren lässt, darf einen freilich nicht stören. So sind Marialés „Freunde“ (die wohl auch deswegen charakterlich so verschieden sind, weil sie verschiedene gesellschaftliche Typen abbilden sollen) überwiegend sonderbar und unsympathisch, lediglich der von Ivan Rassimov [→ DIE FARBEN DER NACHT] verkörperte Massimo scheint noch einen gewissen Rest Anstand zu besitzen (obwohl der lüsterne Blick, den er einer jungen Frau anfangs beim Nachdemwegfragen zuwirft, durchaus auch den ein oder anderen Abgrund vermuten lässt). Das Personal agiert stets zwielichtig, wie der von Luigi Pistilli [→ DER SCHWANZ DES SKORPIONS] gespielte Ehemann, der seine Frau gegen ihren Willen mit Medikamenten füttert, oder Genger Ghatti [→ DIE RACHE DER CAMORRA] als schräger Bediensteter, der hier mit seinem Schnauzer aussieht wie Charles Bronson, sodass man jeden Augenblick damit rechnet, er würde eine Waffe ziehen. Dazu kommt die wirklich wunderschöne Musik von Fiorenzo Carpi [→ EIN FISCHZUG FÜR 300 MILLIONEN], die angenehm in den Gehörgang kriecht und es sich dort gemütlich macht.

SPIRITS OF DEATH zeichnet eine Tragödie, deren Folgen bis in die Gegenwart reichen und die vermutlich noch bis in alle Ewigkeit nachhallen wird. Und mag es auch nicht vorrangige Intention gewesen sein, so wird dem gemeinen Grusel- und Giallo-Freund mittels einer wohldosierten Melange aus finsteren Gestalten und gefährlichem Getier doch genügend Material geboten, um sich hier ebenfalls angenehm unwohl zu fühlen. Erwähnt sei abschließend noch der wahrhaft spektakuläre Abgang des in flagranti erwischten Liebhabers aus der Eröffnungssequenz, der nach erfolgtem Todesschuss durch die frische Waldluft bollert, als habe ihn soeben eine Kanonenkugel getroffen, es aber während seiner daraus resultierenden Dreiviertel-Drehung trotzdem noch irgendwie schafft, verschüchtert seine Scham zu bedecken.

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft

Freitag, 15. September 2023

DAS HAUS DER VERFLUCHTEN


7, HYDEN PARK: LA CASA MALEDETTA
Italien 1985

Regie:
Alberto De Martino

Darsteller:
Christina Nagy,
David Warbeck,
Carroll Blumenberg,
Rossano Brazzi,
Andrea Bosic,
Loris Loddi,
Adriana Giuffrè,
Daniela De Carolis



Inhalt:

Die querschnittsgelähmte Joanna [Christina Nagy] ist trotz ihrer Behinderung eine lebenslustige Frau, die sich u. a. mit Fechten und Bogenschießen fit hält. Dabei lernt sie den charmanten Sportlehrer Graig [David Warbeck] kennen, der sie alsbald in den Hafen der Ehe zu bugsieren gedenkt. Es ist an Joannas Hausarzt Dr. Sernich [Rossano Brazzi], Graig über Joannas Vergangenheit aufzuklären: Im Alter von 11 Jahren stürzte sie eine öffentliche Treppe hinab, als sie vor einem Mann im Priestergewand floh, der sich an ihr vergehen wollte – ein Trauma, das ihre Psyche seitdem verdrängt hat. Aber nun scheint ihre Vergangenheit sie einzuholen: Immer wieder sieht Joanna einen mysteriösen Mann in dunkler Robe, der eine mit Blut besudelte Puppe bei sich trägt. Gleichzeitig beginnt eine grausige Mordserie, der immer mehr Freunde und Bekannte Joannas zum Opfer fallen. Joanna muss all ihre körperlichen und mentalen Kräfte aufbringen, um hinter das Geheimnis zu kommen.

Kritik:

Dass DAS HAUS DER VERFLUCHTEN in vielen Datenbanken unter der Rubrik „Horror“ gelistet ist, verdankt er wohl in erster Linie seiner unpassenden Benennung nebst akuter Abschreiberitis. Aber auch, wenn gefühlt jedes dritte Spuk-Spektakel ebenfalls einen derartigen Titel trägt, entpuppt sich 7, HYDEN PARK: LA CASA MALEDETTA (wie er im Original kaum weniger irreführend heißt) bereits nach wenigen Minuten als ein Giallo reinsten Wassers. Gut, so rein, wie es anfangs den Anschein hat, ist das Wasser im weiteren Verlaufe dann zwar gar nicht, übernatürliche Phänomene glänzen dennoch durchgehend durch Abwesenheit. Dafür startet Regisseur Alberto De Martino [→ IM DUTZEND ZUR HÖLLE] direkt mit der Bebilderung des für das Giallo-Genre unerlässlichen Kindheitstraumas, was auf Anhieb Punkte bringt, denn die Inszenierung ist unerwartet hochwertig. Verstörende Symbole, schräge Winkel und verschrobene Perspektiven erschaffen eine astreine Alptraum-Ästhetik und glaubwürdige Visualisierung der Zerrüttung einer Kinderseele. Und als wollte man alle Zutaten in möglichst kurzer Zeit abarbeiten, folgt im Anschluss an diese Sequenz auch direkt der erste Mord, stilecht begangen mit schwarzen Handschuhen und scharfem Rasiermesser.

An effektiven Auftakten mangelt es also beileibe nicht und des Publikums Neugierde, wie die einleitenden Ereignisse miteinander in Verbindung stehen, ist geweckt. Bis das geklärt wird, vergeht ein wenig Zeit, die allerdings gut genutzt wurde und zudem einige Stilwechsel mit sich bringt. So wandelt sich DAS HAUS DER VERFLUCHTEN zunächst zaghaft zum Psycho-Thriller, wenn Hauptfigur Joanna von ihrer verdrängten Vergangenheit eingeholt wird. Die Auftritte eines unheimlichen Priesters, der ein blutbeflecktes Plastik-Püppchen vor sich her trägt, welches noch dazu mit zarter Mädchenstimme ein gar grausliches Gesangsstück über aufgeschlitzte Bäuchlein zum Besten gibt, sorgen dabei in der Tat für ein paar schöne Schauer-Momente, obwohl einem eigentlich zu keiner Sekunde suggeriert wird, hier ginge tatsächlich ein Gespenst um. Dass stattdessen ein Komplott im Hintergrund läuft, davon künden nämlich die doch sehr weltlichen Tötungsdelikte, die sich im Umfeld der Protagonistin ereignen, und denen – Zufall? – stets Kirchendiener zum Opfer fallen. Die größte Überraschung ist dabei am Ende gar nicht die Antwort auf die Frage nach dem Täter, sondern der Umstand, dass dieser sich dem Publikum bereits nach gut einer halben Stunde Spielzeit selbst offenbart.

Mit dieser unerwarteten Früh-Demaskierung findet ein Perspektivwechsel statt, der DAS HAUS DER VERFLUCHTEN vom Mitrate-Krimi in etwas verwandelt, dessen Mittel Altmeister Alfred Hitchcock (von dessen Stil die Ereignisse auch deutlich inspiriert sind) einst als Suspense bezeichnet hat: Der Protagonist weiß nicht um die Gefahr, in welcher er schwebt, das Publikum allerdings schon. Durch diesen Wissensvorsprung entsteht der nötige Nervenkitzel, denn natürlich hofft man, dass die Hauptfigur das Unheil rechtzeitig bemerkt und mit heiler Haut davonkommt. Dennoch – so viel muss man einräumen – hängt die Spannung ab diesem Moment zunächst ein wenig durch, zumal sich die meisten Zusammenhänge auch als ernüchternd banal erweisen und der zu Beginn aufgebauten Erwartungshaltung kaum zur Genüge gereichen. Doch zum Glück gelingt es den Autoren (zu denen auch der Regisseur selbst gehört), die Ereignisse wieder ansprechend zu verdichten, wenn sich das Ganze nach und nach zu einem intensiven Kammerspiel entwickelt, bevor jede Subtilität über Bord fliegt und es nur noch ums blanke Überleben geht. Hier kommt dann auch endgültig das den Titel schmückende Haus ins Spiel, das von Alberto De Martino und seinem Kameramann Gianlorenzo Battaglia [→ BLADE IN THE DARK] als sinistrer Todeskäfig in Szene gesetzt wurde. Dass man dabei die Rollstuhl-Abhängigkeit der Protagonistin mehrmals zur Spannungsförderung einsetzt, führt zu einer weiteren prominenten Referenz, nämlich den Thriller-Klassiker WARTE, BIS ES DUNKEL IST aus dem Jahre 1968, in welchem das blinde Opfer seine Behinderung am Ende in seinen Vorteil ummünzt.

Dass DAS HAUS DER VERFLUCHTEN erst Mitte der 1980er entstand, nimmt freilich Wunder, ist die Inszenierung doch auf fast schon trotzige Weise angenehm altbacken. Dabei hatte der Giallo, die in viel Kunstblut getränkte italienische Krimi-Spielart, seinen Zenit zu dieser Zeit nicht nur überschritten, sondern war eigentlich schon längst abgemeldet. Dennoch wirkt das Werk überwiegend, als sei es gut 10 Jahre früher entstanden. Davon, dass bereits ein neues Zeitalter angebrochen war, zeugen insgesamt nur wenige Dinge, wie beispielsweise die Musik, die hier doch arg synthetisch klingt. Und auch der Einfluss amerikanischer Slasher-Ware, die seit Beginn der 1980er mit HALLOWEEN & Co. die Kinosäle füllte, lässt sich kaum leugnen (wobei diese auch deutlich vom Giallo inspiriert war, womit sich der Kreis wieder schließt), spätestens dann nicht mehr, wenn am Ende plötzlich alle bis dahin Gemeuchelten aus jeder Ecke fallen und der Killer trotz brutalster Blessuren schlichtweg nicht kleinzukriegen ist. Ohnehin gestaltete De Martino manche Momente verblüffend heftig, wenn immer mal wieder zwar kurze, aber dafür umso eindringlichere Gewaltakte stattfinden. Und natürlich lassen sich auch die offiziellen Meuchelszenen nicht lumpen, wenn Skalpell und Schaufel sehr gekonnt zweckentfremdet werden.

Frei von Schwächen ist die Erzählung dabei freilich nicht. So wird man beispielsweise das Gefühl nicht los, die Enthüllung des Rasiermesser-Mörders geschehe vor allem deswegen so früh, weil sie ohnehin keine sonderlich große Überraschung gewesen wäre (für das deutsche Publikum übrigens schon gar nicht, ist dessen Synchronstimme doch derart markant, dass man sie bereits nach wenigen Sekunden korrekt zugeordnet hat). Ein zwischendrin stattfindender Ausflug nach New York ist inhaltlich zudem so unnötig, dass man den Eindruck gewinnt, hier wollte man nur noch schnell eine Drehgenehmigung ausnutzen. Irritierend geriet auch eine seltsam uninspiriert wirkende Traum-Sequenz Joannas, die einen durch ihren neuen Denkanstoß so sehr aus der Bahn wirft, dass sie dem weiteren Verlauf der Handlung sogar regelrecht Schaden zufügt, obwohl sie am Ende (ebenso unpassenderweise) wieder aufgegriffen wird. Dieser Einfall wirkt nicht nur auf erzählerischer Ebene unglücklich, sondern auch auf formaler, da die Inszenierung ohnehin bereits einen realitätsfernen (Alp-)Traumcharakter besitzt.

Dass die ganzen vorgetragenen Erklärungen bezüglich Verdrängung und Seelenpein küchenpsychologischer Kokolores vom Feinsten sind, versteht sich fast von selbst, gehört dieser Umstand doch fast so sehr zum Giallo-Genre wie Mord und Maskierung. Ohnehin wirkt die Konstruktion von Joannas Kindheitstrauma etwas weit hergeholt: Ein Triebtäter, welcher sich ausgerechnet in eine geistliche Tracht wirft, um Kinder anzulocken? Wäre für so etwas nicht jedes andere Kostüm besser geeignet gewesen? Eigentlich sollte es sich ja herumgesprochen haben, dass, sobald ein Pfaffe mit Püppchen naht, sämtliche Fluchtreflexe umgehend zu aktivieren sind. Auch dem bewährten erotischen Unterton wird Rechnung getragen, wenn ein paar harmlose gleichgeschlechtliche Anwandlungen zwischen Joanna und ihrer jungen Pflegerin geschehen. Eindeutige Schlüpfrigkeiten bleiben jedoch aus und hätten sich auch kaum mit der restlichen Tonalität vertragen.

Um sich bewusst zu machen, wie viel Klasse DAS HAUS DER VERFLUCHTEN trotz seiner fraglos vorhandenen Defizite besitzt, muss man ihn nur mit der Mehrheit der Italo-Krimi-Ware aus dem Jahrzehnt seiner Veröffentlichung vergleichen, wie mit dem blankpolierten, nichtssagenden NOTHING UNDERNEATH, der im tiefsten 1980er-Körperkult-Sumpf versinkt und ähnlich langweilig-oberflächlich daherkommt wie die ganzen Models, die dort uninteressanter Weise gemeuchelt werden. Im Gegensatz dazu erscheint Alberto De Martinos Werk regelrecht klassisch und besticht durch eine hochwertige Ausstattung (die mit Bildern und Büchern vollgestopften Räumlichkeiten sind ein echter Hingucker) und ein paar gelungene optische Spielereien (wie Spiegelungen in Sonnenbrillen oder zahlreiche experimentelle Perspektiven). Die Gründe für die Morde kann das Drehbuch zwar nicht so wirklich plausibel machen, aber Stimmung und Spannung passen durchaus. Wer für klassischen Giallo-Grusel und „Hitchcock mit Härte“ etwas übrig hat, der darf in diesem Haus also gern ein Zimmer buchen.

Laufzeit: 85 Min. / Freigabe: ab 16