USA 2025
Regie:
Len Wiseman
Darsteller:
Ana de Armas,
Gabriel Byrne,
Anjelica Huston,
Ian McShane,
Lance Reddick,
Norman Reedus,
Keanu Reeves,
Sharon Duncan-Brewster
„Aus der Welt von John Wick“ prangt prominent auf dem Plakat zu BALLERINA, damit auch ja niemand übersieht, es mit einem Ableger der populären Profikiller-Reihe zu tun zu haben. Dabei hätten sich 2014, als Teil 1 an den Start ging, wohl selbst die Produzenten nicht träumen lassen, dass die brutale Ballerorgie JOHN WICK einmal in Blockbuster-Sphären vorstoßen und der Name zur Marke reifen würde. Aber die später zum überlangen Epos aufgeblasene Action-Saga ließ trotz hoher Freigaben und Verzichts auf Massenkompatibilität von Fortsetzung zu Fortsetzung immer lauter die Kassen klingeln und bescherte ihrem Hauptdarsteller Keanu Reeves als unkaputtbarem Auftragsmörder auf der Abschussliste einen respektablen Alterseinstand. Zwar wirkt die Verbindung zum Vorbild teils etwas forciert, aber Fans haben bei BALLERINA dennoch allen Grund zur Freude. Denn der „weibliche Wick“ ist kaum weniger mörderisch unterwegs als das Original und entfesselt – wortwörtlich – einen Feuersturm der Rache.
Inhalt:
Als Eve Macarro [Victoria Comte] ihren ersten Menschen tötet, ist sie noch ein Kind: Sie feuert eine Kugel in den Körper des Mannes, der kurz davor ist, ihren Vater umzubringen. Doch dieser kam nicht allein. Er war Teil eines Killer-Kommandos, das einen groß angelegten Überfall auf die prachtvolle Privatbehausung des Syndikatmitglieds unternimmt. Auf der Flucht vor weiteren Attentätern erliegt der Angegriffene schließlich dennoch der feindlichen Übermacht. Seine traumatisierte Tochter überlebt und findet Zuflucht in einem ganz besonderen Waisenhaus: der Ballettschule der „Direktorin“ [Anjelica Huston]. Hier lernen die Mädchen nicht nur das Tanzen – sondern auch das Töten. Jahre später arbeitet Eve [jetzt: Ana de Armas] als Auftragsmörderin. Bei einem ihrer Einsätze entdeckt sie an ihrem Opfer eine Tätowierung, die ihr arg bekannt vorkommt: Die Mörder ihres Vaters trugen dieses Zeichen ebenfalls. Getrieben von Neu- und neu entflammter Vergeltungsgier beginnt sie, Nachforschungen über die Hintergründe des Symbols anzustellen – und entfacht damit unversehens eine blutige Fehde zwischen zwei mächtigen Bruderschaften.
Kritik:
Dass Musikalität eine der Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Action-Szene bildet, ist nicht erst seit den Kung-Fu-Reigen der Shaw Brothers oder den Blei-Balletten eines John Woo bekannt. Taktung, Körperbeherrschung, Choreographie, all das muss sitzen wie auf dem Parkett des Wiener Opernballs. Daher ist die Idee, ausgerechnet eine Tänzerin zur Action-Heldin zu machen, eigentlich eine sehr naheliegende. Dass BALLERINA diesen Titel trägt, weil die Protagonistin tatsächlich eine ist, und nicht etwa deswegen, weil sie die meiste Zeit wie wild um sich ballert, könnte man zwischenzeitlich allerdings auch durchaus mal vergessen. Bezüge auf die entsprechende Ausbildung werden mit Beginn ihres Privatfeldzugs nämlich überwiegend in den Hintergrund gedrängt. Fabelhaft inszeniert sind sie freilich dennoch, die zahlreichen Action-Scharmützel, die vor verschlagenem Witz und visuellem Einfallsreichtum nur so sprühen und damit in jeder Hinsicht die Tradition der Hauptreihe weiterführen. Trotzdem unterscheidet sich Eve Macarro von John Wick, den das Publikum ja als bereits erwachsenen Mann kennenlernte, bevor Scheibchen für Scheibchen offenbart wurde, wer diese Person überhaupt ist. Bei Eve indes ist es bei der Killerwerdung quasi von Beginn an mit dabei und wird Zeuge, wie sie das System erst begreifen und ihren Platz in ihm finden muss.
Und dieses System ist ganz schön komplex. Denn nach dem vergleichsweise geerdeten Einstieg mit JOHN WICK im Jahre 2014 sprudelte der Erfindergeist der Macher regelrecht über. In den Fortsetzungen entstand so eine absurde Paralleldimension, die dem Fantasy-Genre näher steht als dem Action-Genre, eine Art „Wickiversum“, in dem etliche miteinander verfeindete Killer-Clans bizarren Regeln und Kodexen folgend in einem empfindlichen Gleichgewicht weltumspannend mit- und gegeneinander agieren. Der in JOHN WICK III eingeführte Clan der Ruska Roma dient hier als Bindeglied zur Hauptreihe, denn deren Mitglied ist nun „Ballerina“ Eve Macarro. Für weitere Anbindung sorgen Auftritte bekannter Figuren wie Hotelmanager Winston (Ian McShane), Concierge Charon (Lance Reddick), die (nach wie vor) namenlose Direktorin der Ballett- und Ballerschule (Anjelica Huston) – sowie Keanu Reeves als John Wick persönlich, der sogar stärker eingebunden wurde, als es nötig gewesen wäre. Da wollte man wohl – der Vermarktung wegen – auf dessen Zugkraft schlichtweg nicht verzichten. Dabei hätte Hauptdarstellerin Ana de Armas solch prominenten Beistand gar nicht nötig gehabt, denn BALLERINA wuppt sie ganz allein. Obwohl grundsätzlich eher zierlicher Natur, geht sie körperlich in die Vollen und erweckt ihre Figur als energiegeladenen Wirbelwind zu wuchtigem Leben, mit kleinen Momenten des Zauderns und Zweifelns zwar, doch stets von absolut glaubwürdiger Tödlichkeit. Action-Erfahrung sammelte die Darstellerin bereits 2019 als Anhängsel des berühmtesten Geheimagenten Ihrer Majestät in KEINE ZEIT ZU STERBEN. Hier jettet sie nun selbst wie Bond um die Welt und landet schließlich in einem österreichischen Bergdorf, in dem es zu einem Finale kommt, das ebenso grotesk wie gigantisch ist.
Auf inhaltlicher Ebene hat man sich für BALLERINA wahrlich kein Bein ausgerissen – es ist die typische Geschichte einer Person, die Rache will für den Tod eines Familienmitglieds. Nachdem Einführung und Ausbildung der Protagonistin abgeschlossen sind, findet sie zufällig eine Spur, folgt ein paar Hinweisen und arbeitet sich von Station zu Station weiter vor, bis sie dem Endgegner gegenübersteht. Ihren Reiz bezieht die ausgetretene Story in erster Linie durch ihre Implantierung in die wundersam-verschrobene Wick-Welt, deren Wiedersehen einem ein Lächeln auf die Lippen zaubert, als treffe man nach längerer Zeit einen alten Freund wieder. Das ist die Welt, in der man sich mitten auf der Tanzfläche einer gefüllten Diskothek ein waffenstarrendes Duell liefern und dem Gegner Äxte ins Fleisch treiben kann, ohne dass sich die übrigen Anwesenden in irgendeiner Form daran stören. Oder in der Kämpfe auf offener Straße ausgetragen werden, gerne auch mit Auto als Waffe, ohne dass man Gefahr liefe, in seinem Tun von irgendwem unterbrochen zu werden. Vor allem aber ist es die Welt, in der, obwohl eigentlich in der Gegenwart angesiedelt, von den Kartellen regelrecht vorsintflutliche Technik zur Kommunikation angewendet wird – was immerhin Arbeitsplätze schafft, weil die guten, alten Telefonistinnen nun endlich wieder was zu tun bekommen und kettenrauchend Steckverbindungen herstellen sowie auf klobigen Tasten herumhämmern dürfen. Und zur Ortung von Feinden verwendet die Organisation natürlich nicht etwa GPS oder Satelliten – wozu denn auch, wenn es doch Fernrohre gibt?
Das herrliche Understatement, mit dem all diese Paradoxien serviert werden, als seien sie vollkommen selbstverständlich, verleiht BALLERINA (ebenso wie der ursprünglichen Wick-Reihe) einen hintersinnigen Humor, der brüllend komisch ist, obwohl auf der Oberfläche de facto nicht ein einziger Scherz geschieht. Und wenn Eve sich einem Wirtshaus mit Messer, Gabel, Schere, Licht (und allem, was sonst noch gerade greifbar ist) gegen eine aberwitzige Anzahl von Angreifern erwehren muss und die launige Schunkelmusik im Hintergrund zu dem ganzen Hauen, Stechen und Schießen fröhlich weiternervt, dann hat das ebenfalls mehr Witzpotenzial als manch vermeintlich lustige Sprücheklopferei der Blockbuster-Konkurrenz. Einem der Vorbilder wird dabei auf fast schon zu plumpe Weise gehuldigt, flimmert doch auch einmal das Massaker begleitend Stummfilm-Star Buster Keaton über den Fernsehschirm, dessen akrobatischen Komik-Kapriolen ja auch stets von stoischen Gesichtsausdrücken begleitet waren. Zum Slapstick gesellt sich bei BALLERINA freilich noch eine zünftige Portion Splatter, wenn dem Schurken per durch den Raum geschleudertem Schlittschuh erst noch eine mehr als nur gründliche Rasur verpasst wird, bevor er lustig über das Geländer purzelt.
Obwohl der Härtegrad bei alledem prinzipiell recht hoch ist, wirken die Gewaltakte durch Übertreibungen wie diese eher cartoonig als wirklich brutal. Wie schon beim Vorbild JOHN WICK besteht die Action überwiegend aus kung-fu-ähnlichen Nahkämpfen und Schießereien, die oft fließend ineinander übergehen. Zwischendurch bemüht man sich jedoch immer wieder, etwas Neues, Originelles zu erschaffen. Genannt sei hier der Moment, in dem die Heldin sich in einem Gewölbe ihrer Gegner mittels mehrerer Granatenwürfe entledigt, während sie selbst immer wieder hinter Stahltüren und ähnlichem Gerät in Deckung springt. Wenngleich vom Skript in den Schatten John Wicks gedrängt (der, wie gesagt, etwas zu viel Spielraum bekommen hat), steht die „Ballerina“ am Ende doch auf eigenen Beinen und funktioniert auch als eigenständige Veranstaltung ganz ausgezeichnet. Zumal im Showdown dann endlich die brennende Frage geklärt wird, was denn nun eigentlich stärker ist: Flammenwerfer oder Feuerwehrschlauch? Eine Antwort bleibt man allerdings schuldig: Warum wird in allen Ballettschulen dieser Welt eigentlich immer nur „Schwanensee“ gespielt? Und warum sogar in der Welt von John Wick?
Laufzeit: 125 Min. / Freigabe: ab 18
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen